Zwischen Aktivismus und Academia: Zur Rolle der akademischen Philosophie in der Klimakrise

von Nicola Mößner (Hannover), Johannes Müller-Salo (Hannover) und Tanja Rechnitzer (Hannover)



Was ist die Rolle der akademischen Philosophie angesichts der Klimakrise? Können und sollen Philosoph:innen aktivistische Bewegungen unterstützen oder sogar selbst zu Aktivist:innen werden – oder sich eher auf die theoretische Reflexion konzentrieren? Die Herausforderungen der Klimakrise an der Schnittstelle von philosophischer Reflexion, institutioneller Praxis und individuellem Engagement standen im Mittelpunkt des Panels „Philosophie und Klima-Aktivismus“ der AG Nachhaltigkeit der DGPhil sowie der GAP im Rahmen des DKPhil 2024.

Klimaphilosophie und die Frage nach individueller Verantwortung

Das Panel fand im Rahmen des XXVI. Deutschen Kongresses für Philosophie im September 2024 in Münster statt, moderiert wurde es von Tanja Rechnitzer und Matthias Rolffs. Panelist:innen waren die praktische Philosophin und (Tierrechts-)Aktivistin Friederike Schmitz, der Wissenschaftsphilosoph Philipp Haueis und der praktische Philosoph Johannes Müller-Salo.

Auf dem Panel kamen zunächst Kernthemen der Klimaphilosophie wie die Frage nach individueller Verantwortung zur Sprache: Existieren individuelle, klimabezogene Verpflichtungen? Angesichts des CO2-Ausstoßes großer Konzerne scheint es wenig ins Gewicht zu fallen, ob gerade ich nach Übersee in den Urlaub fliege oder in Europa mit dem Zug verreise, ob ich beim lokalen Bauern regionale Produkte kaufe oder die Flugmango aus dem Supermarkt. In der Panel-Diskussion wurden vor allem zwei Punkte hervorgehoben.

Zum einen wurde die Bedeutung politischen Engagements unterstrichen:  Zu oft werde die Verantwortung auf die individuelle Ebene geschoben, anstatt wirksame Maßnahmen von Politiker:innen einzufordern oder Konzerne für die von ihnen verursachten Schäden zur Rechenschaft zu ziehen. Forderungen zur Übernahme von Eigenverantwortung dienen oft strategisch dazu, von den primären Verursachern (z.B. Ölkonzernen) abzulenken. Für ein wirksames Klima-Engagement, so die Meinung auf dem Panel, sei politisches Engagement wichtiger als eine Reduktion der eigenen Emissionen. Im Erfolgsfall sind die Einsparpotentiale, die als Konsequenz eines politischen Engagements erreicht werden können, ungleich höher als im begrenzten individuellen Rahmen.

Zum anderen solle man jedoch die Vorbildfunktion von individuellem Handeln nicht unterschätzen. Dynamiken gesellschaftlicher Veränderung sind nicht vorhersehbar. Konsequent auf einen nachhaltigeren Lebensstil zu setzen kann auch zu dessen Normalisierung beitragen und große Effekte im eigenen Netzwerk zeitigen. Diese Diskussion weist letztlich auch auf die Notwendigkeit einer philosophischen Reflexion des Rollenverständnisses von Bürger:innen hin. Hier zeige sich, wie Müller-Salo hervorhob, eine grundsätzliche demokratietheoretische Herausforderung: Liberale Demokratien erkennen die Legitimität unpolitischer Lebensformen an; niemand ist zum politischen Engagement verpflichtet. Die Klimakrise lässt es aber notwendig erscheinen, diese Haltung grundlegend zu überdenken.

Klimaaktivismus und Philosophie

Mit der Frage nach der Rolle der Einzelnen geriet auf dem Panel auch der Klimaaktivismus in seinen verschiedenen Organisationsformen in den Blick. Die prinzipielle Rechtfertigbarkeit der bekannten aktivistischen Protestformen wurde allgemein bejaht. Aktivistische Aktionen versuchen, ein Gegengewicht zu der viel seltener öffentlich erörterten Einflussnahme von Interessenverbänden und Lobbyorganisationen auf die Ausgestaltung der Klimapolitik zu schaffen. Hinzu kommen zwei weitere Aspekte, die für eine adäquate Einordnung des Klimaaktivismus entscheidend sind:

  • Erstens unterscheiden sich die Anliegen vieler klimaaktivistischer Gruppen  von anderen Protestgruppen durch ein viel bescheideneres Ziel: Sie verlangen von Politik und Gesellschaft keinen Neuanfang, geschweige denn eine Revolution, sondern „lediglich“ eine Umsetzung und Einhaltung der freiwillig beschlossenen und selbst auferlegten Regeln und Gesetze, vom Artikel 20a des Grundgesetzes[i] bis hin zum völkerrechtlich verbindlichen Pariser Klimaschutzabkommen[ii] und den sich daraus ergebenden Verpflichtungen zur Reduktion klimaschädlicher Emissionen.
  • Zweitens zeigt sich in der nicht nur harschen, sondern teilweise alarmistischen und radikalisierten Kritik an aktivistischen Protestformen auch die schleichende Zähmung der demokratischen Protestkultur. Mit den Protestformen etwa der 1968er haben klimaaktivistische Aktionen nur wenig gemeinsam. Im Übrigen gilt, auch das wurde auf dem Panel deutlich, dass die prinzipielle Rechtfertigung einer aktivistischen Praxis mit ihrer politischen Befürwortung nicht verwechselt werden darf; legitim und zulässig kann auch das sein, was man zugleich für strategisch unklug und wenig wirksam hält.

Es war dann vor allem Friederike Schmitz, die eindrucksvoll ihren Weg aus der Philosophie in den zunächst primär tierrechtsorientierten, doch zunehmend auch durch die Klimakrise geprägten Aktivismus schilderte. Dabei merkte sie an, dass sie sich selbst immer weniger als Philosophin verstehe, je länger sie aktivistisch tätig sei: Das Selbstverständnis sowie die Ziele und Methoden verschieben sich.

Die Rolle von Philosoph:innen in der Klimakrise

Die Frage, ob Philosoph:innen selbst eine besondere Verantwortung zum Engagement haben, wurde im Panel zurückhaltend aufgenommen. Relevant ist hier in jedem Fall der Gedanke einer hinreichenden Passung zwischen philosophischer Theorie und gelebter Praxis: Wer in der eigenen ethischen Reflexion über die Klimakrise zu bestimmten normativen Schlussfolgerungen gelangt, wird sich diesen in der eigenen Lebensgestaltung kaum entziehen können[iii] – und wohl auch nicht wollen. Motivationale Ressourcen, sich für den Klimaschutz zu engagieren, sind darüber hinaus oft auch jenseits der Philosophie zu suchen, etwa im Wunsch nach Selbstwirksamkeit angesichts einer existentiellen Krise oder als Reaktion auf die Sorge um vertraute Umwelten, deren Gestalt durch die anthropogenen Klimaveränderungen massiv verändert wird.

Optimistischer zeigten sich die Panel-Teilnehmer:innen und das angeregt mitdiskutierende Publikum mit Blick auf die konkreten Möglichkeiten, philosophische Expertise in Klimadebatten einzubringen und elementare Methoden der Philosophie, etwa der Begriffsanalyse oder der strukturierten Rekonstruktion von Argumenten und Debatten, zu nutzen, um die hitzigen öffentlichen Kontroversen ums Klima ein Stück weit von schlechten oder schlecht interpretierten Argumenten zu befreien. Haueis etwa zeigte anhand des Beispiels „Klimakrise“ auf, wie philosophische Begriffsarbeit für politische Ziele relevant sein kann. Die Rolle der Philosophie sieht er auch darin, verschiedene Disziplinen zusammenzubringen. Schmitz stimmte diesen Überlegungen zu, betonte darüber hinaus die Bedeutung eines außerakademischen Engagements jenseits des Verfassens von Texten. Dabei gelte es unter anderem, die alle Debatten um Klima und Tierschutz prägenden Machtverhältnisse mitzubedenken.

Wichtig ist in jedem Fall, nicht jede Form von Engagement über denselben Kamm zu scheren: Von niedrigschwelligem, innerakademischem Engagement[iv] bis zum außerakademischen, politischen Aktivismus gibt es viele Abstufungen und Ausprägungen.

Klimaschutz in der akademischen Philosophie

Das Ziel der Klimaneutralität ist nur durch einen grundlegenden Wandel in allen Lebensbereichen zu erreichen. Die akademische Philosophie stellt hier keine Ausnahme dar. Die Panelist:innen gingen daher der Frage nach, welche Aufgaben in unserem eigenen Fach zu übernehmen sind. Haueis hat zusammen mit Paul Schütze eine „agenda for change“ für die akademische Philosophie angesichts der Klimakrise vorgeschlagen, in der verschiedene Dimensionen universitären Klimaschutzes angesprochen werden wie auch jüngst in einem von bayrischen Scientists for Future-Gruppen initiierten Offenen Brief „Klimaneutraler Hochschulbetrieb 2040“. Die Möglichkeiten, durch konkretes Handeln im eigenen Fach einen Beitrag zu leisten, reichen von nachhaltigen Mobilitätsformen bei Dienstreisen über die Sanierung der universitätseigenen Infrastrukturen bis hin zur Auswahl des Essensangebots bei akademischen Veranstaltungen nach entsprechenden Kriterien.

Eine besondere Bedeutung kommt zweifelsohne der akademischen Lehre zu. Auf dem Panel bestand Einigkeit darüber, dass die Klimakrise nicht nur als Thema spezifischer Lehrveranstaltungen etwa zur Klimaethik, sondern als Querschnittsthema in der philosophischen Lehre breit zu behandeln ist. Schließlich kann jede philosophische Disziplin Einsichten zum besseren Verständnis der Klimakrise erarbeiten, von der Wissenschaftsphilosophie (Interpretation von Klimamodellen) und Erkenntnistheorie (Umgang mit fake news und Wahrscheinlichkeiten von Evidenzen etc.) über die Ethik (Prinzipien der Klimaverantwortung) und politische Philosophie (institutionelles Klimaschutzdesign) bis hin zur philosophischen Ästhetik (Bedeutung künstlerischer Auseinandersetzung mit der Krise). Diese Breite möglicher Zugänge gilt es, den Studierenden zu vermitteln. Eine Herausforderung, auch das wurde auf dem Panel deutlich, besteht dabei darin, eine überzeugende Balance zwischen Wertevermittlung und kontroverser Diskussion konkurrierender Perspektiven zu finden. So berichtete Friederike Schmitz, wie sie in Tierethik-Seminaren verschiedene Positionen präsentiere und im Falle der eigenen Positionierung zugleich klar herausstelle, dass legitime Alternativen zur eigenen Sichtweise existierten.

Schlussfolgerungen

Wichtig bleibt, bei den verschiedenen Formen des Engagements die eigene Rolle zu reflektieren: Welche Erwartungen bringt diese Form des Engagements mit sich? Und wie verhalten sich diese zu meiner philosophischen Tätigkeit?

Im politischen Aktivismus geht es vor allem darum, eine bestimmte Position stark zu machen und dieser Gehör zu verschaffen. Akademisches Philosophieren verfolgt andere Ziele, was jedoch nicht zwingend bedeutet, dass sich Aktivismus und philosophische Reflexion wechselseitig ausschließen müssen. Haueis wies darauf hin, dass man durch aktive Teilnahme an bestimmten Aktionsformen selbst zu einer kritischen Reflexion derselben gelangen könne. Dazu gehöre einerseits, selbst ein Teil der Bewegung zu werden, um diese Aktionsformen überhaupt erst richtig verstehen zu können. Mitunter könne dies eine wichtige Vorbedingung für eine sorgfältige philosophische Einordnung und Bewertung dieser Aktionsform sein. Andererseits können auch Philosoph:innen zu aktivistischen Bewegungen beitragen, ohne dabei philosophische Tugenden über Bord zu werfen. Wie Julinna C. Oxley[v] betont, gibt es viele verschiedene Tätigkeiten innerhalb einer aktivistischen Bewegung. Philosoph:innen müssen nicht diejenigen sein, die an vorderster Front verkürzte, schlagkräftige Slogans ins Megafon rufen. Kritische Reflexion und der sorgfältige Gebrauch argumentativer Fähigkeiten wird an vielen Stellen – auch hinter den Kulissen – dringend gebraucht. In dem Zusammenhang wurde auf dem Panel auch die Frage aufgeworfen, ob bzw. ab wann mögliche politische Vereinnahmungen philosophischer Positionen problematisch werden können. Müller-Salo wies hier auf die Notwendigkeit hin, die Grenzen der eigenen philosophischen Expertise klar zu benennen und so auch deutlich zu machen, welche Fragen genuin politisch zu entscheiden sind.

Insgesamt gilt: Aktivistische und öffentliche Auseinandersetzungen folgen anderen Regeln als akademische Diskurse. Wer sich hier aktiv einbringen möchte, tut gut daran, diese Differenzen zu erkunden, um überhaupt Gehör zu finden und dabei im Idealfall auch gut verstanden zu werden.

PD Dr. Nicola Mößner ist Vertretungsprofessorin am Institut für Philosophie der Leibniz Universität Hannover und forscht zu Fragen der Wissenschaftsphilosophie und Epistemologie. Web: http://moessner.stellarcom.org; Profil auf PhilPeople.org: https://philpeople.org/profiles/nicola-mossner-1

Dr. Johannes Müller-Salo ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Leibniz Universität Hannover und arbeitet zu Fragen der Ethik und der politischen Philosophie. Web: https://www.philos.uni-hannover.de/de/mueller-salo;https://www.mueller-salo.de.  

Dr. Tanja Rechnitzer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Philosophie der Leibniz Universität Hannover und forscht zu Problemen philosophischer Methodik an der Schnittstelle von theoretischer und praktischer Philosophie sowie zur Epistemologie. Web: https://tanjarechnitzer.wordpress.com/; Profil auf PhilPeople.org: https://philpeople.org/profiles/tanja-rechnitzer.



[i]      Hier heißt es: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ GG §20a

[ii]      Vgl. https://www.bmz.de/de/service/lexikon/klimaabkommen-von-paris-14602, die drei Hauptziele lauten: „ (i) Beschränkung des Anstiegs der weltweiten Durchschnittstemperatur, (ii) Senkung der Emissionen und Anpassung an den Klimawandel, (iii) Lenkung von Finanzmitteln im Einklang mit den Klimaschutzzielen“.

[iii]     Vgl. Amman, C., B. Bleisch & A. Goppel (Hrsg.). 2011. Müssen Ethiker moralisch sein?: Essays über Philosophie und Lebensführung. Campus Verlag.

[iv]     Exemplarisch sei hier auf einige Arbeitsergebnisse der AG Nachhaltigkeit verwiesen, u.a. einen Best-Practices-Guide, der bei der Planung und Durchführung von Workshops, Konferenzen und eigenen Vortragsreisen Anregungen präsentiert, wie in diesen Kontexten klimaschonend agiert werden kann, vgl. https://www.dgphil.de/fileadmin/media/documents/AG_s/Nachhaltigkeit/Best_Practices_Guide.pdf.

[v]      Oxley, J. C. 2020. How to Be a (Good) Philosopher-Activist. Essays in Philosophy, 21(1/2), 6–28. https://doi.org/10.5840/eip2020211/22