Me Too – Es wäre zu schön gewesen, die Angst zu verschieben
von Maria Sagmeister (Wien)
Vor einiger Zeit wurde ich eingeladen, diesen Blogbeitrag zum Schlagwort #metoo[1] zu verfassen. Damals wurden gerade erste Täter_innen mit Konsequenzen konfrontiert und es sah fast so aus, als hätten es manche tatsächlich mit der Angst zu tun bekommen.[2] Es schien, als müsste nicht wieder und wieder dargelegt werden, dass rape culture Opfern sexueller Übergriffe ihre Glaubwürdigkeit raubt, im Zusammenhang mit Vergewaltigungsverfahren oft eine Täter-Opfer-Umkehr betrieben wird und sexuelle Belästigung kein Kavaliersdelikt ist. Von wegen. In den letzten Wochen wurde in den USA Brett Kavanaugh[3] trotz Vergewaltigungsvorwurf zum Höchstrichter ernannt – was der Behauptung, dass ein solcher Vorwurf einen Mann bzw seine Karriere zerstören kann, endgültig den Wind aus den Segeln nimmt, Trump aber nicht daran hindert, zu verbreiten, dass die heutige Welt in dieser Hinsicht besonders für Burschen eine gefährliche ist.[4] Etwa zur gleichen Zeit wurde in Österreich Sigrid Maurer wegen Übler Nachrede schuldig gesprochen, nachdem sie sexistische, übergriffige Nachrichten inklusive dem Namen des Klägers veröffentlicht hatte.[5] Hallo Backlash.
Angesichts dieser Ereignisse ist man geneigt, #metoo das Scheitern zu attestieren. Doch sollte man darüber nicht vergessen, dass wir im vergangenen Jahr eine so breite und laute Debatte über sexualisierte Gewalt geführt haben wie sie die Öffentlichkeit lange nicht gesehen hat. Man kann entgegen der Rückschläge und gerade in ihrer Bearbeitung weiter daran anknüpfen, was in dieser Debatte – und in ihr vorangegangenen Debatten – als zentral gesetzt wurde, und sich nicht entmutigen lassen, auch darüber hinaus weiter über die Ermöglichung und den Schutz sexueller Autonomie zu diskutieren. Feministinnen immer wieder die Überregulierung des Sexuellen vorgeworfen, dabei dient die Bekämpfung sexueller Gewalt gerade dem Ziel, Sexualität möglichst selbstbestimmt und frei von Zwang erlebbar zu machen. Zugleich muss man sich dem Spannungsverhältnis, in dem die Forderung nach strafrechtlicher Verschärfung grundsätzlich und stets zum Streben nach größtmöglicher Autonomie steht, bewusst sein und es (auch selbst)kritisch reflektieren.
Das Opfer im Zentrum
Die Opfer standen im Fokus von #metoo. Dieser Umstand wurde von feministischer Seite auch zu Recht kritisiert: Wieder einmal würde die Täter_innenseite zu wenig thematisiert und alle Aufmerksamkeit, auch die negative, auf dem Opfer liegen bzw. lasten. Doch zeigte uns die Kampagne ein Opfer, das sich wehrt, sich mit anderen Opfern solidarisiert und mit diesen eine Bewegung gründet, die so manchen Angst machte. Und auch wenn sie in ihren jeweiligen Verfahren unterlagen, kann man diese Züge Maurer und Ford nicht absprechen.
Im feministischen Diskurs geht es immer wieder um die negativen Konnotationen des Opferbegriffs. Diese ist vor allem durch ein Verständnis von Vulnerabilität als fixe Eigenschaft einer bestimmten Personengruppe geprägt, das Viktimisierung von einer temporären Erfahrung zu einem identitätsbestimmenden Merkmal erhebt, wie Erin Cuniff Gilson dies beschreibt. Zum Beispiel Frauen als die „wehrlosen Opfer“. Diese Verknüpfung von Opfersein mit Weiblichkeit und Schwäche macht es auch männlichen Opfern schwer, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Dennoch haben einige couragierte Männer ihren Platz in der #metoo Bewegung gefunden. Die Brüchigkeit, die ihre Geschichten im Narrativ des immer weiblichen Opfers und des immer männlichen Täters erzeugen, bringt die Fundamente der binär gedachten Geschlechterordnung ins Wanken. Im ersten Augenblick paradox erscheint, dass die Anerkennung männlicher Opfer auch den Blick für die systemische Gewalt gegen Frauen schärfen kann. Wenn einzelne Männer betroffen sind, dann heißt dies, dass jeder Mann grundsätzlich auch die Opfer sein könnte. Die höhere Betroffenheit von Frauen ist demnach nicht natürlich – sondern ein Problem der Verteilung von Macht und veränderbar. Inzwischen sind auch Fälle weiblicher Täterinnenschaft im Zusammenhang mit #metoo an die Öffentlichkeit gedrungen. Asia Agento, selbst Anklägerin gegen Harvey Weinstein, ist mit Vorwürfen konfrontiert, einen viel jüngeren Schauspielkollegen zum Sex genötigt und sein Schweigen erkauft zu haben.[6] Opfer und Täter_in sind eben keine absoluten Kategorien, Argento kann in einer Situation Opfer sein, in einer anderen Täterin. Zugleich gab es aber auch Stimmen männlicher Opfer, die meinten, sich nicht unter dem Banner zu Wort melden zu wollen, weil ihr Erleben gerade nicht Ausdruck der strukturellen Gewalt ist, die Frauen unterdrückt. Diese strukturelle Gewalt ist der gemeinsame Nenner der #metoo Bewegung. Die gemeinsame Erfahrung von Ungerechtigkeit wurde zum Ausgangspunkt für Widerstand. Die unverhältnismäßig große Betroffenheit von sexualisierter Gewalt unterschiedlichster Ausprägung ist durch die Zugehörigkeit zur Gruppe „Frauen“ gegeben, diese ist aber weder homogen, noch durch das Vorhandensein bestimmte Organe bestimmt. Die gemeinsame Unterdrückungserfahrung steckt das Subjekt des Kampfs gegen sexuelle Gewalt ab, ohne alle Frauen gleichzusetzen. Sexualisierte Gewalt findet innerhalb und zwischen unterschiedlichsten Gruppen statt. Ökonomische Abhängigkeit, körperliche Verfasstheit oder Alter sind nur Beispiele dafür, dass die Verortung innerhalb unterschiedlicher Machtverhältnisse die Wahrscheinlichkeit einer Betroffenheit sowie mögliche Auswege bestimmen. #metoo anerkennt das – so nahmen 300 Hollywoodschauspielerinnen die Kritik weniger-privilegierter Frauen auf und gründeten mit „Times Up“ einen Rechtshilfefonds zur Unterstützung Betroffener, denen der Rechtsweg sonst versperrt bliebe. Der offene Brief, mit dem das Projekt vorgestellt wurde, ist kämpferisch, reflektiert und solidarisch.
Das Insistieren auf ungleichen Machtverhältnissen als Nährboden für sexuelle Gewalt ist ein wichtiger Anhaltspunkt dafür, dass dieses Problem nicht allein auf Ebene des Strafrechts gelöst werden kann. Dennoch liegt der Fokus der Debatte häufig auf diesem Bereich.
Konsens, sexuelle Autonomie und das Recht
Sexuelles Einverständnis bewegt sich nach Elisabeth Holzleithner in einem Kontinuum zwischen zwei Polen: von enthusiastischer Zustimmung getragener Sex auf der einen und ungewollter, gewaltsam erzwungener Sex – strafrechtlich als Vergewaltigung sanktionierbar – auf der anderen Seite. Dazwischen liegen Welten. Menschen lassen sich aus unterschiedlichen Gründen auf sexuelle Handlungen ein, etwa um Streit oder auch nur ein unangenehmes Gespräch zu vermeiden, gegen Bezahlung, um jemandem zu gefallen, aus Lust, aus Angst vor Abneigung, aus Angst vor Gewalt – nur wenige dieser Szenarios sind rechtlich verboten. Sexuelle Autonomie schließt es mit ein, weitgehend eigene Gründe zu wählen, auch wenn diese für andere nicht nachvollziehbar sind. Manchmal treffen Personen Entscheidungen aus Gründen, die anderen oder auch ihnen selbst im Nachhinein falsch erscheinen oder bereuen ihre Entscheidungen. Etwa wenn Sex eine Freundschaft zerstört oder man eine Handlung ausprobiert und sie nicht wiederholen möchte. Wird Sex allerdings zugestimmt, weil man die Konsequenzen der Verweigerung fürchtet, dann muss genauer hingesehen werden. Nicht jede Zustimmung erfolgt frei, Angst vor Gewalt beispielsweise hindert eine freie Entscheidung. Was aber ist mit den Zwängen des ungleichen Geschlechterverhältnisses, was mit unausgesprochenen oder ausgesprochenen Hierarchien, dem Umstand, dass unterschiedliche Sozialisation von Männern und Frauen oft darin mündet, dass Männer ein Gefühl von Berechtigung erlernen und Frauen sich schwerer tun, Nein zu sagen? Wo die Grenzen verlaufen sollen, wird auch unter Feminist_innen kontrovers diskutiert. Dabei geht es nicht unbedingt um strafrechtliche Grenzen.
My bad sex wasn’t rape, was it?
Ein Fall, der im Zug der #metoo Debatte hier angeblich fast die Bewegung gespalten hat, war der um den Schauspieler Aziz Ansari. Auf einem Blog beschrieb eine anonyme Frau einen Abend mit ihm als den schlimmsten in ihrem Leben. Sie beschrieb, wie er ihre nonverbalen Zeichen von Ablehnung und ihr Unbehagen nicht wahrgenommen und sich ihr mehrmals auf eine Art angenähert habe, die für sie übergriffig war. Als sie verbal formulierte, sie wolle nicht mit ihm schlafen, habe er aber sofort entsprechend reagiert. Im Netz wurde debattiert, ob ihm ein Vorwurf gemacht werden könne. Es gab Stimmen, die von der Frau klareres Handeln einmahnten und fragten, warum sie denn nicht einfach aufgestanden und gegangen sei. Ist das nun Victim Blaming? Oder das Bestehen auf der sexuellen Handlungsfähigkeit von Frauen? Im Nachhinein hat Ansari den Abend als schön beschrieben, sie hingegen fühlte sich missbraucht. Diese Schieflage im Erleben ist jedenfalls bemerkenswert und nur schwer zu ertragen.
Es muss nicht vordergründig darum gehen, ob solche Situationen strafbar sein sollen oder je nach Rechtslage und Auslegung bereits sind. Das Recht ist ein mächtiges, und in der Gestalt des Strafrechts auch ein grausames, Mittel. Aber es ist weder das einzige, noch ist es immer das geeignetste Mittel, gesellschaftliche Veränderung voran zu treiben oder zu reflektieren. Die Forderung nach einem strengeren Strafrecht lässt mitunter auch auf andere Alternativen vergessen. Sie ist schnell geäußert und wohl auch daher in der Politik beliebt. Aber gerade mit einem gesellschaftskritischen Impetus darf man nicht vergessen, dass Strafe ein repressives Herrschaftsmittel ist und insbesondere das Gefängnis selten wirklich die Resozialisierung bringt, die als sein Zweck postuliert wird. Das Strafrecht ist eine einfache Lösung, es verstellt aber immer auch ein Stück weit die Frage nach dem Ursprung des zu strafenden Unrechts und die Debatte über andere Lösungsansätze. Gerade das enorme Unrecht sexualisierter Gewalt steht oft in einem Spannungsverhältnis zur Ablehnung von Strafe, obwohl wir genau wissen, dass es kein effektives Mittel zur Bekämpfung der strukturellen Ungleichheit ist, die diese Gewalt befeuert. Immerhin ist das Strafrecht aber auch eine Art Wertekatalog einer Gesellschaft und auch aus dieser Warte ist die Forderung, dass sexuelle Autonomie darin umfassend geschützt wird, wichtig.
Der Abschnitt des Strafgesetzbuches, der das Sexualstrafrecht regelt, war lange als “Strafbare Handlungen gegen die Sittlichkeit“ betitelt, erst seit 2004 schützt er explizit „die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung“. Man könnte also meinen, kein Wunder, wenn manche sich mit diesem Konzept der sexuellen Selbstbestimmung schwertun. Viele wichtige Entwicklungen im Sexualstrafrecht wurden erst gegen Ende des letzten Jahrhunderts oder in der noch jüngeren Vergangenheit durchgesetzt. Erst seit 1989 wird auch eine Vergewaltigung innerhalb einer aufrechten Ehe rechtlich als solche anerkannt, ebenso kurz ist die Vergewaltigung nicht ausschließlich an „weiblichen Personen“ rechtlich möglich. Zuletzt wurde der Bereich 2015 reformiert, um den Anforderungen des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) zu entsprechen und so manche_r sträubte sich insbesondere gegen die Kriminalisierung sexueller Belästigung mit Haut und Haar. Die Ängste mancher Nationalratsabgeordneten, nun keine Frauen mehr kennenlernen zu können, kann man zwar ertragen, einem weiter verbreiten Diskurs darüber, ob feministische Ansprüche an Sexualität zu weit gehen, sollte man aber entschieden, zugleich aber sehr wohl differenziert, entgegentreten.
Sexualstrafrecht zwischen Prüderie und Ermächtigung
Unter den Kritiker_innen von #metoo fanden sich auch bekannte Frauen, die sich auf Feminismus und sexuelle Freiheit beriefen. Eine Petition, die u.a. Catherine Millet und Catherine Deneuve, die sich allerdings später entschuldigte, unterzeichneten, sah in der Kampagne einen Aufruf zur Prüderie. Grenzen auszutesten gehöre zum Flirten. Aber gehört nicht auch Wertschätzung dazu? Können wir die Aufgabe nicht meistern, jemanden sexy und respektvoll anzusprechen? Manche befürchten, dass durch zu viel „Political Correctness“ und vor allem durch den Umstand, die Zustimmung des Gegenübers zu sexuellen Handlungen einholen zu müssen, unangenehme Situationen entstehen und dem Sexuellen die erforderliche Spontanität geraubt werden könnte. Sie übersehen dabei jedoch, dass solche Situationen bereits unangenehm sind: für das Gegenüber nämlich. Womöglich so unangenehm, dass es sich missbraucht fühlt. Ein Nein zu hören, kann unangenehm sein, gleichzeitig ist ein Nein kein Weltuntergang. Einen Korb zu bekommen ist nicht schön, belästigt zu werden aber noch viel weniger. Außerdem, wenn beide wollen, dann ist die Versicherung darüber ja vollkommen unproblematisch. Ist das gut für dich? Ja! Schön. Im Ernstfall aber kann eine Nachfrage den notwendigen Ausweg bieten beziehungsweise auch der fragenden Partei Sicherheit darüber geben, ob ihre Handlungen erwünscht sind oder nicht. Gleichzeitig darf nicht abgetan werden, dass es schwierig sein kann, diese Fragen zu stellen. Über Sex zu sprechen ist für viele unangenehm, gerade unerfahrene Personen wissen oft nicht, wie sie das angehen sollen – Elsie Whittington zeigt in einer Studie mit Teenagern, dass dieses Unwohlsein sowohl beim Nachfragen als auch beim Antworten besteht.[7] Das Recht kann hier kaum ausreichend Abhilfe bieten. Konsens zu normieren kann den Anstoß geben, sich mit diesem wichtigen Thema als Gesellschaft zu beschäftigen, die Beschäftigung selbst aber nie ersetzen.
So verlangt eine vielbeachtete Gesetzesänderung in Schweden nun ausdrücklich die Zustimmung zu Sex. Fehlt die explizite oder konkludente Einwilligung, ist eine sexuelle Handlung strafbar. Das Einverständnis muss dabei nicht unbedingt verbal erfolgen, es geht vielmehr darum, Passivität nicht ungefragt als Zustimmung zu deuten, sondern eine Kultur zu fördern, in der man über Sex spricht. Der Fokus verschiebt sich von der Frage, ob deutlich genug Nein gesagt wurde, hin zur Frage, ob man sich ausreichend bemüht hat, festzustellen, ob das Gegenüber auch will. Auch wenn im Verfahren das Problem der Beweisbarkeit bleibt, steht hinter der Gesetzesänderung der Appell die Verantwortung nicht beim Opfer, sondern beim Täter oder der Täterin zu suchen. Das hat weniger mit Prüderie zu tun als mit einer Verrechtlichung des alten feministischen Slogans: Don’t teach girls not to get raped, teach boys not to rape! Und wenn ein oder zwei Flirtversuche aus Angst, das Falsche zu sagen oder zu tun, unterlassen werden, dann ist das nicht nur hinsichtlich einer Interessensabwägung der Beteiligten tragbar, es macht wahrscheinlich auch ein oder zwei Frauen* das Leben ein bisschen leichter.
Maria Sagmeister ist Universitätsassistentin am Institut für Rechtsphilosophie der Universität Wien. Derzeit arbeitet sie an einer Dissertation über Fragen von Autonomie, Geschlechtergerechtigkeit und Elternschaft. Sie ist Mitherausgeberin der Zeitschrift juridicum.
[1] https://www.thecut.com/2018/10/tarana-burke-me-too-founder-movement-has-lost-its-way.html
[2] www.zeit.de/2018/15/metoo-debatte-maenner-feminismus-gleichberechtigung
[3] https://derstandard.at/2000088852655/Wahl-von-US-Hoechstrichter-Kavanaugh-Ein-Schlag-ins-Gesicht
[4] https://edition.cnn.com/2018/10/02/politics/trump-scary-time-for-young-men-metoo/index.html
[5] https://mobil.derstandard.at/jetzt/livebericht/2000088919468/prozess-gegen-sigi-maurer-geht-weiter?ref=article
[6] Leonie Kapfer, Die ersten #MeToo-Anklagen gegen Frauen, an.sprüche: Machtgesten, Anschläge 7/2018.
[7] https://theconversation.com/talking-about-sex-is-awkward-so-how-can-teenagers-just-ask-for-consent-104428?fbclid=IwAR1nleXLkitiPHkt3piPLzmyowdeNZYzKii34Nb-9NDGAYDNTUs-GDLavbA