Über das (eigene) Ende hinausdenken – Philosophie und deep adaptation

Von Daniel Neumann (Klagenfurt)


Der Klimawandel stellt uns nicht mehr vor eine Krise, die es abzuwenden gilt. Vielmehr haben wir den point of no return bereits überschritten. Die Frage lautet jetzt nur noch, wie wir mit dieser Erkenntnis umgehen sollen. Dies ist die Kernthese des 2018 von Jem Bendell veröffentlichten Paper Deep Adaptation: A Map for Navigating Climate Tragedy. In diesem Text frage ich mich, was die Philosophie als „Kunst, das Sterben zu lernen“, zu Bendells These beitragen kann.   

Jem Bendell, Professor für Nachhaltigkeitsforschung an der University of Cumbria, spricht sich nicht nur für einen neuen Umgang mit dem (vielleicht unvermeidlichen) gesellschaftlichen Zusammenbruch durch eine sich bereits abzeichnende Kaskade von Klimakatastrophen aus. Er geht auch auf die wissenschaftspolitischen Gründe ein, die gegen die Entfaltung der Perspektive sprechen, welche er anbietet. Einerseits lässt sich Forschung schlecht verkaufen, welche den Untergang der Gesellschaft vorhersagt, von der sie ermöglicht wurde. Andererseits gibt es politische und psychologische Gründe gegen eine solche Perspektive. So laufe der Pessimismus des Unabwendbaren Gefahr, den Sinn weiterer klimaschützender Maßnahmen vollkommen auszuhöhlen. Daneben spricht die Annahme gegen das individuelle Interesse, die Identität zu erhalten sowie gegen das allgemeine Interesse an der Stabilität der Werte des Zusammenlebens.

Und doch handelt es sich bei dem Vorschlag nicht, wie etwa Stimmen von Extinction Rebellion behaupten, um eine apokalyptische Verkündung oder einen Defätismus. Bendell schürt keine Angst vor einem globalen Kollaps, noch suhlt er sich im Pessimismus. Sein Denkanstoß ist viel simpler: Vielleicht ist die Hoffnung, eine globale Klimakatastrophe noch abwenden zu können, gerade dasjenige, was sie umso eher herbeiführt. Mit inkrementellen Verbesserungen wie grüner Unternehmenskultur und sporadischem Verzicht auf Flugreisen o.ä., so Bendells Interpretation der Ergebnisse der Klimaforschung, werden sich die non-linearen Effekte abschmelzender Polareismassen und auftauenden Permafrostböden nicht aufhalten lassen.

Vielmehr gilt es zu akzeptieren, dass der Klimawandel auch die eigene Existenz unausweichlich zum schlechteren bestimmen wird. Auf dieser Grundlage kann eine umfassendere Anpassung, deep adaptation, beginnen. Der besonders interessante und problematische Aspekt an Bendells Idee ist die mit dieser Erkenntnis einsetzende Trauerarbeit, welche nicht nur individuelle, sondern auch kollektive Formen annehmen kann und etwa als kommunale Selbstversorgung die Grenze zwischen der Trauer um das Ende des status quo und den Versuch, über diesen hinauszugehen, verschwimmen lässt.

Die Klimakrise und der Tod

Für die Frage des Umgangs mit der Katastrophenerwartung zieht Bendell auch die Gewissheit des eigenen Todes als zentralen Faktor in Betracht und führt dabei Ergebnisse aus der Sozialpsychologie und den environmental studies an, wo der Tod z.B. die Rolle einer „vital lie“ spielt. Den Tod zu verdrängen bedeute allerdings nicht nur, die Klimaveränderungen zu verdrängen, sondern auch den damit begriffenen gesellschaftlichen Zusammenbruch. Auffällig ist, dass in diesem Kontext keine Überlegungen darüber angestellt werden, wie ein positiver Umgang mit dem Tod zu Bendells Projekt einer „erweiterten Anpassung“ beitragen könnte.

Genau hier möchte ich die Philosophie ins Spiel bringen. Denn die Philosophie ist gerade jene Disziplin, mit der wir, nach Montaigne, der in Anlehnung an den antiken Stoizismus schreibt, „das Sterben lernen“. So lässt sich die These aufstellen, dass der Tod und insbesondere die Antizipation und Verdrängung des eigenen Sterbenmüssens einen grundlegenden Teil jener Trauerarbeit darstellt, die nach Bendell in der Anerkennung des gesellschaftlichen Kollapses liegt. Daher kann ein philosophisch geschulter Umgang mit der eigenen Vergänglichkeit dabei helfen, die Vorstellung einer nicht rückgängig zu machenden Klimakatastrophe nüchtern zu betrachten.  

Anstatt also, wie es die Kritiker von deep adaptation tun, Bendells Idee einen Mangel an Optimismus vorzuwerfen, ließe sich mit ihr unter Zuhilfenahme der Philosophie ein desillusionierter, aber nichtsdestotrotz engagierter Blick auf unsere Zukunft vorstellen. Indem ich im Folgenden einige philosophische Spielarten der Sterblichkeit auf ihre Brauchbarkeit für das Projekt der deep adaptation betrachte, geht es mir nicht nur um die Frage, wie wir laut der Philosophie mit dem eigenen, individuellen Tod umgehen können.

Wesentlich ist außerdem, welches Verhältnis zur Zukunft der jeweilige Umgang mit dem Tod eröffnet. Inwiefern gibt die Gewissheit des eigenen Todes der Zukunft ein teleologisches Gepräge? Wie verengt oder erweitert der Umgang mit dem Tod mein Blick auf das Kommende? Welche Rolle spielt dabei die Sterblichkeit der anderen? Den Tod auf individueller und kollektiver Ebene philosophisch zu reflektieren bildet einen wesentlichen Bestandteil bei der Durcharbeitung des „Pessimismus des Zusammenbruchs“, die laut Bendell zum jetzigen Zeitpunkt die einzige Möglichkeit darstellt, um wieder zu einem Optimismus zu gelangen.

Zwei Arten zu Sterben

Ich möchte den philosophischen Umgang mit dem Tod in zwei Arten teilen. Danach begreift die erste Art der Philosophie den Tod als individuelles, mit der Geburt besiegeltes Schicksal, dessen Unausweichlichkeit sich die Reflexion ohne Selbstmitleid stellen sollte. Die zweite Weise sieht im Sterbenmüssens ein Faktum, das die einzelnen Menschen im strengen Sinne nichts angeht, da sich der Tod und die eigene Existenz gegenseitig ausschließen.

Die erste Art finden wir etwa bei Seneca, der dazu rät, den eigenen Tod vor Augen zu behalten und stets mit dem Schlimmsten zu rechnen, sodass kein Unheil mehr eine böse Überraschung darstellen kann. Was hier zunächst wie ein Pessimismus aussieht, ist letztendlich vielmehr die Verabschiedung von allem Pessimismus und Optimismus zugleich. Die Gewissheit des Todes bildet eine Art Leitstern für das Leben, das sich damit in jedem Moment als noch nicht gestorben weiß. Dass sich die Zukunft auf das Bevorstehen des Todes zusammenzieht, hat eben auch den positiven Effekt, alle Erwartungen und Hoffnungen zu tilgen, mithin die Möglichkeit der Enttäuschung unmöglich zu machen.

Eine moderne Version dieser philosophischen Spielart findet sich in der Existenzphilosophie von Martin Heidegger. Hier wird der Tod begriffen als „die eigenste, unbezügliche, unüberholbare Möglichkeit“[1] des Daseins. Unter dieser Maßgabe hört der Tod auf, ein äußerliches, akzidentelles Ereignis zu sein und wird zu dem, was die eigene Existenz schlechthin auszeichnet. Als ein Weckruf reißt der Tod das Dasein aus dem Alltag und gibt der Lebenszeit eine neue Bedeutung, welche sich nun als vorlaufend auf den Tod hin verstehen lässt. Im Gegensatz zu Seneca reduziert Heideggers Todesanalyse die Bedeutung der Zukunft nicht auf eine Gegenwart, die jederzeit enden kann, sondern ermöglicht eine vorblickende Entschlossenheit, die mit dem eigenen Äußersten rechnet.

Beide Philosophen bieten damit einen Ansatz, um der laut Bendell nötigen Trauerarbeit zu begegnen. Die Angst vor dem globalen gesellschaftlichen Zusammenbruch würde nach Seneca durch die täglich eingeübte Erkenntnis abgedämpft, dass das eigene Leben kurz, vergänglich und vor keinen Gefahren geschützt ist. Mit Heidegger könnte man sich darauf besinnen, dass die Zeit, die bis zur endgültigen Katastrophe bleibt, nicht die existentielle Zeit ist, welcher man angesichts des eigenen Sterbenkönnens Sinn gibt. Der abstrakten Vernichtung, die sich als die zunehmend unwirtlicher werdenden Lebensbedingungen auf diesem Planeten ankündigt, steht so der eigene Tod gegenüber, für den man entschlossen Verantwortung übernimmt.

Den Tod als individuelles Schicksal zu begreifen heißt somit in dieser Situation, das eigene Leben (und Sterben) von dem größeren Zusammenhang, in dem wir als ressourcenlastige Lebewesen stehen, ein Stück weit zu entkoppeln. Die Philosophie gibt uns damit die Möglichkeit, oder fordert uns als stoische Lehre geradezu auf, mit unserem jeweiligen Tod Frieden zu schließen. Auch wenn diese Einstellung immer wieder errungen und gefestigt werden muss: Der Gleichmut, keine Angst oder Beklemmung vor dem eigenen Tod zu fühlen, stellt eine sehr mächtige Emotion dar, die gerade der Furcht vor einem unüberschaubar komplexen, globalen Geschehen den Stachel nehmen kann. In diesem Sinne heißt sterben zu lernen, den Blick von den beunruhigenden Ereignissen auf sich selbst zu lenken.

Mir scheint diese philosophische Einstellung aus zwei Gründen fragwürdig. Zum einen ist dieser Umgang mit dem Tod zutiefst egologisch. Indem der Tod primär seine Bedeutung als mein eigener Tod besitzt, wird das Sterben der anderen zu einem uneigentlichen Geschehen, insofern nur die Gewissheit meines eigenen Todes den philosophischen Sinn der Sterblichkeit eröffnet. Indem der Tod ausschließlich auf mich Bezug hat, ist mein Leben schicksalhaft an diese ultimative (Un)möglichkeit gebunden, welche mich zugleich gegenüber allen anderen Menschen und ihren jeweiligen Toden vereinzelt. Die Konsequenz davon ist eine verarmte Erwartungshaltung. Meine „Zukünftigkeit“ ist wesentlich durch die Gewissheit, sterben zu müssen, ausgezeichnet und verstellt so nicht nur die Vorstellung einer Welt ohne mich, sondern auch den Blick auf eine Zukunft, deren letzter Sinn nicht mein eigener Tod ist.

Persönlicher und anonymer Tod

Deshalb komme ich zurück auf die zweite philosophische Spielart, mit dem Sterben umzugehen, in welcher der Tod eher ein anonymes, denn ein persönliches Faktum darstellt. Dies ist bündig in Epikurs Chiasmus ausgedrückt: Wo ich bin, ist der Tod nicht. Wo der Tod ist, da bin ich nicht. Epikur gibt zwar freimütig zu, dass wir ohne metaphysischen Überrest durch den Tod ausgelöscht werden. Aber doch sind es nicht wir im strengen Sinne, die der Tod ereilt, denn als Lebewesen sind wir gerade dadurch ausgezeichnet, dass wir leben und streben. Es handelt sich hier auch nicht um einen sophistischen Streit um Worte, etwa in dem Sinne, dass Epikur eigentlich mit Seneca übereinstimmen würde, dass wir nicht tot sind, sondern nur bis an die Grenze des Todes existieren. Der Unterschied zwischen beiden ist grundlegender. Während Epikur nämlich behauptet, dass der Tod uns nichts angeht, geht uns unser Tod nach Seneca sehr wohl an, so sehr, dass wir täglich über unsere Vergänglichkeit meditieren sollten. Entgegen dieser morbiden Praxis lautet Epikurs Rat, der die Kürze und Abruptheit des Lebens nicht weniger in Rechnung stellt, sich mit dem Nötigsten für ein sorgloses Leben zufrieden zu geben und dieses in Anwesenheit von Freunden zu verbringen.

Doch folgt nach meinem Verständnis aus dieser Einstellung zum Tod nicht nur der moderate Hedonismus, mit dem sich Epikurs Name verbindet, sondern die Möglichkeit, Leben und Sterben miteinander zu teilen. Diese Gemeinschaftlichkeit, welche auch Epikurs berühmter Garten bezeugt, den er mit seinen Anhängern bewohnte und bewirtete, unterscheidet sich gerade darin von den beiden besprochenen Ansätzen, dass der Tod als endgültiges Motiv des Handelns und Denkens eingeklammert wird.

Es handelt sich dabei nicht einfach um Gleichgültigkeit, denn diese würde wiederum die Angst vor dem Tod durch die Hintertür herein lassen und damit den gleichmütigen, lustvollen Verlauf des Lebens stören. Vielmehr finden wir bei Epikur, zumindest im Ansatz, die Idee, dass all jene Motive, welche die Angst vor dem Tod auszeichnen, durch die Ausbildung und Kultivierung von Freundschaften eingedämmt werden können. Freunde helfen bei der Kontingenzbewältigung und bieten ein Netzwerk zum gegenseitigen Schutz. Dass die Bedeutung der Freundschaft in der Geschichte des Epikureismus sowohl Nutzen als auch Selbstzweck einschließt, bestätigt an dieser Stelle lediglich ihre umfassende Rolle, die Beunruhigung durch die eigene Vergänglichkeit durch reziproke Verhältnisse zu temperieren, anstatt auf „das Eigenste“ abzustellen.

Damit hat die epikureische Variante gegenüber der ersten Spielart einen entscheidenden Nachteil: Die Mäßigung der Angst vor dem Tod hängt nicht von mir allein ab, sondern auch von meinem Verhältnis zu anderen. Aber gerade das macht sie interessant für den Vorschlag einer erweiterten Anpassung an die, wie Bendell es nennt, „Klimaträgodie“. Die berechtigte Unruhe über die zunehmenden Naturkatastrophen nur mit sich selbst ausmachen zu wollen und darin eine Beruhigung zu finden, führt in eine Sackgasse. Die Versöhnung mit dem eigenen Tod ist möglich, aber sicher nicht nachhaltig. Ich habe angedeutet, inwiefern sich die epikureische Vorstellung hiervon unterscheidet. Epikurs Idee eines anonymen Todes wirft uns nicht zurück auf den jetzigen Moment, da wir unsere existentiellen Möglichkeiten ergreifen können, sondern lenkt die Aufmerksamkeit auf eine Zukunft, die dadurch ausgezeichnet ist, dass wir in ihr weiterhin eine gemeinsame, maß- und lustvolle Existenz fortsetzen wollen.

Das mag im ersten Moment sehr unbestimmt klingen. Doch die bisherige Diskussion hat gezeigt, dass dem nicht so ist. Was dieser Zukünftigkeit abgeht, ist ebenso eine Teleologie, die durch das eigene Sterbenmüssen gesetzt ist, wie ihr Gegenteil, die Angst davor, in dieser Zukunft nicht mehr vorzukommen. Handelt es ich damit schlicht um eine Verdrängung der eigenen Sterblichkeit, also dem Gegenteil der Trauerarbeit?  Diese Frage würde ich verneinen, denn der Gedanke des Todes wird zwar zugelassen, aber nicht ausschließlich an der eigenen Existenz festgemacht. Es ist eine Trauer um die anderen ebenso wie um mich selbst, die aber nicht zu trennen ist von einem gemeinsamen Streben, in der Existenz zu verharren.

Indem der anonyme Tod nur die rein negative Rückseite des Lebens bildet, wird er, wie Heidegger sagt, „unbezüglich“. Aber nicht aus dem Grund, weil er ausschließlich auf mich bezogen wäre, sondern weil er im strengen Sinne auf niemanden bezogen ist. Somit bestünde der Ratschlag Epikurs darin, die Besorgnis um die zunehmende Erderwärmung nicht „persönlich“ zu nehmen, sondern sich daran zu erinnern, dass ihr Sinn nur in einer gemeinsamen Zukunft liegen kann, wobei es unsere Entscheidung ist, ob wir diese Zukunft als ein geteiltes Leben oder ein geteiltes Sterben begreifen wollen.


Daniel Neumann ist Universitätsassistent an der Universität Klagenfurt und schreibt seine Dissertation über die Geschichte des cartesianischen Dualismus.


[1] Martin Heidegger, Sein und Zeit (Tübingen: Max Niemeyer 1972), S. 250.