Interview mit Nicole C. Karafyllis
Nicole C. Karafyllis ist seit 2010 Professorin für Philosophie an der Technischen Universität Braunschweig.
prae|faktisch: Wieso wollten Sie Philosophin werden?
Nicole C. Karafyllis: Ich kann gar nicht sagen, dass ich unbedingt Philosophin werden wollte, im strengen Sinne von „Wollen“. Ich wollte immer forschen und interessierte mich für das Leben – grundsätzlich und in seiner Vielfalt. Also habe ich erst mal Biologie studiert und mit Diplom abgeschlossen. Während des Studiums habe ich durch Zufall eine Philosophieveranstaltung besucht und war sofort gefesselt. Hier wurden denjenigen Fragen zum Leben auf den Grund gegangen, die die Biologie nicht behandelte: das Leben als Idee. Ich studierte dann zusätzlich Philosophie im Doppelstudium; das war ganz schön viel „Stoff“, zumal ich auch noch als studentische Hilfskraft im Labor arbeitete, aber hat meinen Lebensweg bestimmt. Nach dem Studium wurde ich von Professoren in beiden Disziplinen zur Promotion ermutigt. Ich bekam nach Bewerbung an einer anderen Universität dann sogar zwei Promotionsstipendien angeboten, in einem philosophischen und in einem biologischen Graduiertenkolleg. Ich entschied mich trotz der angeblich schlechteren Berufsaussichten für die Philosophie, weil ich das Bewerbungsgespräch spannender und angenehmer fand. Ich habe immer Wert darauf gelegt, meine biologischen Fachkenntnisse mit Philosophie zu verbinden, sei es in der Wissenschaftstheorie, Naturphilosophie oder Technik- und Umweltethik – das hat mir den Weg zur Professur geebnet. Wenn ich nicht Philosophin geworden wäre, wäre ich heute entweder Abteilungsleiterin in einem Pharmaunternehmen zur Pilzforschung oder Referentin in einer Naturschutzbehörde.
Inwiefern hat Ihre Herkunft (lokal, sozial) sie zur Philosophie oder zu bestimmten Fragen gebracht?
Ich habe einen griechischen Vater und eine deutsche Mutter. Da lernt man sehr früh das Denken in Differenzen und die Schwierigkeit von Identitätspolitiken, die auf Homogenisierung abheben. Mein philosophisches Konzept der Biofakte ist möglicherweise durch diesen Hintergrund beeinflusst, aber das wäre eine psychologistische Erklärung (und damit ein Unding in der Philosophie). Was mich sicher beeinflusst hat ist die Herkunft aus einer Theaterfamilie: die Auseinandersetzung mit der Differenz Natur/Technik führe ich auf meine frühe Kindheit zurück, wo ich als Kleinkind gerne während der Vorstellung im Fundus des Theaters spielte. Vielleicht ist auch mein aktueller Forschungsfokus „Sammlungsforschung“ damit verbunden. Darüber werde ich noch nachdenken.
Wie haben Sie Ihre Postdoc-Phase erlebt?
Ich hatte eine wunderbare Post-Doc-Zeit an der Goethe Universität Frankfurt, damals eine sehr liberale und querdenkende Universität mit vielen tollen Leuten (vermutlich heute noch). Natürlich hatte ich eine gewissen Adorno-Überdosis. Aber das Denken der Frankfurter Schule hat mich tief geprägt und war um so vieles politischer als dasjenige, das ich zuvor in Tübingen und Erlangen kennengelernt hatte. Aber auch dort habe ich Unverzichtbares gelernt, vom Deutschen Idealismus bis hin zu Logik, die ja in Erlangen Tradition hat und besonders anspruchsvoll unterrichtet wurde (entsprechend bin ich beim ersten Anlauf durch die Klausur gefallen wie damals etwa 50%; heute soll es leichter sein…).
Welche Erlebnisse und Personen während ihres Studiums oder am Beginn Ihrer Laufbahn haben Sie besonders geprägt?
Die Wissenschaftstheorie und Technikphilosophie waren von Anfang an meine philosophischen Wegbegleiter, und meine große Liebe Aristoteles. In Erlangen habe ich bei Dr. Rudolf Kötter gleich mehrere Seminare zum Empirismus und verwandten Themen besucht, die mich stark beeinflussten. Dort hörte ich auch das erste Mal vom Technikphilosophen Günter Ropohl, dessen Assistentin ich Jahre später wurde. Er hat mir am Beginn meiner Post-Doc Zeit einen wichtigen Satz gesagt: Wenn man richtig gut in seinem Gebiet ist, muss man sich um die Karriere keine Sorgen machen. Und das stimmt. Ich bin insgesamt sehr dankbar, an allen drei Universitäten, wo ich studierte (Erlangen, Tübingen, Frankfurt am Main) eine solide philosophiehistorische Ausbildung bekommen zu haben. Die Vertrautheit mit historischen Denkarchitekturen ist entscheidend für alles Weitere und Spätere.
Worin bestehen Ihrer Meinung nach die Unterschiede zwischen der heutigen und ihrer Generation von PhilosophiestudentInnen?
Das Bachelorstudium ist an vielen Orten deutlich enthistorisiert, das halte ich für fatal. Auch der Wegfall der oft ungeliebten, aber notwendigen Logikveranstaltungen ist mir ein Dorn im Auge. Als ich mit meinen Kollegen unseren Bachelorstudiengang Philosophie an der TU Braunschweig entwickelt haben, haben wir darauf geachtet, beides zu bewahren. Wir bekommen deshalb auch viele Studierende aus anderen Universitätsstädten. Junge Leute haben durchaus einen Sinn für humanistische Bildung und Qualität. Einige belegen auch unser freiwilliges Altgriechisch-Angebot. Es ist sehr schmerzlich als DozentIn, dass man kaum mehr Studierende hat, die Latein können. Das macht Mittelalter-Veranstaltungen schwer vermittelbar. Aber wie will man dann eigentlich die Aufklärung – begrifflich – verstehen?
Welche Enttäuschungen haben Sie im Laufe ihrer Karriere erlebt?
Bis ich Professorin wurde, hatte ich eigentlich keine großen Enttäuschungen; ich würde nichts anders machen. Ab dann erlebte ich die administrative Seite der Wissenschaft in zunehmender Härte: Akkreditierungen, Evaluationen, Beantragung von Studienqualitätsmitteln, leistungsorientierte Mittelvergaben etc. All diese Kapitalisierungen der Wissenschaft nehmen Energie und Zeit für die eigentliche Forschung und Lehre. Und trotzdem ist es der schönste Beruf der Welt.
Welchen Ratschlag würden Sie Studierenden und KollegInnen am Anfang ihrer Karriere geben?
Lesen, v.a. aus älteren Epochen, und Sprachen lernen. Man sollte schon anfangs einen Philosophen „gut d’rauf haben“, d.h. sein System kennen. Und niemals über Konzepte nachdenken, die die Lust am Philosophieren kapitalisieren wie z.B. „Workload“, „Credit Points“ oder „Work-Life-Balance“.
Wie sehen Sie die Zukunft der Philosophie im deutschsprachigen Raum? Welche Trends begrüßen Sie, welche sehen Sie kritisch?
Die deutschsprachige Philosophie hat die luxuriöse Ausgangsposition, viele wichtige DenkerInnen hervorgebracht zu haben. Deshalb eröffnet sie auch Karrierechancen im Ausland, wenn man gut Englisch kann. Aber darauf sollte man sich nicht ausruhen. Ich sehe keine „Trends“ in der Philosophie, ich sehe nur gute oder schlechte Philosophie. Das war immer so und wird immer so sein.
Welche Rolle kann/soll Philosophie in der Öffentlichkeit heute spielen?
Auch das ist eine philosophiehistorisch altbekannte Frage, verhandelt zwischen dem berühmten Elfenbeinturm, dem Hofnarr und dem bewussten Selbstmord aus Überzeugung. Ich wünsche mir mehr Humor in der Vermittlung von Philosophie in der Öffentlichkeit. Die Denkerpose auf dem Pressefoto ist ok, aber denken und amüsieren können, und dabei Menschen zum Nachdenken zu bringen, ist die Königsdisziplin.
Was macht gute Philosophie aus, und was macht eine/n gute/n PhilosophIn aus?
Ein guter Philosoph hat Humor. Denn dies beinhaltet die Möglichkeit zur Selbstdistanzierung und die Fähigkeit, Paradoxien auszuhalten. Beides ist unabdingbar für gute Philosophie. Im persönlichen Kontakt haben übrigens viele Philosophen einen Humor, den sie in ihrem öffentlichen Habitus nicht vermuten lassen, z.B. kann Habermas unglaublich lustig sein.
Gibt es Bücher, die Ihrer Meinung nach jede/r PhilosophIn gelesen haben sollte und warum?
An Aristoteles‘ Nikomachischer Ethik führt kein Weg vorbei.
Was machen Sie (am liebsten) wenn Sie nicht Philosophie betreiben?
Gibt es einen Moment in meinem bewussten Leben, in dem ich nicht Philosophie betrieben habe? Ich glaube nicht. Ich habe ja schon dazu publiziert, dass ich auch beim Putzen philosophiere. Für mich ist Philosophie im Privaten das gleiche wie im Beruflichen: Eruieren von Möglichkeiten des Seins und Aushalten von Paradoxien – um des Weiterdenkens willen.