Digitale Praxis – Fallstrick für Normen im Wissenschaftsalltag?
Von Nicola Mößner (Leibniz Universität Hannover / RWTH Aachen)
‚Wie sehr vertrauen Sie Wissenschaft und Forschung?‘ – eine Frage, die nicht erst seit der Corona-Pandemie viel diskutiert wird. Manch einer würde kritisch korrigieren: ‚Vertrauen Sie überhaupt in Wissenschaft und Forschung?‘ Schlagwörter wie Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise kommen damit in den Sinn. Oft angeführt wird hier der normative Rahmen wissenschaftlicher Praxis, auf welchen sich das Vertrauen dennoch stützen könne. Was passiert aber, wenn die zugrunde liegende Praxis massiv durch die zunehmende Digitalisierung ihrer Prozesse verändert wird?
Jenseits des Elfenbeinturms
Die Wissenschaft ist als Teilbereich unserer Gesellschaft eng mit den anderen Subsystemen vernetzt und kein autarker Bereich. Diese Ansicht hat sich allgemein in der gegenwärtigen wissenschaftstheoretischen Debatte etabliert (vgl. z.B. Chalmers 2007). Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf die vielfältigen Relationen, in welchen diese Vernetzung zum Ausdruck kommt. Beispielsweise wenn WissenschaftlerInnen im Bereich der Politikberatung tätig sind oder wenn basale wissenschaftliche Erkenntnisse im Schulunterricht vermittelt werden. Im Hintergrund steht dabei die Annahme, bei wissenschaftlicher Erkenntnis handele es sich um eine besonders sichere, objektive Form von Wissen.
Allerdings sind in den letzten Jahren einige Herausforderungen aufgetreten, die dieses positiv besetzte Verhältnis zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu hinterfragen scheinen. Manch einer konstatiert geradezu eine Krisenstimmung, in welcher sich ein schwindendes Vertrauen in die Expertise der WissenschaftlerInnen zeige. Verschwörungstheorien sind nicht erst seit der Corona-Pandemie en vogue (vgl. z.B. Beiträge in Keil und Jaster 2021). Schon beim March for Science im Jahr 2017 wurde auf eine stärkere Faktenbasiertheit politischer Entscheidungen gedrungen und gegen Augenwischereien mittels alternativer Fakten protestiert (vgl. Mößner i.E.).
Normen und Vertrauen
Wie es tatsächlich um das Vertrauen in wissenschaftliche Expertise steht, ist eine weitreichende empirische Frage. Sie lässt sich nur anhand repräsentativer Bevölkerungsumfragen andeutungsweise beantworten. Das „Wissenschaftsbarometer 2021“ liefert Daten für den bundesdeutschen Raum und weist in der Tat ein relativ hohes Vertrauen in die wissenschaftliche Expertise aus. Immerhin 61 Prozent der Befragten gaben an, dass sie Wissenschaft und Forschung „voll und ganz“ bzw. „eher“ vertrauen und nur sechs Prozent meinten, dass sie „eher nicht“ bzw. „nicht“ auf diese vertrauen würden (vgl. ebd.).
Erhoben wurden ferner Daten zu den Gründen für das der Wissenschaft ausgesprochene Vertrauen. Den Befragten wurden dabei Vorschläge genannt, denen sie zustimmen oder die sie ablehnen konnten. In diesem Zusammenhang führten 57 Prozent der StudienteilnehmerInnen an, dass ein Grund für ihr Vertrauen darin bestünde, dass WissenschaftlerInnen „nach Regeln und Standards“ arbeiteten (vgl. ebd.). Hier zeigt sich also die Relevanz des normativen Rahmens der wissenschaftlichen Praxis für deren positiven Rückhalt in der (bundesdeutschen) Bevölkerung.
Auf diesen Zusammenhang zwischen Vertrauen und normativen Rahmen wurde in der Wissenschaftsforschung verschiedentlich hingewiesen. So schreibt Thomas Reydon über den Wissenschaftssoziologen Robert Merton: „Dies ist für Merton das herausragende Qualitätsmerkmal der Wissenschaft: Die Tatsache, dass Wissenschaftler sich bei der Ausübung ihrer Profession nur vom wissenschaftlichen Berufsethos und nicht von ihren persönlichen und sozialen Werten und Normen leiten lassen, sorgt dafür, dass aus ihrer Arbeit gut begründetes, verlässliches und vertrauenswürdiges Wissen hervorgeht“ (Reydon 2013, 48, Hervorhebung NM). Ebenso hebt Elizabeth Fricker auf besagten normativen Rahmen ab, wenn sie Gründe für das Vertrauen der WissenschaftlerInnen untereinander analysiert (vgl. Fricker 2002, 383)
Einflussreich ist ferner die Stimmt von Naomi Oreskes. In ihrem Buch „Why trust science?“ (2019) nennt auch sie den sozialen Charakter der Wissenschaft und damit u.a. das normative Setting dieser Institution als wesentlichen Grund, warum trotz aller Schwierigkeiten und Bedenken, die durch die Einsicht in die menschliche Fehlbarkeit auch im Wissenschaftssektor entstanden sein mögen, ein Vertrauen in wissenschaftliche Expertise weiterhin gerechtfertigt erscheint (vgl. ebd., 58).
Welches sind aber diese Normen, auf welche sich das Vertrauen sowohl wissenschaftsintern als auch -extern gründen können soll?
Normen im Wissenschaftsalltag
Unter dem Stichwort Berufsethos, das schon bei Merton anklang, sei zunächst auf den Vorschlag von Karl R. Popper hingewiesen (vgl. Popper 1987). Ausgehend von seinen Überlegungen, dass menschliche Überzeugungsbildung fallibel sei und alles Wissen nur Vermutungswissen sein könne, rät er den Intellektuellen seiner Zeit, ihre Einstellung Fehlerngegenüber grundlegend zu ändern. Letztere böten die Chance, aus ihnen zu lernen und damit auf eine schrittweise Annäherung an die Wahrheit, welche Popper als kollektives Ziel der Wissenschaften begreift.
Dieser Ausgangspunkt des neuen Berufsethos legt dann zwei Werte in seinem Anwendungsbereich fest: Zum einen die intellektuelle Redlichkeit, denn nur wer eigene Fehler eingesteht, kann aus diesen auch Lehren ziehen und anderen einen entsprechenden Lernprozess ermöglichen. Zum anderen die Toleranz gegenüber abweichenden und kritischen Meinungen, denn oft ist es nur durch den Vergleich mit alternativen Standpunkten möglich, Fehler bzw. Irrtümer zu entdecken.
Insgesamt zielt Poppers Vorschlag auf eine kritische Wissenschaftskultur ab. Das heißt, dass das Aufspüren von Fehlern und damit die schrittweise Verbesserung von Hypothesen in der gemeinschaftlichen, konstruktiv kritischen Auseinandersetzung mit den unterbreiteten Vorschlägen erfolgen soll. Vorausgesetzt wird dabei stets die Orientierung am gemeinsamen Ziel der Annäherung an die Wahrheit.
Es mag eingewendet werden, dass Poppers Vorschlag letztlich nur ein Ideal darstelle. Man könne also nicht davon ausgehen, dass dies tatsächlich jenen normativen Rahmen konstituiere, den wir im gegenwärtigen Wissenschaftsalltag antreffen und auf welchen im Zusammenhang mit der Frage nach der Grundlage für Vertrauen in wissenschaftliche Expertise abgehoben werde. Näher am wissenschaftlichen Alltag ist in diesem Sinne das, was gemeinhin als gute wissenschaftliche Praxis bezeichnet wird. Die Normen, die darin zum Ausdruck kommen, wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in einem entsprechenden Kodex schriftlich festgehalten (vgl. DFG 2022a). In insgesamt 19 Leitlinien wird expliziert, welchen Normen die wissenschaftliche Praxis folgen muss, um – wie es in der Präambel des Werkes heißt – zu einer Integrität zu gelangen, die „das unerlässliche Vertrauen der Gesellschaft in die Wissenschaft stärkt und fördert“ (vgl. ebd., 7).
Interessanterweise decken sich die Grundüberlegungen zu Toleranz, intellektueller Redlichkeit und kritischer Haltung, die in Poppers Vorschlag eines Berufsethos zum Ausdruck kommen, in weiten Bereichen mit dem Tenor der im DFG-Kodex formulierten Richtlinien. Exemplarisch seien hier Aspekte der Leitlinien (5) „Leistungsdimensionen und Bewertungskriterien“, (12) „Dokumentation“ und (15) „Publikationsorgan“ hervorgehoben:
Dort heißt es u.a., dass „[d]ie Bewertung der Leistung […] in erster Linie qualitativen Maßstäben [folgt], wobei quantitative Indikatoren nur differenziert und reflektiert in die Gesamtbewertung einfließen können“ (DFG 2022a, 12). Quantitative Maßstäbe wie h-Index oder Impact Faktor sollen demnach nicht ausschlaggebend sein, wenn die Arbeit und damit die Expertise der WissenschaftlerInnen beurteilt werden.
Im Hinblick auf die Dokumentationspflicht verweist die DFG darauf, dass nicht nur alle „relevanten Informationen“ für die eigene Fachcommunity „nachvollziehbar“ festgehalten werden müssten, um die erzielten Ergebnisse nachprüfen zu können (ebd., 17f.), sondern dass insbesondere auch kommuniziert werden sollte, wenn sich bestimmte Forschungshypothesen als nicht stichhaltig erwiesen hätten. Vor allem solle eine Selektion der Daten unterbleiben.
Schließlich hebt die DFG hervor, dass „[d]ie wissenschaftliche Qualität eines Beitrags […] nicht von dem Publikationsorgan [abhänge]“ (ebd., 21) – eigentlich eine Selbstverständlichkeit sollte man meinen. Doch gerade in dieser Verbindung aus Dokumentation durch (elektronische) Publikation und der Bewertung wissenschaftlicher Leistung (auf der Basis bibliometrischer Analysen) zeigt sich derzeit eines der großen Probleme der wissenschaftlichen Gemeinschaft, entsprechende negative Folgewirkungen auf die Vertrauensrelation zwischen BürgerInnen und wissenschaftlicher Expertise inklusive. Was läuft also schief?
Digitalisierung: elektronisches Publizieren und Bibliometrie
Blicken wir an dieser Stelle auf den Prozess der Publikation wissenschaftlicher Ergebnisse – also die Erfüllung der Dokumentationsleitlinie. Dieser Schritt der Erfassung, Speicherung und Verfügbarmachung von Hypothesen und Daten ist seit jeher zentral für die wissenschaftliche Praxis und wird massiv durch den zunehmenden Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien (IuK), also die Digitalisierung beeinflusst.
Exemplarisch werden im Folgenden Veränderungen im Bereich des elektronischen Publizierens anhand einer kurzen Fallstudie zur Datenbank „Scopus“ des Elsevier-Konzerns näher betrachtet. Ziel dabei ist es aufzuzeigen, inwiefern sich die zunehmende Nutzung dieser IuK-Technologie auf den normativen Rahmen von Wissenschaft und Forschung, wie er u.a. im DFG-Kodex festgehalten wurde, auswirkt und warum die geschilderten Effekte auftreten bzw. aufzutreten drohen.
Stark vereinfacht stellt sich der klassische Publikationsprozess als ein Austausch zwischen AutorIn und LeserIn dar. „Scopus“ tritt nun zwischen die beteiligten AkteuerInnen als neue Schnittstelle, durch welche der gesamte Kommunikationsprozess hindurchgeschleust – mithin gefiltert und ausgewertet wird. Bei der Datenbank handelt es sich ferner um das Produkt eines kommerziellen Anbieters (des Elsevier-Konzerns) mit Gewinnabsicht. Dass der Betreiber dabei durchaus Monopolbestrebungen verfolgt, wird in verschiedenen Produktdarstellungen deutlich, z.B.: „Scopus quickly finds relevant and authoritative research, identifies experts and provides access to reliable data, metrics and analytical tools. Be confident in progressing research, teaching or research direction and priorities — all from one database and with one subscription“ (Elsevier 2023, Hervorhebung NM).
„Scopus“ stellt eine sogenannte „Abstract- und Zitationsdatenbank“ dar, welche WissenschaftlerInnen bei der Suche nach relevanten Fachinformationen, Forschungstrends und ExpertInnen unterstützen soll. „Scopus“ ist somit nicht bloß ein weiteres Recherchewerkzeug. Geworben wird explizit mit der Bewertung der gelieferten Informationen. Geht es doch um relevante Fachinformationen, um Forschungstrends und um ExpertInnen, nicht bloß um WissenschaftlerInnen in einem Fachgebiet. Ermittelt werden diese Wertungen in der Datenbank mittels bibliometrischer Analysen. Die Auswertung und Visualisierung von Zitationszahlen stellt die Basis dar für die versprochene Qualitätsbeurteilung der drei Informationsdimensionen. Festzuhalten ist auch, dass bibliometrische Analysen nur auf der Basis von IuK-Technologien wie „Scopus“ überhaupt durchgeführt werden können. Die Digitalisierung der wissenschaftlichen Praxis betrifft also gleichermaßen den Publikations- als auch den Evaluationsprozess derselben.
Digitalisierung und gefährdete Normen
Was hieße es aber, folgte die wissenschaftliche Community dem Werbeversprechen des Betreiberkonzerns und stützte sich künftig tatsächlich allein auf diese digitale Plattform? Die lauernden Gefahren erläutert Angela Holzer von der DFG, wenn sie schreibt: „Die letztendlich extremsten Auswirkungen […] dürften darin liegen, dass ein enormer Teil des Steuerungswissens nicht mehr bei wissenschaftlichen Einrichtungen liegen könnte und sie damit ihre Autonomie in subtiler Weise verlieren. Einzelne Wissenschaftler sind dann auch von den Effekten eines möglicherweise auf intransparenten Algorithmen und Daten beruhenden Vorgehens von Wissenschaftspolitik und -verwaltung betroffen, wenn ganze Wissenschaftsgebiete anhand von predictive und prescriptive data auf- oder abgebaut werden. Solche strukturellen Entwicklungen treten neben die Einschränkung von informationeller Selbstbestimmung durch das Wissenschaftlertracking“ (Holzer 2022, 174, Hervorhebung NM).
Welche Themen für relevant und förderungswürdig erachtet, welche Fächer oder Fachbereich aufgebaut bzw. geschlossen werden – diese Entwicklungen beruhten dann nicht mehr auf autonomen Entscheidungen der wissenschaftlichen Gemeinschaft, sondern würden aus den (mehr oder weniger zuverlässigen, weil mehr oder weniger vollständigen bzw. neutralen) Daten von Datenbanken wie „Scopus“ abgeleitet. Diese problematische Entwicklung des Systems Wissenschaft kommen zu den Schwierigkeiten hinzu, die sich für den individuellen Forschenden durch das sogenannte Wissenschaftlertracking ergeben mögen (vgl. Jahrbuch Technikphilosophie 2023).
Darüber hinaus tritt an eben dieser Stelle ein weiterer negativer Effekt für den Wissenschaftsbetrieb auf. Dieser entsteht durch die Anpassung des Einzelnen an die veränderten Anforderungen, die sich aus dem elektronischen Publizieren in Kombination mit der Nutzung bibliometrischer Daten als Bewertungskriterium wissenschaftlicher Leistung ergeben. Verständlicherweise ist das Ziel des individuellen Wissenschaftlers vor der beschriebenen Ausgangslage, die eigenen bibliometrischen Kennzahlen stetig zu optimieren.
Hier schließt sich nun der Kreis zum normativen Rahmen wissenschaftlicher Praxis und dem sich darauf stützenden wissenschaftsinternen, als auch -externen Vertrauen. Wiederum ist es die DFG selbst, die auf die entstehende Problemlage aufmerksam macht: „Eine primär bibliometrisch orientierte Bewertung wissenschaftlicher Leistung auf Ebene von Individuen setzt Anreize für ein Verhalten entgegen den Standards guter wissenschaftlicher Praxis in der Definition des DFG-Kodex“ (DFG 2022b, 38). Inwiefern es zu diesem Problem kommen kann und welche Normen verletzt werden können (vgl. ebd., 39ff.), wird deutlich, wenn man sich klarmacht, was ‚angepasstes Verhalten‘ im genannten Kontext bedeuten kann – beispielsweise:
(1) Zitationszahlen lassen sich erhöhen, indem man die Anzahl der eigenen Publikationen vergrößert. Um dies in möglichst kurzer Zeit zu erreichen, verstößt der Wissenschaftler eventuell gegen die geforderte Sorgfaltspflicht. Er oder sie arbeitet ungenau, publiziert voreilig Daten und Hypothesen, bei denen eine kritische Prüfung ggf. noch aussteht oder nicht hinreichend erfolgt ist.
(2) WissenschaftlerInnen orientieren sich an der Reputation einzelner Zeitschriften, ausgedrückt im Journal Impact Faktor. Bei ihrem Bestreben, Beiträge in hochrangigen Publikationsorganen unterzubringen, nehmen sie in Kauf, dass ihre Texte in langen Begutachtungsverfahren stecken bleiben. Oft wird zudem die Strategie verfolgt, nach der Ablehnung durch ein gewünschtes Journal beim nächst niedriger bewerteten den Artikel erneut einzureichen. Hierdurch verstoßen die WissenschaftlerInnen gegen das Gebot, ihre Ergebnisse ihrer Fachcommunity möglichst zeitnah zur Verfügung zu stellen.
(3) Ferner kann es zu Verzerrungen innerhalb der Datenlage kommen, da WissenschaftlerInnen eventuell zu antizipieren versuchen, welche Inhalte als publikationswürdig gelten. Neben einer Favorisierung des Mainstreams kann es zu allen Varianten der Ergebnisanpassung kommen – von der gezielten Selektion bis hin zur Datenmanipulation. An dieser Stelle verstößt der so handelnde Wissenschaftler dann gegen die Redlichkeitsnorm der guten wissenschaftlichen Praxis.
(4) Ein Verstoß gegen diese Norm kann ebenfalls auftreten, wenn man durch Selbstzitate oder durch die Beteiligung an Zitationskartellen versucht, seine bibliometrischen Werte zu optimieren. Strategische Erwägungen überwiegen hier ggf. inhaltlichen Relevanzentscheidungen.
All diese Beispiele verdeutlichen, inwiefern die Kombination aus elektronischem Publizieren und bibliometrischer Analyse – mithin genau jene Funktionalitäten, die „Scopus“ als primäre Serviceleistungen bietet – eine Gefährdung für die Einhaltung eben jener Normen darstellen kann, die in der Analyse als ein wichtiger Stützpfeiler für das Vertrauen in wissenschaftliche Expertise hervorgehoben wurden. Die Verletzung dieser Normen durch ein angepasstes, strategieorientiertes Publikationsverhalten auf Seiten der WissenschaftlerInnen kann daher auch einen Ansatzpunkt für wachsende Zweifel und Skepsis an der Vertrauenswürdigkeit wissenschaftlicher Expertise bilden.
Ausblick
Für den individuellen Wissenschaftler besteht kaum eine Möglichkeit, sich aus den aufgezeigten Dynamiken auszuklinken. Insbesondere in der Qualifizierungsphase – sprich, bevor eine permanente Stelle im Wissenschaftsbetrieb erreicht wurde – scheint es nicht ratsam, sich gegen die etablierten Mechanismen zu wenden. Umso wichtiger ist daher das Umdenken der wissenschaftlichen Gemeinschaft – und damit vor allem auch der etablierten AkademikerInnen – selbst. Dieses Umdenken muss insbesondere die Frage einer angemessenen Leistungsbeurteilung betreffen.
Technologien haben stets das Potential zu positiver und negativer Entwicklung. Selbstredend betrifft dies auch IuK-Technologien. Kritisch thematisiert werden muss daher zum einen ihre Nutzung (sollen Datenbanklösungen für bibliometrische Analysen verwendet werden?), als auch die Frage ihrer Bereitstellung. Solange letztere an einer Gewinnorientierung ausgerichtet ist, wie es bei einem kommerziellen Produkt wie „Scopus“ der Fall ist, sollte man sich nicht wundern, wenn die Betreiber Kundenbindung betreiben wollen, was im Falle der analysierten Thematik zu einem massiven Abhängigkeitsverhältnis auf Seiten der WissenschaftlerInnen führen kann.
Nicola Mößner ist Vertretungsprofessorin am Institut für Philosophie der Leibniz Universität Hannover. Sie studierte Germanistik, Philosophie und Politologie an der Universität Hamburg, lehrte und forschte in Münster, Aachen, New York, Greifswald, Frankfurt/Main und Stuttgart. Seit 2017 ist sie Privatdozentin für Philosophie an der Philosophischen Fakultät der RWTH Aachen. Sie befasst sich mit Fragen der sozialen Erkenntnistheorie, der Wissenschaftstheorie sowie der analytischen Bildtheorie.
Web: http://moessner.stellarcom.org
Profil auf Philpapers.org: https://philpeople.org/profiles/nicola-mossner-1
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