06 Aug

Kants Theorie des Kunstschönen heute

Von Larissa Berger (Siegen)

Zentrales Charakteristikum des kantischen Kunstschönen ist, dass es Ausdruck sogenannter ästhetischer Ideen ist. Wir kennen rationale Ideen bzw. Vernunftideen als Begriffe, denen nichts in der Anschauung entsprechen kann. Die ästhetische Idee bildet das „Gegenstück (Pendant)“ dazu in der Anschauung: Es ist „eine Vorstellung der Einbildungskraft die viel zu denken veranlaßt, ohne daß ihr doch irgend ein bestimmter Gedanke, d. i. Begriff, adäquat sein kann“ (KU: 314). Interessanterweise können uns aber gerade ästhetische Ideen dabei verhelfen, rationale Ideen indirekt anzuschauen. Dabei hat Kant das Zusammenspiel dreier Elemente vor Augen. Den Ausgangspunkt bildet eine rationale Idee (möglich ist auch ein empirischer Begriff, der über das Erfahrbare erweitert wird); beispielhaft nennt Kant den Begriff vom Gott Jupiter. Diesen Begriff verknüpft die Künstlerin zweitens mit einem ästhetischen Attribut, welches die mit dem Begriff „verknüpften Folgen und die Verwandtschaft desselben mit anderen ausdrück[t]“ (KU: 315). Jupiter würde etwa indirekt durch einen Adler mit Blitzen in den Klauen dargestellt. Entscheidend ist das dritte Element. Die Rezipient*innen assoziieren mit dem ästhetischen Attribut nämlich eine Mannigfaltigkeit an Vorstellungen, etwa eine stürmische Nacht, Macht, Erhabenheit etc. Es ist diese Mannigfaltigkeit an assoziierten Vorstellungen, die einerseits aufgrund ihrer schieren Vielzahl unser begriffliches Vermögen sprengt, andererseits aber auf die zugrunde liegende rationale Idee (bspw. den Gott Jupiter) verweist. Wichtig ist, so denke ich, dass Kant Kunst in einem doppelten Sinne als sinnhaft begreift: Erstens liegt Kunstwerken ein tiefergehender Sinn zugrunde – eben eine rationale Idee; zweitens muss auch das ästhetische Attribut sinnhaft sein (d. h. eine konkrete Bedeutung haben), damit es in den Rezipient*innen Assoziationen hervorruft, die mit der zugrunde liegenden rationalen Idee sinnvoll verknüpft sind.

Ich will nun kurz zeigen, dass diese doppelte Sinnhaftigkeit hinter die zeitgenössische Vielfalt an Kunst und Kunstrichtungen zurückfällt. Erstens ist hier im Bereich der bildenden Kunst an nicht-repräsentationale, abstrakte Kunst zu denken. Denn in Kants Konzeption des ästhetischen Attributs scheint das konkret Dargestellte sowohl das Spiel mit Assoziationen als auch den Rückbezug auf die zugrunde liegende Vernunftidee zu gewährleisten. (Mir scheint jedoch nicht ausgeschlossen, dass auch in einem abstrakten Gemälde beispielsweise eine chaotische Zusammenstellung spitzer Formen auf die zugrunde liegende Idee des Krieges verweisen könnte.) Zweitens berücksichtigt Kants Konzeption ästhetischer Ideen nicht solche Kunst, die auf keinerlei Weise sinnhaft sein will, sondern explizit Unsinn evozieren will. Hier ist etwa an den Dadaismus zu denken. Drittens sperrt sich Kants Konzeption ästhetischer Ideen gegen solche Kunstformen, die nicht über das konkret Dargestellte hinausweisen wollen, die also auf kein dahinterliegendes, indirekt dargestelltes Sinnhaftes verweisen wollen. Hier wäre etwa an konkrete Poesie zu denken.

Es zeigt sich, dass Kants Theorie schöner Kunst mit ihrem Fokus auf das Sinnhafte und (indirekt) Dargestellte in der Kunst seiner Zeit verhaftet bleibt und auf einige spätere Kunstformen nicht anwendbar ist. Erwähnenswert ist noch, dass Kants Kunstverständnis auch Werke ausschließt, die den Rezipient*innen keine Freiheit im Assoziieren und Reflektieren lassen, sondern uns ihre Bedeutung mit aller Macht aufzwingen. Ob wir aber solche Werke, man denke nur an Propaganda, in einem heutigen Verständnis als Kunst einstufen wollen würden, ist äußerst fraglich.