Kant’s Logik ist nicht Kants Logik
Von Daniel Erlewein (Münster)
Im Jahr 1799 erteilte Kant einem Kollegen den Auftrag, ein Kompendium zur Logik zu verfassen und stellte ihm dafür seine Notizen zur Verfügung. Das Produkt, Immanuel Kants Logik, erschien noch zu Kants Lebzeiten und trägt seinen Namen im Titel. Viele Interpreten behandeln diese Schrift daher so, als hätte Kant selbst sie verfasst und als enthielte sie seine definitiven Gedanken zur Logik. Der Herausgeber, G. B. Jäsche, ist bei der Ausarbeitung des Textes allerdings sehr willkürlich verfahren. Kant hat seine Position etwa bezüglich der Bildung der Begriffe und der Konzeption der Urteile mehrfach revidiert und hat daher nicht nur ein oder zwei, sondern eine ganze Reihe von Notizen zu diesen Themen verfasst. Jäsche hat nur einen kleinen Teil der Aufzeichnungen zum Abdruck bringen lassen und sie an vielen Stellen gekürzt, ergänzt oder miteinander verquickt. Oft ist zudem nicht klar, ob sie Kants reife Position zum Ausdruck bringen. Immanuel Kants Logik so zu behandeln, als wäre sie Kants eigene Schrift, ist daher mehr als fahrlässig. Es birgt die Gefahr, Kant eine Position zuzuschreiben, die er nicht vertreten oder zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufgegeben hat. Es ist höchste Zeit, Immanuel Kants Logik einer quellenkritischen Analyse zu unterziehen!