20 Jun

Zu viel vom Falschen?Das Geld und die Moral

von Eric Achermann (Münster)


Es ist durchaus bemerkenswert, welch routiniertes Verständnis Religionen einerseits entgegengebracht, andererseits aber allem Möglichen, was dieser oder jenem als überbewertet erscheint, alsbald der Schimpfname ‚Religion‘ verpasst wird. So seien Technik, Konsum, Fußball, Stars, Autos, Influencer u.a.m. allesamt Gegenstände religiöser Verehrung. Auch das Geld darf da nicht fehlen. Die Religion Geld aber, das muss man ihr lassen, kann auf eine Ahnengalerie zurückblicken, die es unter allen Ersatzreligionen mutmaßlich zur ältesten macht, nimmt man das Goldene Kalb mal aus.

Die Rede vom ‚Mammon‘, den „alles“ anbetet (Mt 6,24), ist so alt, wie die Bergpredigt, ja – lässt man ‚maṭmōwn‘ (Gen 43:23) als dessen Etymologie zu – so alt wie Moses. Bei Matthäus nun ist Mammon Herr, der Mensch aber sein Diener. Doch „niemand“, so sagt es der Herr und Sohn des Herrn, „kann zwei Herren dienen.“ Sowohl wahre als auch falsche Religion erfordern Dienst; gut tut nur, wer den richtigen zum Herrn erwählt. ‚Mammon‘ aber steht für Güter, die nicht etwa dem Menschen dienstbar sind, sondern diesen knechten.

Die Inversion von Zweck und Mittel sowie von Herr und Diener steht für die Perversion ordentlicher Verhältnisse. Hinter der Ambi-, mehr noch Antivalenz pervertierter Herrschaftsverhältnisse verbergen sich Scharen weiterer riskanter Valenzen. So werden Moralisten nicht müde, Geld zu verteufeln, gleichzeitig aber dessen gerechtere Verteilung zu fordern. Wäre es da nicht besser, könnte der Satiriker unter den Moralisten fragen, die Armen vom Geld zu befreien, um sie nicht zu noch ärmeren Teufeln zu machen? Kurz, das Predigen hat dem Verständnis desjenigen, was Geld ist, kann und soll, keinen guten Dienst erwiesen. Was an Geld schlecht ist, hängt zuvorderst davon ab, was wir unter ‚Geld‘ verstehen wollen. Was nun aber Geld ist und Geld soll, dieser Frage wurde in der auf Aristoteles (Nikomachische Ethik, 1133a7ff.) zurückgehenden geldtheoretischen Diskussion ununterbrochen hohe Aufmerksamkeit zuteil, weit höhere zumindest, als es die öffentliche politische und moralische Be- und Verurteilung heute wie gestern zuzulassen scheint. Gemeinhin werden drei, mit William Stanley Jevons bisweilen auch vier Funktionen gezählt: Tauschen, Messen, Horten, wozu sich eine vierte Funktion gesellen mag, die zeitaufschiebende.

Wer zahlt, behandelt Geld – neudeutsch – als ‚utility‘; Geld auszugeben, steht einzig unter dem Verdacht, es für das Falsche auszugeben – wer hier moralisch versagt, versagt letztlich in Bezug auf ein fehlgeleitetes individuelles Begehren. Unter allen Konsumgütern, in welche zu verwandeln das Tauschmittel Geld befähigt, wählt er oder sie die falschen und tauscht so sein oder ihr Geld, nicht zuletzt also den Ausweis eigener Produktivität, für Nichtig-, gar Schädlichkeiten ein. Kurz, Konsumenten und Konsumentinnen komme die moralische Verpflichtung zu, ihr Geld‚ ‚sinnvoll‘ auszugeben.

Die Kritik am Konsumverhalten rehabilitiert das an sich schlechte Medium als ein Mittel, indem es zumindest die Möglichkeit einräumt, Geld richtig auszugeben. Anders sieht es mit dem Horten aus. Wer hortet, so ein gängiges Urteil, entziehe das Geld einer öffentlichen oder halböffentlichen Sphäre, so dass es andere nicht brauchen oder horten können. Wer hortet, zeichne sich durch Egoismus oder Privatismus aus, schade damit der Volkswirtschaft als solcher. Die kontinuierliche wechselseitige Verwandlung von Arbeit in Konsum und von Konsum in Arbeit, die gesellschaftliche Interaktion von Haushalten und Betrieben sowie die intrikate, unauflösbare Vernetzung von Genuss- und Produktionsperioden werde durch Hypertrophie gestört, gar zerstört. Auch hier, so hören wir, wäre der richtige Einsatz vom Geld segensreich. Dieser läge zwischen einem berechtigten Sicherheitsverständnis, wohlwollend ‚Vorsorge‘ genannt, und einem beherzten Konsumieren, das den Binnenkonsum anheizen und freie Geldzirkulation als Motor des Wohlstands eines gesamten ‚Volkes‘ verstünde.

Das Messen schließlich erscheint auf den ersten Blick moralisch am unbedenklichsten, doch birgt es richtig besehen die höchste soziale Sprengkraft. Sie geht über eine Ethik des Konsums und eine Ökonomik der Zirkulation hinaus. Mit Joseph Schumpeter zu sprechen, ist Geld nämlich nicht zuletzt Mittel der großen „sozialen Abrechnung“. Diese beziffert nicht nur die Betriebe, sondern alle wirtschaftenden Akteure auf ihren jeweiligen Anteil am alles umfassenden Marktgeschehen hin. Nicht nur der Wert von Waren, sondern auch die Bedeutung von Menschen wird durch Geld bemessen. Sicher, der Lohnausweis ist Beleg einer Geldanweisung, mehr noch aber Wert auf einer Messlatte, welche die gesellschaftliche Bedeutung von realen Personen und deren Leistungen vergleichbar macht. Ähnlich wie das Strafmaß sanktionieren Lohn und Vermögen zwar unser Handeln, gleichzeitig stehen sie aber auch für eine Werteordnung, die neben Knappheit und Überschuss auf dem Arbeitsmarkt auch soziale Anerkennung unterschiedlicher Formen von Arbeitsleistung zum Ausdruck bringt.

Die ethische, ökonomische und soziale Dimension des Geldes, sowohl ein materielles als auch ideelles Kapital mit Bezug auf Waren und Güter, Produktion und Konsum sowie Vermögen und Leistung zu repräsentieren, zu transformieren und für Kommunikation bereits zu halten, stehen in einem spannungsreichen Verhältnis zu der Vorstellung, die dem Geld eine eigene Produktivität zuspricht. Etwas verkürzt handelt es sich hierbei um klassische Bankgeschäfte. Banken kaufen Einlagen und verkaufen Kredite, und erwirtschaften dabei mitunter schwindelerregende Gewinne, bisweilen noch schwindelerregendere Verluste. Die volkswirtschaftliche Bedeutung aber sehen Banken in ihrer Funktion, durch die Gleichzeitig von Einlage und Kredit das Geld gleichzeitig zu horten und zirkulieren zu lassen. Das Geschäft, mit relativ geringem Eigenkapital riesige Kredite zu gewähren, lassen sich die Banken als Risiko bezahlen. Die aufschiebende Wirkung nun, welche diese Schuldenwirtschaft einer Ungleichzeitigkeit wechselseitiger Forderungen bewirkt, hat zu einem immer stärker werdenden Gefühl der Uneigentlichkeit von Geld und Geldanlagen geführt. Die Summen erscheinen als bloße Posten, die in einem unentwirrbaren Gewirr von Transaktionen sich von der Realwirtschaft entkoppelt, und – was paradox anmuten müsste – gleichzeitig die Herrschaft über diese Wirtschaft erlangt haben. Die Unentwirrbarkeit fand vor allem in den 90er und zu Beginn der 00er Jahre ihren Ausdruck in der Maxime, dass ein Maximum an Streuung zu einem Maximum an Stabilität und Wohlstand beitrage, oder: dass bei einem Maximum von Zahlungsversprechen die getilgten Schulden immer das Risiko zahlungsunfähiger Schuldner mit Gewinn kompensieren werde.

Der Ankauf der Einlagen hat für die meisten Eigner und Eignerinnen, zu deren Schuldnern sich die Banken machen, in den letzten Jahren viel an seiner Selbstverständlichkeit eingebüßt. Gerne bezeichnen die Banken Gläubiger euphemistisch als ‚Kunden‘, was bei der eigentlichen Ausgangslage, dass nämlich Einlegerinnen und Einleger ihr Geld an die Bank verkaufen, und dafür Zinsen erhalten, merkwürdig ist. Auch ist heute für ‚Normalverbraucher‘ und ‚‑verbraucherinnen‘ nicht mehr klar, worin denn die Gegenleistung der Banken besteht, es sei denn, Geldbeträge vor Dieben zu schützen und monetäre Transaktionen zu erleichtern. Die Bank scheint bestenfalls zu einer ‚utility‘ geworden zu sein, deren man sich aus Bequemlichkeit bedient, wenn man nicht gar rechtlich dazu verpflichtet wird. Bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts berichtet Jean François Melon von dem Gemeinplatz, „dass die gute Bank diejenige sei, die nicht zahle“. Eine Einsicht, die Ende des 19. Jahrhunderts etwas feiner gezeichnet und in das matte Licht des Probabilismus getaucht, lauten wird (J. F. Edgeworth): „The solvency and profits of the banker depend upon the probability that he will not be called upon to meet at once more than a certain amount of his liabilities.“ Ob es nun das feste Vertrauen oder „the rule of error“ ist, die den Wall gegen einen Ansturm von Gläubigern errichte, ist zu einer Frage der Ideologie geworden, die dem Mangel oder der Herrschaft rationalen Agierens im Reich des Wirtschaftens gilt und damit der prognostischen Qualität von Anlageberatern und -beraterinnen. Dabei schleicht sich der Verdacht ein, dass – falls die werbenden Prognosen und Versprechen tatsächlich so verlässlich bzw. treu wären – die Berater und Beraterinnen ihr eigenes Geld anlegen würden, statt die Gewinne mit Dritten zu teilen.

Die ‚Kunden‘ aber müssen für den Gewinn schon etwas tun, sich nämlich nach Maßgabe von Prognosen verhalten. Für Unternehmen gelten diese Prognosen in der Regel einem künftigen Konsumverhalten, für die Börse aber der Entwicklung kotierter Papiere. Viel ist die Rede von der ‚Irrationalität‘ von Börsengeschäften. Damit sollen wohl die subjektiven, psychischen Reaktionen von Anlegern bezeichnet werden. Schlägt nämlich das Vertrauen oder die Erwartung in Enttäuschung um, so realisiert sich ‚ispo facto‘ ein Verlust. Mit Irrationalität hat das aber auf Ebene der Individuen wenig zu tun. Die Ansicht das rationale und somit verantwortungsvolle Anleger nicht auf kurzfristige Schwankungen reagieren, widerspricht offen demjenigen, was eine Börse ist und soll. Unternehmen planen nämlich langfristig, indem sie sich auf die Stabilität realer oder imaginärer Bedürfnisse bei der Entwicklung ihrer Produkte verlassen, während Banken durch ihr Risikoverhalten auf terminierte Fristen hin prognostizieren. Börsen hingegen realisieren. Sie bilden langfristige Konsumprognosen und mittelfristige, terminbefristete Zahlungsversprechen im Hier und Jetzt auf ihre mutmaßliche Verlässlichkeit hin ab. Wer in diesem Hier und Jetzt seinen Gewinn realisiert oder seinen Verlust minimiert, der handelt so, wie es Börsen ‚per definitionem‘ vorsehen – irrational aber handelt er oder sie nicht.

Wenig spricht dafür, dass der Probabilismus recht behalten wird. Edgeworth etwa erkannte in den „gekräuselten Wellen“ der „Schönwetterlage des Handels“ das adäquate Bild, um die Rationalität des Prognostizierens wirtschaftlicher Entwicklungen zu fundieren: „The rules of chance apply to the ‚many-dimpled‘ undulations of commercial fair weather, rather than to the solitary earthquake wave of a great crisis.“ Ob ein Tsunami dem Olympischen Allanblick nicht etwa als kräuselnder Wellenkamm erscheint, ist keine wissenschaftliche Frage. Die Antwort dürfte vielmehr von der jeweiligen Neigung oder Abneigung für die Tragik weltlicher Existenz abhängen. Brechen wir die großen und kleinen Wellen jedoch auf das Kräuseln individuellen Markverhaltens runter, so sind die Entscheidungen wirtschaftlicher Akteure in eine Polyperspektive eingebunden, die richtiges Entscheiden für diese Individuen nicht mehr zuzulassen scheint.

Nachhaltiges Konsumverhalten, verantwortungsbewusste Vorsorge, gerechte Verteilung, risikoarme Anlagen – all diese Forderungen belasten die Psyche unserer Akteure in einem Maße, das in offene Aggression umzuschlagen droht. Die ‚double binds‘ wirtschaftlichen Handelns, die widersprüchlichen Forderungen und Versprechen, finden im Geld das Symbol, das den Menschen an das Hier und Jetzt seiner Zukunftserwartungen und das Bewusstsein vergangener Meriten kettet und ihm den freien Flug in jene Sphären verunmöglicht, aus welcher heraus unser Planet nur immer im schönsten Wetter erstrahlt. Den richtigen Umgang mit Geld zu lernen, kann da nicht in Patentrezepten bestehen, da private Interessen, ökonomische Rationalität, gesellschaftliche Gleichheitsvorstellungen und ökologische Nachhaltigkeit notwendig kollidieren müssen. Politische Akteure müssen lernen, ihre Forderungen eingedenk der jeweiligen Vor- und Nachteile wirtschaftlicher Akteure so zu formulieren, dass eine Abwägung und damit ein billiges Urteil den Akteuren in ihren Entscheidungen möglich erscheint.

Geld ist ebenso wenig wie Wissenschaft, Technik oder Popmusik eine Ersatzreligion, sondern Ausdruck vielfältigster Erwartungen, die im Geld eine kulturell und gesellschaftlich bedingte Form des Ausdrucks gefunden haben. Die hochkomplexe Gleichzeitigkeit verschiedener Funktionen lassen es als unangemessen erscheinen, es ‚pro toto‘ zum Brennpunkt moralischer Forderungen zu erheben. Vielmehr gilt es, Unsicherheiten und Ambiguitäten zu benennen und auszuhalten. Ohne Rezept und Arznei zu kennen, so scheint in moralischer Absicht die Diagnose mit Blick auf die jeweiligen Funktionen und Ziele geboten. Es wäre schön, Geld als Erkenntnisgegenstand von einem rhetorischen Holismus zu befreien, der sich in der Einsicht ergeht, dass alles mit allem zusammenhänge. Ein erster Schritt aus dieser letztlichen Unverbindlichkeit bestünde darin, dem Geld so etwas wie Eigentlichkeit zurückzugeben, indem Konsum, Produktion, soziale Anerkennung, Vorsorge, Investitionsbereitschaft etc. als jeweilige Ziele monetärer Entscheidungen getrennt in den Blick genommen werden. Nur so kann wirtschaftliches Handeln im Rahmen eines verantwortungsvollen, seiner eigenen Relativität und Grenzen bewussten Handelns auf Finalitäten hin befragt werden, die ein Abwägen des Besseren und Schlechteren eben nicht ‚sub specie aeternitatis‘, sondern mit Bezug auf eigenes Wissen, eigene Erfahrung und eigene Bedürfnisse hin ermöglicht. Und noch banaler: Was das Geld mit einem macht, ist keine Herrschaftsfrage, sondern eine, die es nach unseren Möglichkeiten zu beantworten gilt. Herr und Diener nämlich sind keine Substanzen, auch das wusste Aristoteles (Kategorien, 6b27) , sondern Namen eines Verhältnisses.


Eric Achermann ist Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.

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