17 Mrz

Die Klimakrise – ein Plädoyer für ethische Analysen und demokratische Reformen

von Joachim Wündisch (Düsseldorf)


Die Prognosen über die Entwicklung des globalen Klimas werden zunehmend dramatischer: verheerende Unwetter, weiträumige Überschwemmungen, sich ausbreitende Krankheitserreger, Ernteausfälle und Wasserknappheit. Zwar ist die Mehrheit der Menschen davon überzeugt, dass etwas getan werden muss, aber es wird nichts getan, jedenfalls nicht genug. Ich behaupte, erstens, wir brauchen auch ethische Überlegungen, um die Klimakrise zu bewältigen, und zweitens, nur demokratische Systeme werden sie bewältigen können.

Eine Rolle für die Ethik?

Dem anthropogenen Klimawandel zu begegnen ist der Inbegriff eines vielschichtigen Problems. Neben naturwissenschaftlicher Expertise benötigen wir u. a. die Ingenieurswissenschaften, die Politologie, die Volkswirtschaftslehre, die Geschichtswissenschaften sowie die Psychologie und Soziologie. Die Klimakrise ist also kein exklusiv ethisches Problem. Wer aber ethische Fragen ausblendet, verkennt zentrale Aspekte der Klimakrise. Selbst wenn wir ethische Fragen explizit ausklammern, kommen wir nicht umhin, ethisch relevante Entscheidungen zu treffen. Ein gutes Beispiel für eine Entscheidung, die sich vermeintlich rein auf Grundlage naturwissenschaftlicher Erkenntnisse treffen lässt, die aber bedeutende ethische Implikationen hat, ist unser Klimaziel. Unabhängig davon, ob wir uns auf ein Zwei-Grad-Ziel, ein Ein-Grad-Ziel oder allgemeiner auf die Vermeidung von „gefährlichem“ Klimawandel einigen, akzeptieren wir, zumindest implizit, Unschuldige zu schädigen. Die Frage, welchen Grad der Erwärmung wir tolerieren sollten, ist also eine dezidiert ethische.[1]

Setzten wir einmal voraus, dass ein spezifisches Klimaziel feststeht. Nun folgen wiederum ethisch relevante Fragen der Verteilung. Mit dem gewählten Klimaziel ist ein Höchstbetrag von Emissionen gesetzt. Wie soll dieses Gesamtpaket zulässiger Emissionen auf Länder, Generationen und Einzelpersonen verteilt werden? Darüber hinaus müssen wir klären, wie die Opfer ungerechtfertigter Schäden entschädigt werden sollen. Auch das ist zwar zum Teil eine technische bzw. ökonomische, aber eben auch eine ethische Frage. Ein Beispiel: Der steigende Meeresspiegel wird absehbar Küstenregionen, aber auch ganze Inselnationen überschwemmen. Welche Rechtsverletzungen damit einhergehen und wie ihnen zu begegnen ist, erschließt sich nicht, wenn ethische Aspekte ausgeblendet werden.[2]

Sind allein Demokratien anfällig?

Unzulänglicher Klimaschutz und populistische Auswüchse lassen leicht den Eindruck entstehen, dass demokratische Entscheidungsprozesse der Klimakrise nicht gewachsen sind. Daraus darf allerdings nicht geschlossen werden, dass etwa eine internationale Gemeinschaft von Diktaturen das Problem lösen würde.

Mindestens zwei Aspekte der Klimakrise sind gleichermaßen eine Herausforderung für Demokratien wie Diktaturen. Erstens ist die Klimakrise ein globales Problem, da lokale Emissionen globale Schäden verursachen. Zweitens ist die Klimakrise ein intergenerationales Problem, da heutige Emissionen zukünftige Generationen schädigen und heutige Schäden auf vorangegangene Generationen zurückgehen.[3]

Die globale Dimension der Klimakrise stellt einzelne Staaten vor ein Dilemma. Entweder reduzieren sie einseitig und kostspielig ihre Emissionen, laufen aber Gefahr, dass andere Staaten nicht folgen und somit der Klimawandel weiter fortschreitet. Oder sie lassen ihre Emissionen unverändert, tragen so aber weiter zum Klimawandel bei. In diesem Dilemma stecken Staaten, ob sie demokratisch verfasst sind oder nicht. Es entsteht, weil ohne effektive internationale Regelungen schädliche Emissionen einzelner Staaten nicht geahndet werden.

Auch die intergenerationale Dimension der Klimakrise können Diktaturen nur lösen, wenn wir davon ausgehen, dass Diktator*innen die Interessen zukünftiger Generationen vertretbar gewichten werden. Wenig spricht dafür. Da sich herrschende Familien vor allen außer den extremsten Klimaszenarien schützen können, ist eher davon auszugehen, dass es demokratischer Prozesse bedarf, um dem Klimawandel zu begegnen. Nur politische Systeme, für die die Bedürfnisse von zumindest einem Großteil der Bevölkerung maßgeblich sind, werden Lösungen für die Klimakrise finden.

Demokratien benötigen informierte Wähler*innen

Innerhalb liberaler Demokratien entstehen allerdings im Kontext der Klimakrise auf individueller Ebene besondere epistemische Herausforderungen.[4] Erstens sollten Wahlen wohlinformiert sein. Das setzt voraus, dass Bürger*innen sich darüber informieren, ob der Klimawandel existiert, ob er anthropogen ist und wie er im Vergleich zu andern Entscheidungsdimensionen gewichtet werden sollte. Auch undemokratische Systeme kommen nicht ohne diese Informationsakquise aus, aber nur wenige Personen müssen sie leisten. Zweitens haben Bürger*innen liberaler Demokratien große Handlungsspielräume. Um diese verantwortungsvoll nutzen zu können, sollten Individuen also zusätzlich versuchen zu verstehen, ob und inwiefern sie selbst zum Klimawandel beitragen und, wenn ja, wie sie diesen Beitrag am besten reduzieren können. In illiberalen politischen Systemen können Handlungsoptionen soweit eingeschränkt werden, dass Individuen diese Fragen nicht beantworten müssen.

Vor diese epistemischen Probleme gestellt, haben Individuen in erster Linie zwei Möglichkeiten: Sie können versuchen Expert*innen zu identifizieren und sich ihrem Urteil anschließen, und bzw. oder, sie können die Probleme – auf Grundlage medialer Beiträge und wissenschaftlicher Literatur – selbst analysieren.

Aus gesellschaftlicher Perspektive spricht, so meine ich, viel dafür, nicht ausschließlich auf die Strahlkraft von Expert*innen zu vertrauen, sondern Bildungsangebote z. B. in Schulen und an Universitäten zu schaffen, um möglichst vielen Bürger*innen die Möglichkeit zu geben, die komplexen epistemischen Herausforderungen selbst anzunehmen! Dafür spricht nicht nur, dass diese Vorgehensweise sich gut auf andere Fragestellungen übertragen lässt, sondern auch, dass diese Art der eigenen Auseinandersetzung die Integration in den politischen Diskurs und die Partizipation in politischen Systemen stärkt.

Beide Prozesse – die Selektion von Expert*innen sowie individuelle Analysen – sind fehleranfällig und werden von populistischen Strömungen gerade im Kontext der digitalen Medien geschwächt. Diesen Strömungen mit Bildungsangeboten entgegenzutreten ist eine zentrale staatliche Aufgabe liberaler Demokratien, da sie informierte Wahlen erst ermöglicht. Da eine ganze Reihe politischer Herausforderungen – wie z. B. die Klimakrise – von wichtigen ethischen Aspekten geprägt sind, benötigt ihre Lösung also Bildungsangebote im Bereich der Ethik. Machen wir uns keine Illusionen: weder Ethikunterricht noch ein Studium der Ethik machen per se ethischer, sie helfen aber dabei zu verstehen, welche Positionen ethisch vertretbar sind.

Zukunftsfähige Demokratien

All das heißt nicht etwa, heutige Demokratien seien nicht fundamental reformbedürftig. Probleme wie der Klimawandel bleiben ungelöst u. a., weil Spezialinteressen von Mineralölunternehmen undemokratisch viel Raum einnehmen und weil heutige Demokratien bedingt durch kurze Legislaturperioden und fehlende Repräsentation zukünftiger Generationen einen – zumindest mit Blick auf Probleme wie den Klimawandel – sehr kurzen Planungshorizont aufweisen.

Diese Probleme liegen aber nicht im Wesen der Demokratie, sondern können innerhalb von Demokratien behoben werden. Zwei Möglichkeiten z. B. dem kurzen Planungshorizont zu begegnen, bestehen darin, Fürsprecher*innen zukünftiger Generationen zu etablieren, die die potentiellen Bedürfnisse zukünftiger Generationen im politischen Prozess deutlich machen, oder sogar Repräsentant*innen zukünftiger Generationen Stimmrechte einzuräumen.[5] Effektiver Klimaschutz bedarf also grundlegender demokratischer Reformen.


Dr. Joachim Wündisch forscht und lehrt an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf u. a. im Bereich der Klimaethik.


Literatur

Birnbacher, D. (2016): Klimaethik: Nach uns die Sintflut? Stuttgart: Reclam.

Dietrich, F. & Zanetti, V. (2014): Philosophie der internationalen Politik zur Einführung. Hamburg: Junius.

Düwell, M., Bos, G. & van Steenbergen, N. (Eds.) (2018): Towards the Ethics of a Green Future: The Theory and Practice of Human Rights for Future People. London: Routledge.

Gardiner, S. M. (2006): A Perfect Moral Storm: Climate Change, Intergenerational Ethics and the Problem of Moral Corruption. In: Environmental Values, 15 (3), pp. 397–413.

Gardiner, S. M., Caney, S., Jamieson, D. & Shue, H. (Eds.) (2010): Climate Ethics: Essential Readings. New York: Oxford University Press.

González-Ricoy, I. & Gosseries, A. (Eds.) (2016): Institutions for Future Generations. Oxford: Oxford University Press.

Wündisch, J. (2017): Greenhouse Gas Emissions and Individual Excusable Ignorance after 1990. In: Environmental Philosophy, 14 (2), pp. 275–315.

Wündisch, J. (2019): Towards a Non-Ideal Theory of Climate Migration. In: Critical Review of International Social and Political Philosophy, 169 (2), pp. 1–32.

Zwarthoed, D. (2018): Political Representation of Future Generations. In: Düwell, M., Bos, G. & van Steenbergen, N. (Eds.): Towards the Ethics of a Green Future: The Theory and Practice of Human Rights for Future People. London: Routledge, pp. 79–109.


[1] Dietrich und Zanetti (2014: Kap. 6).

[2] Wündisch (2019).

[3] Gardiner (2006).

[4] Wündisch (2017).

[5] Zwarthoed (2018).

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