Was wird die Künstliche Intelligenz für Versicherungsunternehmen bedeuten?

Von Mario Günther (Canberra)

Es ist ein neuer Tag in nicht all zu ferner Zukunft. Du wachst auf. Deine Armbanduhr hat aufgenommen wie lange du geschlafen hast, wie dein Herz geschlagen hat, und wie du im Schlaf geatmet hast. Du fährst zur Arbeit. Sensoren in deinem Auto messen deine Geschwindigkeit und dein Bremsverhalten. Auf dem Weg hältst du kurz, um zu frühstücken, und bezahlst elektronisch. Die Transaktion und der Kaloriengehalt deines Frühstücks werden registriert. Dann hast du einen Autounfall. Du rufst deine Versicherung an. Dein Anruf wird umgehend beantwortet. Die Stimme am anderen Ende kennt deinen Namen und redet freundlich mit dir über deine Katze und wie deine Fußballmannschaft am vergangenen Wochenende spielte. Du sprichst mit einem Chat-Bot. Der Bot weiß so viel über dich, weil dein Versicherungsunternehmen Künstliche Intelligenz benutzt, um Informationen über dich aus den sozialen Medien zu schürfen. Der Bot weiß noch viel mehr. Im Austausch für günstigere Versicherungsbeiträge hast du zugestimmt, dass er deine persönlichen Geräte überwachen darf. 

Das ist keine Science Fiction. Mehr als drei Viertel der Versicherer glauben daran, dass Künstliche Intelligenz (KI) die Versicherungsindustrie innerhalb weniger Jahre revolutionieren wird. Laut McKinsey Futuristen wird KI spätestens ab 2030 bedeuten, dass deine Auto- und Lebensversicherungsbeiträge sich ändern könnten, wenn du dich entscheidest diese Straße zur Arbeit zu nehmen anstatt jener. So ein Paket wird dir verkauft werden mit dem Versprechen auf stärker personalisierten Service, schnellere Bearbeitung von Ansprüchen, und niedrigeren Beiträgen. Und die Versicherung wird diese Versprechen halten – meistens. 

Eine solche Versicherungspraxis birgt allerdings auch ethische Risiken, etwa bezüglich Datenschutz und Diskriminierung. Ein Versicherungsunternehmen könnte deine Daten benutzen, um herauszufinden wie viel du bereit wärst für deinen Versicherungsschutz zu bezahlen. Das Unternehmen könnte die Daten an Dritte verkaufen. Der Algorithmus könnte „entscheiden”, dass du zu einer Risikogruppe gehörst wegen deinem Alter, deinem Geschlecht, Einkommen, oder Ethnie.

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Versicherungen haben einen nicht beneidenswerten Ruf das Geld von Menschen zu nehmen und dann im Schadensfall nicht zu bezahlen. Doch der Sektor ist stark vom Wettbewerb bestimmt. Agile Versicherungen werden KI benutzen, um profitabel zu bleiben trotz Beitragssenkungen. Die weniger agilen Konkurrenten werden den Druck des Marktes wahrscheinlich nicht überleben. 

Um niedrigere Beiträge anzubieten, muss ein Versicherer wissen, ob ein Individuum tatsächlich weniger risikobehaftet ist. Die Technologie, die ermöglicht das herauszufinden, ist das Internet der Dinge: das Kollektiv der Billionen von Sensoren in unseren alltäglich verwendeten Gegenständen, die mit dem Internet verbunden sind. Sie sind in Smartphones, Uhren, Autos, Fitness Trackers, Home Assistants, und vielen anderen Dingen. Zusammengenommen bilden sie ein Ökosystem von Sensoren. Die Datensammlung erlaubt dem Versicherer über Zeit individuell zugeschnittene Risikoprofile zu erstellen, die sich auf das tatsächliche Verhalten der Person gründen. 

Um deine Hausratsversicherung günstiger zu machen, wird das Versicherungsunternehmen sich mit der KI Schaltzentrale verbinden, die dein “Smart Home” durch sein Ökosystem von Sensoren betreibt. Wenn es zu Einbrüchen in der Nachbarschaft kommt, wird die Schaltzentrale deines Zuhauses davon wissen, weil sie mit dem Netzwerk des Versicherers verbunden ist. Beim ersten Zeichen, dass etwas sein könnte, können automatisch Schlösser geschlossen und die Sicherheitsstufe von Alarmanlagen hochgestellt werden. Und natürlich kann die Polizei umgehend benachrichtigt werden. Um der Gefahr von Feuer zu entgegnen, werden Sensoren installiert die Temperatur und Luftfeuchtigkeit überwachen, sowie Rauch melden. Wenn der Herd angelassen wird, wird die Schaltzentrale deines Zuhauses ihn ausschalten bevor es zu einem Problem kommt. 

Um niedrigere Kfz-Versicherungsbeiträge zu berechnen, wird deine Versicherung überwachen wollen, wie du zur Arbeit fährst und wie du dein Auto instandhältst. Das Senken von Gesundheitsversicherungsbeiträgen könnte erfordern, dass der Versicherer Zugang zu deinen medizinischen Aufzeichnungen hat und du einen Fitness Tracker trägst. Ein neuer Industriesektor wird sich abzeichnen. Unternehmen, die sich darauf spezialisieren Sensoren, die sich mit dem Internet verbinden können, zu installieren und Daten zu sammeln werden mit Versicherungen zusammenarbeiten. Das Internet der Dinge ermöglicht ein Geschäftsmodell, welches die gesamte Industrie zum Umdenken bringt. Ein rein reaktiver Versicherungsschutz wird durch einen Schutz ersetzt werden, der auf Eigeninitiative versucht das Risiko zu senken. Das hört sich alles gut an. Aber es bestehen breitere Risiken in dem Ziel das Risiko zu minimieren. 

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Eine ganz klare Gefahr ist das Problem des profiling: man wird als mehr oder weniger risikobehaftet eingestuft, weil man zu einer bestimmten demographischen Gruppe gehört. Das maschinelle Lernen ermöglicht es nun zwischen Hunderten von Risikofaktoren zu unterscheiden. Algorithmen können auf Grundlage dieser Faktoren bisher unerkannte Risikobündel aufspüren. Sie können sogar neue Risikofaktoren ableiten. Aber die resultierenden Kategorisierungen können unabsichtlich diskriminierend sein. Es gibt schon viele Beispiele, in denen KI Algorithmen unbeabsichtigterweise Vorurteile verstärkt haben. Im Englischen Durham, etwa, hat die Polizei einen Algorithmus eingesetzt, um besser einschätzen zu können, ob Straftäter ein hohes Risiko für die Bevölkerung darstellen, wenn sie demnächst auf Kaution freigelassen werden sollten. Die Empfehlungen des Algorithmus waren aber gegenüber Ärmeren diskriminierend. Die Grundlage für die diskriminierenden Empfehlungen war der Ort, wo die Menschen lebten. In Gebieten, wo mehr Ärmere leben, ist das Risiko höher wieder eine Straftat zu begehen. 

Wir sehen auch schon hoch-individualisierte Diskriminierung auf uns zukommen. Wohlbekannt ist das Problem der genetischen Diskriminierung. Ein Gesundheits- oder Lebensversicherer erhöht die Beiträge, oder gestattet gar keinen Versicherungsschutz, für bestimmte Krankheiten, weil deine DNA verrät, dass du wahrscheinlich an diesen Krankheiten leiden wirst. Die KI eröffnet eine neue Epoche der personalisierten Diskriminierung. Daten über dein Verhalten und deine Präferenzen sind ähnlich aussagekräftig wie deine DNA. Die Unmenge an Daten, zu der eine KI potentiell Zugang hat, können einem Versicherer viel über deine Einkaufsgewohnheiten verraten. Wo kaufst du ein? Was kaufst du? Wann gibst du Geld aus? Suchst du nach Preisnachlässen und besonderen Angeboten oder bezahlst du normalerweise den vollen Preis? All diese Informationen werden einem Versicherungsunternehmen helfen einzuschätzen, ob sie damit durchkommen, dir den Höchstpreis aufzubinden. Einige in der Versicherungsindustrie argumentieren, dass Märkte eben so funktionieren. Aber wenn dieses Funktionieren erleichtert wird durch einen noch nie da gewesenen Zugang zu persönlichen Informationen, wird ein unbeschränkter Markt eine fragwürdige Praxis. 

Ein Versicherer könnte auch in Versuchung kommen Daten für andere Zwecke zu benutzen als Risikobeurteilungen. In Anbetracht ihres Wertes könnten Daten an Dritte für verschiedene Zwecke verkauft werden, um die Kosten der ursprünglichen Datensammlung auszugleichen. Werber, Händler, Lobbyisten und politische Parteien sind alle unstillbar hungrig nach detaillierten demographischen Daten. Diese Daten sind nicht das Eigentum der jeweiligen Person, über die diese Daten etwas aussagen – wie man hätte meinen können. Nein, diese Daten sind das Eigentum desjenigen, der dafür bezahlt hat. Konsumenten müssen rechtlich dagegen geschützt werden, dass ihre Daten – ohne Einverständniserklärung – für andere Zwecke missbraucht werden.

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Jede leistungsstarke neue Technologie birgt Vorteile und Gefahren. Die Vorteile sollten klar gemacht werden und die Gefahren auf ein annehmbares Niveau gesenkt werden. Es mutet etwas seltsam an das Risikomanagement der Versicherungen selbst zu regulieren und zu beaufsichtigen. Doch Versicherungsunternehmen haben genau dies zu tun und mehr. Sie müssen sicherstellen, dass ihre Kunden darauf vertrauen können, dass die KI mehr Vorteile als Nachteile mit sich bringt. Dazu müssen sie durchsichtige und gerechte Praktiken zu eigen machen, die zum öffentlichen Wohl beitragen. Es geht um Profit, aber es sollte um mehr gehen. 


Mario Günther ist Research Fellow an der Australian National University. Er ist Mitglied des Projekts Humanising Machine Intelligence. Zu seiner website gehts hier.