10 Sep

Kühler Kopf in hitziger (Klima)kommunikation – Warum Wissenschaftskommunikation Emotionen verstehen muss

Von Ronja Gronemeyer (Bremen)


In Zeiten vielfach verwobener Krisen stehen Forschende vor einer Herausforderung: Wie kommuniziert man wissenschaftliche Erkenntnisse, die tiefgreifende Emotionen und essentielle Zukunftsängste auslösen können? Besonders die Klimakatastrophe löst bei vielen Menschen starke Gefühle aus – von Angst und Wut bis hin zu tiefer Trauer um die Verluste unseres Planeten. Wie können Forschende sich ethisch wertvoll in die oftmals hitzigen Debatten einbringen?

Klimakommunikation – Ethische und emotionale Dimensionen

Gutes Handeln braucht Emotionen, wie wir von Martha Nussbaum lernen: Emotionen beeinflussen unsere Fähigkeit, ethisch zu handeln, maßgeblich. Angst oder Wut können es erschweren, Mitgefühl kann es begünstigen. Eine ethische Handlung braucht aber zunächst eine ethisch wertvolle Absicht, die im Vorhinein formuliert werden sollte. Ethisch wertvolle Wissenschaftskommunikation könnte eine akkurate Darstellung von Wissen aus einer mitfühlenden, der Zielgruppe zugewandten Haltung heraus anstreben[1]. Forschende können Brücken bauen, um Wissen zugänglich zu machen – nicht nur kognitiv, auch emotional!

Eigene Abbildung

Was ist eine Emotion? 

Doch was ist genau eine Emotion? Die Philosophin Eva Guskar[2]  beschreibt sie als ‚gerichtetes Fühlen‘. Anders als Martha Nussbaum hält Guskar das körperliche Erleben für einen integralen Bestandteil von Emotionen: Sie sind ein Faktorenkomplex aus körperlichem Spüren, Überzeugungen, Vorstellungen, Wünschen und Sachverhalten außerhalb des Körpers und bieten uns einen komplexen eigenen Weltbezug.

Mit Emotionen beziehen wir uns also auf die Welt – in dreifacher Hinsicht:

Erstens beziehen wir uns auf etwas, den Gegenstand der Emotion. Dies könnte ein Forschungsergebnis sein, zum Beispiel ein prognostizierter Meeresspiegelanstieg. Zweitens auf ein formales Objekt, eine bestimmte Art, wie wir uns auf das Etwas beziehen – nämlich, dass der Meeresspiegelanstieg Menschen Schaden zufügt. Drittens gibt es ein Hintergrundobjekt, welches das formale Objekt für uns bedeutsam macht. Das mit dem Meeresspiegelanstieg prognostizierte Leid von Menschen schmerzt uns, wenn wir uns mit ihnen global und solidarisch verbunden fühlen.

Emotionen erfragen

Manchmal überfallen uns Emotionen regelrecht. In anderen Fällen sind unsere Emotionen überhaupt nicht klar. Guskar beschreibt Zustände, die sich (noch) nicht in strukturierte Emotionen fassen lassen, als Gefühlsvagheit und Gefühlschaos, zwei Formen von Prä-Emotionen. Der Bezug dieser Prä-Emotionen auf Objekte in der Welt ist uns nicht nur unklar, er ist noch überhaupt nicht ausgebildet.

Um eine Emotion zu verstehen, müssen wir uns zuerst zwei Fragen stellen: „Was fühle ich?“ und „Warum fühle ich das?“ Das ‚Was‘ liefert uns das formale Objekt und den Gegenstand der Emotion, das ‚Warum‘ die Gründe, die eine Emotion entstehen lassen. Dabei müssen wir erst das ‚Was‘ verstehen, um nach dem ‚Warum‘ fragen zu können.

Unbewusste Emotionen als Risiko

Nehmen wir an, eine Forscherin soll einen Vortrag zum Thema Meeresspiegelanstieg halten. Sie steht dem Auftrag mit unklaren Gefühlen gegenüber. Erst durch gezielte Selbstreflexion wird ihr bewusst: Sie ist frustriert über die mangelnde politische und gesellschaftliche Veränderungsbereitschaft angesichts der globalen Katastrophe.

Wäre diese Emotion unbewusst geblieben, hätte sie möglicherweise aus einem emotionalen Affekt heraus den Vortrag verweigert und ihre Ergebnisse stattdessen in sozialen Medien geteilt. Die Folgen könnten negativ sein: Verwirrung in der öffentlichen Debatte oder Verunsicherung in der Bevölkerung. Erst wenn Emotionen bewusst sind, können wir uns für einen unseren Werten angemessenen Umgang damit entscheiden.

Klare Emotionen sind ein Prozess

Was aber, wenn wir wissen, dass wir etwas fühlen, aber nicht, was? Um Gefühlschaos oder Gefühlsvagheit zu klären, benötigt es oft einen aktiven Prozess. Statt nur in uns hineinzuhorchen, blicken wir dabei auf relevante Umstände und reflektieren unsere Situation kritisch. Welche Objekte können wir ausmachen, die uns emotional betreffen könnten? Ob etwas wirklich Auslöser einer Emotion ist, fühlen wir emotional, nicht nur, aber eben oft auch im Körper. Entscheidend ist, uns ehrlich und ergebnisoffen zu fragen, was wir fühlen, statt zu versuchen, (unechte) Emotionen zu fühlen, die wir für ethisch angemessen halten. Rationale Überlegungen haben für akute Emotionen wenig Wirkkraft. Gleichzeitig können wir durchaus unsere emotionalen Dispositionen entsprechend unseren Werten beeinflussen – indem wir eine bestimmte Art und Weise kultivieren, wie wir die Welt wahrnehmen.

Der Kontext: Wissen einordnen

Wie kann eine angemessene Emotionalisierung in der Wissenschaftskommunikation gelingen? Emotionen zeichnen sich stark durch ihren Bezug zur Welt aus. Indem Forschende Wissen in einen Kontext setzen, bieten sie ihrer Zielgruppe Bezüge an, mit denen sie selbst Emotionen ausbilden können. Statt vorgefertigte Emotionen zu vermitteln oder gar die eigenen unbewusst den Rezipierenden überzustülpen, gilt es, einen Rahmen zu schaffen, in dem sich bei den Rezipierenden eigene Emotionen entwickeln. Auch wenn Forschende sich um Objektivität bemühen, ist ihre eigene Perspektive doch immer subjektiv und durch einen emotionalen Fokus geprägt – Das dürfen sie transparent machen!

Indem Forschende den Umgang mit eigenen Emotionen üben, können sie auch die Emotionen ihrer Zielgruppe besser nachvollziehen – und besser antizipieren, wie ihre Kommunikation emotional aufgenommen werden könnte.  

Mitgefühl schützt vor Überwältigung

Emotionen haben das Potenzial, einen Bezug zu abstrakten Sachverhalten herzustellen. Doch Vorsicht ist geboten: Zu viel Erregung kann kontraproduktiv sein und das kognitive Verstehen blockieren. Der Kontext des prognostizierten Leids angesichts eines erhöhten Meeresspiegelanstiegs kann empathischen Stress auslösen. Menschen fühlen dann empathisch die schwierigen Emotionen mit und sind dann mit ihrem eigenen Schmerz beschäftigt.

Eine Lösung könnte darin liegen, eine mitfühlende Haltung zu kultivieren und zu propagieren. Mitgefühl ist pro-sozial auf andere Menschen bezogen und erzeugt eine Motivation, deren Leid zu lindern. ‚Caring about the others suffering, not sharing it'[3], lautet die Devise. Mitgefühl kann zum Beispiel in buddhistischen, Herz-öffnenden Metta-Meditationen kultiviert werden. Aber auch achtsames Zuhören im Alltag, bei dem wir ganz mit unserem Gegenüber präsent sind, um diesen zu verstehen, kann zu einer mitfühlenden Haltung beitragen. Mitgefühl impliziert eine Aktivierung des sogenannten ‚Care-Systems‘, ein Motivationssystem, das auf Verbundenheit und Fürsorge ausgelegt ist[4]. Mitgefühl tut gut – nicht nur anderen, auch uns selbst! Auf hormoneller Ebene kann unser Level des stress-assoziierten Hormons Cortisol sinken.

Auch Emotionen wie Angst und Wut können uns stark motivieren – sie sind mit unserem Bedrohungs-System verknüpft. Angst und Wut können jedoch das Denken, Verstehen und jede Form der (Wissenschafts-)kommunikation blockieren. Eine Motivation durch Mitgefühl scheint deutlich gesünder und nachhaltiger – für alle Beteiligten.

Fazit: Ein Balanceakt für die Wissenschaft

Eine perfekt ausbalancierte, stets angemessen emotionalisierte Wissenschaftskommunikation bleibt utopisch. Besonders, da die Frage nach der angemessenen Art und Intensität von Emotionen von verschiedenen Menschen, kulturell und persönlich geprägt, verschieden beantwortet werden kann.

Dennoch lohnt es sich für Forschende, Emotionen bewusst in den Kommunikationsprozess einzubeziehen:

1. Die eigene Situation betrachten, eigene Emotionen klären und eine bewusste innere Haltung kultivieren

2. Evaluieren, wie Emotionen zielführend in eine ethisch wertvolle Wissenschaftskommunikation eingebracht werden können.

3. Die eigenen Emotionen transparent machen und einen geeigneten Kontext wählen, um eine angemessene Emotionalisierung der Zielgruppe zu erreichen.

In hoch emotionalisierten Krisenzeiten kann ein reflektierter Umgang mit Emotionen das Vertrauen in die Wissenschaft stärken. Stabile Brücken zu bauen braucht nicht nur Wissen und ethische Überlegungen – sondern auch emotionale Kompetenz. Idealerweise können sich Menschen darüber Wissen, Schritt für Schritt, kognitiv und emotional erschließen.

Um tragfähige Verbindungen von Forschung zur Gesellschaft zu bauen, brauchen Forschende selbst ein stabiles emotionales Fundament, beispielsweise durch sorgsam kultiviertes Mitgefühl.


Die Inhalte dieses Beitrages sind in ausführlicher Form in meiner Masterarbeit mit dem Titel: “Emotionen von Forschenden in ethisch wertvoller Wissenschaftskommunikation – eine systematische Analyse” niedergeschrieben. 


Ronja Gronemeyer hat an der Universität Bremen Physik und Philosophie studiert. Sie fasziniert es, immer wieder zu versuchen, die Welt zu verstehen. Das hat Sie motiviert, ein Masterstudium in Physik (Fokus: komplexe Systeme) abzuschließen und sich anschließend der Philosophie zuzuwenden, die ihr auch ermöglicht ihre Gedanken in Worte zu fassen.  


Quellen

Das Beitragsbild ist generiert von DALL·E 3, Abgerufen am 20. Juni 2024, von https://www.openai.com/dall-e; Prompts: 1. Kannst du ein Bild des emotionalen Aspekts der Wissenschaftskommunikation über steigende Meeresspiegel generieren? 2. Kannst du eine abstrakte Interpretation des Prompts machen?

[1] Vgl.  Fabien Medvecky und Joan Leach. An Ethics of Science Communication. en. Cham: Springer International Publishing, 2019.

[2] Eva Weber-Guskar. Was es heißt, Emotionen zu verstehen. en. Hrsg. von Wilfried Hinsch und Lutz Wingert.Walter de Gruyter, Feb. 2009.

[3] Nach Max Scheler. The Nature of Sympathy, tr. Peter Heath. 1954

[4] Tania Singer und Matthias Bolz. Mitgefühl: In Alltag und Forschung. Max-Planck-Institut für Kognitions-und Neurowissenschaften, 2013.