22 Feb

Most Bang for the Buck: Warum Effektiver Altruismus treffender „Effizienter“ Altruismus heißen sollte

von Alexander Schulan (Kiel)


Das Konzept des Effektiven Altruismus erfährt sowohl in der philosophischen Literatur als auch in der Praxis große Aufmerksamkeit. Peter Singer hat mit seinem Buch in 2015 „The Most Good You Can Do“ die Idee des Effektiven Altruismus geprägt, wonach Geld, Arbeitszeit und individuelle Energie in einer Art und Weise verwendet werden sollen, dass bedürftigen Personen so gut wie möglich geholfen werden kann. Um dieses Ziel mit begrenzten Ressourcen zu erreichen, werden in einem Optimierungsprozess die erwarteten Folgen verschiedener Maßnahmen wertend miteinander verglichen. Diese weit verbreitete Intuition, bei der Erreichung angestrebter Ziele knappe Ressourcen ohne Verschwendung zu verwenden, basiert auf dem Konzept der Effizienz. Das Konzept der Effektivität berücksichtigt dagegen lediglich die Wirksamkeit einer Maßnahme und ignoriert die dafür aufgewendeten knappen Ressourcen. Bisher haben die methodischen Unterschiede zwischen Effektivität und Effizient in der Debatte zum Effektiven Altruismus nicht die erforderliche Aufmerksamkeit erfahren. Zuolo (2020, 19) stellt fest, dass der „Effektive Altruismus Effektivität durch die Linse der Effizienz versteht“. Die Konzepte Effektivität und Effizienz sind aber eindeutig definiert, so dass man sie auch entsprechend anwenden und benennen sollte. In diesem Beitrag möchte ich darlegen, dass die Grundidee des Projekts des Effektiven Altruismus, also die verschwendungsfreie Verwendung knapper Ressourcen zum Wohle anderer, auf Effizienz beruht, und nicht nur auf Effektivität. Das Ausmaß der Diskrepanz zwischen der engeren Methode der Effektivität und der auf Effizienz basierenden Wirkweise des Effektiven Altruismus ist erheblich. Daher schlage ich vor, den Effektiven Altruismus treffender als Effizienten Altruismus zu bezeichnen. Um meinen Vorschlag zu begründen, wende ich die alltagssprachliche Bedeutung von Effektivität und Effizienz und die Definition von Effizienz in der ökonomischen Theorie auf paradigmatische Beispiele des Effektiven Altruismus an.

Die alltagssprachliche Bedeutung von effektiv ist nach dem Merriam Webster’s online dictionary “ein erwünschtes Ergebnis zu erzielen“ oder ”eine beabsichtigte Wirkung zu haben“. Als Beispiel für effektiv wird genannt, dass „ein Medikament effektiv zur Behandlung einer Krankheit ist.“ Der Duden erklärt effektiv prägnant als wirksam, so dass sich ebenso sagen lässt, ein Medikament ist wirksam zur Behandlung einer Krankheit. Das Konzept der Effektivität ist graduell und quantifiziert, ob ein erwünschtes Ziel überhaupt nicht, teilweise oder vollständig erreicht wurde. Das Konzept der Effektivität bezieht sich also ausschließlich auf die Wirksamkeit einer Maßnahme, d. h. ob und in welchem Umfang das angestrebte Ziel erreicht wurde.

Die alltagssprachliche Bedeutung von effizient gemäß dem Duden hingegen ist „wirksam und wirtschaftlich“ und berücksichtigt daher neben der Zielerreichung auch gleichzeitig die dafür aufgewendeten Ressourcen. Der Begriff wirtschaftlich bezieht sich auf eine nicht verschwenderische Verwendung knapper Ressourcen wie z. B. Geld, Zeit, ökologische Ressourcen und die persönliche Energie, individuelle Projekte zu verfolgen. Merriam Webster’s online dictionary nennt als alltagssprachliche Bedeutung von effizient, „fähig, gewünschte Ergebnisse zu erzielen, ohne Material, Zeit oder Energie zu verschwenden“. Im Falle von Effizienz spielt also nicht nur die Erreichung des gewünschten Ergebnisses eine Rolle, sondern auch die zur Erreichung des Ergebnisses notwendigerweise aufgewendeten Ressource. Als Beispiel für effizient werden eine „effiziente Arbeiter_in“ und eine „effiziente Maschine“ genannt. Insgesamt legen die alltagssprachliche Bedeutung von Effektivität und Effizienz nahe, dass im Rahmen des Effektiven Altruismus Bestrebungen zum optimalen Einsatz knapper Ressourcen zum Wohle anderer auf dem Konzept der Effizienz beruhen und nicht auf dem Konzept der Effektivität.

Eine Überlegung des Effektiven Altruismus ist, für eine private Spende eine geeignete Hilfsorganisation auszuwählen, so dass die Spende ihre maximal positive Wirkung entfalten kann. Ein erstes Beispiel hierfür kann sein, dass Person 1 an Hilfsorganisation A privat Geld spendet, so dass 20 bedürftige Familien mit einem Moskitonetz versorgt werden können. Ein zweites Beispiel könnte sein, dass auch Person 2 privat Geld spendet, so dass Hilfsorganisation B ebenfalls 20 Familien jeweils ein Moskitonetz bereitstellen kann. Die Spende von Person 1 und von Person 2 haben den gleichen Effekt und sind daher gleich wirksam sind. Es mag nun aber etwas verwunderlich klingen, dass eine Effektive Altruistin nicht beurteilen kann, ob die beiden Spenden 1 und 2 im Rahmen der Grundidee des Effektiven Altruismus tatsächlich beide gleich gut sind – obwohl sie gleich effektiv sind. Um dies in einer Welt knapper Ressourcen beurteilen zu können, möchte die Effektive Altruistin noch wissen, wie viel Person 1 und Person 2 jeweils gespendet haben. Nur wenn Person 1 und Person 2 den gleichen Betrag gespendet haben, sind beide Spenden gleich gut zu bewerten. Das Urteil einer Effektiven Altruistin hängt auch von den für den erzielten Effekt aufgewendeten Ressourcen ab. Das Urteil einer Effektiven Altruistin basiert also auf Effizienzüberlegungen. Die alleinige Information über die Effektivität der Maßnahme liefert nur ein unvollständiges Bild über die Realisierung der Grundidee des Effektiven Altruismus.

Auch die Definition von Effizienz in der ökonomischen Theorie legt nahe, dass der Effektive Altruismus tatsächlich auf Effizienzüberlegungen basiert. Die Definition von Effizienz in der ökonomischen Theorie illustriert den gängigen Zielkonflikt zwischen dem Grad der Erreichung eines angestrebten Ziels und den dafür notwendigerweise aufzuwendenden Ressourcen. Effizienz wird auch als Kosten-Effektivität oder Kosten-Wirksamkeit bezeichnet. Effizienz ist daher der Zusammenhang von „ends and means” (Heyne, econlib.org). Standardlehrbücher in der Ökonomik definieren „Effizienz” als die „Eigenschaft der Gesellschaft, aus ihren knappen Ressourcen das Beste zu machen“ (Mankiw 2004, 5). Diese Definition zeigt, dass Effizienz das Bemühen in Form eines Optimierungsprozesses widerspiegelt, mit den vorhandenen Ressourcen das erwünschte Ziel zu einem möglichst hohen Grad zu realisieren. Sehen sich Individuen oder Gemeinschaften mit knappen wertvollen Ressourcen konfrontiert, entsteht in der Regel der Wunsch, diese Ressourcen nicht zu verschwenden. Mit anderen Worten, bei Verwendung einer Einheit dieser Ressourcen soll der Grad an Zielerreichung erhöht werden, also die Effizienz verbessert werden.

Es gibt zwei grundlegende Arten, die Effizienz zu verbessern um Verschwendung von Ressourcen vorzubeugen. Entweder, eine Verbesserung des Grads der Zielerreichung bei gleichem Einsatz knapper Ressourcen, oder die Erreichung eines bestimmten Grades an Zielerreichung bei weniger Einsatz der knappen Ressourcen. Eine Verbesserung der Effizienz entspricht daher einer Verbesserung des Verhältnisses zwischen dem erzielten Effekt und den dafür aufgewendeten Kosten bzw. knappen Ressourcen. Die formale Definition von Effizienz in der ökonomischen Theorie ist ein Bruch, wobei im Zähler die Effektivität, also der Grad der Zielerreichung, und im Nenner die dafür notwendigerweise aufzuwendenden Ressourcen stehen:

Effektivität, also die Wirksamkeit einer Maßnahme, steht ausschließlich im Zähler. Effizienzüberlegungen haben aber nicht das Ziel, einen gewünschten Effekt mit beliebig vielen hierfür aufgewendeten Ressourcen zu erreichen. Das Außerachtlassen der verwendeten Ressourcen ist nur der engeren Perspektive der Effektivität eigen. Effizienzüberlegungen hingegen stellen sicher, dass die gewünschte Zielerreichung ohne Verschwendung knapper Ressourcen erfolgt. Effizienz setzt den Grad der Zielerreichung ins Verhältnis zu den dafür notwendigerweise aufzubringenden knappen Ressourcen. Meinem Verständnis nach ist es aber gerade diese Effizienzüberlegung, die das Projekt des Effektiven Altruismus konstituiert. Der Effektive Altruismus weist darauf hin, vor dem Tätigen einer Spende darauf zu achten, welche erwünschten Auswirkungen die jeweilige Hilfsorganisation damit erzielen kann. Kann z. B. Hilfsorganisation X für 1.000 Euro 200 Netze bereitstellen, so beträgt die Effizienz je gespendetem Euro, also 200 Netze geteilt durch 1.000 Euro, ein Fünftel Netz je Euro. Im Vergleich dazu kann Hilfsorganisation Y für 1.000 Euro lediglich 20 Netze bereitstellen. In diesem Fall beträgt die Effizienz je gespendetem Euro, 20 Netze geteilt durch 1.000 Euro, nur ein Fünfzigstel Netz je Euro. Gerade aufgrund dieser Effizienzüberlegungen rät der Effektive Altruismus, an Hilfsorganisation X zu spenden. Nur mit einer Spende an Hilfsorganisation X werden die vorhandenen knappen Ressourcen bestmöglich zum Wohl anderer eingesetzt.

Die dem Effektiven Altruismus inhärente Effizienzüberlegung lässt sich auch an Beispielen der Bewegung 80.000 Hours zeigen. Die Idee von 80.000 Hours zielt darauf ab, dass privilegierte Personen ihr Berufsleben derart gestalten, dass Hilfeleistungen an bedürftige Personen in möglichst großem Umfang möglich sind. Auf der Webseite 80000hours.org werden Berufstätige vorgestellt, die aufgrund ihrer wohlwollenden Beschäftigung mit dem Effektivem Altruismus ihre berufliche Tätigkeit für die Verwendung ihrer Lebensarbeitszeit verändert haben. Zum Beispiel hat eine Ärztin erkannt, dass sie bei der Mitarbeit an Maßnahmen im Umgang mit einer Pandemie mehr Personen helfen kann, als wenn sie wie bisher als Ärztin arbeitet. Ähnlich hat sich eine andere Person dazu entschlossen, nicht mehr als Mitarbeiter im Bereich der Künstlichen Intelligenz und transformativer Technologien tätig zu sein, sondern als Berater von Schlüsselorganisationen, die zur Künstlichen Intelligenz arbeiten, um deren Koordination zu verbessern. Beiden Beispielen liegt zu Grunde, dass sie aufgrund der Berücksichtigung zentraler Ideen des Effektiven Altruismus ihre Arbeitszeit anders verwenden, um die von der Axiologie des Effektiven Altruismus angestrebten Ziele in größerem Umfang erreichen zu können. Jede einzelne Arbeitsstunde führt also zu einem größeren Grad an Zielerreichung, als es bei ihrer vorherigen Tätigkeit der Fall war. Sie haben also die Effizienz ihrer im Rahmen der Ziele des Effektiven Altruismus eingesetzten Arbeitsstunden verbessert.

Ein weiteres Beispiel für grundlegende Effizienzüberlegungen des Effektiven Altruismus ist die Quantifizierung von Maßnahmen anhand von z. B. Quality Adjusted Life Year (QALY) oder Disability Adjusted Life Years (DALY) je Geldeinheit. Im Rahmen des Projekts des Effektiven Altruismus werden die erwünschten Effekte anhand von QALYs oder DALYs quantifiziert und dann zu den dafür notwendigerweise aufgebrachten Ressourcen ins Ergebnis gesetzt. Effektive Altruisten ermitteln also Antworten auf Fragen wie z. B. „Was ist der erzielte Effekt in QALYs je Geldeinheit?“ oder „Was ist der erzielte Effekt in DALYs je Arbeitsstunde?“. Diese gleichzeitige Berücksichtigung des erzielten Effekts und den dafür aufgewendeten knappen Ressourcen im Rahmen des Effektiven Altruismus entspricht einer paradigmatischen Anwendung des Konzepts der Effizienz.

Ein möglicher Einwand gegen mein Argument ist, dass sich die Effizienz in der ökonomischen Theorie z. B. auf Produktionseffizienz bezieht und daher im moralischen Kontext der Hilfe Notleidender nicht anwendbar ist. Diesem Einwand möchte ich mit zwei Punkten begegnen. Erstens, das Konzept der Effizient ist, auch gemäß Definition in der ökonomischen Theorie, nicht auf ein bestimmtes zu erreichendes Ziel festgelegt. Die grundlegende Überlegung hinter Effizienz ist moralisch unkontrovers und weithin akzeptiert, nämlich das Bemühen, knappe und wertvolle Ressourcen nicht verschwenderisch zu verwenden. Im Gegensatz zum festgelegten Wirkmechanismus der Methode der Effizienz kann aber das angestrebte Ziel frei gewählt werden. Hierzu können moralische Gründe, nicht-moralische Gründen oder eine Kombination der beiden herangezogen werden. Die zweite Entgegnung auf diesen Einwand ist, dass unabhängig von der Definition von Effizienz in der ökonomischen Theorie auch die alltagssprachliche Definition allein mein Argument stützt. Effektivität bezieht sich ausschließlich auf Wirksamkeit und Effizienz bezieht sich auf Wirksamkeit und Ressourcenverbrauch zugleich. Wenn man also optimierende Deliberationen anstellt, wie z. B. an welche Hilfsorganisation sollte ich spenden um die Wirkung meiner Spende zu verbessern oder welche Berufe sollte ich im Laufe meiner Lebensarbeitszeit ausüben, um möglichst viel Geld spenden zu können, hat man den Bereich der bloßen Effektivität verlassen und bewegt sich im Bereich der Effizienz.

In diesem Beitrag habe ich dargelegt, dass sowohl die alltagssprachliche Bedeutung von Effektivität und Effizienz als auch die ökonomische Definition von Effizienz dafürsprechen, die Grundidee des Effektiven Altruismus dem Konzept der Effizienz zuzuordnen – und nicht nur dem engeren Konzept der Effektivität. Wenn man die hier aufgeführten Argumente für plausibel hält und die grundlegenden Unterschiede der Konzepte von Effektivität und Effizienz anerkennt, rechtfertigt das Ausmaß der Diskrepanz zwischen der engeren Methode der Effektivität und der auf Effizienz basierenden grundlegenden Idee des Effektiven Altruismus, meinen Vorschlag, eine Debatte zu beginnen, ob der Effektive Altruismus nicht treffender als Effizienter Altruismus bezeichnet werden sollte. Der Name Effizienter Altruismus erscheint mir besser geeignet um in einer Welt voller Ungerechtigkeiten und knapper Ressourcen das Bemühen, verfügbare Ressourcen auf eine Art und Weise einzusetzen, dass benachteiligten Personen am besten geholfen werden kann, als „The Most Good You Can Do“ zu bezeichnen.


Alexander Schulan ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Philosophischen Seminar der Universität Kiel. Er ist promovierter Ökonom und arbeitet an einer Doktorarbeit in der Arbeitsgruppe ‚Klimaethik, Nachhaltigkeit und Globale Gerechtigkeit‘.


Literatur:

Heyne, P. Efficiency in Econlib.org. https://www.econlib.org/library/Enc/Efficiency.html.

https://www.merriam-webster.com/dictionary/effective, Übersetzung des Verfassers.

https://www.merriam-webster.com/dictionary/efficient, Übersetzung des Verfassers.

Singer, P. (2015): The Most Good You Can Do. Yale University Press.

Mankiw, N. G. (Mankiw, 2004, p. 5): Principles of Economics. Third edition.

Zuolo, F. (2020). Beyond Moral Efficiency: Effective Altruism and Theorizing about Effectiveness. Utilitas 32, 19–32. Übersetzung des Verfassers.

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