Demokratie und Kapitalismus

Prof. Dr. Lisa Herzog im Gespräch mit Dr. Sarah Rebecca Strömel

Wie lässt sich das Verhältnis von Demokratie und Kapitalismus in Zeiten zunehmender Krisendiagnosen der Demokratie einordnen? Die grundlegenden Werte beider Systeme sind laut Prof. Dr. Lisa Herzog (Professorin für Politische Philosophie an der Universität Groningen, Niederlande) entscheidend, um verstehen zu können, wie Krisensymptome der Demokratie durch den Kapitalismus hervorgebracht werden. Bedarf es einer Reorientierung des Kapitalismus entlang demokratischer Grundwerte? Im Gespräch mit Dr. Sarah Rebecca Strömel beantwortet Prof. Herzog folgende Fragen:

1. Lange Zeit galt das Verhältnis zwischen Demokratie und Kapitalismus als Erfolgsrezept für westliche Demokratien, insbesondere für altehrwürdige Demokratien wie die USA oder Großbritannien. Aber in jüngerer Zeit wird immer häufiger der Kapitalismus als Ursache genannt, wenn es darum geht zu erklären: Warum bröckeln eigentlich die Fundamente der liberalen Demokratie? Und auch Sie plädieren in Ihren Schriften dafür, dass der Westen sein Wirtschaftssystem grundlegend reformieren muss, weil er ansonsten Gefahr läuft, die Demokratie zu verlieren. Wie würden Sie das Verhältnis von Demokratie und Kapitalismus beschreiben und warum bedarf es einer tiefgreifenden Veränderung? 

2. Warum werden gerade jetzt immer mehr Stimmen laut, die den Kapitalismus als Ursache für die globale Entdemokratisierung ausmachen? Was hat sich seit Beginn des Zusammenwirkens von Kapitalismus und Demokratie denn geändert?

3. Wie könnte ein alternatives Wirtschaftssystem konkret aussehen und inwiefern würde es eher zur Stabilität der Demokratie beitragen? 

4. Wenn man die Beziehung von Demokratie und Kapitalismus analysiert, kann man natürlich fragen „was heißt Kapitalismus“, man kann aber auch fragen „was heißt Demokratie?“ In Ihren Schriften folgen Sie John Dewey, der die Demokratie auch als way of Life begreift und verorten sich selbst an der Schnittstelle von deliberativer und partizipatorischer Demokratietheorie, wenn ich Sie richtig verstanden habe. Mit Blick auf die kränkelnde Demokratie fordern Sie mehr demokratische Werte für unser Wirtschaftssystem. Was heißt Demokratie genau für Sie und welche demokratischen Werte meinen Sie?

5. Ein Prinzip, das die Demokratie sozusagen vom Kapitalismus lernt und das Sie in Ihren Publikationen für fatal mit Blick auf eine funktionierende Demokratie halten, ist das Prinzip der Effizienz. Warum ist die Dominanz dieses Prinzips so gefährlich für die Demokratie?

6. In einem Ihrer Texte schreiben Sie, dass sich der Kapitalismus und die Demokratie in einem klaren Spannungsverhältnis zueinander befinden, weil der Kapitalismus Eigentumsrechte ins Zentrum rückt und Macht an Besitzverhältnisse koppelt, wohingegen die Demokratie gleiche persönliche Rechte und Freiheiten als Grundprinzipien fokussiert. Könnten Sie den Zusammenhang  noch einmal genauer erläutern?

7. Ich würde mir als Nächstes gerne zwei konkrete Beispiele anschauen. Zum einen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens, wie es beispielsweise Philippe Van Parijs vorgeschlagen hat und zum anderen die Vier-Tage-Woche. Mich würde interessieren, weniger aus sozialpolitischer, denn aus demokratietheoretischer Sicht: Wie stehen Sie zu diesen beiden Ideen und können sie aus Ihrer Sicht zur Genesung der Demokratie beitragen, etwa weil die Bürger:innen dann mehr Zeit hätten, um sich umfassend politisch zu informieren, sich aktiv politisch einzubringen oder sich für das Gemeinwohl zu engagieren?

8. Michael Sandel macht in seinem Buch mit dem Titel „Vom Ende des Gemeinwohls: Wie die Leistungsgesellschaft unsere Demokratie zerstört“ auch eine Verbindung zwischen dem meritokratischen Prinzip und dem weltweiten Erstarken des Populismus, vor allem des Rechtspopulismus innerhalb der Demokratie aus. Überspitzt gefragt: Treibt uns die Leistungsgesellschaft oder der Kapitalismus auch Ihrer Einschätzung nach in die Arme des Populismus?