Interview mit Nikola Kompa

Nikola Kompa ist Professorin am Institut für Philosophie der Universität Osnabrück

prae|faktisch: Wieso wollten Sie Philosophin werden?

Nikola Kompa: Ich glaube nicht, dass ich Philosophin werden wollte. Ich komme aus einem naturwissenschaftlich geprägten Elternhaus. Zunächst hatte ich mich im Studium denn auch mehr auf die Mathematik (eines meiner zwei Nebenfächer) konzentriert, bis ich dann in einem Seminar zu Theorien des Bewusstseins landete. Und plötzlich hatte mich die Philosophie gepackt – vor allem die Philosophie des Geistes. Während der Promotion habe ich sogar überlegt, in die Psychologie (mein zweites Nebenfach, auch noch während der Promotion) zu wechseln.

Wie haben Sie Ihr Studium erlebt? Was würden Sie heute wahrscheinlich machen, wenn Sie keine Philosophin geworden wären?

Das Studium war damals doch deutlich weniger verschult und strukturiert als heute. Das hatte Vor- und Nachteile, aber insgesamt war der Freiraum größer und der Druck, zumindest bei mir, geringer. Was ich machen würde, wenn ich nicht Philosophin geworden wäre, weiß ich beim besten Willen nicht. – Hoffentlich etwas Sinnvolles; vielleicht wäre ich wirklich in die Neuropsychologie abgewandert.  

Wie haben Sie Ihre Doktorats- wie Ihre Postdoc-Zeit erlebt? Welche Unterschiede gab es zwischen den Instituten/Universitäten in Deutschland, an denen Sie tätig waren?

Ich hatte viel Freiraum und gleichzeitig auch viel Unterstützung in dieser Zeit. Während in München, wo ich studierte und auch promoviert wurde, die Stimmung damals ziemlich angespannt war und zwischen den einzelnen Lehrstühlen wenig Austausch bestand, war Münster für mich ein wunderbarer Ort zum Habilitieren: ein toller, sehr engagierter Mittelbau, ein beindruckend gelehrter und fairer ‚Chef’ (Oliver Scholz) und ein sehr interessantes, vielfältiges und trotzdem von wechselseitigem Wohlwollen und Respekt geprägtes Seminar.

In der Postdoc-Zeit haben Sie Forschungsaufenthalte an der New York University verbracht. Wie haben Sie damals die Unterschiede zwischen den Top-Instituten der USA im Vergleich zu denen in Deutschland gesehen, wie sehen Sie die Unterschiede heute?

Als ich nach New York kam, war ich sehr angetan von dem Angebot an Vorträgen, Seminaren, Gesprächsmöglichkeiten, etc. Die versammelte ‚Intelligenzija’ in der Region (ich habe neben Veranstaltungen an der NYU Vorträge und Seminar an der Columbia, am CUNY Graduate Center und in Princeton besucht) kann aber auch ein bisschen einschüchternd, fast erdrückend sein. Gleichzeitig ist es dann wieder ein sehr inspirierender Ort. Heute glaube ich, dass wir auch in Deutschland bzw. Europa wirklich sehr gute Philosophinnen und Philosophen haben (und auch ‚damals’, also vor etwa zwanzig Jahren, schon hatten), und uns ruhig noch ein bisschen weiter emanzipieren könnten (auch thematisch).

Welche Erlebnisse während ihres Studiums oder am Beginn Ihrer Laufbahn haben Sie besonders geprägt? Welche PhilosophInnen/Themen/Fragen/LehrerInnen waren für Sie besonders wichtig?

Der analytischen Philosophie des Geistes, dann aber vor allem auch der Sprachphilosophie, galt anfänglich mein Hauptinteresse, auch schon früh der neuropsychologischen Seite. Dann kam die Erkenntnistheorie dazu, die mich heute eher in Form der sozialen Erkenntnistheorie interessiert.  Aber die Themen Sprache und Geist – oder Kognition, wie ich heute lieber sagen würde – beschäftigen mich eigentlich nach wie vor am meisten, vor allem die (sozio-)kognitiven Grundlagen von Sprache einerseits und ihr kognitiver Nutzen andererseits.

Worin bestehen Ihrer Meinung nach die Unterschiede zwischen der heutigen und ihrer Generation von PhilosophiestudentInnen?

Die heutigen Studierenden sind einerseits, und wohl notgedrungen, etwas berufs- oder zumindest leistungspunkterwerbs-orientierter; andererseits kommen sie mir aber auch etwas verlorener vor. Letztlich denke ich, dass sich in meiner wie in der heutigen Generation Studierende fanden und finden, die eher aus Verlegenheit studieren oder weil ihnen das Philosophiestudium das kleinste Übel zu sein scheint; und andere, die intrinsisch motiviert und aufrichtig und in erster Linie an der Sache interessiert sind, die selbst denken wollen. Sicherlich machen sie nicht die Mehrheit aus; vermutlich noch nicht mal einen besonders großen Teil (und das war damals auch nicht so viel anders), aber es gab sie und gibt sie auch heute.

Was würden Sie inhaltlich oder institutionell gerne in den nächsten Jahren erreichen oder umsetzen?

Ich bin gerade mit einigen Kolleginnen und Kollegen aus den Kognitionswissenschaften, den Sprachwissenschaften und der Psychologie dabei, einen Forschungsschwerpunkt zum Thema The Cognitive Cost and Benefits of Language an der Universität Osnabrück einzurichten. An dem Thema möchte ich in Zukunft noch intensiver, vor allem auch in diesem interdisziplinären Kontext, arbeiten. Ein Buchprojekt ist schon in Arbeit. Demnächst wird dazu zudem ein Projektantrag eingereicht; langfristig würden wir den Schwerpunkt gern weiter ausbauen und vielleicht einen Studiengang Language & Cognition anschließen.

Was macht Ihnen in Ihrem beruflichen Alltag am meisten Freude, was ärgert sie?

Die Kolleginnen und Kollegen machen mir sehr viel Freue – ich habe unglaubliches Glück mit meiner Kollegin am Institut für Philosophie. Ebenfalls sehr gut haben wir es mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern getroffen. Die Stimmung bei uns am Institut trägt sehr zu meiner guten Laune bei. Zudem bin ich, wie schon angedeutet, in der vorteilhaften Situation, einige wunderbare Kolleginnen und Kollegen in anderen Fächern zu haben, mit denen ich sehr gern zusammenarbeite und auch gelegentlich zusammen unterrichte. Denn die Lehre kann auch viel Freude machen. Da wir ein kleines Institut sind, können wir einen fast familiären Kontakt zu unseren Studierenden, zumindest denjenigen, die es mit der Philosophie Ernst meinen, pflegen.

Allerdings bleibt neben der Lehre, der akademischen Selbstverwaltung, der Betreuung von Qualifikationsarbeiten, der Gutachterei, Berichteschreiberei, und Kommissionsarbeit, dem Halten von Vorträgen und Organisieren von Konferenzen und Workshops, der Arbeit an Drittmittelanträgen und -projekten doch leider sehr wenig Zeit für diejenige Forschung, die sich dem Diktat der Drittmittelfähigkeit, der Anwendungsorientierung oder anderen gesellschaftlichen Trends entziehen kann.

Welchen Ratschlag würden Sie ambitionierten Studierenden oder DoktorandInnen geben, die eine akademische Laufbahn in Erwägung ziehen?

Bei der Frage nach Strategien zur Karriereplanung finde ich mich immer in einem Zweispalt wieder. Einerseits hat man den Eindruck, dass immer mehr Leute ihre akademische Karriere auf dem Reißbrett planen, und damit auch schon früh beginnen: der Auslandsaufenthalt an einer renommierten Universität; ein angesagtes Thema für die Qualifikationsarbeit, das sich entsprechend gut vermarkten lässt; Publikationen in den gängigen Zeitschriften; frühzeitiges ‚Branding’ und reges Netzwerken. Das sieht oft beeindruckend aus, und die ‚Papierform’ ist heute wohl auch wichtiger denn je. Ein solches Verhalten ist also durchaus rational. Andererseits möchte man sagen: Vergiss die ganze Strategieplanung; mach Dein Ding, auch wenn das gerade nicht den philosophischen Zeitgeist trifft; wirklich gute Philosophie ist kompromisslos, geradezu unstrategisch. Aber irgendwie erscheint mir das als Rat in der heutigen Zeit fast schon fahrlässig.

Wie sehen Sie die Zukunft der Philosophie im deutschsprachigen Raum? Welche Trends begrüßen Sie, welche sehen Sie kritisch?

Eigentlich bin ich ganz zuversichtlich; es gibt ausgesprochen gute Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler. Insgesamt ist das handwerkliche Niveau in der Philosophie, scheint mir, deutlich gestiegen. Allerdings geht es vielleicht ein bisschen auf Kosten der Originalität, denn wirklich originelle, eigenständige Beiträge kosten Zeit, sind schwerer in Zeitschriften unterzubringen, insgesamt weniger gut zu vermitteln – und das kann man sich heute eben nicht mehr erlauben (s.o.).

Ich begrüße alles, was in Richtung empirisch informierte Philosophie geht. Auch eine gewisse Anwendbarkeit philosophischer Überlegungen schadet nicht; allerdings sehe ich doch die zunehmende Kritik an (oder Verdrängung) der Grundlagenforschung, die nicht schon ihren Anwendungsbereich mitliefert oder wenigstens drittmittelfähig ist, auch innerhalb der Philosophie lauter werden. Das halte ich für eine gefährliche Tendenz.

Und natürlich ist die gegenwärtige Situation des wissenschaftlichen Mittelbaus untragbar. Es sollten sowohl wieder entfristete akademische Ratsstellen eingeführt werden, als auch Junior-Professuren generell mit Entfristungsoption ausgeschrieben werden müssen. Die zunehmende Zahl von Graduiertenkollegs ist auch nicht unproblematisch, weil man den Eindruck erweckt, es gäbe für alle Promovierten auch im Anschluss daran Stellen.

Welche Rolle kann/soll Philosophie heute in der Öffentlichkeit spielen? Sollte Philosophie bspw. ein Schulfach sein?

Ich halte Philosophie für das Gegenteil von Populismus. Sie ist der Versuch, die Dinge möglichst differenziert zu sehen, den Perspektivwechsel einzuüben; das Auseinanderfolgen von Aussagen nicht mit ihrem Aufeinanderfolgen zu verwechseln; Emphase nicht für Wahrheit zu halten. Entsprechend sollte sie wohl eine Rolle in der Öffentlichkeit spielen, sich einmischen. Allerdings besteht in der Philosophie ebenso wie in anderen Disziplinen die Gefahr, dass die mühsam errungenen Differenzierungen und Theorieansätze beim Transfer in andere Bereiche wieder über Bord gehen. Forschung ist eben nicht dasselbe wie Forschungsvermittlung oder Wissenschaftsjournalismus – das muss man schon können. Noch wichtiger erscheint mir denn auch, dass die Philosophie als Schulfach (das dann bitte auch nicht fachfremd unterrichtet wird) schon früh eine Alternative zu Vereinfachung, Populismus und Dogmatismus bereitstellt.

Was macht gute Philosophie aus, und was macht eine/n gute/n PhilosophIn aus?

Gute Philosophie scheitert auf hohem Niveau; alle ihre Behauptungen (oder doch die meisten) sind falsch, aber auf so intelligente Weise…

Den guten Philosophen oder die gute Philosophin zeichnet aus: Die richtige Balance aus epistemischer Bescheidenheit auf der einen und epistemischem Selbstvertrauen auf der anderen Seite; die Gewissheit, nie in einer Sache das letzte Wort sprechen zu können; und die Gelassenheit, es dennoch weiter zu versuchen.

Gibt es Bücher/Aufsätze die Ihrer Meinung nach jede/r PhilosophIn gelesen haben sollte? Und wenn ja, warum diese?

Die „Meditationes“ von Descartes, „Die Kritik der reinen Vernunft“ von Kant und „Convention“ von Lewis J – besser geht es einfach nicht!

An welchen philosophischen Themen planen Sie in Zukunft zu arbeiten? Zu welchen Themen würden Sie gerne arbeiten, kommen aber nicht dazu?

Ich möchte weiter zum Themenbereich ‚Language & Cognition’, mit besonderem Augenmerk, wie erwähnt, auf dem kognitiven Nutzen der Sprache, und, damit eng verknüpft, weiter zum Thema ‚Sprachevolution’ arbeiten, insbesondere auch noch mehr zu spieltheoretischen Modellierungen. Zum Zusammenhang zwischen Sprache und kognitiver Kontrolle schreibe ich gerade einen Text mit einer Kollegin aus der kognitiven Neuropsychologie. Auch das Thema ‚embodied cognition’ wird mich weiter beschäftigen; vor allem, nach wie vor, verkörperte Theorien des Sprachverstehens im Allgemeinen und des Metaphernverstehens im Besonderen – hier steht ja ebenfalls die Frage im Hintergrund, welche kognitiven Prozesse dem Sprachverstehen zugrunde liegen. Und in der Erkenntnistheorie arbeite ich immer noch zur Rolle nicht-epistemischer Faktoren in unserer epistemischen Praxis, genauer dazu, inwieweit wir z.B. bei einer Wissenszuschreibung nicht-epistemische Interessen berücksichtigen (und berücksichtigen müssen), etwa wenn wir jemandem schneller Wissen zuschreiben, wenn es (wahrscheinlich) verheerende moralische, ökologische, etc. Folgen hätte, dies nicht zu tun (oder ihm gar Wissen abzusprechen). Gern würde ich etwas zu politisch korrekter Sprache machen – das hängt ja erkennbar eng mit der Frage nach dem Einfluss der Sprache auf das Denken zusammen; aber dazu komme ich derzeit leider nicht. Auch würde ich gern noch intensiver zur Sprachtheorie in der Neuzeit arbeiten; gerade schreibe ich einen Text zu Destutt de Tracy und Theorien des Sprachursprungs im 18. Jahrhundert; für mehr fehlt mir, fürchte ich, auch hier im Moment die Zeit. Aber mal sehen…