04 Mai

Freiheit und Krisis – Zu den Ursachen von Fremden-, Schwachen- und Intellektuellenfeindlichkeit

Von Ralph Schröder (Basel)


Verachtungsdiskurse sind untrügliche Kennzeichen jeglichen Autoritarismus, Fremden-, Schwachen- und Intellektuellenfeindlichkeit sein abgründiges «Fundament». Matthias Bertschinger legt in seinem 2020 erschienenen Werk «Freiheit und Krisis» in einem neuartigen psychoanalytisch-ontologischen Denkansatz die Ursachen von Autoritarismus frei: als «Abwehr der Freiheit».

Zur Ausgangslage und Exposition des Themas Bertschingers: Zu beobachten ist in den gesellschaftlichen Diskursen eine versuchte Abkehr, zumindest eine Infragestellung oder Relativierung von geistig, historisch-gesellschaftlich errungenen und in demokratischen Staatsverfassungen verankerten beglaubigten Grund- und Menschenrechte; namentlich in den um sich greifenden Anfeindungs- und Verachtungsdiskursen, die sich gegen bestimmte Gruppen von Menschen richten und diese als eine Bedrohung der Systeme, ja der Grundwerte dieser Systeme ausmachen. Ist es denkbar, dass eine solche, lange als überwunden geglaubte oder in Schach gehaltene Tendenz zur Abkehr und Infragestellung von Grund- und Menschenrechten in einer latent im Wesen des Menschseins begründeten Fluchtbewegung zu suchen ist: in der Flucht vor der Einsicht und Anerkennung unserer Endlichkeit, im Verdrängen und Abwehren dieser Endlichkeit sprich Sterblichkeit?

Die Konklusion scheint abwegig, zumal trotz Unleugbarkeit unserer Endlichkeit dieses Ende keine reale Wirkkraft auf unser tägliches Leben, unser Denken und Handeln zu haben scheint. Sterben und Leiden tun Andere, Probleme haben Andere, das Problem sind Andere und Anderes, nicht ich selbst.

Die ökonomischen und politischen Verhältnisse (in den westlichen, reichen demokratischen Gesellschaften) suggerieren, garantieren und versprechen weitestgehende Sicherheit, Wohlstand und «Freiheit», obwohl sich deren Fragilität nicht nur an den Rändern der Gesellschaften, sondern in deren Mitte durch aufbrechende Konflikte fast täglich manifestiert, bis hinein ins vermeintlich Private. Das Leiden ist virulent, aber verdrängt, latent implodierend wie explodierend. Themen wie Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Homophobie, die Geschlechterfrage, die Infragestellung sozialer Sicherungssysteme oder Prinzipien der rechtlichen Gleichbehandlung sowie (als neue Dimension) die Frage nach der Verantwortlichkeit und den Handlungserfordernissen angesichts der Globalisierung und des drohenden Kollapses durch den unbestreitbaren Klimawandel und dessen Folgen beherrschen in einer nie dagewesenen Polarisierung die gesellschaftlichen Diskurse; ohne Aussicht auf Beruhigung, ohne Aussicht auf Versöhnung, ohne Einsicht in Umkehr und, vor allem: ohne Einsicht, dass nur Einsicht Aussicht ermöglicht, Aussicht auf Veränderung.

Abwehr und Verleugnung der Endlichkeit

Es geht uns gut, der Mehrheit geht es gut, mir geht es gut, was wollen wir mehr? In persönlichen Krisen mag zuweilen die Ohnmacht gegenüber dem «unvermeidlichen», schicksalhaft Erfahrenen die eigene Verletzbarkeit aufblitzen, sich in Niedergeschlagenheit, Depression oder Wut manifestieren, aus der zuweilen Einsicht und innere Einkehr resultiert, in seltenen Einzelfällen gar Veränderung der Haltung und Lebenseinstellung; in aller Regel halten solche Zustände nicht an, werden unbefragt überwunden, verschwiegen, verdrängt und selbst als schicksalsgegeben hingenommen, häufig nachträglich verleugnet, umgedeutet, auf Anderes projiziert, nivelliert oder ein zynischer Umgang mit der Realität gepflegt; im besten Fall durch bekennende Resignation, durch Rückzug im künstlerischen Ausdruck oder in einer ironischen Lebenshaltung sublimiert.

Die Verhöhnungen und Infragestellungen, die Ignoranz des bedingungslosen Rechts auf Leben und der daraus folgenden Rechte auf Freiheit und Selbstbestimmung, Unversehrtheit und Würde, Andersheit und Gleichbehandlung, erleben eine Konjunktur, die ihresgleichen sucht. Mit diesen Infragestellungen, oft mit unkritischem Rückgriff auf bestehendes, vorherrschendes Gedankengut legitimiert, wird (Gegen)-Aufklärung gegen das betrieben, was eigentlich der permanenten Aufklärung bedürfte und keineswegs letztendlich begründ- und auflösbar ist, aber als Grund- und Menschenrecht – auch und gerade theoretisch – geschützt werden müsste.

Auch die Versuche, diese Erscheinungsformen der Menschenverachtung und Menschen-rechtsfeindlichkeit mit Berufung auf die vorhandenen rechtsstaatlichen Mittel und Sanktionierungsmöglichkeiten zu marginalisieren und den alleinigen Glauben an die Wirkmächtigkeit von Rechtsstaatlichkeit hoch zu halten, verkennen, dass sich diese Verlautbarungen und sich Geltung und Gehör zu verschaffenden feindseligen Äusserungen und Taten längst verabschiedet haben von Dialogbereitschaft und Anerkennung von rechtsstaatlichen Prinzipien und ihre Motive affektgeladen nur noch aus einem bodenlosen und rational nicht mehr zugänglichen Abgrund beziehen. Verkappt, verschleiert und offen bekundet werden Gedanken des Hasses, der Diskriminierung, verbreitet und gelebt, ja propagiert und tätlich umgesetzt, nicht selten und immer öfter unter dem Deckmantel der Verteidigung der menschlichen Rechte und eines Begriffs von voraussetzungslos gedachter Meinungsfreiheit, deren Verteidigung in diesen Fällen nur einem Zweck dient: jeglicher Äusserung und Handlung rückhaltlos freie Bahn zu brechen und sich einen Deut darum zu scheren, ob das Gesagte und behauptete Gemeinte oder Getane nicht möglicherweise einer tiefer liegenden oder verborgenen Wahrheit entspringt, die ängstigt, beschämt oder die eigene Überzeugung, gegen solche Anfechtungen durch die «Wahrheit» gefeit zu sein, korrumpiert. Die Tore und Schleusen für solche (Denk)Haltungen sind auf allen Ebenen weit geöffnet und ihre massenhafte Verbreitung auf öffentlichen Plattformen in den sogenannten «Sozialen« Medien belegen, dass sie längst nicht nur von ein paar wenigen «Entgleisten» und «Verrückten» geteilt werden, sondern in breiten Teilen der Bevölkerung auf fruchtbarem Boden weitergedeihen und ihre Blüten treiben.

Ist es denkbar, dass die Ursachen für solches Treiben in einer «tiefer» (anders) liegenden Schicht und eines «tiefer» (anders) liegenden Wirkgeschehens zu suchen sind, als uns die aktuell verbreiteten geistes-, sozial- und politikwissenschaftlichen Ansätze sowie die ideologisch festgefahrenen Politikangebote zur Problemanalyse- und -bewältigung anbieten ‒ in einer grundlegenden Fluchtbewegung: in der Flucht vor der Einsicht und Anerkennung unserer Endlichkeit, im Verdrängen und Abwehren dieser Endlichkeit?

Der Mut, Freiheit anders und neu zu denken

Matthias Bertschinger, Autor und Verfasser des im Frühjahr 2020 erschienenen Werkes «Freiheit und Krisis» sagt Ja zu dieser Denkbarkeit und Vermutung und bietet für die «Verstehbarkeit» der Phänomene und Ursachen von Fremden-, Schwachen- und Intellektuellenfeindlichkeit, die allesamt Indizes einer autoritaristischen Denkhaltung und Praxis sind, ein interdisziplinär oder besser gesagt transdisziplinär abgestütztes Arsenal an philosophischen (theologischen) Denkansätzen und Begrifflichkeiten auf und wagt mit deren Hilfe und «Neuinterpretation», in einer «Zusammenschau» und «Rückführung», durch stetige «Umkreisung» des eigenen Denkansatzes und der seiner aufgerufenen Denkzeugen  eine Novellierung ontologisch-hermeneutischen und psychoanalytischen Denkens.

Vollkommen unzeitgemäss und deswegen, aber nicht nur deswegen, ist das Werk bis jetzt unbeachtet geblieben, zwar mit Vorschusslorbeeren des Verlages ausgestattet, gleichzeitig bisher aber unbegleitet und unkommentiert geblieben und möglicherweise der Verschmähung preisgegeben. Ziel und Anspruch dieses Ansatzes wäre, soweit ich das verstanden zu haben glaube, einer offenen Gesellschaft, die sich als solche bezeichnet und eine solche Offenheit aufgrund ihrer hochgehaltenen und historisch gesellschaftlich legitimierten Grundwerte bewahren will, aufzuzeigen, warum sie zu scheitern droht, wenn sie das, was sie wirklich bedroht – nämlich ihre Gefährdung selbst – nicht als Chance begreift, weil ihre Gefährdung im Grunde das ist, was sie ermöglicht: die Freiheit.

Matthias Bertschinger, ein Jurist, autodidaktisch geschulter Philosoph und selbstständiger Gärtner, wagt sich auf längst als unfruchtbar deklariertes, aber brachliegendes geistiges Terrain.

Bertschingers «Freiheit und Krisis» ist der Versuch, eine Antwort darauf zu finden und zu geben, warum herkömmliche und gegenwärtige Konfliktanalysen und -bewältigungs-strategien mit den bekannten, sowohl philosophisch-theoretischen, sozialtheoretischen als auch politischen Mitteln, nicht gelingen kann, ja, nicht gelingen will.

Massgeblich und entscheidend für diese versuchte Novellierung ist die Grundlegung, Neuauffassung und Neuinterpretation der Dimensionen des Psychischen und deren Einbettung in ein transzendentes, also nicht erkennbares, unbewusstes, aber trotzdem wirkmächtiges Geschehen, das «ausserhalb» jedes erkennenden Zugriffs liegt. Das klingt nach Ontologie und Heidegger, das klingt nicht neu, und ist es auch nicht, wäre da nicht diese neue Dimension und Interpretation des Psychischen/Unbewussten und dessen Wirkmächtigkeit, die Bertschinger wagt. Der Begriff des Psychischen erfährt bei Bertschinger eine Ausweitung weit über die gängigen Vorstellungen hinaus, die das Psychische und das mögliche Unbewusste als ein rein immanentes, dem je Einzelnen gehörenden und begrenzt zugänglichen innerseelischen Bereich verorten, der in Kontakt und Auseinandersetzung mit sich selbst, der ihm begegnenden Welt und den «darin befindlichen» Anderen (Psychen) tritt. Nicht nur damit – mit seiner «Neuinterpretation», einer Ontologisierung des psychischen Geschehens –, sondern generell, liegt der Versuch Bertschingers quer in der Landschaft der aktuell philosophischen, geistes- und sozialwissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit gesellschaftlich virulenten Problemen, soweit ich diese überhaupt zu beurteilen oder überblicken vermag.

Transzendenz ist in den gängigen Diskursen als Begriff seit langem als unfruchtbarer erledigt, erkenntnistheoretisch längst und wiederholt bewiesen unzugänglich gemacht und sprachlich als dieses Unzugängliche und damit unverständliche Sinnlose diffamiert oder esoterisch missbraucht. Dass Begriffe wie «Recht» und «Freiheit» als diskursiv grundsätzlich als transzendent ausgewiesene in allen Diskursen dennoch als das immer schon Verstandene oder zu Verteidigende hochgehalten werden, erstaunt und erschreckt zugleich, wenn bedacht wird, was aus den daraus resultierenden Einsichten, Konsequenzen und Handlungserfordernissen zur Bewältigung von Konflikten und Krisen, die als der eigentliche Anlass zur dringlichen (theoretischen) Auseinandersetzung geltend gemacht werden, gewonnen wird.

Die theoretischen Zugänge und Erklärungsversuche der aktuellen gesellschaftlichen Probleme und Konflikte und zu deren Ursachen sind allesamt geprägt durch Vermeidung eines Diskurses, der Transzendenz als das scheinbar widerlegte Erkenn- und Wissbare – und damit fürs Denken Unfruchtbare und Unnütze – wieder fruchtbar zu machen versucht, zumindest den schwer zu leugnenden, wenn auch schwer zugänglichen Transzendenzbezug des Menschen – d.h. seine Bezogenheit auf ein Unverfügbares, das er je selbst ist und sich in jeglicher Bezogenheit in der Welt und zur Welt, in der Begegnung mit Anderen, im Denken, in der Sprache und in seinem Handeln zeigt. Auch das ist, philosophiehistorisch betrachtet, nicht neu, aber in der Wiederholung und Erneuerung in Bertschingers Ansatz durchaus denkwürdig, wenn nicht sogar bedenkensdringlich.

Das gilt namentlich und insbesondere für den Umgang mit Freiheit und Tod – der und des je eigenen und derjenigen Anderer. Dass diese Vermeidung, die Verdrängung, der Ausschluss oder die Leugnung eines Transzendenzbezuges in den Diskursen – mit den Mitteln von Sprache und Denken notabene, die par excellence Unaussprechliches und Unbegriffenes, also Transzendentes, thematisieren und umkreisen – eine Ursache und mögliche Erklärung für das Versagen dieser theoretischen Ansätze ist, ist einer der Kernaussagen von Bertschingers Ansatz und Analyse. Auch darin, sich darauf berufend und keineswegs verschweigend, befindet sich Bertschinger in der Tradition derjenigen Denkzeug*innen, die in seinem Denken mitsprechen (Heidegger, Adorno, Sartre, Wittgenstein, Bloch, Jaspers, Rentsch u.v.a.m.), und diesen fehlenden Transzendenzbezug in je unterschiedlicher Weise einklagen, zumindest als Problemhorizont im Blick haben.

Die Ausgangslage: ein missverstander (Ab)Grund

Bertschingers Ansatz beginnt bei den nicht wegzuleugnenden Phänomenen aktuellen Zeitgeschehens: Eine, gegen jede verfassungsrechtliche Verbürgtheit menschlicher Würde gerichtete Zunahme fremdenfeindlicher Äusserungen, eine Zunahme der Hassdiskurse und tätlicher Attacken gegen sogenannte Fremde, eine Zunahme der Infragestellung und Anfeindung von rechtlich-gesellschaftlich anerkannten und legitimierten Ansprüchen sozial schwächerer Gruppen und eine Zunahme der Anfeindung von Denkanstrengungen, die solche (geistigen) Missstände kritisieren, anprangern oder anzusprechen wagen. Die Legitimierung einer solchen Haltung argumentiert durchgehend und konsequent mit einer Bedrohung durch das, was von «aussen» das scheinbar Gesicherte und Errungene (Nationalität, Identität, soziale Sicherheit etc.) gefährdet, operiert projektiv mit, dem identifizierten «Gefährdungsgegenstand» angepassten und zurechtgelegten, allgemeinen Feindbildern (Gegner), ohne sich zu vergegenwärtigen, dass ein so generierter Feind in dieser Allgemeinheit gar nicht existiert, sondern das Produkt eines Phantasmas sein könnte, dessen Opfer er als Schöpfer selbst ist, die Bedrohung also eine andere Wurzel, einen anderen (Ab)Grund haben könnte. Nicht weniger virulent, aber schleichend offenkundig, ist die nicht beabsichtigte, aber sich einstellende Akzeptanz dieser Formen der Anfeindungen (Menschenfeindlichkeit), die durch das Ernstnehmen der sich darin entladenden, aber nicht befragten Ängste und Sorgen salonfähig (diskursfähig) gemacht, aber mit Blick und Berufung auf die Verbürgtheit und Unhintergehbarkeit von Menschenrecht nicht verurteilt und hingenommen werden – mit nicht berechenbaren und  in letzter Konsequenz verheerenden Folgen, für die es nicht nur historisch, sondern auch gegenwärtig fatale Zeugnisse gibt: der Versuch, Menschen und damit Menschlichkeit auszulöschen (Völkermord). Was mit dem Versuch beginnt, Ausgrenzung und Diffamierung zu betreiben und zu legitimieren, und wer versucht, zulässt oder verharmlost, dass solche Diskurse salonfähig (Allgemeingut) werden können, öffnet wider besseres Wissen Schleusen. Wehret den (bekannten) Anfängen! könnte auch ein Motto von «Freiheit und Krisis» lauten.

Das klingt drastisch, mahnend und geradezu apokalyptisch, bildet aber den (geistigen) Hintergrund und Horizont, vor dem der Denkansatz Bertschingers mit Blick auf menschenfeindliche Tendenzen in der Gesellschaft gesehen und eingeordnet werden muss.

Freiheit und Gefährdung der Freiheit zusammendenken

Wer im Namen der «Freiheit» Freiheit verteidigt – und das tun alle, die eine allgemeine (also identifizierte) Gefährdung ihrer (eigenen) Freiheit (Krisis) und der daraus entsprungenen Errungenschaften (gesellschaftliche Freiheit/Krisis) ausmachen und anprangern, muss (unbewusst) wissen, worüber er*sie spricht. Wer Gefährdung der Freiheit ausmacht und benennt, muss sie kennen: die Gefährdung und die Freiheit. Freiheit und Gefährdung der Freiheit gehören zusammen; das eine (Wichtigste/Menschlichste) ist nicht ohne das Andere (das Bedrohliche) zu haben, das ist der Kern des eigentlich programmatisch zu verstehenden Titels von Bertschingers «Freiheit und Krisis». «Transzendenz des Daseins und Freiheit» sind identisch» (Heidegger – ein Leitzitat von «Freiheit und Krisis» Bertschingers).

Nur so ist zu verstehen, dass Bertschinger in seiner Analyse, ausgehend von den Phänomenen Fremden-, Schwachen- und Intellektuellenfeindlichkeit, von einer grundlegenden Tendenz zur «Abwehr der Freiheit» spricht, die sich aus der Transzendenz seines Daseins, also seiner Unverfügbarkeit über sich selbst und Andere und der damit einhergehenden Bedrohung ergibt – nicht erkennend, sondern als nackte unhintergehbare Wahrheit seines Seins (Daseins), die – so verstanden – Freiheit ist.

Menschen sind frei, wer würde das bestreiten? Doch Dasein, Leben, In-der-Welt-Sein, mit Anderen sein ist (auch) lebensbedrohend/-bedrohlich, ängstigt, ist pure Ausgesetztheit; Freiheit ist als verstanden-unverstandene beängstigend, wenn sie droht als nicht Eingelöste oder nicht Eingelöstes (als bedrohende/bedrohte). Jede menschliche Krise – und wer würde leugnen, eine solche je gehabt zu haben – weiss um diese Bedrohung (das Bedrohende), das Nichtvereinbare, den Selbstverlust, selbst und gerade im Denken, das immer ein Nachdenken ist. Ein Nach-Denken über Unverstandenes und vermeintlich Gegebenes, womöglich Vordenkliches.

Nur so sei zu verstehen, und das ist der Ansatz Bertschingers mit Bezug auf zahllose kritisch agierende historische und aktuelle Denkzeugen, die allesamt emphatisch auf eine noch unbegriffene, aber zu entdeckende Wahrheit verweisen, die wir abwehren, verdrängen, verleugnen (in dieser komplexen Reihenfolge) und auf Andere und Anderes projizieren oder projizieren lassen, was wir als Unverstandenes, Nicht-Aushaltbares, selbst nicht zulassen oder akzeptieren wollen oder können und durch diese Projektionen vor uns selbst verbergen: Dass wir zwar nicht wissen (dingfest machen) können (!), aber dieses Nichtwissenkönnen (das Unbewusste) immerhin zulassen: als Offenheit. Das betrifft uns selbst wie alles, was wir für eine Gesellschaft, welche Freiheit eines jeden Einzelnen, also uns selbst und jeden Anderen, letztlich einfordern (müssen).


Die ausführliche Rezension zu Matthias Bertschinger „Freiheit und Krisis“ finden Sie hier.
Mehr zum Werk „Freiheit und Krisis“ finden Sie auf www.freiheitundkrisis.ch


Lic.phil Ralph Schröder ist studierter Philosoph und Germanist, Kommunikationsexperte und Schriftsteller. www.ralph-schroeder.ch
Publikationen: „Schweighausers Korrekturen“ (2016)

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