Stellungnahme zur Stellungnahme der GAP «Für eine freie und kritische Auseinandersetzung in den Wissenschaften»

von Heiner Koch und Deborah Mühlebach


Die Stellungnahme der GAP zum Fall Kathleen Stock suggeriert, dass eine wissenschaftlich neutrale Auseinandersetzung mit politisch relevanten Fragen möglich ist. Weil wir anders als die GAP davon ausgehen, dass Wissenschaftsfreiheit nicht losgelöst von bestehenden Machtverhältnissen in- und außerhalb der Universität gedacht werden kann, halten wir dies für falsch.

Die GAP plädiert in ihrer Stellungnahme zum Fall Stock für eine freie und kritische Auseinandersetzung in den Wissenschaften – oder kurz Wissenschaftsfreiheit. Das klingt zunächst nach einer Forderung, der kaum widersprochen werden kann. Bei genauerer Betrachtung ist es angesichts der Komplexität des ganzen Falls Stock jedoch erstaunlich, welches konkrete Problem die GAP als das zentrale hervorhebt.

Die GAP ist in dem Fall Stock besorgt um eine Situation, in der (1) Forschende eine (2) begründete, aber kontroverse wissenschaftliche Meinung vertreten und in der (3) auf Universitätsleitungen und Veranstalter:innen durch Forderungen nach Rücktritt oder Ausladung solcher Forschenden Druck ausgeübt wird, anstatt sich inhaltlich kritisch mit deren wissenschaftlichen Positionen auseinanderzusetzen. Der Fall Stock ist aber in allen drei Hinsichten komplexer als es bei der GAP den Eindruck macht.

Erstens ist Stock nicht einfach Forschende. Die GAP scheint die (erst neuerdings zu diesem Thema) Bücher und wissenschaftliche Artikel schreibende Stock von der lehrenden, betreuenden, Blogbeiträge verfassenden, auf social media und anderweitig politisch aktiven Stock zu trennen. Dabei beziehen sich Proteste doch kaum ausschließlich auf einzelne Bücher oder wissenschaftliche Artikel, sondern in den allermeisten Fällen auf ganze Personen. Es ist daher erstaunlich, dass die GAP die Transphobie- und Diskriminierungsvorwürfe, die gegen Stock erhoben werden, ausschließlich in Bezug auf ihre neusten wissenschaftlichen Publikationen in Betracht zieht.

Zweitens ist die Frage, ob trans Personen gesellschaftlich anerkannt werden sollten, schon seit langem in verschiedenen wissenschaftlich Disziplinen verhandelt worden. Das Ergebnis ist – nicht nur in Deutschland – eine rechtliche Anerkennung des Geschlechts von trans Personen. Dabei findet allmählich eine breite Verschiebung statt weg von der Festlegung des Geschlechts durch psychiatrische Gutachten hin zur rechtlichen Anerkennung auf der Basis von Selbst-Identifizierung. Aber bereits hinter den wissenschaftlichen und rechtlichen Stand, in denen Gutachten erforderlich sind, fällt die Position von Stock zurück. Damit ließe sich selbst anhand der Kriterien der GAP Stocks öffentliche und akademische Positionierung als “illegitime Provokation” verstehen.  

Doch selbst in Fällen, in denen es in einem nennenswerten Ausmaß kontrovers ist, ob eine Position in gravierender Form diskriminierend ist, kann man nicht mehr so einfach eine offene wissenschaftliche Debatte fordern. Denn was ist, wenn die Betroffenen Recht haben und Stocks Positionen diskriminierend sind? Hier genügt es nicht die Grenze zu ziehen bei Fragen, “die heute als beantwortet gelten müssen und bei denen es eine illegitime Provokation darstellt, sie weiter als offen zu behandeln”. Wenn eine Position mit guten Gründen als diskriminierend kritisiert wird, dann muss auch die Forderung, dass diese Position einen Platz an der Universität hat, gut begründet sein. Die GAP müsste also zumindest inhaltlich darstellen, weshalb es gute Gründe gibt anzunehmen, dass Stocks Positionen – entgegen etwa der deutschen Gesetzgebung – nicht diskriminierend sind. Dies leistet die Stellungnahme der GAP nicht. Neutralität wird damit zu einer verdeckteren Form der Legitimierung der diskriminierenden Position.

Drittens sind wie in jeder größeren politischen Auseinandersetzung auch im Fall Stock viele Akteur:innen beteiligt. So z.B. sind diverse Studierende, trans communities, zum Thema arbeitende Philosoph:innen, aber auch zahlreiche institutionelle Akteur:innen wie Universitätsleitungen, Institute und einzelne Veranstaltungsorganisator:innen Teil dieses Falls. Es ist aufgrund der bisherigen Medienberichte dazu unklar, ob und wie diese alle miteinander zusammenhängen. Einige Medien tendieren dazu, die Angriffe auf Stocks Person vereinheitlichend als “Mob” zu bezeichnen, wobei häufig nicht zwischen Drohungen, inhaltlicher Kritik und auf inhaltlicher Kritik basierenden Ausladungs- und Rücktrittsforderungen differenziert wird. Es wäre wünschenswert, dass die GAP ihre analytischen Fähigkeiten dazu einsetzte, diese Undifferenziertheit nicht teilweise mitzutragen. Auch deshalb, weil es nicht offensichtlich ist, dass inhaltlich gut begründete Ausladungs- und Rücktrittsforderungen tatsächlich die Wissenschaftsfreiheit gefährden.


Dadurch, dass die GAP inmitten der hier skizzierten vielfältigen politischen Verstrickungen ihre Sorge um diejenigen einzelnen Fälle äußert, in denen Gruppen Druck auf eine Unileitung auszuüben versuchen, indem sie Ausladungen und den Rücktritt einer Person fordern, anstatt inhaltliche Kritik zu üben, entpolitisiert sie die wissenschaftliche Praxis auf unplausible Weise. Wenn Stellungnahmen zum Fall Stock die hier angedeutete Komplexität nicht annähernd berücksichtigen, dann ist es fraglich, ob sie ihrer Sache dienlich sind.


Heiner Koch ist Mitglied der GAP, forscht insbesondere zur Wissenschaftstheorie der Sozialwissenschaften und struktureller Herrschaft und hat zuletzt an der Universität Duisburg-Essen zu Big Data basierten Erklärungen in den Sozialwissenschaften gearbeitet. 

Deborah Mühlebach, ebenfalls GAP-Mitglied, ist Postdoc an der FU Berlin. Sie hat in Basel, am MIT und in Sheffield ihre Dissertation zur Semantik, Politik und Kritik abwertender Sprache verfasst und arbeitet nun zum Zusammenhang von Kritik und Verständnis. Dabei interessiert sie sich insbesondere für feministische, critical race und ethnographisch informierte Fragen und Herangehensweisen.