Mit der Fanfare philosophieren

von Urs Siegfried (Zürich)


Die Welt hat mehr Philosophie verdient. Und der Philosophie würde ein bisschen mehr Welt auch nicht schaden. Darum: Philosophinnen und Nicht-Philosophen dieser Welt, vereinigt euch! Ein Plädoyer für eine Philosophie, die sich ins Getümmel stürzt.

Ein tiefer Seufzer und dann die Frage: «Muss ich jetzt auch noch etwas für die Öffentlichkeit machen?». Darauf folgen die üblichen Einwände: Wir sind schon genug belastet. Öffentliche Äusserungen bringen nichts für die akademische Karriere. Bei meinem hochspezialisierten Forschungsgebiet kommen Laien sowieso nicht draus. Und selbst wenn: Wer interessiert sich schon für Philosophie, wenn es nicht gerade um plumpe Ratgeberweisheiten geht?

Alleine die Art und Weise, wie wir die Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Öffentlichkeit stellen, ist ein Hinweis, dass da etwas verkehrt läuft. Eigentlich sollte die Frage nicht heissen: «Warum soll ich etwas für die Öffentlichkeit machen, wenn ich Philosophie betreibe?». Sondern: «Warum soll ich Philosophie betreiben, wenn ich nichts für die Öffentlichkeit mache?». Wozu soll Philosophie gut sein, wenn sie keinen Bezug zum Leben hat?

Zugegeben: Grundlagenforschung hat ihre Berechtigung. Aber eben: Sie heisst nicht zufällig Grundlagenforschung. Es handelt sich nicht um eine Beschäftigungstherapie für geistig gelangweilte Menschen, die Alltagsfragen unterkomplex und zum Gähnen finden. Die Idee oder zumindest die Hoffnung ist, dass irgendwann irgendwer etwas damit anfangen und darauf aufbauend die Welt zu einem besseren Ort machen kann.

Ebenfalls zugegeben: Nicht jeder muss Forschung, geschweige denn Grundlagenforschung verstehen. Es macht nichts, dass ich keine Ahnung habe, wie Mäuse-Gene aufgebaut sind und welche Substanzen in einem Aspirin enthalten sind. Wenn es aber Menschen gibt, die Gene von Mäusen manipulieren und mit chemischen Substanzen experimentieren, dann will ich wissen, welche Probleme sie damit lösen wollen, welche Hürden sich ihnen dabei in den Weg stellen und warum es aus ihrer Sicht wichtig ist, sich überhaupt mit Mäusen und Chemikalien herumzuschlagen.

Vereinfacht und auf die Philosophie angewandt könnten wir sagen: Die theoretische Philosophie beschäftigt sich mit Grundlagenforschung und die praktische Philosophie mit Handlungsorientierung. In der theoretischen Philosophie geht es darum, die Welt zu verstehen und frei nach Kant um die Frage «Was können wir wissen?». Auf dieser Grundlage aufbauend beschäftigt sich die praktische Philosophie damit, nach welchen (ethischen) Grundsätzen wir handeln sollen und wie wir diese Grundsätze auf unser Leben im Allgemeinen anwenden können. Es geht also um die Frage «Was sollen wir tun?». Ich bin überzeugt, dass alleine die ewige Wiederholung dieser simplen Einordnung die Vermittlung von Philosophie ein gutes Stück verständlicher macht.

Darüber hinaus hat die Philosophie noch einen weiteren Trumpf in der Hand: ihr Instrumentarium. Weil es in der Philosophie um Bedeutungs- und Begründungsfragen geht, hat sie Werkzeuge entwickelt, die auch in Gesellschaft, Politik und Alltag gute Dienste leisten könnten. Dazu gehören erstens das Zuhören und das grundsätzliche Wohlwollen in Bezug auf andere Argumente. Zweitens das gründliche und manchmal auch nervige Nachfragen, um das Gegenüber und dessen Position besser zu verstehen. Drittens der konsequente Einsatz von Logik und der Anspruch, dass die beste Begründung und nicht das lauteste Gebrüll eine Auseinandersetzung gewinnen sollte.

Was aber, wenn ich Philosophie weder als Grundlagenforschung noch als Handlungsorientierung betreibe und mich auch nicht berufen fühle, das philosophische Instrumentarium marktschreierisch zu verbreiten? Wenn ich also ausschliesslich akademisch dem reinen, zweckfreien Erkenntnisdrang fröne? Sogar in diesem Fall gibt es aus meiner Sicht Anlass, die Philosophie nicht für sich zu behalten. Denn selbst wenn ich Philosophie für mich alleine als persönliche Herzensangelegenheit betreibe, dann gibt es doch mindestens zwei Motive, die mich bewegen: die Freude und die Faszination an der Philosophie. Und was gibt es Schöneres als Freude und Faszination für eine Herzensangelegenheit in die Welt hinauszutragen und mit anderen zu teilen?

Es gibt also gute Gründe, in und mit der Öffentlichkeit zu philosophieren: Philosophie ist Grundlagenforschung im besten Sinne des Wortes. Philosophie bietet Handlungsorientierung im Gesellschaftsdschungel. Philosophie liefert den Werkzeugkasten für eine qualifizierte Diskussionskultur. Und Philosophie ist eine faszinierende Herzensangelegenheit. Ob sich daraus eine Pflicht zur öffentlichen Verbreitung von Philosophie ergibt, sei dahingestellt. Klar ist aber: Wenn wir sie nur für uns betreiben, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn der Rest der Welt Philosophie für abgehoben und überflüssig hält. Darum weg mit dem Lehnstuhl und ab nach draussen. Keine Angst vor Stirnerunzeln und Fragezeichen. Lassen wir die philosophischen Freudefunken in aller Öffentlichkeit sprühen! Es ist die Mühe wert.


Urs Siegfried ist Initiator und Leiter des Zürcher Philosophie Festivals. Er hat in Zürich und Lausanne Geschichte und Betriebswirtschaft studiert. Er war unter anderem Geschäftsführer des St. Galler Radios toxic.fm und leitete den Zürcher Verband für faire und umweltbewusste Hauseigentümerinnen bevor er im Zweitstudium sein Herz an die Philosophie verlor. Seine Selbständigkeit als Unternehmer im Immobilienbereich stellt sicher, dass er trotzdem auf dem Boden bleibt.