Die Rechte der Natur im deutschen Feuilleton. Eine Presseschau

von Stefan Knauß, Andreas Gutmann, Jula Zenetti, Klaus Bosselmann


Rechte der Natur sind im Feuilleton angekommen. Die ZEIT schlägt vor, “den Hambacher Wald und das Lichtenmoor zu Rechtspersonen [zu] machen.” Die Süddeutsche legt dar, warum es lohnt, die Idee von Rechten der Natur “auch hier ernst zu nehmen.” Auch die FAZ weist auf den Bedeutungszuwachs der Rechte der Natur (RdN) hin. Allein die Kritik an diesen Rechten wiederholt oft Plattitüden der frühen 90er Jahre, die kaum mehr der ausdifferenzierten Theoriedebatte gerecht werden.  

Die Rechte der Natur – Von der Utopie zum Verfassungsrecht

Seit Christopher Stones noch utopisch scheinender Forderung in Should trees have standing? (1972) „Wäldern, Ozeanen, Flüssen und anderen sogenannten Naturobjekten – ja, der natürlichen Umwelt insgesamt – eigene Rechte zu verleihen“ zählt die UN Organisation Harmony with Nature seit 2006 über 100 Initiativen in 29 Ländern, um derartige Rechtsansprüche der Natur zu kodifizieren. Prominentestes Beispiel ist die Verfassung von Ecuador (2008). Sie benennt die Natur neben Menschen und Körperschaften als Rechtsträger (Art. 10), schreibt ihr ein Recht auf Existenz und Regeneration(Art. 71) zu, das unabhängig von menschlichen Rechten gilt (Art. 72) und von allen Menschen weltweit eingeklagt werden darf (Art. 73) (Vgl. Gutmann 2021, Knauß 2020). Ein aktuelles Beispiel in Europa ist eine Volksinitiative in Spanien, die für die Anerkennung von Rechten  der Salzwasserlagune Mar Menor bereits über eine halbe Million Unterschriften gesammelt hat oder das jüngst lancierte Volksbegehren in Bayern.

Es ist erfreulich, dass die Quantität und Qualität der internationalen Rechtsinnovationen um die Rechte der Natur auch in der deutschen Presse einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich wird, auch wenn sich ein Großteil der Initiativen im außereuropäischen Ausland abspielen. Auf diese Weise lässt sich beinahe „live“ mitverfolgen, wie sich ein normatives Paradigma als Reaktion auf die ökologischen und interkulturellen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts etabliert. Diese bedeutet eine doppelte Dezentrierung: Neben Menschen werden auch nicht-menschliche Naturwesen als Träger von Rechten angesehen. Vielfach geht damit auch die Anerkennung außereuropäischer, vorkolonial geprägter Weltanschauungen einher. 

Um eine Parallele zu ziehen: Die Kodifizierungen der Menschenrechte in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (1948), dem Deutschen Grundgesetz (1949) und der Genfer Konvention (1949) stellen einen Kristallisationspunkt prägender historischer Unrechtserfahrungen des 20. Jahrhunderts dar. Es gilt abzuwarten und kritisch zu prüfen, ob die Rechte der Natur einen wesentlichen Beitrag zur normativen Hegung der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts leisten können. 

“In unserer Gesellschaft regeln Gesetze die Beziehungen. Deshalb muss sich dieses Verhältnis auch juristisch niederschlagen,” schreibt Sanyal in der ZEIT. Wenn es möglich ist, ausbeuterische Naturverhältnisse zu verrechtlichen, so sollte es nicht ausgeschlossen sein, auch nachhaltigere Mensch-Natur-Verhältnisse juristisch abzusichern. Die Ökologisierung und Dekolonialisierung des Rechts könnte ein wesentlicher Beitrag zur Verlangsamung der globalen Erwärmung und des Artensterbens, sowie der gerechten Verteilung der Lasten unter den Menschen sein. 

Zur Kritik der Eigenrechte in Deutschland

Bei der Ablehnungen der Rechte der Natur, wie von der FAZ Autorin und Referentin der Konrad-Adenauer-Stiftung Katja Gelinsky, wird hingegen noch oft auf den deutschen Diskussionsstand der frühen 90er Jahre zurückgegriffen: „Ein verallgemeinerungsfähiges Konzept zur Einbeziehung der Natur in den Kreis der Rechtsträger ist bis heute nicht entwickelt worden. […] Die Ausdehnung subjektiver Rechte auf Pflanzen, Tiere und Ökosysteme überzeugt deshalb nicht, weil die damit beabsichtigte Aushebelung der anthropozentrischen Rechtsordnung deren Wesen und Bedeutung verkennt und die ökologischen Pro­bleme nicht lösen würde“.

Rechte der Natur und Menschenwürde

Nach Gelinsky verletzten Rechte der Natur die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes. Zu Recht betont sie, dass es die Menschenwürde als Antwort auf die Schrecken des Nationalsozialismus verbietet, Menschen die Rechtssubjektivität zu entziehen. Allerdings bleibt sie die Erklärung schuldig, warum hieraus ein menschlicher Exklusivitätsanspruch auf Rechtssubjektivität folgen soll. Die Verleihung von Rechtssubjektivität ist kein Nullsummenspiel. Dass weitere Entitäten mit Rechten ausgestattet werden, lässt den Anspruch des Menschen auf Rechte selbstverständlich unberührt. Der Anspruch auf Rechtssubjektivität ist außerdem zwar ein wichtiger, jedoch nicht der einzige Aspekt der Menschenwürde. 

Lernen vom globalen Süden

Kritikwürdig ist auch, was aus der Betonung des Hintergrunds der ecuadorianischen Rechte der Natur in indigenem Denken abgeleitet wird. Zwar ist es zweifellos eine wichtige Errungenschaft der ecuadorianischen Verfassung – etwa indem neben einer “Natur” auch die “Pacha Mama” mit Rechten ausgestattet wird – nichtwestliches Denken im Recht sichtbar zu machen. Falsch ist es allerdings aufgrund dieser Partikularität auszuschließen, dass etwa auch europäische Rechtsordnungen von Ecuador lernen können. Im ecuadorianischen Recht finden sich viele Elemente europäischer Provenienz, welcher im Rahmen kolonialer und postkolonialer Verstrickungen nach Ecuador gelangt sind. So kann etwa das Konzept der Rechtsperson sowohl in Deutschland als auch in Ecuador auf römisches Recht zurückgeführt werden. Gerade diese Hybridität der ecuadorianischen Rechte der Natur bietet Ansatzpunkte für eine Übertragung in andere Rechtsordnung. Ähnliches gilt für die Rechtsentwicklung in Neuseeland mit der Anerkennung von Fluß- und Landschaftsrechten und der Integrität von Ökosystemen als Leitprinzip der derzeitigen Reform des Umweltrechts. Eine Überbetonung der Fremd- und Andersartigkeit hingegen droht leicht in einen Ethnozentrismus zu verfallen.

Ausweitung des Kreises der Rechtspersonen

Die Autorin greift mit der Erweiterung des Kreises von Rechtspersonen im Laufe der Rechtsgeschichte einen Aspekt auf, der bereits von Stone genannt wird. Die Anerkennung von Rechtspersönlichkeiten war etwa im römischen Recht einer kleinen Bevölkerungsgruppe vorbehalten, später bekamen auch ehemalige Sklaven bzw. „Unfreie“ Rechte, im weiteren Verlauf der Geschichte auch Frauen und Kinder. In jüngerer Vergangenheit wurde darüber hinaus die Rechtspersönlichkeit von Kapital- und Personengesellschaften anerkannt. “Ökosysteme als Rechtssubjekte zu verstehen, ist für Juristen gar nicht so absurd,” folgert daher Janisch in der Süddeutschen.

Allein die Tatsache, dass sich der Kreis der anerkannten Rechtspersonen in der Vergangenheit stets erweiterte, ist  nach Ansicht der Gelinskys allerdings kein überzeugendes Argument für eine Erweiterung auch auf die Natur. Dem ist zunächst zuzustimmen. Worauf Gelinsky leider nicht eingeht ist der Grund, warum dieser rechtshistorische Aspekt in der Eigenrechtsdebatte immer wieder auftaucht: die Verknüpfung von Rechtspersönlichkeit und damit einhergehende gesellschaftliche Veränderungen. Die Anerkennung von Rechtspersönlichkeit “ausgegrenzter Gruppen” ist historisch stets eng verbunden mit einem Anstieg der gesellschaftlichen Achtung der neuen Rechtspersönlichkeiten. Eine Frauenbewegung etwa ohne Frauenrechte ist schwer vorstellbar. Dass die „rechtliche Codierung“ von Vermögen ein entscheidender Faktor für die Entstehung und Einfluss von Kapital auf die Gesellschaft hat, zeigt eindrucksvoll Katarina Pistors vielbeachtetes Buch „Der Code des Kapitals“. Es spricht viel dafür, dass auch die Anerkennung von Eigenrechten ein Katalysator sein kann, der Integrität der Natur und der Existenz ihrer Ökosysteme einen höheren Stellenwert zu geben. Diese Chance nicht zu erwägen und gewissenhaft zu prüfen wäre angesichts der ökologischen Herausforderungen leichtsinnig.

Anthropozentrismus v. Ökozentrismus

Das Eigenrechtskonzept insgesamt überzeugt Gelinsky nicht, da die “damit beabsichtigte Aushebelung der anthropozentrischen Rechtsordnung deren Wesen und Bedeutung verkennt”. Zunächst ist festzustellen, dass die Ansicht, das Grundgesetz und die deutsche Rechtsordnung seien anthropozentrisch ausgerichtet, zwar durchaus im juristischen Schrifttum verbreitet ist. Einen derartigen Anthropozentrismus attestiert etwa auch Janisch dem gefeierten Klimabeschluss des BVerfG.

Allerdings handelt es sich dabei keinesfalls um eine allgemeine Ansicht. Namhafte Stimmen, wie der von Michael Sachs herausgegebene Grundgesetz-Kommentar, vertreten eine ökozentrische Auslegung des Grundgesetzes. Der Schutz der Lebensgrundlagen in Art. 20a GG umfasst nach dieser Ansicht sowohl menschliche Lebensgrundlagen als auch nicht-menschliche Lebensgrundlagen. Für eine ökozentrische Rechtsordnung spricht auch Art. 1 BnatSchG. Gelinsky erkennt an späterer Stelle, dass diese Norm Ausdruck dafür ist, dass „die anthropozentrische Rechtstradition hierzulande“ im Wandel begriffen sei. Unklar bleibt, warum ihrer Ansicht nach dennoch „der Anthropozentrismus unüberwindbar“ ist. Überhaupt scheint die Debatte zwischen Anthro- und Ökozentrismus im Recht allzu schematisch. Eine klare Trennung zwischen menschlichen und natürlichen Interessen zu ziehen ist weder möglich, noch von Rechten der Natur intendiert. Oder in den Worten Wolfgang Janischs: “Flüsse und Menschen klagen gemeinsam.”

Ökologisierung des Rechts

Zuzustimmen ist der Beobachtung Gelinkys, dass die Gesellschaft „zunehmend die Notwendigkeit umfassenden Schutzes für Ökosysteme“ erkennt. Ebenfalls zutreffend stellt sie fest, dass die Regelungen des Grundgesetzes momentan nicht ausreichend naturverträglich sind, also keine Antwort auf die drängenden ökologischen Probleme geben. Auch Eigenrechte können diese Probleme nicht aus der Welt schaffen. Jedenfalls nicht im Alleingang. Aber sie können das Rechtssystem, laut dem Rechtswissenschaftler Jens Kersten der „Schlüssel zur Gesellschaft“, an die veränderte Wirklichkeit anpassen. Der Mensch ist nicht länger der einzige rechtliche Akteur, der über die Natur als Objekt verfügt. Er wird von der „Krone der Schöpfung“ zu einem Mitgeschöpf. Eigenrechte können so ein wichtiger Impuls für eine Ökologisierung des Rechts sein, einer Bedingung, die immensen bestehenden ökologischen Herausforderungen zu bewältigen.


Dr. Stefan Knauß ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Nachhaltige Landschaftsentwicklung am Institut für Geowissenschaften und Geographie der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg und leitet das Forschungsprojekt “BioGoValues” am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv). Von 2017 bis 2020 leitete er das Projekt “Eine physiozentrische Grundlegung des Rechts – Mit dem lateinamerikanischen Buen Vivir auf dem Weg zu einer Allgemeinen Erklärung der Rechte der Natur?” (DFG-Eigene Stelle) an der Universität Erfurt. Zuletzt erschienen sind: Themenheft “Ethik der Integrität” (2020), Pachamama als Ökosystemintegrität – Die Rechte der Natur in der Verfassung von Ecuador und ihre umweltethische Rechtfertigung (2020) und Conceptualizing Human Stewardship in the Anthropocene: The Rights of Nature in Ecuador, New Zealand and India (2018).

Dr. Andreas Gutmann ist Rechtsreferendar am Kammergericht Berlin und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Europäische Rechtspolitik (ZERP) der Universität Bremen im von der DFG geförderten Projekt “Die Natur als Rechtsperson”. Arbeitsschwerpunkte sind neben Umweltrecht, Postkolonialer Rechtstheorie, Lateinamerikanischem Verfassungsrecht auch das Polizei- und Versammlungsrecht. Jüngst erschienen ist: Hybride Rechtssubjektivität: Die Rechte der “Natur oder Pacha Mama” in der ecuadorianischen Verfassung von 2008 (Nomos 2021)

Jula Zenetti, LL.M., promoviert am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig zu Eigenrechten der Natur. Sie ist Stipendiatin des BMBF-geförderten Kompetenznetzwerks “Zukunftsherausforderungen des Umweltrechts”. Gemeinsam mit den anderen Stipendiat:innen gründete und betreibt sie den Umweltrechts-Blog umweltimrecht.blog. Vor ihrem Promotionsvorhaben arbeitete sie als Anwältin im Baurecht und als Referentin im Sächsischen Ministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft. In einem Interview beantwortet sie Fragen zum Eigenrechtskonzept.

Dr. Klaus Bosselmann ist Professor für Umweltrecht und Gründungsdirektor des Neuseeland Zentrums für Umweltrecht an der Universität von Auckland. Seine besondere Expertise liegt in den Bereichen internationales Umweltrecht, Global Governance und vergleichendes Verfassungsrecht. Während seiner langjährigen akademischen Laufbahn in Deutschland, den Vereinigten Staaten und Neuseeland war er als Berater für die Vereinten Nationen, die OECD, die Europäische Union und die Regierungen von Deutschland und Neuseeland tätig.  Professor Bosselmann hat fünfzehn Bücher (mehrere davon in mehrere Sprachen übersetzt) und über hundert Artikel in den Bereichen Umweltethik und -recht, politische Ökologie, Global Governance und internationales Umweltrecht verfasst. Zu seinen bekanntesten Büchern gehören Im Namen der Natur: Der ökologische Rechtsstaat (1992), When Two Worlds Collide: Society and Ecology (1994), Ökologische Grundrechte (1998), Umwelt und Gerechtigkeit (2001), The Principle of Sustainability (2008/2017), National Strategies for Sustainability (2014), Earth Governance (2015) und – zusammen mit Prue Taylor – Ecological Approaches to Environmental Law (2017). Für seine bahnbrechenden Arbeiten zum ökologischen Recht und zur Earth Jurisprudence erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Inaugural Senior Scholarship Prize der IUCN Academy of Environmental Law Law und den Carlowitz Nachhaltigkeitspreis 2021.