Der universitäre Mittelbau und die Corona-Pandemie
„Generell wären alle äußeren Umstände nicht so belastend, wenn man unbefristet angestellt wäre“[1]
von Andrea Klonschinski (Kiel)
1. Einleitung
Mit Arbeit im Homeoffice, abgesagten Konferenzen, digitaler Lehre und Online-Prüfungen liegt ein außergewöhnliches Semester hinter uns. Für den Großteil des wissenschaftlichen Personals war es auch ein außergewöhnlich arbeitsintensives und belastendes Semester, worauf früh etwa die Initiative mehrbelastung.de, später auch verschiedene Fachgesellschaften hingewiesen haben.[2] Das „Corona-Semester“ trifft dabei diejenigen Mitarbeiter*innen an Universitäten besonders stark, die sich ohnehin in einer vulnerablen Position befinden – Personen mit Care-Verpflichtungen (meist Frauen),[3] prekär Beschäftigte im universitären Mittelbau und Wissenschaftler*innen auf Qualifikationsstellen.[4] Die Probleme sind mittlerweile bekannt und es mangelt nicht an Forderungen nach Maßnahmen der Minderung und Kompensation der Arbeitsbelastung sowie der mittel- und langfristigen Folgen, die dieses Semester haben wird.[5] Deren Umsetzung bleibt indes bislang Stückwerk, was umso problematischer ist, als auch das kommende Wintersemester von COVID-19 geprägt sein wird und unklar ist, ob angesichts einer möglichen zweiten Corona-Welle weitere Shutdowns anstehen.
Es ist damit in dieser Semesterpause an der Zeit, eine nicht nur anekdotische, sondern empirisch informierte Zwischenbilanz über das Forschen und Lehren während der Corona-Pandemie zu ziehen. Nachdem das Semester im Notbetrieb überstanden ist, ist zudem jetzt der passende Zeitpunkt, diesen Notbetrieb und seine Auswirkungen auf alle Beteiligten mit etwas Abstand kritisch zu reflektieren. Dies möchte ich hier insbesondere mit Blick auf den universitären Mittelbau tun. Zu diesem Zweck stelle ich im Folgenden zentrale Ergebnisse aus nationalen und internationalen Studien zur Arbeitsbelastung des wissenschaftlichen Personals während der Corona-Pandemie vor. Insofern es für Deutschland diesbezüglich bislang nur wenige Daten gibt, greife ich dabei zu einem großen Teil auf eine an der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel durchgeführten Mitarbeiter*innen-Befragung zurück (Abschnitt 2).[6] Die Daten beziehen sich nicht spezifisch auf die Philosophie, lassen aber, im Falle der Kieler Studie, durch einen Differenzierung zwischen Angehörigen verschiedener Fakultäten Rückschlüsse auf die Geisteswissenschaften zu. Obwohl die betrachteten Ursachen einer erhöhten Arbeitsbelastung sich nicht ausschließlich auf den universitären Mittelbau beziehen, wird sich zeigen, dass zentrale, in der Corona-Krise virulent werdenden Probleme auf strukturellen Schwierigkeiten der Beschäftigungssituation im Mittelbau verweisen (Abschnitt 3). Sie verlangen daher nicht nur nach kurzfristigen, Corona-spezifischen Maßnahmen, sondern nach einer nachhaltigen Behebungen von Missständen (Abschnitt 4).[7]
2. Arbeitsbelastung während der Corona-Pandemie – Was sagen die Daten?
2.1 Kinder und Lehre als Hauptgründe für Mehrbelastung
Obwohl sich einige Auswirkungen des Corona-Semesters auf Forschung und Lehre erst langfristig manifestieren werden, zeichnete sich bereits zu einem frühen Zeitpunkt ab, dass Wissenschaftlerinnen, insbesondere diejenigen mit Care-Verpflichtungen, besonders negativ von den Maßnahmen zu ihrer Eindämmung der Pandemie betroffen sein würden.[8] So wird etwa für das British Journal for the Philosophy of Science berichtet, dass die Anzahl der Einreichungen von Frauen im März dramatisch zurückgegangen, die der Einreichungen von Männern hingegen konstant geblieben sei; die Fachzeitschrift Comparative Political Studies verzeichnete sogar einen Anstieg der Einreichungen männlicher Autoren um 50% (vgl. Fazackerley 2020).[9] Eine im Mai vom Verlag De Gruyter durchgeführte Befragung von über 3200 Autor*innen, von denen 88% an einer Universität oder Forschungseinrichtung tätig sind, stellte ebenfalls eine stärkere Belastung von Frauen fest (vgl. Watchorn/Heckendorf 2020).[10] So berichteten 43% der Männer, sie hätten während der Corona-Pandemie mehr zu tun als sonst, während dies 57% der Frauen angeben. Und während 41% der Männer feststellen, ihr Workload habe sich gar nicht verändert, gilt das nur für 32% der Frauen. Weniger oder überhaupt keine Zeit zum Schreiben verbleibt 38% der befragten Männer, aber 49% der Frauen.
Als Hauptgrund für dieses Ungleichgewicht gilt die Tatsache, dass Frauen nach wie vor den größten Anteil an Care- und Hausarbeit leisten, und zwar auch in Partnerschaften, in denen beide Personen an der Universität tätig sind (vgl. Matthews 2020). Die Schließung von Kitas, Kindergärten und Schulen Mitte März dürfte sich somit überproportional auf die Arbeitsbelastung von Frauen ausgewirkt haben (vgl. ebd.; Wiedemann 2020; McKie 2020).
Die Effekte auf die Forschungstätigkeit und somit die Karriereaussichten betroffener Frauen (und Männer) werden sich dabei trotz oben zitierter Ergebnisse in vollem Umfang erst in der Zukunft manifestieren; die Verfassung von philosophischen Aufsätzen, Drittmittelanträgen oder Monographien dauert schließlich Monate und Jahre. Eine Anfrage bei Ethics ergab dementsprechend, dass dort zum jetzigen Zeitpunkt noch kein Einbruch der Einreichungen von Frauen festzustellen ist und dasselbe gilt für die Zeitschrift für Praktische Philosophie, um zwei Beispiele zu nennen.
Trotz der frühen Hinweise auf eine überproportionale Belastung von Frauen, ist dieses Thema Anfang des Sommersemesters kaum an den Hochschulen diskutiert worden; der Fokus lag hier vielmehr zunächst darauf, den universitären Lehr- und Prüfungsbetrieb angesichts unsicherer Entwicklungen der Pandemie nur irgendwie in digitaler Form aufrecht zu erhalten. Wie aber, zum Beispiel, vier Semesterwochenstunden digitale Lehre zusammen mit der Betreuung von Kleinkindern, dem „Homeschooling“ älterer Kinder, dem Einkaufen für Eltern oder Großeltern und die Sorge um Freunde und Angehörige aus Risikogruppen geleistet werden sollen, blieb dem und der Einzelnen überlassen. Vor diesem Hintergrund hat eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen, mich selbst eingeschlossen, an der CAU Kiel vom 25. Mai bis zum 4. Juni eine Online-Befragung unter Mitarbeiter*innen durchgeführt. Das Ziel bestand darin festzustellen, inwiefern diese eine erhöhte Arbeitsbelastung im Zuge der Corona-Pandemie wahrnehmen und auf welche Faktoren die Belastung maßgeblich zurückzuführen ist, um dann gegebenenfalls Aufmerksamkeit bei Entscheidungsträger*innen für die identifizierten Probleme zu generieren.
Obwohl die Studie angesichts eines sogenannten „Convenience-Samples“ keinen Anspruch auf Repräsentativität beansprucht, lässt sie mit 377 vollständig ausgefüllten Fragebögen dennoch einige aussagekräftige Schlüsse zu – und zwar insbesondere hinsichtlich der Situation des Mittelbaus. So gaben knapp 80% der Befragten an, sich in der Promotions- oder Postdoc-Phase zu befinden, während Professor*innen mit 5% in der Studie kaum vertreten waren. 74% der Befragten sind unter 40 Jahre alt, 84% befristet beschäftigt und ein Drittel gibt an, mindestens ein Kind zu haben. 68% der befragten Personen identifizieren sich als weiblich, 30,7% als männlich und 1,6% machen keine Angaben zum Geschlecht.[11]
Was die zentralen Ergebnisse der Studie anbelangt, ist festzuhalten, dass fast 90% der Befragten mindestens eine leichte Mehrbelastung im Zuge der Corona-Pandemie verspüren, knapp 62% empfinden sogar eine starke oder sehr starke Mehrbelastung.[12] Betrachtet man nur die Aussagen der Befragten, die der Philosophischen Fakultät angehören (38,2% der Gesamtstichprobe und damit 144 Personen), so erhöhen sich diese Werte auf 93% und 72,2%.[13] Um auf den Ausgangspunkt zurückzukommen: interessanterweise konnte kein relevanter Unterschied hinsichtlich der empfundenen Arbeitsbelastung von Frauen und Männern festgestellt werden – wenn überhaupt, dann empfinden eher die befragten Männer eine stärkere Mehrbelastung. Auch hinsichtlich der Angaben zu den Gründen für die wahrgenommene Belastung unterscheiden sich Männer und Frauen kaum, wie folgende Abbildung zeigt:
Von denjenigen, die Kinder haben, geben fast 90% die Kinderbetreuung als Grund ihrer Mehrbelastung an. Sorgen und psychische Belastungen spielen für 40% der Befragten eine Rolle, wobei ein Unterschied zwischen Männern und Frauen feststellbar ist. Neben Probleme mit der Arbeit im Homeoffice und der damit verbundenen Isolation, auf die später zurückzukommen ist, wird in den offenen Antworten häufig Planungsunsicherheit als ein psychisch belastender Faktor genannt. Die Tatsache, dass Ende März und Anfang April fast im Wochentakt neue Erkenntnisse zu Corona gefasst und damit neue Maßnahmen unbestimmter Dauer von Bund, Ländern und Universitäten verabschiedet worden sind, hat für viel Unsicherheit und Stress unter den Mitarbeiter*innen gesorgt. Am häufigsten wurde als Grund für Mehrbelastung indes die Antwortalternative „Umstellung auf digitale Medien“ gewählt; hier deutet sich bereits an, dass ein zentraler Faktor hinter der Mehrbelastung der gestiegene Zeitaufwand für digitale Lehre und digitale Kommunikation darstellt.
Dieser Eindruck wird durch die Ergebnisse des Fragenclusters zur Lehre bestätigt. 92% der Befragten aus der Philosophischen Fakultät stimmen der Aussage zu, dass die Umstellung auf digitale Lehre ihren Arbeitsaufwand vergrößert habe, während es unter den Befragten der übrigen Fakultäten 72,9% sind.[14] Der Aussage „Der Zeitaufwand für die Betreuung der Studierenden ist durch die digitale Lehre angestiegen“ stimmen 81,4% der an der Philosophischen Fakultät, aber nur 55,8% der an den übrigen Fakultät Lehrenden zu. Dieses Ergebnis ist von hoher Relevanz für die Philosophie; deutet es doch darauf hin, dass die text- und diskussionsbasierte Arbeit in den typischen geisteswissenschaftlichen Fächern der Philosophischen Fakultät wesentlich aufwändiger in digitalen Formaten umzusetzen ist, als es beispielsweise für Vorlesungen und Übungen in den Wirtschaftswissenschaften der Fall ist, die, zumindest im Bachelorstudium, stärker auf nicht-diskursive Wissensvermittlung abstellen. Entsprechend sind auch nur knapp 39% der Befragten der Philosophischen Fakultät der Meinung, dass die Lernziele in ihrer Lehrveranstaltung annähernd erreicht werden, während dies unter den Befragten der übrigen Fakultäten 51% annehmen. Auch in den offenen Antworten wird deutlich, dass viele Befragte digitale Lehre allenfalls als einen schwachen Ersatz für die Präsenzlehre und dezidiert als eine Übergangslösung betrachten (vgl. Klonschinski 2020a: 15, 26).[15] Einige Befragte geben sogar an, dass sie durch die digitalen Formate die Freunde an der Lehre verloren hätten.
Dass Online-Lehre und die digitale Kommunikation mit Kolleg*innen, Projektpartner*innen, Student*innen, zu Betreuenden oder Betreuer*innen wesentliche Ursachen für eine erhöhte Arbeitsbelastung darstellen, zeigt sich auch in anderen Studien. So geben in der De Gruyter-Befragung 68% der Personen, denen während der Corona-Pandemie keine oder weniger Zeit zum Schreiben verbleibt, als Grund die Online-Lehre an und 59% nennen „supervising others digitally“ als Ursache (Watchorn/Heckendorf 2020). Auch die von der Mittelbauinitiative Konstanz befragten Wissenschaftler*innen aus dem Mittelbau verzeichnen einen erhöhten Zeitaufwand der digitalen Lehre und eine an der Universität Hamburg durchgeführte Studie weist insbesondere für Mitarbeiter*innen mit hohem Deputat eine erhöhte Arbeitsbelastung im Sommersemester 2020 im Vergleich zu früheren Semestern nach (vgl. Mittelbauinitiative Konstanz 2020: 3; WiPR 2020: 25f.).
Regressionsanalysen der in Kiel erhobenen Daten zeichnen Lehrverpflichtungen als Hauptgrund für empfundene Mehrbelastung aus; Mitarbeiter*innen, die im Sommersemester in der Lehre tätig sind, haben demnach ein 3-mal so hohes Risiko, Mehrbelastung zu empfinden wie Personen ohne Lehrverpflichtung, und zwar unabhängig von Geschlecht und Elternschaft. Betrachtet man hingegen starke und sehr starke Mehrbelastung, so zeigt sich, dass Befragte mit Kindern signifikant häufiger eine starke Mehrbelastung empfinden als Befragte ohne Kinder. Die entscheidenden Faktoren bei starker Mehrbelastung sind also Lehre und Kinder, unabhängig vom Geschlecht.[16]
2.2 Forschung, Befristung und psychische Belastung
Die Zeit, die für Lehre und ggf. Kinderbetreuung zusätzlich investiert werden muss, geht auch zu Lasten der Forschung, wie oben im Zusammenhang mit der De Gruyter Studie bereits anklang. Eine Untersuchung von Myers et al (2020) bestätigt die Hypothese, dass Kinderbetreuung ein wesentlicher Faktor zur Erklärung geringerer Forschungstätigkeit ist: „[They] found that having a child under five was the biggest factor associated with a drop in research hour“ (Matthews 2020). Auch die Mehrheit der Kieler Befragten aus der Philosophischen Fakultät können ihre Forschung während der Corona-Pandemie nicht „im Wesentlichen wie bisher“ weiterverfolgen, wie folgende Abbildung zeigt:
Für über 63% der Befragten trifft es nicht zu, dass sie ihre Forschung im Wesentlichen wie vor der Pandemie haben fortführen können, für 42% trifft es überhaupt nicht zu und nur gut 20% geben an, im Wesentlichen wie bisher haben forschen zu können. Die Regressionsanalyse der Gesamtauswertung identifiziert auch hier Lehre als entscheidenden Faktor: Personen mit Lehrverpflichtungen geben häufiger an, ihre Forschung nicht im Wesentlichen wie bisher weiterverfolgen zu können, als Personen ohne Lehrverpflichtung. Der in Abbildung 2 dargestellte Unterschied im Antwortverhalten der Angehörigen der Philosophischen Fakultät und Befragten anderer Fakultäten ist dabei statistisch signifikant und deutet erneut auf den höheren Aufwand hin, den die digitale Lehre in geisteswissenschaftlichen Fächern verursacht.
Der erhöhte Zeitaufwand für Lehre und Kinderbetreuung ist dabei aber nicht die einzige Ursache für geringere Forschungstätigkeit. Weitere relevante Einflussgrößen sind neben dem mangelnden Zugang zu Literatur angesichts geschlossener Bibliotheken sowie der Absage von Konferenzen und Forschungsreisen insbesondere in der Situation im Homeoffice zu finden. Die damit verbundenen Probleme werden in der Auswertung der Kolleg*innen aus Konstanz prägnant zusammengefasst:
„Die Forschung wurde aber auch durch Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Home-Office-Situation beeinträchtigt, da zum Teil wichtige technische Infrastruktur (Schreibtisch, Bürostuhl, Drucker, leistungsfähiger Rechner, großer Bildschirm) und Arbeitsmaterial fehlen und das Arbeiten zuhause auch eine mentale Herausforderung (Konzentration, Produktivität, Ablenkbarkeit) darstellen kann“. (Mittelbauinitiative Konstanz 2020)
Diese Problemstruktur – materielle Ausstattung einerseits und psychische Belastungen andererseits – manifestierte sich auch in der Kieler Studie, in der einige Befragte angaben, sie fühlten sich „gefangen im Homeoffice“, litten unter der sozialen Isolation und hätten Schwierigkeiten, sich angesichts immer gleich ablaufender Tage für die wissenschaftliche Arbeit zu motivieren. Entsprechend geben auch in der Studie von De Gruyter 30% derjenigen, denen weniger oder gar keine Zeit zum Schreiben bleibt, als Grund „stressed, cannot concentrate“ an und 26% nennen „lack of daily routine“ (vgl. Watchorn/Heckendorf 2020). Als besonders problematisch erweist sich dabei für einige der in Kiel Befragten die fehlende Trennung von Beruflichem und Privatem im Homeoffice (vgl. Klonschinski et al. 2020a: 11, 26) und auch die Hamburger Umfrage zeigt, dass die Wissenschaftler*innen im Sommersemester 2020 häufiger als zuvor am Wochenende sowie abends oder nachts arbeiteten, um ihr Arbeitspensum zu bewältigen (vgl. WiPR 2020: 20, 27-30).[17]
Alle bisher genannten Aspekte der Arbeitsbelastung im Zuge der Corona-Pandemie treffen auf Professor*innen ebenso zu wie auf die Mitarbeiter*innen im Mittelbau. Wie in der Einleitung bereits angedeutet, hat ein Aussetzen der Forschungstätigkeit über ein oder womöglich zwei Semester indessen für befristet Beschäftigte eine erheblich negativere Auswirkung auf die akademische Karriere. Entsprechend zeigt die analytische Auswertung der Daten aus der Kieler Studie einen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen einem befristeten Beschäftigungsverhältnis und der Empfindung starker Mehrbelastung. Zudem gaben knapp 50% derjenigen, die ein Qualifikationsziel anstreben, an, dass sie befürchten, dieses Ziel aufgrund der Corona-Pandemie nicht in der dafür vorgesehenen Zeit erreichen zu können (vgl. Klonschinski 2020a: 17).
Obwohl mit der Anpassung des Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) bereits auf diese Problematik reagiert worden ist, gilt es zu betonen, dass das – bislang eine – „verlorene“ Semester, insbesondere für Doktorand*innen in der Anfangsphase ihrer Promotion, nicht einfach später nachgeholt werden kann. Es steht vielmehr zu vermuten, dass das vergangene Semester jungen Wissenschaftler*innen – „jung“ nicht im Sinne des akademischen „Nachwuchses“, der auch schon mal um die 40 ist, sondern „jung“ im Sinne von Mitte 20 – das vergangene Semester die Freude an Forschung und Lehre genommen hat bzw. gar nicht erst hat aufkommen lassen. Gerade in der frühen Phase der Promotion ist regelmäßiger Austausch mit Kolleg*innen und Betreuer*in an der Heimatuniversität sowie auf Tagungen essentiell; nicht nur fallen derzeit alle Konferenzen und persönliche Kontakte aus, die Betreuer*innen dürften selbst angesichts der hier genannten Herausforderungen viel beschäftigt sein (vgl. Mewburn 2020a). Auch lädt die Zeit allein im Homeoffice dazu ein, die Sinnhaftigkeit der Verfolgung einer akademischen Karriere in Frage zu stellen (vgl. Woolston 2020) – was nicht per se etwas Schlechtes sein muss, aber auch dazu führen kann, dass talentierte Nachwuchswissenschaftler*innen der Universität den Rücken kehren.[18]
Auf Nachfrage bei der Hochschulambulanz für Psychotherapie der Universität Kiel hin hieß es, es könne derzeit weder eine erhöhte Prävalenz psycho-pathologischer Erkrankungen festgestellt werden, noch sei es bislang zu vermehrten Anrufen ratsuchender junger Wissenschaftler*innen gekommen, die erwägen, ihre akademische Karriere abzubrechen. Dies sei aber auch nicht zu erwarten; die menschliche Anpassungsfähigkeit in krisenhaften Situationen sei hoch, die tatsächlichen Effekte starker Belastungen manifestierten sich häufig erst wesentlich später. Erschwerend könnte hinzukommen, was Mewburn (2020b) die „toxische Positivität“ der akademischen Welt nennt:
„Academia seems to be a profession where people seem to find it difficult to fully express grief, loss, disappointment and shame, possibly because of the competitive environment created by a scarcity of positions and resources. Toxic positivity stops people from admitting they are depressed, lonely or struggling to cope with the pressure and the pandemic has just sharpened this tendency.“ (Mewburn 2020b)
Wer die Wissenschaft verlässt, tue dies daher auch meist still und leise. Daraus ergibt sich in der Corona-Pandemie m. E. eine besondere Verantwortung für die Betreuer*innen bzw. Vorgesetzten und Kolleg*innen junger Wissenschaftler*innen, gerade in Zeiten von Social Distancing ihre Betreuungsfunktion wahrzunehmen.
3. Grundlegende Probleme
Um es zusammenzufassen: derzeitigen empirischen Evidenzen zufolge sind Online-Lehre und die digitale Betreuung der Studierenden gerade in den Geisteswissenschaften wesentlich zeitaufwändiger als Präsenzveranstaltungen und können als Hauptgrund für die Empfindung von Mehrbelastung sowie verringerte Forschungstätigkeiten gelten. Weitere Faktoren, die eine Mehrbelastung bedingen, sind Kinderbetreuung und die Befristung von Verträgen. Obwohl die Kieler Studie keine geschlechtsspezifischen Unterschiede hinsichtlich der Arbeitsbelastung und der Forschungstätigkeit von Männern und Frauen feststellen konnte und die Daten aus den Hamburger und Konstanzer Befragungen nicht differenziert nach Geschlecht ausgewertet worden sind, deuten bereits zahlreiche internationale Studien aus verschiedenen Fachbereichen darauf hin, dass Frauen stärker negativ betroffen sind als Männer. Dies wäre für die akademische Philosophie, die ohnehin einen im Vergleich zu anderen Geisteswissenschaften sehr niedrigen Frauenanteil auf der Ebene der Promovend*innen, Habilitierten und Professor*innen aufweist, besonders gravierend. Für Personen auf befristeten Qualifikationsstellen sind die Corona-bedingten Einschränkungen problematisch, insofern sie sich in kurzer Zeit qualifizieren und im Wettbewerb um (unbefristete) Stellen behaupten müssen. Gerade in frühen Phasen der Promotion sind sie zudem stärker als andere auf Austausch mit Kolleg*innen und Betreuer*innen angewiesen. Die anhaltende Homeoffice-Situation erweist sich für viele als sehr belastend und die langfristigen Folgen für die wissenschaftlichen Karrieren Einzelner sind noch nicht absehbar.
An Vorschlägen und Forderungen zur Kompensation der im Sommersemester erfolgten Mehrarbeit sowie zur Minderung der Arbeitsbelastung im kommenden Semester mangelt es, wie eingangs bereits festgestellt, nicht. Genannt seien hier etwa (i) temporäre Änderungen der Lehrveranstaltungsverordnungen, um digitale Lehre höher auf das Deputat anrechnen zu können, (ii) die pauschale Verlängerung befristeter Qualifikationsstellen[19] um die Dauer der Pandemie, sowie (iii) die Einstufung von an der Hochschule Lehrenden als „systemrelevant“, um Kinderbetreuung auch im Shutdown sicherzustellen. Obwohl derartige Maßnahmen dringend geboten sind, um momentane Belastungen abzufedern, dürfen sie nicht darüber hinwegtäuschen, dass die in der Corona-Pandemie virulent werdenden Probleme struktureller Natur sind und Anlass für grundlegende Reformen geben sollten (vgl. Schweiger 2020).
Ein Blick zurück in Prae-COVID-19-Zeiten ist an dieser Stelle erhellend. So nennt die Studie Arbeitsbelastungen, Ressourcen und Gesundheit im Mittelbau der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aus dem Jahr 2017 als zentrale Belastungsfaktoren an Universitäten „die zeitliche Befristung des Arbeitsverhältnisses und die daraus resultierende berufliche Unsicherheit, die zeitlichen Anforderungen, die mit Mehrarbeit kompensiert werden müssen, sowie die Vereinbarkeit von Familien-/Privatleben und Beruf“ (Poppelreuter 2019: 454). Der GEW Studie zufolge hatten im Jahr 2017 85% der wissenschaftlich und künstlerisch Beschäftigten eine befristete Stelle inne; etwa die Hälfte davon habe dies als belastend wahrgenommen, was insbesondere für Frauen der Hauptgrund gewesen sei, die Wissenschaft zu verlassen (vgl. GEW 2017: 28f.). Angesichts des bereits angesprochenen geringen Frauenanteils in der akademischen Philosophie erhalten diese Ergebnisse zunehmende Relevanz. Neben der mangelnden Perspektive nähmen Beschäftigte im Mittelbau zudem Zielkonflikte zwischen verschiedenen Tätigkeiten, insbesondere dem „Kerngeschäft“ von Forschung und Lehre, häufig als sehr belastend wahr. Mehrarbeit sei an der Tagesordnung, sodass die GEW Befristung und Mehrarbeit als Kernmerkmale der Anstellung an deutschen Universitäten ausmacht (vgl. GEW 2017: 29).
Die gefühlte Diskrepanz zwischen dem, was der Arbeitgeber Universität, gerade während der Pandemie, von seinen Mitarbeiter*innen fordert und was er ihnen im Gegenzug anbietet, drückt sich auch in den offenen Antworten der Kieler Studie aus, wie folgende Äußerung illustriert: „Die Universität verlässt sich hier ganz erheblich auf Mitarbeiter*innen, denen sie keine feste Perspektive bietet“ (Befragte*r, zitiert in Klonschinski 2020a: 15). Auch wird angemerkt, dass Befristung und die daraus resultierende Perspektivlosigkeit „an sich schon eine gewisse psychische Belastung mit sich bringen, da sich für uns immer wieder die Frage nach der Sicherheit unserer beruflichen und finanziellen Existenz stellt“; vor diesem Hintergrund sowie angesichts der Tatsache, „dass der Mittelbau schon aufgrund seiner Masse das Rückgrat des wissenschaftlichen Personals darstellt“, sei es besonders enttäuschen, dass die Universität ihren Fokus während des Corona-Semesters ausschließlich auf funktionierende Lehre gelegt und die Forschung, gerade im Mittelbau, überhaupt nicht thematisiert habe (Befragte*r der Kieler Studie, unveröffentlichtes Material). Die raren Dauerstellen an der Universität und damit die Unsicherheit über die berufliche Zukunft begünstigen zudem den scharfen Wettbewerb in der Qualifikationsphase, welcher wiederum durch die publish or perish-Kultur des Wissenschaftsbetriebs befördert wird – und diese zugleich befördert – , wie eine andere befragte Person beklagt:
„Ohne die Corona-Krise ist es m.E. schon höchst fragwürdig, inwieweit Qualifikationsstellen noch begründbar sind angesichts der Tatsache, dass der Großteil selbst der Habilitierten rein rechnerisch schon keine Chance auf eine Dauerstelle hat. Dank Corona gibt es zusätzliche Verzerrungen in einem ohnehin irrsinnigen Wettbewerb um die wenigen Dauerstellen, bei dem jede(r) unter die Räder kommt, die/der nicht bereit und/oder fähig (aufgrund von Erkrankungen, psychischen Belastungen, Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen) ist, sich ohne Pause und bis zur Erschöpfung im Wettbewerb aufzureiben“. (Befragte*r, zitiert in Klonschinski et al. 2020a: 27)
Es zeigt sich, dass in der GEW Studie mit Mehrarbeit, Zielkonflikten zwischen Forschung und Lehre, Unsicherheit angesichts von Befristung und Perspektivlosigkeit sowie Unvereinbarkeit von Familie und Beruf bereits die Faktoren genannt werden, die auch in den Befragungen zur Corona-Pandemie als wesentliche Einflussgrößen auf die Empfindung von Mehrbelastung identifiziert worden sind. Auch die Tatsache, dass die Krise Wissenschaftlerinnen besonders hart zu treffen scheint, lässt sich vor dem Hintergrund der hier angestellten Überlegungen auf problematische Strukturen zurückführen. Durch die Charakteristika des scharfen Wettbewerbs, des hohen Arbeitspensums sowie der durch zeitliche Befristung bedingten Mobilität setzt die akademische Karriere nämlich ein Individuum voraus, das sich, ungebunden, ausschließlich der Wissenschaft widmen kann; sie setzt, mit anderen Worten, das Ideal des männlichen Alleinverdieners voraus, dessen Partnerin ihm zu Hause die Care- und Hausarbeit abnimmt, soziale Kontakte pflegt und emotionale Unterstützung liefert. In einer nach wie vor von Geschlechtsrollenstereotypen und genderspezifischer Arbeitsteilung geprägten Gesellschaft erschwert dieses Ideal Frauen systematisch die wissenschaftliche Karriere.[20]
4. Fazit
Die Belastungen, mit denen sich der Mittelbau in der Corona-Pandemie konfrontiert sieht, sind bei näherem Hinsehen gar nicht so außergewöhnlich, sondern verstärken bestehende und bekannte strukturelle Probleme des Wissenschaftssystems. Dieses System und die damit verbundene Kultur, der zufolge man die besten Wissenschaftler*innen bzw. Philosoph*innen an der Anzahl ihrer publizierten Artikel sowie dem Umfang eingeworbener Drittmittel pro Zeiteinheit identifizieren könne, lassen sich nicht von heute auf morgen abschaffen. Insofern sind kurzfristige Maßnahmen, wie beispielsweise die Anpassung des WissZeitVG und die entsprechenden Vertragsverlängerungen, unerlässlich, um gegenwärtige Härten abzufedern. Zudem gilt es, die mittel- und langfristigen negativen Effekte der Pandemie auf befristet Beschäftigte auf Qualifikationsstellen sowie insbesondere auf Philosoph*innen mit Care-Verpflichtungen zu minimieren, um bestehende Ungleichheiten und Vulnerabilitäten nicht weiter zu verstärken. Wie genau entsprechende, effektive und faire Maßnahmen im Rahmen des bestehenden Systems aussehen können, bliebe zu diskutieren.
Ein nachhaltigerer Ansatz, der nicht nur den individuellen Beschäftigten zugutekäme, sondern damit zugleich die Universitäten für kommende Krisen wappnete, muss auf die Strukturen abzielen. Hier gilt es insbesondere, mehr unbefristete Stellen im Mittelbau schaffen, auch, um den Druck aus dem akademischen Wettbewerb zu nehmen. Dies würde nicht nur der „toxischen Positivität“ der Wissenschaft entgegenwirken, sondern auch dazu führen, dass eine Forschungspause von ein paar Monaten durch geschlossene Bibliotheken und Kitas, Isolation im Homeoffice oder die Sorge um Angehörige weder für Frauen noch für Männer zu solch einem existentiellen Problem würde, wie es gegenwärtig der Fall ist.[21] Leider scheint dieses Wissenschafts-Utopia angesichts der enttäuschenden Verpflichtungserklärungen der Länder zur Umsetzung des Zukunftsvertrags Studium und Lehre weit entfernt (vgl. GEW 2020).
Dieser Text erschien zuerst in den Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Philosophie, Nr 48, Sommer 2020, S. 2-10.
Andrea Klonschinski ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Praktische Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Ihre Forschungs- und Interessenschwerpunkte liegen in den Bereichen Philosophy & Economics und Feministische Philosophie. Außerhalb der Uni philosophiert sie gern über populäre Filme.
Literatur
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Watchorn, Deirdre und Esther Heckendorf (2020): We asked 3,000+ academics how they’re coping with Covid-19: this is what we found. De Gruyter Blog, 17. Juni, https://blog.degruyter.com/we-asked-3000-academics-how-theyre-coping-with-covid-19-this-is-what-we-found/?utm_source=dg_newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=cross_authorsurvey_acad_ww&utm_term=AK&utm_content=market_research, letzter Zugriff 20. Juni 2020.
Welch, Nancy (2020): A semester to die for. Dispatch from the frontline of care. Spectre, 6. Juli, https://spectrejournal.com/a-semester-to-die-for/, letzter Zugriff 12. Juli 2020.
Wiarda, Jan-Martin (2020): Im Hörsaal zu Hause. DIE ZEIT 26, 18. Juni, S. 35.
Wiedemann, Carolin (2020): Kinder, Küche, Corona Die Krise ist die Bühne des Patriarchats. Der Tagesspiegel, 29. April, https://www.tagesspiegel.de/kultur/kinder-kueche-corona-die-krise-ist-die-buehne-des-patriarchats/25783768.html, letzter Zugriff 20. Juni 2020.
WiPR (Personalrat des Wissenschaftlichen Personals der Universität Hamburg) (2020): Personalversammlung/Videokonferenz des wissenschaftlichen Personals, darin: Vorstellung der Ergebnisse einer Umfrage zur Arbeitsbelastung (Folie 9-31), 11. Juni, https://www.wipr.uni-hamburg.de/2-news/personalversammlung20200611/20200611 personalversammlung-folien1.pdf
Woolston, Chris (2020): Seeking an ‘exit plan’ for leaving academia amid coronavirus worries. Nature, 6. Juli, https://www.nature.com/articles/d41586-020-02029-6, letzter Zugriff 12. Juli 2020.
Endnoten
[1] O-Ton einer/eines Befragten aus Forschen und Lehren während der Corona-Pandemie – Auswertung einer Befragung unter Mitarbeiter*innen der CAU Kiel (Klonschinski 2020a: 28). Für wertvolle Hinweise zu diesem Text und der Thematik insgesamt danke ich Anne Döring und Elif Özmen.
[2] Siehe zum Beispiel die Stellungnahme der Society of Women in Philosophy (SWIP): https://swip-philosophinnen.org/stellungnahme-zu-belastungen-waehrend-der-corona-pandemie/, letzter Zugriff 01. Juli 2020, die des Vereins für Socialpolitik: https://www.socialpolitik.de/De/auswirkungen-der-corona-krise-auf-wissenschaftlerinnen, letzter Zugriff 06. Juli 2020.
[3] Siehe https://www.mehrbelastung.de, letzter Zugriff 01. Juli 2020.
[4] Als zum „Mittelbau“ gehörend verstehe ich hier alle Mitarbeiter*innen der Universität, die ein abgeschlossenes Hochschulstudium vorweisen können und keinen Lehrstuhl innehaben; kurz gesagt: alle in der „Mitte“ zwischen Student*innen und Professor*innen.
[5] Siehe hierzu etwa die Forderungen des DHV zum Ausgleich coronabedingter Nachteile, https://www.hochschulverband.de/fileadmin/redaktion/download/pdf/resolutionen/Forderungen_Corona-bedingt_11.05.2020.pdf.
[6] Neben der Kieler Befragung ist mir bislang nur eine Mitarbeiter*innen-Befragung des Personalrats Wissenschaft der Universität Hamburg sowie eine kleinere, qualitative Befragung der Mittelbauinitiative Konstanz bekannt.
[7] Den Ausführungen sei folgende Bemerkung vorangestellt: die im öffentlichen Dienst beschäftigten Wissenschaftler*innen befanden und befinden sich während der Corona-Pandemie und insbesondere während des Shutdowns in einer relevanten Hinsicht in einer privilegierten Position, insofern sie weder in Kurzarbeit geschickt wurden, noch Corona-bedingte Insolvenzen zu befürchten haben. Die Tatsache, dass es andere Beschäftigungsgruppen und vor allem Selbständige und Freischaffende wesentlich härter getroffen hat, macht die Beschäftigung mit der Situation des Mittelbaus allerdings aus den oben und im Folgenden genannten Gründen nicht obsolet.
[8] Siehe etwa Shurkov (2020), Wiedemann (2020) und Frederickson (2020).
[9] Ähnliches berichten zu dem Zeitpunkt Shurkov (2020) und Frederickson (2020), mittlerweile etwa auch Andersen et al. (2020), Matthews (2020), Vincent-Lamarre et al. (2020) und Myers et al. (2020).
[10] Für eine Zusammenfassung zentraler Ergebnisse und Details zur Stichprobe siehe auch https://blog.degruyter.com/wp-content/uploads/2020/06/De-Gruyter-Author-pulse-survey-results.pdf.
[11] Siehe für die vollständige Auswertung Klonschinski et al. (2020a).
[12] Die Befragten sollten die Aussage „Als Mitarbeiter*in der Universität empfinde ich eine Mehrbelastung während der COVID-19 Situation“ auf einer fünfstelligen Skala bewerten, wobei die Alternativen von 1 bis 5 von „überhaupt nicht“ über „wenig“ bis hin zu „sehr stark“ reichten.
[13] Siehe für die Auswertung der Daten für die Philosophische Fakultät im Vergleich zu den übrigen Fakultäten der CAU Klonschinski (2020b).
[14] In der Befragung waren Mitarbeiter*innen aus allen Fakultäten der CAU vertreten (https://www.uni-kiel.de/de/universitaet/einrichtungen-fakultaeten/fakultaeten-gemeinsame-einrichtungen), wobei nach der Philosophischen die Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät mit gut 30% am stärksten vertreten war.
[15] Siehe dazu auch den offenen Brief https://www.praesenzlehre.com sowie Wiarda (2020).
[16] Für die Ergebnisse der Regressionsanalysen siehe hier und im Folgenden Klonschinski et al. 2020a, Anhang 2.
[17] In einem Beitrag mit dem vielsagenden Titel „A semester to die for“ beschreibt Nancy Welch (2020) die Situation mit besonderem Fokus auf Care-Tätigkeiten und in äußerst düsteren Farben wie folgt: „From one survey response to the next, colleagues of all genders described how pandemic demands for their teaching and care-taking labor had broken any boundaries around the workday and workweek. Usurped was the time needed for a body to recreate, rest, recharge. Denied too: any time to replenish one’s self as a scholar, researcher, or artist—necessary time to invigorate university teaching; required for continued employment; […].“ [Hervorhebung AK]
[18] Inger Mewburn (2020b) berichtet auf ihrem Blog Thesiswhisperer.com von einer Studie, der zufolge fast die Hälfte der PhD-Student*innen in Australien überlegten, ihr Studium in den nächsten sechs Monaten aufzugeben. Insofern die Gründe dafür primär finanzieller Natur sind, sind die Zahlen nicht mit der Situation von an der Universität beschäftigten Doktorand*innen zu vergleichen, sehr wohl aber mit der Lage derjenigen Promovierenden, die sich ihre Promotion selbst finanzieren.
[19] Dass angesichts der Anpassung des WissZeitVG nicht alle Universitäten ihren Spielraum für eine pauschale Verlängerung befristeter Qualifikationsstellen genutzt haben, ist ausgesprochen bedauerlich, insofern die Bindung der Vertragsverlängerung an die kontingente Zustimmung der oder des Vorgesetzten bereits bestehende problematische Abhängigkeitsverhältnisse nur noch verstärkt. Zudem sind die Gründe dafür, dass das Semester die Arbeit an der Qualifikationsarbeit behindert hat, vielfältig und individuell – der Respekt gegenüber den Einzelnen in dieser besonderen Situation verlangt daher meines Erachtens eine generelle Verlängerung der Befristungen.
[20] Dieser Punkt ist sicherlich kontrovers, kann hier indes nicht weiter ausgeführt werden. Jedenfalls ist hier nicht gemeint, dass Frauen in der Wissenschaft im Allgemeinen und in der Philosophie im Speziellen generell von Männern intentional und böswillig unterdrückt würden. Es geht vielmehr darum aufzuzeigen, wie Genderstereotype auf Männer und Frauen wirken und so bestimmte gesellschaftliche Ungleichheiten (re)produzieren. In Bezug auf die Wissenschaft thematisiert dies etwa Valian (2005).
[21] Die Problematik der maßgeblich durch Geschlechtsrollenstereotype bedingten Ungleichheiten lässt sich selbstverständlich nicht allein durch Reformen des universitären Systems beheben, sondern bedarf umfassenderer gesellschaftlicher Veränderungen, wie der Appell der Sektion Politik und Geschlecht der DVPW (2020) unterstreicht.