08 Jun

Klima und Armut

von Ivo Wallimann-Helmer (Fribourg)


Dieser Blogbeitrag bezieht sich auf einen ausführlichen Beitrag im neuen Handbuch Philosophie und Armut, welches im April 2021 bei J.B. Metzler erschienen ist.


Der Klimawandel trifft die armen und ärmsten Weltregionen und Bevölkerungsgruppen besonders hart. Weder haben diese in der Vergangenheit viel zum Klimawandel beigetragen, noch ist ihr heutiger Treibhausgasausstoß annähernd so hoch wie derjenige in den entwickelten Industrienationen und einigen Schwellenländern. Eine der größten Schwierigkeiten besteht darin, mit Klimamaßnahmen die bestehende Armut nicht zu verstärken, sondern bestenfalls zu mildern. Ideal sind deshalb Maßnahmen, die nicht nur dem Klimaschutz dienen, sondern auch der Armutsbekämpfung.

Die ungleich stärkere Belastung der Armen und Ärmsten mit den Folgen des Klimawandels besteht in einer doppelten Ungerechtigkeit. Ihre prekäre Situation macht sie zum einen besonders vulnerabel und zum anderen tragen Sie am wenigsten zur Verursachung des Klimawandels bei. Beim Ergreifen von Klimamaßnahmen besteht allerdings die Gefahr, dass die Armen und Ärmsten weiter benachteiligt werden. Deshalb ist es aus ethischer Perspektive zentral, Klimaschutzpflichten zu begrenzen und angemessene Beteiligungsmöglichkeiten für alle Betroffenen sicherzustellen. Der Emissionszertifikatenhandel und Emissionskompensationsmechanismen haben genauso wie Bildung das Potential, einerseits die Situation der Armen und Ärmsten zu verbessern und andererseits den Klimaschutz zu befördern.

Die doppelte Benachteiligung der Armen

Für die Armen und Ärmsten bedeutet der Klimawandel eine doppelte Ungerechtigkeit. Sie tragen nicht nur am wenigsten zum Klimawandel bei, sondern sind häufig auch stärker von dessen Folgen betroffen. Auf globaler Ebene sind es vereinfacht gesprochen die Entwicklungsländer des Südens, die an dieser doppelten Ungerechtigkeit am stärksten leiden, während die entwickelten Industrienationen am meisten zum Klimawandel beitragen und beigetragen haben. Hieraus leiten sich die in der internationalen Klimapolitik bekannten historischen Klimapflichten der Industrieländer ab.

Es sind allerdings nicht alle Bürgerinnen und Bürger eines Landes, die den Folgen des Klimawandels in gleicher Weise ausgesetzt sind. Es sind in erster Linie die besonders vulnerablen Bevölkerungsgruppen, die unter den Folgen des Klimawandels häufig stärker zu leiden haben. Denn diesen stehen weniger Ressourcen zu Verfügung, sich an ein verändertes Klima und dessen Folgen anzupassen oder ihre Emissionen zu reduzieren. Es wäre deshalb unfair, alle Bevölkerungsschichten in gleicher Weise mit Klimamaßnahmen zu belasten. Denn oft benötigen gerade ärmere Bevölkerungsschichten angesichts des Klimawandels sogar zusätzliche Unterstützung.

Vor diesem Hintergrund scheint es plausibler, historische Klimaschutzpflichten nicht pauschal Ländern zuzuschreiben, sondern jeder und jedem Einzelnen. Damit können nicht nur der aktuelle individuelle Beitrag zum Klimawandel berücksichtigt werden, sondern auch die Vorteile, die jemand aus den aktuellen und vergangenen Emissionen seiner Weltregion zieht. Gleichzeitig könnten die Ärmeren entlastet werden. Hierfür müsste allen Einzelnen ein Lebensemissionsbudget zugeschrieben werden. Wer ein luxuriöseres und emissionsintensiveres Leben führt, wäre so gezwungen seine Emissionen stärker zu reduzieren. Ärmere hingegen müssten dies weniger tun, weil sie weniger Emissionen produzieren.

Armut und Klimamaßnahmen

Zum Ausgleich der doppelten Ungerechtigkeit, denen die Armen und Ärmsten ausgesetzt sind, müssen die Reichen und die Industrienationen bei Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen stärkere Belastungen in Kauf nehmen. Gerade beim Klimaschutz besteht aber die Gefahr, dass Maßnahmen realisiert werden, die bestehende Armut verstärken. Diese Gefahr betrifft zwei Maßnahmenbereiche: Maßnahmen zur Reduktion des Treibstoffverbrauchs und Maßnahmen zur technologischen Entfernung von Treibhausgasen aus der Atmosphäre, d.h. Geoengineering.

Klimaschutzmaßnahmen zur Senkung des Treibhausgasausstoßes durch die Produktion von Biokraftstoff bergen die Gefahr überteuerter Nahrungsmittelpreise. Die Besteuerung von CO2 und damit die Verteuerung von Treibstoff birgt zudem die Gefahr der Vergrößerung bereits bestehender Armut. Auch einige Geoengineering-Methoden führen potentiell zu einer stärkeren Belastung ärmerer Bevölkerungsschichten, weil diese Umweltrisiken häufig unbegründet stärker ausgesetzt sind.

Gleichzeitig beinhalten manche Geoengineering-Maßnahmen eine Bedrohung der Nahrungssicherheit und betreffen weniger einzelne Bevölkerungsschichten, sondern ganze Weltregionen. Denn gerade Maßnahmen, die auf Agrarland zum Binden von CO2 und zur Produktion von Energie setzen, führen zu teureren Nahrungsmittelpreisen. Da diese Technologien in den meisten Modellen in großem Maßstab angenommen werden, damit das Ziel des Pariser Abkommens eingehalten werden kann, ist diese Problematik eine Herausforderung in nicht allzu ferner Zukunft.

Armutsbekämpfung durch Klimaschutz

Die negativen Auswirkungen von Klimaschutz und Geoengineering für ärmere Weltregionen muss bei der Beurteilung von Umsetzungsvorschlägen Berücksichtigung finden. Bei Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel sowie bei Klimaschäden und -verlusten zeigen die Auswirkungen des Klimawandels zudem, wie die Ansprüche der Armen und Ärmsten zu definieren sind.

Die relevanteste Überlegung im Zusammenhang mit Klimaschutz und Armut besteht in der Unterscheidung zwischen Luxusemissionen und Subsistenzemissionen. Nur wer seine Subsistenz sichern kann, darf zu Klimaschutz verpflichtet werden. Ein globaler Emissionszertifikatenhandel gilt darüber hinaus Vielen als ein Vorschlag, der nicht nur die Reduktion von Treibhausgasen fördert, sondern gleichzeitig auch globale Armut lindern kann. Denn mit großer Wahrscheinlichkeit müssen die hochemittierenden Industrienationen Emissionszertifikate in ärmeren, weniger emittierenden Weltregionen erwerben.

Die Förderung von Bildung stellt nicht nur ein Mittel zur Armutsbekämpfung dar, sondern hilft auch bei der Reduktion von Emissionen. Je besser die Bildung, desto kleiner die Geburtenrate, was langfristig auch zur Reduktion von Emissionen führt. Dieser Vorschlag ist allerdings nicht sonderlich effizient und braucht viel Zeit, bis er Wirkung zeigt. Trotzdem zeigt auch diese Überlegung, dass mit der Wahl angemessener Maßnahmen für den nicht nur dem Klimawandel wirkungsvoll entgegengetreten werden kann, sondern auch gleichzeitig Armutsbekämpfung möglich ist. Und dies sollte das Ziel jeglicher Klimapolitik sein. Denn so wichtig der Klimaschutz ist, es gibt auch noch andere drängende Herausforderungen der Menschheit wie die Armut, die ebenfalls angegangen werden müssen.


Ivo Wallimann-Helmer ist seit 2018 Professor für Umweltgeisteswissenschaften an der Universität Fribourg und seit 2019 Direktor des Environmental Sciences and Humanities Institute (UniFR_ESH Institute). Die Kernbereiche seiner Arbeit untersuchen konzeptionelle und normative Fragen der Gerechtigkeit im Klima- und Umweltschutz, technologische Innovationen für nachhaltige Entwicklung und die gerechte Differenzierung von Verantwortlichkeiten in der Umweltpraxis und neuerdings auch in Ernährungssystemen.