Public Philosophy: Philosophie(ren) in der Öffentlichkeit
von Laura Martena (Tutzing) und Gottfried Schweiger (Salzburg) –
Wie erscheint Philosophie in der Öffentlichkeit? Wie könnte und sollte das, was inzwischen auch im Deutschen meist als „Public Philosophy“ firmiert, genauer verstanden und praktiziert werden? Und warum könnte öffentliches Philosophieren überhaupt wichtig sein – für die Öffentlichkeit, aber auch für die Philosophie selbst? Welche Risiken und Nebenwirkungen gibt es, wenn akademische Philosoph:innen den Elfenbeinturm verlassen?
Diese Fragen standen im Mittelpunkt eines Runden Tisches auf der XI. Tagung für Praktische Philosophie. Organisiert wurde er von Gottfried Schweiger, Sarah Rebecca Strömel und Laura Martena, die das Gespräch mit den geladenen Diskutand:innen und dem Publikum auch moderierte.
Im Versuch ihrer Beantwortung gingen wir von Praxisbeispielen aus: Zwei der Diskutand:innen, die hauptberuflich an der Universität tätig sind, Sarah Rebecca Strömel und David Löwenstein, stellten ihre Public Philosophy-Projekte vor. Ein Dritter im Bunde, Thomas Arnold, war leider kurzfristig verhindert, hätte die Runde aber durch seine Erfahrungen mit Dialogformaten bereichert, die wenigstens hier angesprochen werden können. Eine Außenperspektive eröffnete die Journalistin und Medienwissenschaftlerin Kinza Khan, die derzeit gemeinsam mit Laura Martena an der Akademie für Politische Bildung in Tutzing arbeitet.
Philosophie zwischen Universität und Öffentlichkeit
Philosophie ist durchaus populär. Zeitschriften wie das philosophie magazin, Fernsehformate wie Sternstunde Philosophie, Radiosendungen wie Das Philosophische Radio oder das Philosophiefestival phil.cologne erfreuen sich großer Beliebtheit. Diese populäre Philosophie bestand und besteht gewissermaßen unabhängig von ihrer Institutionalisierung an der Universität. Während sie eine vergleichsweise große Reichweite erzielt, gelingt das der akademischen Philosophie, deren Beiträge sich meist an ein hochspezialisiertes Fachpublikum wenden, eher selten.
Wenngleich beide, also akademische und populäre Philosophie, einander im laufenden Betrieb oft ignorieren, haben sie nicht immer friedlich co-existiert. Führende Köpfe der populären Philosophie haben bisweilen scharf gegen den Elfenbeinturm geschossen. Einer ihrer Hauptvorwürfe besteht darin, dass die Philosophie im Prozess ihrer Akademisierung teils derart selbstreferentiell und scholastisch geworden sei, dass sie von außen zu Recht als belanglos wahrgenommen werde. Diese Lücke wollen sie schließen und so die Philosophie, die eigentlich das Potential dazu habe, wieder existentiell und gesellschaftlich relevant machen. Interessanterweise wurde und wird diese Kritik in den letzten Jahren bisweilen auch von akademischen Philosoph:innen geteilt.[1] In Extremfällen führt das in der Konsequenz dazu, dass sie der Universität den Rücken kehren.[2]
Umgekehrt hatten und haben viele akademische Philosoph:innen Vorbehalte gegenüber populärer Philosophie. Sie werfen ihr notorische Seichtigkeit vor: Sie verbreite falschen Tiefsinn oder werfe im provokativen Gestus immer neue Fragen auf, ohne diese dann ernsthaft zu durchdenken. Das Klischee von Philosophie als dauerndem Fragen ohne verbindliche Antworten oder zumindest Fortschritte bei der Suche danach ist wiederum in der Öffentlichkeit verbreitet, wie auch Kinza Khan bemerkte. Daraus ziehen wiederum manche akademische Philosoph:innen den Schluss, dass sich die Philosophie als solche gar nicht an Laien vermitteln ließe, ohne dasjenige zu verraten und zu verkaufen, was sie ausmacht. Manche weisen auch den Anspruch an eine im weitesten Sinn lebenspraktische Dimension der Philosophie rundheraus ab.
Zwar könnte sich die Unterscheidung zwischen akademischer und populärer Philosophie selbst als problematisch erweisen. Vielleicht wäre es vorzuziehen, schlicht zwischen besserer und schlechterer Philosophie zu unterscheiden – wo auch immer sie stattfindet. [3] Selbst, wenn wir die Unterscheidung akzeptieren, lässt sich aber beobachten, dass die Grenzen durchlässiger werden. So scheint sich die akademische Philosophie, deren Perspektive wir bei am Runden Tisch vor allem einnahmen, in den letzten Jahren weiter zu öffnen. Auch im Kontext der Third Mission der Universitäten (also des Engagements jenseits von akademischer Forschung und Lehre) wenden ihre Vertreter:innen sich immer öfter selbst in unterschiedlichen Formen und Formaten an ein breiteres Publikum.
Einen etablierten Begriff zur Bezeichnung all dieser Aktivitäten gibt es nicht – auch weil es bislang kaum einen Diskurs darüber und die daraus sich ergebenden ‚meta‘philosophischen und im weiten Sinn philosophiedidaktischen Fragen gibt.[4] Viele sprechen inzwischen auch im Deutschen von „Public Philosophy“, in Analogie zur geläufigeren Bezeichnung „Public History“.
Verwenden wir den Begriff so weit wie die Geschichtswissenschaft, kann Public Philosophy zunächst alle Aktivitäten des Philosophierens in, für und mit eine(r) breitere(n) Öffentlichkeit meinen. Früher bezeichnete man gerade im angelsächsischen Raum damit oft das Wirken von Philosoph:innen als öffentliche Intellektuelle, die durch Stellungnahmen den demokratischen Diskurs, durch Mitarbeit in Kommissionen und Gremien aber auch handfeste politische Entscheidungsprozesse beeinflussen. Heute wird Public Philosophy oft eher nach dem klassischen Modell der Wissenschaftskommunikation als mediale Vermittlung philosophischer Forschungsergebnisse an Laien verstanden.
Parallel existiert seit den 1980ern die Philosophische Praxis-Bewegung. Während deren Protagonist:innen sich ursprünglich vor allem auf das Philosophieren mit Laien in Beratungssituationen konzentrierten, bieten sie heute mit Philosophischen Cafés, Salons oder Reisen vielfältige interaktive Formate an. Auch akademische Philosoph:innen organisieren solche Veranstaltungen an ihren Universitäten und außerhalb. Hier wird öffentliches Philosophieren weniger nach dem Sender-Empfänger-Modell als vielmehr responsiv und dialogisch praktiziert.
Drei Beispiele aus der Praxis
Beim Runden Tisch wollten wir diese Zugangsweisen an Beispielen illustrieren – und so die Vielfalt öffentlichen Philosophierens sichtbarer machen. Dazu luden wir Diskutand:innen ein, die keine professionellen Medienmacher:innen sind, sondern solche Projekte aus ihrer Haupttätigkeit in Forschung und Lehre heraus auf nicht-kommerzieller Basis und oft zu großen Teilen in ihrer Freizeit verfolgen.
Zunächst stellte Sarah Rebecca Strömel den Blog praefaktisch vor. Er versteht sich einerseits als Versuch, philosophische Debatten allgemeinverständlich aufzubereiten und so einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Anderseits finden sich dort Kommentare, die aus einer philosophischen Sicht auf aktuelle gesellschaftliche und politische Diskurse reagieren. Diese lassen sich nicht nur als Versuche verstehen, gängige Positionen durch weitere Argumente zu untermauern. Vielmehr können die Beiträge immer wieder zeigen, wie sich gerade festgefahrene Debatten philosophisch irritieren lassen. Dazu kann es oft schon genügen, auf problematische Voraussetzungen aufmerksam zu machen, die diese strukturieren, ohne selbst bedacht zu werden.
Der Podcast mitgedacht, den David Löwenstein vorstellte, geht von Fragen philosophischer Laien aus, die oft aus deren Lebenspraxis erwachsen. Zunächst sprechen er und seine Co-Moderator:innen mit den Fragesteller:innen über Sinn und Genese ihrer Frage, die im Zuge dessen ausgeschärft wird oder eine spezifische Wendung erfährt. Dann stellen die beteiligten Studierenden ausgewählte Antworten aus der Philosophiegeschichte vor. Dabei geht es, wie Löwenstein betont, weniger darum, dem Fragenden „die eine“ Antwort zu präsentieren, sondern Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man eine solche Antwort suchen und finden kann und sich dazu verhalten kann. Schließlich treten die Moderator:innen erneut in einen Dialog mit den Fragesteller:innen: Wie reagieren sie auf die eröffneten Perspektiven, was können sie damit anfangen? Wie verschiebt sich in der Auseinandersetzung die ursprüngliche Fragestellung? Welche Anschlussfragen ergeben sich?
Auch Thomas Arnold schreibt neben Forschung und Lehre für Blogs und wirkt an Radio-, wie Fernsehsendungen und Podcasts mit. Zum Runden Tisch hatten wir ihn aber aufgrund seiner Dialogformate eingeladen. So führt er, wie es Vertreter:innen der Philosophischen Praxis seit Langem tun, philosophische Gespräche mit unterschiedlichen Gruppen – in Freiheit oder hinter Gittern. Jüngst brachte er die Philosophie mit Kollegen der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und Studierenden auf die Straße: Beim Projekt Sokrates: Heidelberg Street Philosophy lud er Passant:innen in der Altstadt zum gemeinsamen Reflektieren und Argumentieren ein. Interessant ist sein Zugang zu Public Philosophy auch, weil er diese nicht primär von bestimmten Themen oder Grundfragen her denkt. Vielmehr geht er von einer bestimmten Gesprächsführung aus, die für die Philosophie primär typisch sei. Seine Praxis, die diese Reflexion anhand wechselnder Themen vorführen und erproben soll, nennt er auch ‚logisches Empowerment‘ im Sinne dialogisch-dialektischer Übung in Vernunft.[5]
Was kann öffentliches Philosophieren leisten?
Anhand der Projekte werden verschiedene Aspekte dessen sichtbar, was Public Philosophy in ‚meta‘philosophischer und philosophiedidaktischer Hinsicht bedeuten und leisten kann: Sie kann eben nicht nur Inhalte aus der Fachdebatte didaktisch reduzieren und so einem breiteren Publikum zugänglich machen, um Interesse für sie zu wecken. Sie kann auch mit ihren eigenen Denkformen und -mitteln auf spezifische Weise auf Fragen und Denkprobleme reagieren, die von außen, aus der Lebenspraxis oder öffentlichen Debatten an sie herangetragen werden.
In solche Debatten kann die Philosophie intervenieren, indem sie neue Argumente für bestimmte Standpunkte einspeist. Sie kann aber auch deren Dynamik irritieren, indem sie Begriffe zum Gegenstand macht, die darin unbefragt verwendet werden, oder allgemeiner Voraussetzungen problematisiert, die von den Diskursteilnehmenden wie selbstverständlich getroffen werden. Und sie kann aufzeigen, wie sich die Dinge womöglich anders betrachten ließen. Dasselbe gilt im Übrigen auch für eine Wirkung nach Innen: Eine unverbildete Öffentlichkeit kann dazu zwingen, Jargon und andere akademische Selbstverständlichkeiten zu überdenken und fallenzulassen.
Schließlich kann man Public Philosophy stärker von ihren Denk- und Argumentationsformen selbst her beschreiben: Sie kann Nicht-Philosoph:innen vormachen und sie so in die Lage versetzen, auf sachliche und strukturierte Weise über die eigenen Fragen und Themen nachzudenken und dabei aufmerksamer auf eigene und fremde (Geltungs-)Voraussetzungen zu werden.
Gelingen solche Vermittlungen, erzeugt das auch für die akademisch Philosophierenden ein nicht zu unterschätzendes Erlebnis der Selbstwirksamkeit und Sinnhaftigkeit
Potentiale von Public Philosophy aus der Universität heraus
Wie auch Kinza Khan hervorhob, werden solche Formate wohl kaum je breitenwirksam werden – was aber auch noch für die eingangs angesprochenen mit ihrer ungleich größeren Reichweite gilt. Das liegt einerseits schon daran, dass sich das jeweilige Publikum selbst vorselektiert, andererseits an der Struktur öffentlicher Debatten und etablierter Diskursformate. Gleichzeitig kann sich die Philosophie durch eine Pluralisierung solcher Projekte womöglich selbst neue Öffentlichkeiten schaffen, die zumindest weit über die akademische Diskussion hinausgehen.
Wechselt man dabei den Blick von den zu vermittelnden Inhalten auf den Modellcharakter öffentlicher Philosophie, wird deutlicher, wie groß ihre Potentiale auch und gerade dann sind, wenn sie aus der Universität heraus betrieben wird. Dabei kann zunächst die Entwicklung und Erprobung von Formaten vorangetrieben werden, die bestenfalls im doppelten Sinn vorbildhaft sind: Einerseits für die Adressat:innen, die daran eben nicht nur etwas über die Philosophie, sondern bestenfalls das Philosophieren und die damit verbundenen Haltungen und Fähigkeiten selbst erlernen können; andererseits für Fachkolleg:innen, die darauf aufbauen, sie weiterentwickeln und in neuen Kontexten erproben können. So wird Public Philosophy zugleich zu philosophiedidaktischer Feldforschung jenseits von Schule und Hochschule.
Entsprechend wurde beim Runden Tisch etwa auch mit Blick auf praefaktisch betont, dass es das Genre philosophischer Texte für interessierte Laien mit fachwissenschaftlichem Anspruch, wie sie sich dort und in anderen Blogs finden, vorher gerade im deutschsprachigen Raum kaum gegeben hatte. Aber auch Podcasts wie mitgedacht oder das Street Philosophy Projektlassen sich immer auch als praktische Arbeit an einer Didaktik öffentlichen Philosophierens verstehen, die über bloße Popularisierung gegebener Inhalte hinausgeht. Die Multiplikationseffekte solcher Projekte sind schwerer messbar als Auflagen, Quoten oder Klicks, und letztlich wohl gar nicht zu ermitteln. Dennoch gibt es sie.
Schließlich machte der Runde Tisch deutlich, dass Public Philosophy nicht nur Philosophie zugänglich machen und das Philosophieren exemplarisch erlebbar machen, sondern auch einen neuen Diskurs über die Rolle der Philosophie in der Gesellschaft anstoßen kann – einerseits im Sinne einer Reflexion der etablierten Praktiken akademischen Philosophierens und Publizierens an der Universität, die vielleicht zu Recht kritisiert werden; andererseits selbst als Teil der öffentlichen Auseinandersetzung. Gerade in einer Zeit, in der, wie Strömel betonte, die Klage über den Zustand demokratischer Debattenkultur allgegenwärtig ist, schiene mehr öffentlich geübte Vernunft im Sinne Arnolds durchaus wünschenswert.
Herausforderungen öffentlichen Philosophierens
Ist also alles rosig? Und sollten nun am besten alle akademischen Philosoph:innen neben ihren Aufgaben in Forschung, Lehre und universitärer Selbstverwaltung nebenbei Public Philosophy treiben?
Auch diese Frage haben wir beim Runden Tisch diskutiert. Deutlich wurde dabei der hohe zeitliche Aufwand und persönliche Einsatz, der selbst mit bescheidenen Projekten verbunden ist. Wie Löwenstein betonte, ist diese Arbeit gerade für befristet angestellte Philosoph:innen in notorisch prekären Verhältnissen schwierig umzusetzen. Zugleich werden entsprechende Aktivitäten in Berufungs- und Besetzungsverfahren bislang kaum honoriert. Wenn Universitäten echtes Interesse an ihrer Third Mission hätten, müssten sie wohl darüber nachdenken, das zu ändern. Ferner gab Khan zu bedenken, dass schlicht nicht alle Philosoph:innen willens sind, in der Öffentlichkeit aufzutreten und mit den Konsequenzen zu leben. Auch wenn nicht alle Beteiligten an solchen Projekten an vorderster Front mitarbeiten müssen, erinnert das daran, dass öffentliches Philosophieren nicht romantisiert werden sollte – und die Vermittelbarkeit von Philosophie nicht zu ihrem letzten Kriterium.[6]
Womöglich wäre es angesichts dessen vorzuziehen, an den Universitäten eigene Stellen für Public Philosophy zu schaffen, wie es an einigen Standorten bereits geschehen oder derzeit in Planung ist. Dann ließen sich vielleicht auch die eingangs angesprochenen Dünkel ab- und neue Brücken bauen.
Laura Martena ist Wissenschaftliche Assistentin für theoretische und ethische Grundlagen der Politik an der Akademie für Politische Bildung.
Gottfried Schweiger arbeitet an der Universität Salzburg und macht mit bei praefaktisch.
[1] Siehe als Beispiel etwa Carlo Cellucci (2018): Philosophy at a Crossroads: Escaping from Irrelevance, in: Syzetesis V/1 (2018), S. 13-53. Cellucci beginnt seinen Artikel mit einer eher vernichtenden Diagnose: „On the one hand, there have never been so many professional philosophers as today, on the other hand, philosophy has never been so irrelevant. By this I mean that most of the questions considered by today’s philosophers are of interest only to academics working in a little corner of philosophy, not to those working in other corners of philosophy, let alone to people working in other subjects or to cultured people at large.“
[2] Siehe etwa den Fall Robert Hanna, vormals unbefristeter Professor an der University of Colorado, der nun den Blog Against Professional Philosophy betreibt und dort alternative Konzepte des Philosophierens verficht: Against Professional Philosophy | A Co-Authored Anarcho-Philosophical Diary (againstprofphil.org).
[3] Daniel-Pascal Zorn (2019). Shooting Stars. Philosophie zwischen Pop und Akademie. Frankfurt am Main.
[4] Siehe aber beispielsweise die Beiträge in der Miniserie bei daily nous: The Philosophy of Popular Philosophy: A Miniseries (guest post by Aaron Wendland) – Daily Nous
[5] Siehe Thomas Arnold (2020): Philosophie nach dem Lockdown – Ein Plädoyer für Public Philosophy, in: Philosophische Rundschau 67 , H. 2, S. 137-145.
[6] Siehe dazu etwa Shane J. Ralston (2016): On the Perils of Practicing Public Philosophy, in: The Philosopher’s Cocoon vom 12.05.2016, online: https://philosopherscocoon.typepad.com/blog/2016/12/guest-post-on-the-perils-of-practicing-public-philosophy.html und den dort verlinkten Text von Ralston.