LehrGut. Für gute Lehre.
Von Anne Burkard (Göttingen), David Lauer (Kiel), David Löwenstein (Düsseldorf) und Almut v. Wedelstaedt (Bielefeld)
Es ist Zeit für ein neues Forum für den Austausch über Fragen und Methoden der akademischen Lehre im Fach Philosophie. Vor einigen Tagen startete LehrGut – der Blog für philosophische Hochschullehre. Und wir laden Sie und Euch – Lehrende und Studierende der Philosophie – herzlich dazu ein, mitzumachen!
Es ist ein vertrauter und plausibler Gedanke, dass zwischen der Kunst und Wissenschaft der Philosophie und ihrer Lehre ein engerer Zusammenhang besteht als etwa zwischen der Kunst und Wissenschaft der Medizin und ihrer Lehre. Es ist kein Zufall, dass die ersten institutionalisierten Stätten des Philosophierens, die unsere westliche Tradition kennt, die griechischen Schulen sind – die Akademie, das Lyzeum, die Stoa, der Garten. (Das Logo unseres Blogs soll daran erinnern.) Natürlich umschließt die lange Geschichte der Philosophie auch kanonische Figuren, die nicht gelehrt, sondern nur geschrieben haben. Aber für die meisten Philosophierenden von der Antike bis heute dürfte gelten, dass ihre Philosophie sich wesentlich zumindest auch in ihrer Lehre verwirklichte.
Allerdings fallen das Philosophieren und das philosophische Lehren, trotz dieses engen Zusammenhangs, nicht einfach zusammen, insbesondere im folgenden Sinne: Dass jemand gut philosophiert, impliziert nicht, dass sie gut Philosophie lehrt. Freilich wurde genau dies noch bis vor verhältnismäßig kurzer Zeit oft behauptet – meist, um die Idee abzuweisen, es bedürfe einer besonderen Ausbildung, Schulung und Reflexion der philosophischen Lehrpraxis.
Entsprechend war es lange um die philosophische Lehre an den Hochschulen bestellt. Noch vor 20, 30 Jahren sahen Lehrveranstaltungen in der Philosophie zu oft so aus: Es gab Vorlesungen, in denen ein Professor seine Überlegungen mitteilte, und es gab Seminare. Im guten Fall wurden hier Bücher und Aufsätze gemeinsam gelesen und diskutiert. Im – nicht seltenen – schlechteren Fall wurde das professorale Monologisieren umstandslos fortgesetzt oder eine vierzehnwöchige Kette uninspirierter studentischer Referate abgenickt. Ab und an gab es einen Seminarplan und weitere Literaturempfehlungen, oft nicht einmal das. Dass immer wieder und hier wie dort auch didaktische Ausnahmetalente wirkten – und dort, wo sie waren, wusste man, wer sie waren – bestätigte meist nur die Regel.
Seitdem hat sich viel getan. Hochschullehre hat sich verändert, auch in der Philosophie. Das liegt zu einem nicht geringen Teil daran, dass die Hochschulen sich radikal verändert haben. Die heutige Universität hat nichts mehr zu tun mit Platons Akademie. Sie hat nicht einmal mehr viel zu tun mit der Universität des mittleren 20. Jahrhunderts – der Universität der Adornos, Gadamers, Ritters und Stegmüllers –, als ein Philosophiestudium die Sache einer zahlenmäßig kleinen, humanistisch gebildeten bildungsbürgerlichen Elite war. Seither folgte eine enorme Bildungsexpansion, die annähernd die Hälfte eines Abiturjahrgangs an die Hochschulen führt, es folgte die Demokratisierung und Ausdifferenzierung der Hochschulen, es folgte ein tiefgreifender demographischer Wandel, nicht zuletzt folgten „Bologna“ und die digitale Transformation, die wir gerade erleben. Wie auch immer wir diese Entwicklungen im Einzelnen bewerten: Im Ergebnis sind heutige Lehrende der Philosophie mit einer heterogenen Studierendenschaft und mit institutionellen Realitäten wie etwa übervollen Seminaren und katastrophalen Betreuungsrelationen konfrontiert, an denen die Auffassung, man müsse „einfach nur“ gut philosophieren und benötige für die Lehre keine darüber hinausgehenden Kenntnisse und Fähigkeiten, schlicht und einfach zerschellt.
Und so haben sich die Anforderungen an philosophische Hochschullehre gewandelt. Für Lehrveranstaltungen werden Lehr- und Lernziele ausgewiesen, für Studiengänge werden Qualifikationsziele und für ganze Institutionen Lehrleitbilder formuliert. Das Studium soll zugleich auf die akademische Philosophie und die außerakademische Berufstätigkeit vorbereiten, meist auch auf das Lehramt für verschiedene Schulformen. Die Formen der Leistungserbringung sollen zu einem aufsteigenden Kompetenzerwerb beitragen und die Studierenden ohne Anwesenheitspflicht bei der Stange gehalten werden. In heterogenen Lerngruppen sollen alle motiviert werden, sich möglichst auch mündlich zu beteiligen. Dabei sollen Lernen und Lehren außerdem auch noch Spaß machen, ohne zu viele Ressourcen auf allen Seiten zu verschlingen.
Die Herausforderungen sind also scheinbar unendlich. Und es ist bewundernswert, wie viele Lehrende sich diesen Herausforderungen immer und immer wieder stellen, neue Ideen entwerfen, ausprobieren und weiterentwickeln. Dennoch wird es ihnen häufig schwerer gemacht, als nötig wäre. Bei der akademischen philosophischen Ausbildung steht meist und nach wie vor allein die fachwissenschaftliche Ausbildung im Vordergrund. Was die Lehre betrifft, werden Nachwuchswissenschaftler:innen in der Regel immer noch ins kalte Wasser geworfen und ohne Vorbereitung vor irgendeine Seminargruppe gestellt. Lehrfortbildungen und -zertifikate sind eine persönliche, aufwändige und freiwillige Zusatzleistung, für die es wenig Anerkennung gibt – im schlimmsten Fall den gut gemeinten Rat, nicht zu viel Zeit „für so etwas“ zu opfern und sich lieber auf das Forschen zu konzentrieren.
So erscheint der Umgang mit Erfahrungen, Herausforderungen und Schwierigkeiten in der Lehre als eine Privatangelegenheit. Der Umgang damit findet meist im Modus des Einzelkämpfertums statt. Viele engagierte Lehrende in der Philosophie machen sich intensiv über ihre Lehre Gedanken und probieren in ihren Lehrveranstaltungen Neues aus. Selbst die Kolleg:innen am selben Institut erfahren davon jedoch häufig bloß durch Zufall – wenn überhaupt. Und das ist nicht gut. Wenn alle Lehrenden immer wieder bei Null anfangen und alles alleine durchdenken, kostet das wertvolle Ressourcen. Von den Ideen und Erfahrungen anderer zu lernen, kann helfen, solche Ressourcen freizumachen, die dann wiederum für anderes eingesetzt werden können.
LehrGut ist ein Versuch, zur Verbesserung dieser Situation einen Beitrag zu leisten. Der Blog soll ein Ort sein, an dem Lehrende in ihrem Umgang mit Herausforderungen bei der Gestaltung von Lehrveranstaltungen in der Philosophie Unterstützung finden. Er soll ein Ort sein, an dem Ressourcen gebündelt werden, ein Ort, um Ideen und Erfahrungen vorzustellen und zum Austausch einzuladen. Dort kann man Probleme schildern, Ideen beschreiben, von good practice-Beispielen berichten, kurz: sich zu allen Fragen philosophischer Hochschullehre austauschen, die in ähnlicher Form die meisten, wenn nicht alle Hochschullehrende der Philosophie betreffen. Fragen wie:
- Was sollten Lehrende tun, wenn einige Studierende sich aktiv beteiligen, die Masse aber schweigt?
- Werden die Studierenden wirklich immer schlechter? Und die Lehrenden immer lustloser?
- Müsste philosophische Lehre inklusiver gestaltet werden? Was hieße das?
- Wie lässt sich philosophisches Schreiben lernen und lehren?
- Wo liegen die spezifischen Stärken und Schwächen bestimmter Lehrveranstaltungs- und Prüfungsformen? Welche Formate neben klassischen Vorlesungen und Seminaren könnten interessant sein?
- Wo finden Lehrende, die ihre Seminarpläne diversifizieren möchten, Unterstützung und Ressourcen?
- Wie lassen sich Korrekturen und Feedback so gestalten, dass sie produktiv für Studierende sind und zugleich in vertretbarem zeitlichen Rahmen für Lehrende bleiben?
- Wie können Lehrende auf technologische Entwicklungen reagieren, die neue Anforderungen an Lehre und Prüfungsformate zu stellen scheinen?
- Wie kann ein Studium zugleich auf akademische und außerakademische Berufe vorbereiten sowie auf den Lehramtsberuf für verschiedene Schulformen?
Der Blog richtet sich an Philosophie-Lehrende an Hochschulen jeden Typs und an alle anderen, die sich für hochschuldidaktische Fragen interessieren – sei es, weil sie gerade das erste Mal lehren und keinerlei Ausbildung dafür erhalten haben, sei es, weil sie Konzepte entwickelt haben, die sie mit Kolleg:innen teilen möchten, sei es, weil sie Ideen für die Verbesserung einer Veranstaltung haben, oder sei es, weil sie ihre eigene Lehre gemeinsam mit anderen reflektieren möchten. Er richtet sich ausdrücklich auch an Studierende, die sich Gedanken darüber machen, wie ihre philosophische Ausbildung zu einer besseren und erfüllenderen Erfahrung werden könnte.
Das Wort „Lehre“ ist mehrdeutig: Es kann die Lehren einer Philosoph:in bezeichnen – das, was sie lehrt, den Inhalt. Es kann aber auch auf ihre Praxis des Lehrens verweisen – darauf, wie sie lehrt. Auch das Wort „Lehrgut“ kann man in dieser doppelten Weise hören. Nach der Lexikondefinition handelt es sich um die Lehren, die eine Philosoph:in zum Kanon der Philosophie beigetragen hat und die in einer Schule oder Tradition an die Nachfolgenden weitergereicht werden – ihr Gedankengut. Wir wollen „LehrGut“ in einer anderen Weise verstanden wissen: Es ist das, was sich in der Lehre im Sinne der Lehrpraxis zahlreicher Philosoph:innen ausgebildet hat und Gegenstand hochschuldidaktischer Forschung ist – Methoden, Werkzeuge, Konzepte, Erfahrungen, Einstellungen, … Das sind die Güter, die wir sammeln und weitergeben wollen. LehrGut für eine gute, für eine bessere Lehre.
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P.S. Wir bedanken uns bei prae|faktisch und insbesondere Gottfried Schweiger für die wertvolle Unterstützung bei der Entwicklung und Veröffentlichung des Blogs.
Autor:innen: Anne Burkard (Göttingen), David Lauer (Kiel), David Löwenstein (Düsseldorf) und Almut v. Wedelstaedt (Bielefeld) haben 2024 gemeinsam den Blog „LehrGut“ gegründet und sind dort Redaktionsmitglieder.
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