Splitter zur Philosophie des Flirtens

Von Gottfried Schweiger (Salzburg) [1]


Liebe ist ein klassisches Thema der Philosophie. Der Prozess des Verliebens schon weniger und wenn es ums Flirten geht, hat die Philosophie – bislang – fast nichts zu sagen. Dabei ist Flirten nicht nur eine häufig anzutreffende und bei vielen Menschen beliebte Interaktion, sie wirft auch einige interessante Fragen auf.

Was ist Flirten?

Beginnen wir mit der Frage, was eigentlich Flirten ist. Die beiden einzigen mir bekannten philosophischen Texte zum Flirten haben eine Bestimmung versucht. Carrie Jenkins versteht Flirten von der Intention her und geht dabei davon aus, dass es eine Person gibt, die flirtet und eine Person, mit der geflirtet wird. Sie schreibt:

“First, the flirter should act with the intention to do things which are disposed to raise flirter-flirtee romance and/or sex to salience for the flirtee, in a knowing yet playful manner. Second, he or she should believe that the flirtee can respond in some significant way.”

Lucy McDonald dagegen konzentriert sich auf das, was da tatsächlich geschieht und versteht Flirten als eine spielerische Konversation, bei der sich Push und Pull – Annäherung und Distanzierung – abwechseln. Wichtig ist für sie: Flirten kann man nur gemeinsam, wie Tennis spielen. Wenn einer der beiden nicht mitmacht, dann scheitert das Spiel.

“I have defined flirting as a conversational game involving two moves: push moves, which involve presupposing an intimacy that does not yet exist, and pull moves, which involve playfully pretending to block those presuppositions.”

Offensichtlich gibt es hier eine Diskrepanz. Bei Jenkins ist es durchaus möglich, dass nur eine Person flirtet, sie hält es sogar für möglich, dass Menschen flirten, ohne dass die andere Person davon weiß. Da funktioniert die Analogie von McDonald mit dem Tennis nicht mehr. Jenkins unterscheidet auch zwischen flirtendem Verhalten, also Verhalten, das aussieht wie Flirten, aber keines ist, weil die Intention nicht darauf gerichtet ist, dem Gegenüber zu vermitteln, dass man Sex oder Romantik anbahnen möchte. Entgegen Jenkins und mit McDonald scheinen mir das Handeln und die Intention beider Personen für das Flirten entscheidend. Einer alleine kann nicht flirten.

Anders als beim Tennis sind das Repertoire und die Regeln beim Flirten aber nicht für alle Beteiligten bekannt bzw. kann es unterschiedliche Vorstellungen davon geben, was man beim Flirten tun darf oder sollte; das gilt auch für das Push und Pull in McDonalds Konzept, welches offen ist für durchaus verschiedene Stile des Flirtens. Hier hat Jenkins einen guten Punkt, wenn sie auf die soziale Normierung von flirtendem Verhalten hinweist, die jedoch offen für Modifikationen und persönliche Vorlieben ist. Wenn es gar keinen geteilten Verständnishorizont gäbe, würden wohl fast alle Flirts scheitern. Auch in diesem Sinne muss man Flirten lernen und kann das als eine sozialisatorische Entwicklungsaufgabe der Jugend verstehen.

Motive und Ziele des Flirtens

Des Weiteren ist noch nichts darüber gesagt, was die beiden Flirtenden durch das gemeinsame Spielen eigentlich erreichen wollen. Oft wird es um Romantik oder Sex gehen, manchmal aber eben auch um gänzlich andere Dinge: um Vorteile bei Verhandlungen, um das eigene Ego, um jemanden eifersüchtig zu machen oder um das Gegenüber herauszufordern. Oder auch nur um einen guten Zeitvertreib. Dennoch würde ich sagen, dass hier ein Flirt vorliegt. Solange beide flirten wollen und das Spiel des Flirtens gelingend miteinander spielen, flirten sie miteinander, selbst wenn der:die eine es macht, um Sex anzubahnen und der:die andere, um sein:ihr Ego zu stärken.

Dass beide dieselben Ziele beim Flirten haben, scheint mir also nicht notwendig. Beide wollen flirten, aber sie wollen vielleicht unterschiedliche Dinge damit erreichen. Jenkins legt sich zu einseitig darauf fest, dass es um Sex oder Romantik geht. Der Bezug zur Intimität bei McDonald ist hier plausibler, aber auch hier kann man einhaken, ob es beiden tatsächlich um dieselbe Form und Intensität von Intimität geht. Sie definiert Intimität zwar sehr allgemein – „Intimacy is a relationship of mutual understanding and mutual vulnerability between at least two people.“ – dennoch ist es durchaus möglich, dass beide zwar flirten wollen, aber dass sie nicht Intimität im selben Sinne anstreben bzw. dass sie unterschiedliche Dinge darunter verstehen. Der für McDonald wichtige Bezugspunkt der Intimität taugt dann nicht, um Flirten dingfest zu machen. Es bleiben als die entscheidenden Kriterien, dass beide Flirten wollen und dass das, was sie da tun, für beide flirten ist. „Sie:er hat mit mir geflirtet.“ kann daher zwei Dinge meinen. Wenn man nicht auch geflirtet hat, meint es eigentlich: „Sie:er hat versucht, mit mir zu flirten.“ Den Flirt gab es nur, wenn beide sagen können: „Ich habe mit ihr:ihm und sie:er hat mit mir geflirtet.“

Dem Flirt eigentümlich ist – da sind sich Jenkins und McDonald einig –, dass es sich um eine verschleierte Kommunikation handelt. Man fällt nicht mit der Tür ins Haus: „Ich will mit dir schlafen.“ Und darauf antwortet man nicht direkt: „Ich will auch Sex mit dir. Lass uns gehen.“ Wie offen oder versteckt die Botschaften im Wechselspiel von Annäherung und Distanzierung kommuniziert werden, kann variieren, aber ein gewisses Maß an Spannung gehört dazu. Ansonsten ist der Flirt zu Ende oder hat gar nie begonnen. Den Flirt so zu verstehen, macht es schwierig, Anfang und Ende zu bestimmen. Wann geht ein Ping-Pong gewitzter Bemerkungen oder Sticheleien, eine freundschaftliche Unterhaltung, in einen Flirt über? Gemäß meinen Überlegungen dann, wenn beide die Intention hin zum Flirten wechseln, auch dann, wenn sie damit nicht die gleichen Ziele erreichen wollen. Wenn das nur eine Person tut, war es kein echter Flirt, auch wenn eine:r der Beteiligten es so erlebt hat, weil er:sie dachte, das Gegenüber hätte ebenso geflirtet. Gerade Männer tendieren dazu, freundliches Verhalten von Frauen als Flirt misszuverstehen.

Der Flirt hat kein fixes Ziel, aber wie jede Kommunikation ist er begrenzt. Er ist für viele Weg zu einem Ziel – bei Jenkins zu Romantik oder Sex – weshalb oftmals eine:r der Beteiligten nach einer Weile aus dem Spiel aussteigt und zur direkten verbalen oder non-verbalen Kommunikation übergeht. Ein Flirt kann aber auch enden, ohne dass es dazu kommt: Wenn eine:r, aus welchen Gründen auch immer, aussteigt; wenn die Straßenbahn, auf die man wartet, plötzlich kommt; wenn jemand anderer in den Kommunikationsraum eintritt; wenn es schließlich doch Zeit ist, nach Hause zu gehen.

Ethik des Flirtens?

Und das bringt mich auch schon zur Ethik des Flirtens. Klar ist: Flirten oder der Versuch, einen Flirt zu beginnen, sind keine Entschuldigung für schlechtes Benehmen, übergriffiges Verhalten oder gar sexuelle Belästigung. Flirten ist aber, gemäß den bisherigen Ausführungen, auch in Form des Spiels von Push und Pull um Intimität anfällig für Missverständnisse. Sofern ich McDonald richtig verstehe, geht sie vom Gegenteil aus: wenn man weiß, was Flirten ist, ist es leichter, zu erkennen, ob das Gegenüber tatsächlich flirten will, weil man dann in der Lage ist, ein flirtendes Zurückziehen aus der Intimität von einem echten Rückzug aus dem Flirt oder einer ernst gemeinten Abweisung zu unterscheiden. Damit das möglich ist, müsste der spielerische Rückzug und die spielerische Zurückweisung klar erkennbar sein, was aber ja gerade durch das Spiel des Flirtens absichtlich verschleiert wird. McDonald sieht dieses Problem nicht:

“One should be able to distinguish flirting moves from genuine acts of refusal. To do so, one must think critically about gender norms and myths, and one must also cultivate a general interpersonal receptivity and sensitivity to verbal and non-verbal social cues, which will make distinguishing between genuine rejection and playful pull moves easier.”

Das wird sicher oftmals möglich sein und ist eine sinnvolle ethische Forderung an alle Beteiligten. Dennoch unterschlägt es, meiner Meinung nach, etwas zu einfach die Spezifik des Flirtens und dass es, gerade weil der spielerische Rückzug Teil des Flirtens ist, zu Missverständnissen kommen kann, die als Grenzüberschreitung erfahren werden. Das kann nicht nur dann passieren, wenn ein echter als ein gespielter Rückzug missverstanden wird, sondern auch, wenn eine Annäherung, also ein Versuch, Intimität herzustellen, misslingt oder die Intimität, die versucht wird, für das Gegenüber nicht angebracht ist – aber eine andere Form der Intimität in Ordnung oder erwünscht gewesen wäre. Da Flirten in vielen Fällen nicht nur verbale Kommunikation umfasst, sondern auch Berührungen und die Herstellung körperlicher Nähe, geht es auch um körperliche Integrität und die je eigenen Grenzen. Das Ende des Flirts – oder dass man keinen beginnen will – wird eigentlich immer und sehr schnell als solches erkennbar sein, wenn es verbal oder durch körperlichen Rückzug kommuniziert wird. Wenn dem eine unbeabsichtigte Grenzüberschreitung oder ein Missverständnis beim flirtenden Spiel voranging, konstituiert dies mitunter keine moralische Schuld, aber dennoch verlangt es eine Entschuldigung.

Darf man so tun, als würde man flirten, obwohl eigentlich etwas anderes im Sinn hat? Ich denke, man sollte den anderen nicht bewusst täuschen. Da Flirten nicht auf bestimmte Ziele festlegt, verspricht man durch das Flirten dem anderen aber auch nichts. Man schuldet auch zu keinem Zeitpunkt, dass man den Flirt fortsetzen muss. Aber auch wenn man der anderen Person nichts schuldet, halte ich es für moralisch problematisch, wenn man den Flirt nur als Mittel zur Steigerung des eigenen Egos verwendet.

Das Gebot der Rücksichtnahme auf das Gegenüber hat seine Grenzen. Natürlich kann man durch den Abbruch eines Flirts die andere Person enttäuschen und diese Zurückweisung kann verletzend sein. Das ist das Risiko des Spiels und wer dieses Risiko, abgewiesen zu werden, nicht eingehen möchte, sollte lieber nicht flirten. Es ist eben nicht die Schuld des Gegenübers, dass er:sie einen durch den Abbruch des Flirts verletzt hat. Ohne ein gewisses Maß an Verletzlichkeit, da stimme ich McDonald zu, findet kein echter Flirt statt. Andererseits gilt auch: Wer flirtet, muss damit rechnen, dass die andere Person, wenn der Flirt abgebrochen wird, darüber enttäuscht ist. Und wer flirtet und dabei bestimmte Formen der Intimität herstellt, lädt dazu ein, dass das Gegenüber darauf einsteigt und mit einem Push oder Pull reagiert und ihrerseits versucht, Intimität herzustellen. Um in der Analogie des Tennisspielens zu bleiben: Wer den Ball übers Netz spielt, lädt dazu ein, dass er retourniert wird. Auch wer das nicht möchte, sollte nicht flirten.

Gibt es Orte, an denen oder Menschen mit denen nicht geflirtet werden sollte, zum Beispiel am Arbeitsplatz, der Trauerfeier oder im philosophischen Seminar? Sicherlich. Manche sozialen Beziehungen machen Flirten problematisch, andere schließen Flirts aus ethischen Gründen aus. Zum Beispiel sollten Lehrer:innen nicht mit Schüler:innen und Professor:innen nicht mit Student:innen flirten. Vorgesetzte und Mitarbeiter:innen: das Machtgefälle und andere Faktoren werden hier in den meisten Fällen jeden Flirt korrumpieren. Bei Kolleg:innen ist der professionelle Raum der Arbeit ein wichtiger Faktor und dass dieser oft von problematischen Geschlechternormen durchzogen ist. Das mahnt zur Vorsicht, auch wenn die Arbeit ein zentraler Ort der Anbahnung romantischer Beziehungen ist. Ob Flirten mit anderen in Ordnung ist, wenn man in einer Beziehung ist, ist natürlich eine Frage der Vereinbarung zwischen allen Beteiligten. Aber man sollte der Person, mit der man flirtet, offenlegen, wenn man vergeben ist; schließlich ist es nicht unwahrscheinlich, dass dies die Entscheidung, ob man flirten will, beeinflusst. Mit dem:der eigenen Partner:in zu flirten, ist, auch wenn manche hier skeptisch sein werden, durchaus möglich – und sinnvoll. Das Spiel von Pull und Push, die spielerische Herstellung von Intimität in einer konkreten Situation, steht nicht im Widerspruch dazu, dass es bereits tiefe Vertrautheit, geteilte Intimität und Sex gibt. 

Nachdem ich nun hauptsächlich über einige Schwierigkeiten des Flirtens geschrieben habe, zum Abschluss nochmals der Blick auf das Positive. Flirten kann man aus guten Gründen als Teil eines guten Lebens verstehen. Nicht nur instrumentell, weil der Flirt oft als „Vorstufe“ oder Anbahnung romantischer Liebe oder Sex fungiert, die beide sicherlich für viele Menschen zu einem guten Leben gehören. Es ist das Flirten selbst wertvoll, auch wenn es nicht zu Sex oder Liebe führt, sondern es beim Tennisspiel bleibt. Ein Wert des Flirtens kann darin gesehen werden, dass die Intimität, die im Flirt hergestellt wird, wertvoll ist; eine Intimität, die sich dadurch auszeichnet, dass sie eben noch nicht da, sondern erst im Entstehen ist. Ein anderer Wert liegt im Spielen; der Herausforderung, das Spiel auch tatsächlich gut zu spielen, was beim Flirten gerade dadurch immer spannungsvoll bleibt, weil vieles unbekannt ist und man auf den anderen angewiesen ist, um mehr zu erfahren: wie wird der andere reagieren, wie werden sich Pull und Push entfalten; was will das Gegenüber eigentlich? Und man kann sich vom Spiel des Gegenübers verzaubern lassen.


[1] Die Idee zu diesem Blogbeitrag entstand in Gesprächen auf der X. Tagung für Praktische Philosophie. Gedankliche Vorarbeiten gibt es in einem Aufsatz von mir zu Lernprozessen der romantischen Liebe in der Jugend und das Thema beschäftigt mich im Rahmen der Vorbereitung eines Schwerpunkts zur Philosophie der Liebe und Sexualität, den Michael Kühler und ich für die Zeitschrift für Ethik und Moralphilosophie planen. Lisa Schweiger-Gensluckner danke ich für wichtige Hinweise.


Gottfried Schweiger arbeitet am Zentrum für Ethik und Armutsforschung an der Universität Salzburg und interessiert sich für viele Themen. Vor kurzem erschienen die von ihm mitherausgegebenen Bücher: The Routledge Handbook of Philosophy and Poverty (Routledge), Zwischenmenschliche Beziehungen im Zeitalter des Digitalen (Metzler) und Philosophie der Kindheit (Suhrkamp). Er arbeitet zur Zeit an Ideen für eine feministische Ethik des Vaterseins.