11 Mrz

Emotionen und Handlungen

Von Christiana Werner (Duisburg-Essen)


Emotionen scheinen eine besonders enge Beziehung zu Handlungen oder Verhaltensweisen zu haben. Dass das ein Allgemeinplatz ist, legen unzählige Redewendungen nahe, die wir im Deutschen im Alltag benutzen: Wir erstarren vor Angst, platzen vor Wut, strahlen vor Freude usw. Auch das eigene Erleben emotionaler Zustände legt diese enge Beziehung nahe. Wir fühlen uns oft in einem emotionalen Zustand gewissermaßen gedrängt, uns auf eine bestimmte Weise zu verhalten, manchmal sogar so stark, dass wir den Eindruck haben, gar nicht anders zu können, als uns in dieser Weise zu verhalten.

Ich möchte eine Debatte aus der Ästhetik zum Anlass nehmen, die Annahme dieser engen Beziehung zwischen Emotionen und Handlungen, etwas genauer zu betrachten. Dort wird diese Beziehung von einigen Philosophinnen als ein wesentliches Merkmal von Emotionen angesehen und benutzt, um eine Unterscheidung vorzunehmen, die allerdings sehr kontrovers diskutiert wird. Es geht um die Unterscheidung zwischen echten oder genuinen Emotionen einerseits und unechten oder Quasi-Emotionen andererseits. Zur letztgenannten Gruppe sollen unsere emotionalen Reaktionen auf Fiktion („fiktionale Emotionen“) gehören. Beispiele für fiktionale Emotionen, die – nicht ganz überraschend – oft genannt werden, sind Furcht und Mitleid, also etwa unsere Angst vor dem Monster im Horrorfilm oder Mitleid mit der Heldin eines Romans. Manche Philosophinnen nehmen an, dass sich fiktionale Emotionen so sehr von anderen Emotionen unterscheiden, dass es sich bei ihnen überhaupt nicht um Emotionen im eigentlichen Sinn handelt. Deshalb ist von Quasi-Emotionen die Rede.

An dieser Stelle kommt nun die Beziehung zwischen Emotionen und Handlungen ins Spiel. Ein Argument, das vorgebracht wird, für die These, fiktionale Emotionen würden sich grundsätzlich von anderen Emotionen unterscheiden, nenne ich das Handlungsargument. Erstens wird angenommen, dass es eine enge Beziehung zwischen Emotionen und Handlungen gibt und zwar etwa in dem Sinne, dass wir annehmen, dass wer Angst hat, typischerweise flieht (oder vielleicht auch erstarrt), wer Mitleid hat, versucht der Bemitleidenswerten zu helfen. Nun können wir aber beobachten, dass wir die typischen Handlungen gerade nicht zeigen, wenn wir emotional auf etwas Fiktives reagieren. Wir fliehen nicht aus dem Wohnzimmer, wenn wir im Fernseher den Zombie sehen, statt zu erstarren greifen wir vielleicht noch einmal zum Popcorn und wir versuchen auch nie in das fiktive Geschehen einzugreifen, um irgendwem dort zu helfen. Grob lässt sich das Argument nun so rekonstruieren:

  1. Bei echten Emotionen handeln wir je nach Emotion in einer bestimmten Weise.
  2. Bei emotionalen Reaktionen auf Fiktion handeln wir nicht in einer für die Emotion bestimmten Weise.

Also: Emotionale Reaktionen auf Fiktion sind keine echten Emotionen.

Zunächst einmal müssen wir uns klarmachen, dass wir als Zuschauer eines Spielfilms sehr wohl aufgrund unserer fiktionalen Emotionen bestimmte Reaktionen oder ein bestimmtes Verhalten zeigen: Wir halten uns die Augen zu, schreien, lachen, weinen oder zeigen zumindest eine veränderte Mimik je nachdem, ob wir z.B. den Film, den wir gerade sehen, amüsant oder gruselig finden. Das alles bestreiten die Vertreter des Handlungsarguments natürlich nicht. Sie haben aber vielmehr absichtliches Handeln vor Augen und gerade nicht unbewusstes oder unabsichtliches Verhalten oder körperliche Reaktionen.

Bezüglich der ersten Prämisse des Arguments ist zunächst zu bemerken, dass auf „echte Emotionen“ nicht immer das typische Verhalten folgt. Andere psychische Zustände, wie unsere Wünsche oder Überzeugungen spielen klarerweise auch eine Rolle und müssen berücksichtigt werden, wenn wir erklären wollen, warum eine Person auf eine bestimmte Weise gehandelt hat. Das wird sicher auch von den Vertretern des Handlungsarguments berücksichtigt. Doch wie ist dann die erste Prämisse zu verstehen?

Eine Möglichkeit wäre anzunehmen, dass Emotionen eine motivationale Kraft haben oder wir als Trägerin einer bestimmten Emotion disponiert sind, in einer bestimmten Weise zu handeln. In Fällen, in denen andere psychische Zustände nicht gegen diese motivationale Kraft oder gegen diese Disposition wirken, handeln wir in der für die Emotion typischen Weise. Wenn ich z.B. Angst vor dem Hund vor mir habe, so könnte man nun annehmen, bin ich motiviert oder disponiert, vor diesem Hund zu fliehen. Es könnte aber sein, dass ich glaube, dass der Hund schneller ist als ich oder ich ihn mit schnellen Bewegungen eher provozieren würde und ich dann deshalb nicht beabsichtige zu fliehen.

Wir können also die erste Prämisse so verstehen, dass Trägerinnen einer „echten Emotion“ zu bestimmten Handlungen motiviert werden oder disponiert sind, anders formuliert: Echte Emotionen haben motivationale Kraft.

Wie ist dann aber die zweite Prämisse zu verstehen? Allein die Tatsache, dass die Trägerin einer fiktionalen Emotion nicht in der typischen Weise handelt, heißt noch nicht, wie wir nun schon gesehen haben, dass sie nicht zu diesem Verhalten motiviert oder disponiert ist. Wenn aber der Schluss des Arguments aufrechterhalten werden soll, dann muss die zweite Prämisse einen Grund liefern, warum fiktionale Emotionen sich in relevanter Weise von „echten Emotionen“ unterscheiden. Vertreter des Arguments könnten nun annehmen, dass fiktionalen Emotionen tatsächlich die motivationale Kraft echter Emotionen fehlt oder wir aufgrund fiktionaler Emotionen nicht in gleicher Weise disponiert sind zu handeln, wie es bei „echten Emotionen“ der Fall ist.

Ist diese Annahme aber plausibel? Sind wir wirklich nicht motiviert, vor dem Zombie zu fliegen, wenn wir uns vor ihm fürchten? Nun hängt die Antwort auf diese Fragen klarerweise davon ab, wie im Detail ausbuchstabiert wird, was darunter zu verstehen ist, dass Emotionen uns motivieren zu handeln.

Wenn darunter, erstens, verstanden wird, dass wir uns während der Emotion in einem Zustand körperlicher Handlungsbereitschaft befinden, dann trifft dies sicher auch auf fiktionale Angst auch zu. Damit ist gemeint, dass z.B. im Fall von Angst der Herzschlag erhöht ist, sich die Muskeln anspannen, vielleicht sogar die Atmung verändert usw. Von „Handlungsbereitschaft“ ist die Rede, weil der Körper in einem Zustand ist, der gewissermaßen vorbereitet, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten. „Handlung“ wird hier sehr weit gefasst, so dass darunter nicht nur intentionale Handlungen, sondern auch nicht-absichtliches Verhalten fällt, denn selbstverständlich befindet sich der Körper nicht nur in einem Zustand, absichtliche Handlungen auszuführen. Einige Experimente, aber auch unsere eigene Erfahrung legen nahe, dass fiktionale Emotionen mit solchen Zuständen einhergehen können.

Zweitens, spricht auch der phänomenale Charakter fiktionaler Emotionen, also die Weise, wie wir fiktionale Emotionen erleben, gegen eine fehlende motivationale Kraft. Fiktionale Emotionen können genauso intensiv erlebt werden und das Gefühl zu einer Handlung gedrängt zu sein, kann auch genauso stark sein.

Würden wir die motivationale Kraft der Emotionen also entweder unter Bezug auf ihre Affektivität oder auf die physischen Veränderungen, die mit ihnen einhergehen, erklären, dann ließe sich gerade nicht erklären, warum fiktionale Emotionen keine motivationale Kraft haben sollen. Denn in beiden Hinsichten unterscheiden sich fiktionale Emotionen gerade nicht von anderen Emotionen.

Die Vertreter des Handlungsarguments könnten aber geltend machen, dass es doch eine Besonderheit ist, dass wir, wenn wir z.B. Angst vor dem fiktiven Monster haben, trotz der Intensität des affektiven Charakters, trotz der spürbaren physischen Veränderungen unseres Körpers keine Absicht ausbilden zu fliehen. Dass wir tatsächlich keine entsprechenden Absichten ausbilden, ist in der Tat auffällig, aber keinesfalls ein Alleinstellungsmerkmal. Es gibt unzählige Situationen, in denen wir trotz unserer Emotionen keine Handlungsabsichten ausbilden. Wir versuchen z.B. auch nicht aus Mitleid einer Person zu helfen, die schon vor Jahren gestorben ist, wir fliehen nicht vor Dinosauriern, obwohl sie furchterregend sind usw.

Vertreter des Handlungsarguments müssten nun annehmen, dass alle diese Emotionen, in denen jeweils keine Absicht zu einer bestimmten Handlung ausgebildet wird, keine motivationale Kraft haben. Die Klasse der nicht-genuinen Emotionen würde absurd groß.

Aber das Ausbleiben typischer Handlungen und auch der Absichten, diese Handlungen zu vollziehen, lässt sich viel eleganter in anderer Weise erklären: Bereits weiter oben haben wir festgehalten, dass wir keineswegs jedes Mal, wenn wir in einem emotionalen Zustand sind, die Handlung vollziehen, die wir mit dieser Emotion assoziieren.  Wir dürfen nicht vergessen, dass andere psychische Zustände eine Rolle spielen. Im vorherigen Beispiel hat die Überzeugung, dass mich schnelle Bewegungen eher in größere Gefahr bringen, daran gehindert, die Absicht auszubilden, vor dem Hund zu fliehen. Zuschauer fiktionaler Filme wissen, dass sie gar keine Möglichkeit haben, physisch mit den Figuren des Films zu interagieren. Diese Überzeugung spielt nun hier die gleiche Rolle, wie die Überzeugung im vorherigen Beispiel: Sie verhindert, dass wir als Zuschauer die Absicht ausbilden, in einer Weise zu handeln, wie wir es vielleicht in einer anderen nicht-fiktiven Situation tun würden. Das Ausbleiben typischer Handlungen können wir also allein unter Berufung auf unsere Überzeugungen erklären. Wir müssen nicht annehmen, dass fiktionale Emotionen sich von anderen Emotionen durch fehlende motivationale Kraft unterscheiden würden.

Bisher haben wir die Annahme, dass Emotionen in besonders enger Beziehung zu Handlungen stehen, nicht weiter hinterfragt. Vielleicht werden aber die Beispiele Angst und Mitleid nicht nur aus einer aristotelischen Tradition heraus gewählt, sondern auch, weil sie diese Beziehung nahelegen. Wären Furcht und Mitleid gute Bespiele, müssten sich leicht entsprechende Handlungen für andere Emotionen finden lassen. Was wäre aber beispielsweise eine Handlung, die wir im gleichen Sinn mit Trauer assoziieren, wie Flucht mit Angst? Gibt es eine Entsprechung für typische Handlungen bei Stolz, Zufriedenheit, Verachtung, Bewunderung, Amüsiertsein und Langeweile? Unbestritten ist, dass wir auch von diesen Emotionen motiviert werden zu handeln. Es scheint aber deutlich weniger klar und viel kontextabhängiger, was typische Handlungen für diese und auch andere Emotionen wären.

Allerdings gehen tatsächlich viele Emotionen mit ausgeprägtem expressivem Verhalten einher. Trauer drücken wir zumindest manchmal durch Weinen, eine veränderte Körperhaltung und Mimik aus, unsere Stimme ist verändert usw. Auch bei Freude oder Wut zeigen wir manchmal sehr starkes expressives Verhalten. Bei anderen Emotionen scheint selbst diese Expressivität weniger stark ausgeprägt oder ihr Ausdruck zumindest weniger eindeutig, wie z.B. bei Neugier, Hoffnung oder Zufriedenheit. Diese körperlichen Veränderungen und Ausdrucksweisen sind aber, sofern vorhanden, zumindest typischerweise keine intentionalen Handlungen. Es scheint also so, dass wir vielen Emotionen keine typischen intentionalen Handlungen, sondern wenn, dann nur typische nicht-intentionale Verhaltensweisen, insbesondere Mimik oder Gestik, zuordnen können. Trifft dies zu, dann ist die erste Prämisse des Handlungsarguments in ihrer Allgemeinheit nicht haltbar. Es gibt zwar Emotionen, denen wir typische intentionale Handlungen zuordnen können, das scheint aber eher die Ausnahme als die Regel zu sein.

Wir haben nun gesehen, dass die Annahme, dass Emotionen in einer besonderen, engen Beziehung zu Handlungen stehen, so verstanden werden kann, dass Emotionen besondere motivationale Kraft haben. Sie motivieren uns zu handeln. Es scheint aber nicht so, dass allen Emotionen ein spezifischer Handlungstyp zugeordnet werden könnte, zu dem wir durch die Emotion motiviert würden. Sehr viele Emotionen können aber spezifische Verhaltensweisen, wie Mimik und Gestik zugeordnet werden, die aber typischerweise nicht absichtlich, oft sogar unbewusst stattfinden. Das heißt aber nicht, dass diese Emotionen keine motivierende Kraft hätten, sondern nur, dass die Art der Handlung, zu der sie motivieren sehr kontextrelativ ist. Wir müssen auch nicht annehmen, dass Emotionen, die sich auf fiktive, zukünftige oder vergangene Gegenstände richten, weniger motivationale Kraft besitzen und sich deshalb von anderen Emotionen kategorial unterscheiden würden. 


Christiana Werner ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Duisburg-Essen und Mitglied des DFG/AHRC-Projekts „How does it feel? Interpersonal Understanding and Affective Empathy“, wo sie an ihrem Projekt „Interpersonal and Phenomenal Understanding“ arbeitet. In diesem Fachaufsatz hat Sie sich detailliert zu den Themen dieses Beitrags geäußert.

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