Trumpismus und die Philosophie der Weltordnung
von Mark S. Weiner (Hamden, Connecticut, USA/Uppsala, Schweden)[1]
Im Zuge des NATO-Gipfels und des Helsinki-Treffens waren viele Liberale[2] versucht, das Verhalten von US-Präsident Donald Trump charakterlich zu verurteilen. Seine Unterstützung Vladimir Putins und die Zurechtweisungen seiner eigenen Geheimdienste sowie der traditionellen Verbündeten scheinen zu zeigen, dass er der Sache nicht gewachsen ist; oder dass er fremdgesteuert ist; oder dass er geistig labil ist; oder dass er ein Mitglied der Russlandgang ist – ein „Verräter“.
Eines oder alle dieser Urteile mögen wahr sein, aber es gibt eine tiefere – und beunruhigendere – Erklärung für Trumps Verhalten: sie erwächst aus seinen Ideen, insbesondere aus seinen impliziten philosophischen Überzeugungen über die Weltordnung. Diese Überzeugungen werden noch viel schwerer zu bekämpfen sein.
Natürlich ist Trump kein Philosoph. Aber dank seiner Meisterschaft im Spinnen populärer Narrative und seines feinen Gespürs dafür, wie seine Anhänger_innen emotional auf ihn reagieren, vermittelt er bestimmte Konzepte instinktiv. Bei jedem Auftritt regen ihn die Massen an, seine Ideen zu verfeinern um ihre emotionalen Bedürfnisse, wie sie sie wahrnehmen, zu befriedigen – bevor er sie dann wiederum in den sozialen Medien politisiert.
Wenn es eine Denkerin oder einen Denker gibt, deren oder dessen Gedanken Trump hauptsächlich vermittelt – und die oder der helfen kann, sein Verhalten zu verstehen, insbesondere seinen verbreitet verurteilten moralischen Relativismus gegenüber Russland –, dann ist es der deutsche Rechtsphilosoph Carl Schmitt.
Obwohl Schmitt dafür berüchtigt ist, 1933 der NSDAP beigetreten zu sein, wäre es ein Fehler, seine Gedanken allein aus diesem Grund zu verwerfen. Unter heutigen Wissenschaftler_innen – rechts wie links – ist Schmitt bekannt für seine scharfsinnige Kritik am modernen Liberalismus.
Kern der Schmitt’schen Kritik ist seine Abneigung gegen die universalistischen Ansprüche des Liberalismus. In der Tat betrachten Liberale individuelle Rechte als das Mark ihrer politischen Gemeinschaften und glauben, dass diese Rechte prinzipiell für jedermann gelten sollten. Oder, wie es in einer Redewendung heißt: America is an idea.
Nach Schmitts Meinung führt diese Sichtweise in den Abgrund – national wie international. National, weil das liberale Verständnis von „Volk“ nicht-ausschließend und damit unbestimmt ist. Wer sind wir, wenn „wir“ jeden mit einschließen kann? Schmitt glaubte, diese Art zu denken mache liberale Staaten für Übernahmen durch private Interessensgruppen ebenso anfällig wie für solche durch Fremde von außen – eine Behauptung, die Trump zum zentralen Element seines Wahlkampfes gemacht hat.
Schmitts Kritik liberaler Außenpolitik ruht auf einer ähnlichen Überlegung. Als Verteidiger eines nicht-ausschließenden, rechtebasierten Bekenntnisses sind Liberale versucht, sich in die Belange anderer Staaten, deren Politik nicht mit liberalen Werten vereinbar ist, einzumischen. Und wenn sich Liberale in internationalen militärischen Konflikten engagieren, dann ist ihre Weltsicht geradezu ein Rezept für „totalen“ und ewigwährenden Krieg, weil ihr Bekenntnis zu abstrakten Normen sie verpflichtet, ihre Gegner nicht bloß als Gegner anzusehen, sondern als „totale Feinde“. Anders als „wirkliche Feinde“, mit denen ein Gegner einen modus vivendi erreichen kann, muss ein „totaler Feind“ entweder rechtzeitig zerstört oder transformiert werden – beispielsweise durch das „Nation Building“, das Trump so lautstark zurückweist.
Anstelle von Normativität und Universalismus bietet Schmitt eine Theorie politischer Identität, die auf einem Prinzip beruht, das Trump aufgrund seines Lebens vor der Politik zweifelsohne schätzt: Das Prinzip des Bodens bzw. des Landes.
Nach Schmitt formiert sich eine politische Gemeinschaft, wenn eine Gruppe von Menschen feststellt, dass sie eine distinkte kulturelle Eigenschaft teilt, die es wert wäre, mit ihrem Leben verteidigt zu werden. Diese kulturelle Grundlage von Souveränität wurzelt letztlich in einer bestimmten Geographie – beispielsweise landverbunden und nach innen orientiert oder küstennah und nach außen orientiert –, die ein Volk erbt.
Es geht hier um sich gegenüber stehende Positionen über die Beziehung zwischen nationaler Identität und Recht. Nach Schmitt ist der „Nomos“ einer Gemeinschaft – oder das Selbstverständnis, das seiner Geographie erwächst – die philosophische Voraussetzung seines Rechts. Im Gegensatz dazu ist die Nation für Liberale zuallererst durch seine rechtlichen Verpflichtungen bestimmt.
Trumps Präsidentschaft wird zur Realisierung der politischen Implikationen dieser Schmitt’schen Ideen für innere und äußere Angelegenheiten.
Am offensichtlichsten ist Schmitts Kritik des Liberalismus in der Leidenschaft Trumps und seiner Unterstützer_innen, für den Bau einer Mauer an der südlichen Grenze der USA. Stephen Miller und andere Berater_innen Trumps beschreiben den Bau dieser Mauer vielsagend als eine politische Maßnahme, die von „Liebe“ angetrieben wird, d.h. Liebe der politischen Gemeinschaft der USA – sauber räumlich definiert.[3]
Wichtiger ist, dass Trumps Schmitt’sche Politik angesichts seines Verhaltens gegenüber Amerikas traditionellen Alliierten und Gegnern in Brüssel und Helsinki deutlich wurde. Schmitt verteidigt eine globale Ordnung, die die Monroe-Doktrin universalisiert: große Nationen stecken unverletzbare geographische Einflussbereiche – oder Großräume – ab, von denen aus sie sich gegenseitig Respekt zusprechen. Trump verteidigt eine internationale Ordnung des normativen Pluralismus, der Nicht-Intervention und des Deal-Making.
Aus dieser anti-liberalen Perspektive gibt es keinen Grund, Russland als totalen Feind anzusehen. Und es liegt sehr nahe, internationale Institutionen zu unterminieren und die Beziehungen zu Amerikas traditionellen Partnern zu kappen. Für Anti-Liberale sind die wahren Feinde des Friedens heutzutage die Nationalstaaten und Institutionen, die versuchen, Souveränität von außen zu beschränken und die politische Gemeinschaft nicht territorial und kulturell, sondern normativ zu verstehen. Im Gegensatz dazu sind die Freunde des Friedens die Nationen, die stark genug sind, innerhalb ihrer Grenzen politische Homogenität sicherzustellen und die eine globale Ordnung der wichtigen souveränen Akteure verteidigen.
Als Trump neben Putin stand und sich mit ihm gegen die US-Geheimdienste verbündete, war dies die konsequente Umsetzung Schmitt’scher Ideen. Und diese Ideen werden uns noch begleiten, wenn Trump längst der Vergangenheit angehört.
Anmerkungen des Autors für die deutsche Übersetzung
Dieses Essay ist Teil einer Reihe gelegentlicher Artikel für eine breite Leser_innenschaft, in denen ich versuche, den „Trumpismus“ mithilfe philosophischer Begrifflichkeiten zu untersuchen. Viele Leser_innen haben diesen Versuchen gegenüber mit Zweifeln, teilweise auch mit Anfeindungen reagiert. Widerspruch kommt vor allem von Liberalen (weniger von der politischen Linken), deren Kritik des Präsidenten und der von ihm angeführten Bewegung tendenziell psychologisch ist. Ich denke, dass die Liberalen damit einen gravierenden Fehler begehen und dass dies eine Schwäche der gegenwärtigen liberalen politischen Kultur aufzeigt, nämlich ein gewisses Unbehagen, sich wirklich mit den Ideen auseinanderzusetzen, die den ihren entgegenstehen.
Der am häufigsten geäußerte Einwand ist, Trump selbst habe sich nicht mit Philosophie befasst. Seine Handlungen verdienten daher nicht, philosophisch beschrieben zu werden – ganz so als würde man ihnen durch eine solche Beschreibung eine Anmut verleihen, die sie nicht verdienen. Aber Ideen werden in Taten verkörpert, sie müssen nicht systematisch formuliert sein oder auch nur eine zugrunde liegende, wenn auch sich entwickelnde Kohärenz aufweisen. Das trifft auch für den Trumpismus zu, dessen Ideen durch die politische Praxis rasant deutlich werden. Eine Philosophie der Geschichte, eine Ethik, Ästhetik, Metaphysik, Erkenntnistheorie und natürlich eine politische Philosophie: die Bewegung hat alles davon, wenn auch nur in embryonischer Form.
Da Amerika nun mal Amerika ist, ist unklar, ob dem Trumpismus je das gleiche Maß ideologischer Ausformulierung zuteilwird wie den Ideen der europäischen Rechten. Genau aus diesem Grund ist es besonders wichtig, dass seine Gegner_innen ihm mit sorgfältiger philosophischer Analyse begegnen. In meiner langjährigen Erfahrung sind deutschsprachige Leser_innen diejenigen, bei denen es am unwahrscheinlichsten ist, dass sie den Fehler begehen, implizite philosophische Ideen zu übersehen oder zu unterschätzen. Daher bin ich besonders froh über die Übersetzung dieses Essays ins Deutsche.
Mark S. Weiner ist Fulbright-Gastprofessor für Amerikanistik an der Uppsala University, Schweden (2018-19). Zuvor war er Fulbright-Fellow in Island und in Österreich. Er ist Professor für Rechtswissenschaften an der Rutgers University, USA und Autor mehrerer preisgekrönter Bücher: Black Trials: Citizenship From the Beginnings of Slavery to the End of Caste (2004), Americans without Law: The Racial Boundaries of Citizenship (2006), The Rule of the Clan: What an Ancient Form of Social Organization Reveals about the Future of Individual Freedom (2013) und Law’s Picture Books (2017).
Übersetzung: Norbert Paulo
Fußnoten
[1] Übersetzung des Essays “Trumpism and the Philosophy of World Order” (23.7.2018, Copyright: Project Syndicate 2018: www.project-syndicate.org). Wir danken dem Syndikat für die Genehmigung der Veröffentlichung dieser Übersetzung und vor allem dem Autor für die Bereitschaft, für das deutschsprachige Publikum eine Anmerkung zu schreiben, die am Ende dieses Beitrags steht.
[2] „Liberal“ ist im ganzen Essay im US-amerikanischen Sinn zu verstehen, also grob als „freiheitlich“ oder „sozialdemokratisch“. Der Begriff dient gemeinhin der Abgrenzung zur politischen Rechten wie zur politischen Linken und hat Verbindungen zum „politischen Liberalismus“ von Philosophen wie Charles Larmore und John Rawls. [Anmerkung des Übersetzers]
[3] Der Autor hat den Aspekt der Liebe in einem ausführlichen Rezensionsessay in der Zeitschrift Telos thematisiert, siehe hier (wenn auch leider hinter einer Paywall). [Anmerkung des Übersetzers]