Zufall als Grund

von Leonidas Richter (Frankfurt am Main)


Alles hat einen Grund. Oder: nichts geschieht ohne Grund. Das ist ein Grundsatz der wissenschaftlichen Erforschung und Erklärung der Welt. Zufall nun scheint das zu sein, was sich diesem Satz entzieht, das, wofür wir keinen Grund angeben können. Könnte Zufall aber selbst ein Grund sein, wenn er genau dann als „Grund“ dient, wo es keinen Grund gibt? Drei fundamentale Ereignisse in unserer Welt, in denen Zufall eine echt produktive Rolle spielen könnte, sind: die Existenz von komplexen Gehirnen, die fortdauernde Existenz von Leben und die Existenz der Welt überhaupt. Welches Licht werfen diese auf den Satz vom Grund?

Der Satz vom Grund

Der Grund ist das, was wir auf eine Warum‑Frage antworten, zum Beispiel mit Weil…: Warum geht die Sonne unter? Weil die Erde sich dreht. Der Satz vom Grund befriedigt das menschliche Bedürfnis, dass Dinge eine Ursache oder, vielleicht sogar noch wichtiger, eine Erklärung haben. Hierbei ist eine Differenzierung wichtig: Das deutsche Wort „Grund“ hat den Vor- und Nachteil einer Mehrdeutigkeit, wobei eine Unterscheidung zwischen wenigstens zwei Bedeutungen wichtig ist: (1) Grund als Erklärung, also eine epistemische Bedeutung, und (2) Grund als Ursache, die ontische Bedeutung. Der Nachteil der Doppeldeutigkeit von Grund ist ein Mangel an Differenzierung, wenn wir von Grund reden, was aber direkt wettgemacht wird durch die Tatsache, dass wir oft beides meinen: Die Ursache dient zur Erklärung, die Erklärung macht die Ursache ausfindig. Die beiden liegen aber auf verschiedenen Ebenen.

In der Befriedigung unseres Bedürfnisses ist der Satz vom Grund wohl das wichtigste Prinzip aller wissenschaftlichen und philosophischen Erforschung der Welt, buchstäblich der Grund‑Satz. Das Ausforschen nach Gründen ist auch ziemlich erfolgreich. Die Entwicklung der Wissenschaft hat für viele einzelne Phänomene den Grund ausmachen können. Wenn wir keinen Grund finden, ist der Grund entweder unbekannt oder, wenn wir glauben, den Grund ausreichend gesucht zu haben, wir wählen die Option, dass etwas aus Zufall geschieht. Wir würden aber wohl nicht sagen, dass etwas geschieht, weil es zufällig ist. Der Zufall ist eher der Grund, wenn kein Grund angegeben werden kann, wenn etwas ohne auffindbare Ursache, dass es genau so geschehen muss, doch geschieht. Der Zufall als Grund ist der Nicht‑Grund. Eine wichtige Streitfrage wird wohl bleiben, ob Zufall in der Welt wirklich vorkommt als ontischer Nicht‑Grund, oder ob es nur ein Mangel an Wissen ist, also ob Zufälligkeit bloß aus einer epistemischen Verlegenheit heraus begegnet, weil die wahre Ursache verborgen blieb.

In der klassischen Physik ist alles vollständig determiniert, es gibt keinen echten Zufall in deren Welt, sondern für alles gibt es eine Ursache, und eigentlich auch eine Erklärung, auch wenn wir sie nicht finden können. Im Falle der Ursache, also als ontische Eigenschaft der Welt, führt erst die Quantenmechanik Zufall ein, und vieles der philosophischen Ungemach an dieser Theorie kommt daher, dass der Zufall in dieser Theorie als eine echte, ontische Eigenschaft der Natur eingeführt wird, wie es das berühmte, ablehnende Diktum Einsteins „Gott würfelt nicht“ ausdrückt. Das ist seine eigene Diskussion wert, doch an dieser Stelle zwei Bemerkungen: (1) die Wahrscheinlichkeit selbst entwickelt sich deterministisch, es gibt also immerhin einen Grund, warum Wahrscheinlichkeiten auf eine gewisse Weise verteilt sind; (2) auch wenn die klassische Physik dem Zufall keinen ontischen Platz einräumen wollte, so wurde doch im Rahmen der klassischen Thermodynamik und ihrer Erklärung durch die statistische Mechanik der Zufall als epistemisches Werkzeug anerkannt.

Dennoch ist die klassische Physik vielleicht die in sich geschlossenste Verkörperung des Satzes vom Grund, und er behält seine Herrschaft auch nach der Entwicklung der Quantenmechanik über viele Bereiche der Wissenschaft. Der Satz vom Grund, oder zumindest das menschliche Bedürfnis, das in ihm Ausdruck findet, ist in gewissem Sinne selbst der Grund, dass es überhaupt Wissenschaft und Philosophie gibt. Der Zufall nun scheint das zu sein, was ihn sprengt – oder er ist eines unserer Wörter für das, was seinen Wirkungsbereich verlässt. Trotz der wichtigen Rolle des Satzes vom Grund und der problematischen Beziehung des Zufalls zu diesem Satz wäre es dennoch möglich, dass Zufall auch außerhalb der mikroskopischen Quantenwelt der Grund für wichtige Aspekte der beobachtbaren makroskopischen Welt ist.

Warum es komplexe Gehirne gibt

Das Gehirn ist das zentrale Organ für die Steuerung von Verhalten, indem es etwa die Signale gibt, die unsere Muskeln so aktivieren, dass unsere Glieder koordinierte Bewegungen durchführen. Vor allem aber sorgt das Gehirn dafür, dass unsere motorischen Handlungen an die jeweilige Situation angepasst sind, indem es Handlungen mit Informationen, die wir durch die Sinne erhalten, verknüpft und dabei das erzeugt, was wir Intelligenz nennen.

Warum entstehen komplexe Gehirne, die zu dieser Leistung der Anpassung und Steuerung in der Lage sind? Gehirne sind äußerst kostspielige Organe, beim Menschen verbrauchen sie etwa 20 % der Energie, während sie nur etwa 2‑2,5 % der gesamten Körpermasse ausmachen. Wie entstehen Gehirne dieser Größe evolutionär? Warum kommt es in manchen Bereichen des Tierreichs dazu, dass Gehirne in der Evolution größer und größer werden? Dafür gibt es wohl keinen einzelnen Grund, denn es kommt immer auf die jeweiligen Lebensbedingungen der Arten an. Insbesondere gibt es nach wie vor Tierstämme, die mit extrem einfachen Nervensystemen (oder sogar ganz ohne) ganz gut leben, und das neben solchen Arten, etwa unter den Primaten und Delphinen, deren Gehirn auf eine „abnorme“ Größe angewachsen ist. Auf einer tieferen Ebene stellt sich aber die Frage: In was für einer Welt ist es überhaupt sinnvoll Ressourcen – mühselig gesammeltem Zucker und Fett – in ein Organ zu investieren, das dazu dient, Handlungen an die Umgebung anzupassen?

Diese Frage ist irritierend. Klar scheint: Es lohnt sich in unserer Welt, in der wir aus einer Beobachtung eine sinnvolle Handlung machen können, wie etwa vor einem fallenden Baum auszuweichen. Doch wie wäre es in einer Welt, in der keinerlei solche Vorhersagen möglich sind, die also ganz und gar zufällig ist? Nun, dann könnten vielleicht aus Zufall große Gehirne entstehen, aber es gäbe keinen Grund sie zu erhalten. In dieser Welt wären Gehirne bloße Energiefresser, die irgendwelche Handlungen initiieren, welche doch nicht besser sind als etwas Zufälliges zu tun, oder auch einfach gar nichts (was vermutlich das Beste wäre). Damit es sich also lohnt ein Gehirn zu unterhalten, sollte die Welt, in der wir leben, nicht völlig zufällig sein. Stellen wir uns im anderen Extrem eine Welt vor, in der alles ganz einfach vorherzusagen ist. Auch in dieser Welt wären Gehirne, zumindest große und komplexe, unnötige Energiefresser. Denn um unsere Handlungen an diese Welt anzupassen, wären nur ein paar einfache Reflexbögen notwendig, die für einfache Vorhersagen dienen können und die sich kaum an ständig sich ändernde Situationen anpassen müssen. Einen Schatten einer solchen Welt können wir vielleicht erahnen, wenn wir uns die Umgebung einer Muschel vorstellen, die fest verankert im Meer sitzt und Nahrungspartikel aus dem Wasser filtert. Da gibt es nicht besonders viel an Handlungen anzupassen, vielleicht etwas schneller pumpen, wenn gerade mehr Partikel vorhanden sind. Entsprechend klein ist auch das Nervensystem von Muscheln. Hierbei spielt nicht nur die Umwelt eine Rolle, sondern auch der Körperbau, denn dieses Nervensystem kann vielleicht gerade deshalb so klein sein, weil eine Muschel sowieso nicht viel machen kann, wenn ein Räuber auf sie zukommt.

Es scheint also, dass eine Welt, in der überhaupt komplexe Gehirn entstehen, den richtigen Grad an Komplexität haben muss. Sie muss hinreichend berechenbar sein, sodass die Ressourcen für diese Berechnung nicht vergeudet sind. Sie sollte aber auch nicht so berechenbar sein, dass überhaupt keine schnelle Anpassung an unvorhergesehene Situationen notwendig ist, in welchem Fall Ressourcen für komplexe Gehirne, zumindest ab einem gewissen Grad der Hirnkomplexität, ebenso vergeudet wären. Ein gewisses Maß an Zufälligkeit scheint also notwendig, damit ein Gehirn wie das unsere in der Evolution entsteht und auch bestehen bleibt. Besonders spannend an dieser Situation ist, dass die Evolution von großen Gehirnen also verlangt, dass der Satz vom Grund auf die Welt anwendbar ist, und gleichzeitig, dass diese Welt zu einem gewissen Grad unvorhersagbar und zufällig ist, ihn also zumindest stellenweise zu brechen scheint. Muss dieser Zufall nun ontisch sein oder reichte nicht auch bloß epistemisch? Beim Zufall als Grund für komplexe Gehirne reicht es wohl, dass die Welt nicht leicht vorherzusagen ist, dass also Prozesse in der Welt zufällig erscheinen. Also genügt Zufall auf der epistemischen Ebene. Dennoch ist der Zufall als bloß epistemischer hier nicht zu verwechseln mit einem subjektiven Fehlen an Wissen: die Tatsache, dass komplexe Gehirne entstehen, geht über einen Mangel an Information für diesen oder jenen Beobachter hinaus. Sie besagt viel eher, dass die Vorhersage der Welt für jeden lokalen Beobachter mit einem komplizierten Verhaltensrepertoire auch mit einem gewissen zufällig‑erscheinen verbunden ist. Sonst hätten sich wohl Lebewesen durchgesetzt, die ohne einen solchen energieintensiven Apparat wie dem Gehirn zurechtkommen. Ob Zufall ontisch vorkommt, können wir an dieser Stelle also nicht entscheiden, aber die Evolution des Gehirns legt zumindest nahe, dass die Welt ziemlich universell verlangt, auf Unvorhersagbares zu reagieren, um zu überleben. Auf der Ebene von biologischen Spezies oder Lebewesen überhaupt geht es aber auch um eine andere Art von Zufall.

Warum es Leben (noch) gibt

Das Lebendige verändert sich in der Evolution durch Zufall, in einem kontinuierlichen Prozess aus zufälliger Mutation und Selektion, wodurch sich die Lebewesen an eine sich verändernde Welt anpassen. Mutationen sind wahrscheinlich ein Fall von ontischer Zufälligkeit. Selektion selbst arbeitet auch mit dem Zufall. Sie ist kein rein deterministischer Prozess und vor allem nicht survival of the fittest, also ein Prozess, bei dem es ein einziges Optimum gibt, die Fittesten, die am Ende alleine dastehen als Sieger ohne Besiegte (und also ohne Nahrung). Selektion schließt Kooperation unter Lebewesen nicht aus und selektiert insbesondere mit dem Fortpflanzungserfolg: diejenigen Formen von Lebewesen bleiben erhalten, die erfolgreich von Generation zu Generation ausreichend Nachkommen erzeugen. Dabei gibt es zwei Hauptstrategien: entweder eine große Anzahl von Nachkommen mit geringer Brutpflege (wie bei vielen Fischen und Insekten) oder eine geringe Anzahl von Nachkommen mit intensiver Brutpflege (wie bei Menschen). In beiden Fällen werden es einige jeder Generation nicht schaffen Nachkommen zu erzeugen, obwohl deren Nachkommen überleben könnten, während andere Nachkommen hinterlassen, deren Stamm am Ende ausstirbt. Was da jeweils genau passiert, scheint also zufällig.

Da sich die Umwelt ständig verändert, durch geologische, klimatische, astrophysikalische und auch biologische Prozesse, muss aber vor allem das Lebendige im ganzen anpassungsfähig sein. Arten sterben aus und neue entstehen, aber das Leben als ganzes ist wohl nie ausgestorben (vielleicht in den allerersten Anfängen, rein hypothetisch). Dass das Leben als ganzes so hochanpassungsfähig ist, ist der zufälligen Mutation zu verdanken. Zusammen mit der Selektion erzeugt der Zufall die kontinuierliche Anpassung des Lebens an die kontinuierlich fortschreitenden Veränderungen. Neben dieser Anpassung in langsameren Prozessen ist aber vielleicht noch wichtiger, dass der Zufall dazu führt, dass eine unglaubliche Fülle von verschiedenen Formen, die Vielfalt des Lebendigen, jederzeit „vorrätig“ ist. Durch diese Vielfalt ist es möglich, dass auch nach den größten Katastrophen immer einige Lebensformen übrig bleiben, wie etwa ein paar unscheinbare Tierchen, die wohl viel unter der Erde lebten und die Eigenheit entwickelt haben, ihre Jungen innerhalb des Körpers auszutragen und mit Milch zu säugen. Deren Nachkommen sind wir. Die Säuger haben übernommen, nachdem die schrecklichen Riesenechsen größtenteils ausgestorben waren, und sie haben mit der Zeit immer größere Gehirne entwickelt, mit denen sie am Ende sogar Wissenschaft und Philosophie betreiben. Dabei kommt es zu so müßigen Fragen wie: Warum gibt es überhaupt etwas?

Warum es überhaupt etwas gibt

Mit Schelling in seinen Vorlesungen zur Philosophie der Offenbarung fragen wir: Warum ist überhaupt etwas? Warum ist nicht nichts? Hier kommt der Satz vom Grund an seine äußerste Grenze, oder wir haben seinen Bereich sogar schon verlassen. Natürlich können wir auf eine Ursache von allem verweisen, traditionell Gott, aber das verweist immer auf ein erstes Seiendes, dessen Existenz also seinerseits nicht erklärt wird, außer in Ideen wie „Ursache seiner selbst“ oder „notwendig seiend“ (dazu gleich mehr). Aber das funktioniert allenfalls epistemisch, als Erklärung, die pragmatisch ein menschliches Bedürfnis befriedigt. Ontisch, die Ursache als ein in der Welt seiendes betreffend, ist der Satz vom Grund hier nicht anwendbar. Wenn man es streng sehen will, wäre der Satz vollständig widerlegt, insofern im letzten Grund alles ohne Grund ist, trotz all der innerweltlichen Begründungszusammenhänge, die zu verstehen unsere Technologie ermöglicht und stets verbessert.

Schelling spricht die Frage, warum nicht nichts ist, in seinem Spätwerk an, Walter Schulz zufolge die „Vollendung des deutschen Idealismus“, in Auseinandersetzung mit seinem eigenen früheren Werk, aber auch mit dem Fichtes und insbesondere Hegels, dessen philosophisches System noch zu überbieten er nach Berlin berufen wurde. Bei Hegel hat die Vernunft die Macht, alles zu erklären, alles zu begründen und Vernunft und Universum sind geradezu deckungsgleich: „was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig“. Schelling stimmte dieser Idee schon was die Dinge in der Welt angeht nicht ganz zu. Inspiriert von Jakob Böhme hatte er bereits vor der Berliner Zeit eine unvernünftige Schicht tief im Wesen der Welt als ganzer und selbst in Gott gedacht. Vor allem aber sieht er im Äußersten die Vernunft zum Scheitern verurteilt: Selbst wenn die Vernunft alles in der Wirklichkeit als vernünftig ausweisen könnte, so kann sie doch nicht begründen, warum das Wirkliche überhaupt vernünftig ist, und genauso wenig, warum überhaupt etwas ist. Im besten Fall kann die Vernunft erweisen, dass die Welt notwendigerweise auf eine Art sein muss, wenn sie denn existiert – nicht aber, dass die Welt existiert.

Damit ist eine Philosophie wie das System Hegels in Schellings Sicht die bloß negative Philosophie, die zwar alle vernünftigen Zusammenhänge des Wirklichen ausweisen kann, aber nicht das positive Faktum der Existenz, dass die Welt oder die Vernunft existieren. Das führt insbesondere zu einer speziellen Widerlegung des ontologischen Gottesbeweises. Anselm von Canterbury, ein Gründer der scholastischen Philosophie, hatte versucht, die Existenz Gottes aus einer rein logischen, oder onto‑logischen, Argumentation zu beweisen. Die Idee war, dass der Begriff Gottes seine Existenz einschließt. In einer Form lautet das Argument bei Anselm: wenn Gott als das höchste von allem definiert wird, als das, „worüber hinaus nichts Größeres vorgestellt werden kann“, dann muss dieses Definierte auch wirklich existieren. Denn wenn es nicht wirklich existierte, dann könnten wir uns ein weiteres Etwas vorstellen, worüber hinaus nichts Größeres vorgestellt werden kann und das zusätzlich auch noch wirklich existiert. Dieses wäre also das wirklich Höchste, denn wirklich zu sein ist besser als bloß vorgestellt sein. Das echte Allerhöchste, der Gott, muss also auch wirklich existieren. Das Argument wurde oft kritisiert und ebenso oft abgewandelt, und bis heute besteht der Streit, ob es gültig ist oder auf welche Weise genau es ungültig ist.

Lassen wir es zunächst gelten, dann ist dieses Argument, in einer an Schelling angelehnten Sicht, gewissermaßen der Gipfel der negativen Philosophie. Diese könnte dann durchaus zeigen, dass Gott, wenn er existiert, absolut notwendig ist (oder: notwendigerweise notwendig). Aber das trifft nur zu, wenn die bloße Tatsache der Existenz schon gesetzt ist. Wenn schon gesetzt ist, dass überhaupt etwas ist und es dazu also ein höchstes geben kann. Dieses existierte dann notwendig. Die Tatsache selbst kann jedoch nicht bewiesen werden. Dass das Sein nicht durch die Vernunft bewiesen werden kann, trifft also insbesondere auf Gott zu, welchen Beweisen schon Kant einen Riegel vorgeschoben hatte. Der Begriff, der im Abendland traditionell für den Grund des Seienden gilt kann also nicht das Dass der Existenz begründen, nicht einmal seine eigene Existenz. Nun kommen wir also an die Frage, wie der Nicht‑Grund, in diesem Falle ein echter Nicht‑Grund, wenigstens ansatzweise gedacht werden kann. Die Frage, warum überhaupt etwas ist, kann durch keinen Grund, der im Seienden als Ursache existiert und von der Vernunft als Erklärung ausgewiesen werden kann, beantwortet werden. Hierhin zurückzufragen fragt nach dem Grund des Grundes, dem Grund auch für alle anderen Gründe. Dieses Ding, nach dem zu fragen vor alle Gründe gehen soll, kann nicht selbst begründet werden. Das heißt sogar, dass es nicht ein Seiendes sein darf, dessen Begründung erfragt werden müsste, und das gerade wegen des Satzes vom Grund. Also kann dieser Grund des Grundes nicht sein, kann aber auch nicht nicht sein, das altehrwürdige Problem des infiniten Regresses. Wir verstricken uns letztlich in einen unlösbaren Widerstreit. Zufall als der Nicht‑Grund wäre ein Begriff, nach dem wir vielleicht in unserer Not greifen könnten. Es gibt keinen Grund des Grundes, keinen Grund, warum überhaupt etwas ist: Alles ist nur aus Zufall.


Leonidas Richter hat Physik studiert und in Neurowissenschaft promoviert. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf theoretischen Modellen von Netzwerken im Gehirn, insbesondere den Wechselwirkungen zwischen Struktur, Dynamik und Lernmechanismen.

ORCID: https://orcid.org/0000-0003-0657-3435