22 Dez

Eine Frau ist eine Frau ist eine Frau – Geschlechterbegriffe in Wörterbüchern

Moritz Cordes (Bochum)


Die Sichtweise, dass die zwei Geschlechterbegriffe ‚Mann‘ und ‚Frau‘ in vielen Umgebungen nicht in einem traditionellen Sinn zu verstehen sind, gewinnt immer mehr Anhänger. Es geht nicht mehr (ausschließlich) darum, welche Ausstattung der Körper hat. Aber wie ist dann die Rede über Frauen und Männer zu verstehen? Die Literatur hält einige Vorschläge bereit, die in methodologischen Hinsichten nicht gleichwertig sind.

Am 13. Dezember 2022 hat die rechtskonservative Seite foxnews.com berichtet, das Cambridge Dictionary habe die Definition von ‚man‘ und ‚woman‘ geändert.1 Ein von Twitter übernommener Screenshot von der Website des Wörterbuchs sollte das belegen (Eintrag ‚woman‘): „an adult who lives and identifies as female though they may have been said to have a different sex at birth“. – Der Rest des Berichts dokumentiert die Aufregung verschiedener digitaler Akteure über die berichtete „Änderung“ der Definition.

Eintrag Woman Cambridge Dictionary
Eintrag aus dem Cambridge Dictionary

Die Aufregung kann man vielleicht nachvollziehen, wenn es tatsächlich so wäre, dass nun im Cambridge Dictionary unter ‚woman‘ genau das steht, was soeben zitiert wurde, und auch nicht mehr. Der dortige Eintrag listet aber vier Bedeutungen.2 Die Erstbedeutung, „an adult female human being“, ist wohl das, was in einem traditionellen Rahmen zu erwarten ist. Es folgt die Zweitbedeutung, die Gegenstand des Berichts von FoxNews ist. Die Drittbedeutung, „a wife or female sexual partner“, mit dem Beispiel „Apparently, Jeff has a new woman.“ ist als informell markiert. Das Beispiel lässt erahnen, dass es hier nicht nur um das Wort ‚woman‘ geht, sondern eher um Verbindungen wie ‚to have a woman‘ und vielleicht auch ‚his woman‘. Zu dieser Redeweise könnte man ganz viel sagen, aber der vorliegende Beitrag verfolgt andere Ziele. Die Viertbedeutung von ‚woman‘ bildet die abstraktive Redeweise ab: „woman in general“. Es geht also um Wortverbindungen wie ‚die Frau in der antiken Polis‘ oder ‚die Frau als Krebspatientin‘.

Man könnte nun natürlich zurück zu FoxNews gehen und sich darüber ungeheuerlich aufregen. Aber auch Simone de Beauvoir zu zitieren (“Die hinterhältigste Lüge ist die Auslassung.“), wird den Diskurs vermutlich nicht voranbringen. Die Konzentration auf den Eintrag im Wörterbuch ist lohnender. Wörterbücher sollen die Bedeutung von Wörtern angeben und es ist von ihnen einzufordern, dass sie dies korrekt tun. Das gilt unabhängig davon, ob sie nur als Abbild des Sprachgebrauchs gesehen werden oder auch als Vorbild für diesen. Wie ist der ‚woman‘-Eintrag in dieser Hinsicht zu beurteilen und inwiefern lässt sich die philosophische Messlatte anlegen?

Zunächst verfügt ein Wörterbuch mit der Differenzierung von Erst-, Zweit- usw. -bedeutungen über ein Mittel, um Mehrdeutigkeiten im Sprachgebrauch zu repräsentieren. Daraus ergeben sich drei Teilfragen: 1. Nennt jener Eintrag alle signifikanten Bedeutungen von ‚woman‘? 2. Nennt er nur signifikante Bedeutungen? 3. Gibt er jede einzelne Bedeutung adäquat an?

Die Aufregung bei FoxNews lässt sich benevolent so lesen, dass die zweite Frage verneint wird, da das in seiner Meinung dort repräsentierte demografische Segment die Zweitbedeutung als nicht signifikant zurückweist. Die von denselben Personen bevorzugte Erstbedeutung wurde nicht „geändert“ – im Widerspruch zu der zumindest irreführenden Überschrift bei FoxNews. Wann nun eine Bedeutung signifikant ist, lässt sich nicht allgemeinverbindlich klären. Wörterbücher haben normalerweise ihre eigenen Standards, die allerdings auch einen Deutungsspielraum zulassen. Es sollte aber klar sein, dass die Inklusion der Zweitbedeutung vor allem eine Frage dessen ist, ob ‚woman‘ de facto in hinreichend vielen Fällen in dieser Bedeutung verwendet wird. Das ist vor allem eine empirisch-deskriptive Angelegenheit. Unabhängig davon, ob man die Verwendung von ‚woman‘ in der Zweitbedeutung gut/sinnvoll/verständlich/zweckmäßig findet: Wenn hinreichend viele Personen in hinreichend vielen Kontexten den Ausdruck in dieser Bedeutung verwenden, dann muss diese Bedeutung in das Wörterbuch aufgenommen werden.

Offensichtlich wird eine Person, die sich mit Geschlechterbegriffen professionell beschäftigt, eher als andere Personen dazu kommen, dass in dem ‚woman‘-Eintrag (in ihren Augen) signifikante Bedeutungen fehlen. Welche Bedeutungen könnten das sein? Zunächst wäre zu bemerken, dass die Zweitbedeutung eigentlich zwei Unterbedeutungen zusammenfasst, sofern man „lives as female“ und „identifies as female“ als einen sozialen resp. einen identitären Geschlechterbegriff voneinander unterscheiden kann. (Damit ist die dritte Frage an die Adäquatheit der Bedeutungsangabe verneint.)

Darüber hinaus kann es aber auch ganz Unterschiedliches bedeuten, „als weiblich zu leben“ (um die englische Wendung etwas hilflos zu übersetzen). Die Diversität weiblicher Lebensformen ist als Schwierigkeit der Konzeptualisierung in den Gender Studies und im Feminismus bekannt: Legt man sich auf ein prototypisches Verständnis von Weiblichkeit im Sinn einer bestimmten Lebensgestaltung fest, so schließt man intuitiv als Frauen einzuordnende Personen aus oder gradiert zwischen solchen Personen, die in einem volleren Sinn weiblich sind, und solchen, die das in einem geringeren Sinn sind. Diese Schwierigkeiten behindern auch die Verfolgung praktischer und politischer Ziele.

Die Schwierigkeiten kann man zugestehen und das fachliche Problem anerkennen, aber diese Anerkennung des Problems als ein fachliches Problem entschuldigt wahrgenommene Defizite im Eintrag für ‚woman‘ im Cambridge Dictionary: Es ist eben ein fachliches und kein lebensweltliches Problem. Ebenso ist der Eintrag für ‚Metall‘ im Duden in seiner Adäquatheit begrenzt. Die Fachwelt hat genauere Vorstellungen – aber das Wörterbuch darf von diesen absehen. (Nicht einmal die grundverschiedene Bedeutung des Wortes in der Astrophysik, wo Sauerstoff ein Metall ist, wird als Zweitbedeutung angegeben.)

Zurück zur Philosophie und zu fehlenden Bedeutungen: Sally Haslanger hat einen Begriff von ‚woman‘ propagiert, der definitiv nicht im Cambridge Dictionary erfasst ist: „S is a woman iffdf S is systematically subordinated along some dimension (economic, political, legal, social, etc.), and S is ‚marked‘ as a target for this treatment by observed or imagined bodily features presumed to be evidence of a female’s biological role in reproduction.“ – Die Definition von ‚is a man‘ ist analog formuliert mit ‚privileged‘ statt ’subordinated‘ und ‚male‘ statt ‚female’.3

Drei Bemerkungen dazu: (i) Die Definition greift auf einen Begriff von ‚female‘ zurück, der biologisch zu verstehen ist. Das ist zum Beispiel bei der Erstbedeutung im Cambridge Dictionary nicht unbedingt so. Entgegen Haslanger versucht man oftmals, die Begriffe ‚female‘ und ‚woman‘ harmonisiert zu verwenden (also entweder beide in einem biologischen Sinn oder beide in einem sozialen Sinn oder beide in einem identitären Sinn etc.). (ii) In einer Gesellschaft, in der keine Person systematisch bevor- oder benachteiligt wird, gibt es nach Haslangers Vorschlag keine Frauen (und keine Männer). Es wäre in diesem Sinn also erstrebenswert, auf eine Gesellschaft hinzuarbeiten, in der es keine Frauen (und keine Männer) gibt. (iii) Es handelt sich um einen Spezialgebrauch von ‚woman‘, der auch von Haslanger mit bestimmten sozialen und politischen Zielen verknüpft wird. – Sollte das Cambridge Dictionary Haslangers Bedeutung in den Eintrag aufnehmen? Bemerkung (iii) deutet an, dass die Verwendung von ‚woman‘ in diesem Sinn nicht sehr weit verbreitet ist und spricht insofern dagegen.

Bei den ganzen Begriffen, die nun im Raum stehen, kann man sich immer wieder über die Unklarheit jener Begriffe beschweren, die dazu verwendet werden, ‚woman‘ oder ‚Frau‘ zu definieren. Gerade die Erstbedeutung „an adult female human being“ macht dies deutlich: Wem ist geholfen, wenn ‚woman‘ durch ‚female‘ erklärt wird? Diese Frage deutet ein Missverständnis an. Die Funktion von Wörterbüchern der Gebrauchssprachen liegt nicht darin, ausgehend von irgendwelchen Grundbegriffen unseren ganzen Wortschatz zirkelfrei mit Bedeutung zu versehen. (Dies ist aber vielleicht die Aufgabe einiger Subdisziplinen der Philosophie, die einzelne Bereiche der Gebrauchssprache „rational rekonstruieren“.) Die Wörter liegen in der Gebrauchssprache in einem Netz vor, das nicht hierarchisch geordnet ist, und Wörterbücher können das Netz lokal erhellen, indem Sie die einzelnen Fäden zwischen wenigen Knoten (Wörtern) aufzeigen. Die Erstbedeutung weist also schlicht auf die schon erwähnte Harmonisierung von ‚female‘ und ‚ woman‘ hin.

Übrigens trifft die Unklarheit auch den Ausdruck ‚adult‘ in der Angabe der Erstbedeutung. Selbst wenn es eine gesetzliche Festlegung gibt, wann jemand als erwachsen zählt, so ist diese doch nicht verbindlich im alltäglichen Sprachgebrauch. Also verhilft die Angabe der Erstbedeutung im Cambridge Dictionary auch nicht zu einer stets verbindlichen Festlegung, wann jemand als Frau zählt.

Es besteht allerdings ein Bedingungszusammenhang: Wenn man genau festlegt, was ‚female‘, ‚adult‘ und ‚human being‘ bedeuten und die Erstbedeutung im Cambridge Dictionary annimmt, dann ist damit auch festgelegt, was ‚woman‘ bedeutet. Das kann heißen, dass man für ‚female‘ eine biologische Bedeutung wählt, womit auch ‚woman‘ biologisch verstanden wird. Andererseits kann ‚female‘ auch in einem sozialen Sinn festgelegt werden, womit auch ‚woman‘ in einem sozialen Sinn verstanden wird.

Auch für die von FoxNews thematisierte Zweitbedeutung gilt: Dass die definierenden Ausdrücke nicht formal korrekt eingeführt sind, spricht nicht dagegen, diese Bedeutung ins Wörterbuch aufzunehmen. Was eindeutig dagegen spräche, wäre der hypothetische Umstand, dass niemand das Wort ‚Frau‘ so verwendet, dass damit eine Person gemeint ist, die eine „weibliche Lebensweise“ pflegt oder sich als weiblich identifiziert. Diese Verwendung ist aber ein Fakt – unabhängig davon, ob man das gut findet oder nicht.

An dieser Stelle könnte man aufhören. Philosophisch ist alles wie immer: Die Gebrauchssprache ist unklar und wir werden sie wohl nie in spanische Stiefel pressen können. Aber alles Begriffsbildnerische hat auch eine erkenntnistheoretische Dimension und in einer der Bedeutungen kommt dies ganz besonders zum Vorschein: Verknüpft man ‚Frau‘ mit der Geschlechtsidentität, so ist zu fragen, wie diese zu bestimmen ist. Liest man die Geschlechtsidentität an dem sozialen Verhalten, an Äußerlichkeiten ab, so scheint man wieder auf die soziale Bedeutung zu verfallen. Will man eine genuin identitäre Bedeutung von ‚Frau‘, so muss man darauf achten, wie sich die betreffende Person fühlt oder wahrnimmt. Und hier beginnt das erkenntnistheoretische Problem: Wie stellt man von sich selbst oder anderen fest, wie man sich selbst wahrnimmt? Wenn ich nie gefühlt habe, wie eine andere Person ihre eigene Weiblichkeit oder Männlichkeit erlebt, wie kann ich dann von mir selbst sagen, dass meine Gefühls- und Wahrnehmungswelt der einer Frau oder der eines Mannes (oder gar keiner dieser beiden) entspricht? Umgekehrt können andere Personen nicht meine Gefühls- und Wahrnehmungswelt teilen und mir sagen, ob das, was ich wahrnehme, Weiblichkeit oder Männlichkeit ist. In dieser Hinsicht ist die Wahrnehmung des Geschlechts im identitären Sinn grundverschieden von der Wahrnehmung von Farben, denn eigene und fremde Farbwahrnehmungen lassen sich dadurch vergleichen, dass man sich zusammen in dieselbe Wahrnehmungssituation bringt. – Doch dies ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden.


Moritz Cordes hat über eine Arbeit zum Begriff der Scheinprobleme promoviert, beschäftigt sich mit Begriffsbildung, Fragen und Kalkülen des Natürlichen Schließens und führt derzeit ein Forschungsprojekt zu Sprechakten in der KI am Center for Advanced Internet Studies in Bochum durch.


1 https://www.foxnews.com/media/cambridge-dictionary-changes-definition-man-woman-1984-supposed-manual

2 https://dictionary.cambridge.org/dictionary/english/woman

3 S. Haslanger, Resisting Reality: Social Construction and Social Critique. OUP, Oxford, 2012, S. 230.