Geschlechtergerechte Sprache. Eine ethische Reflexion

Von  Janina Loh (Stiftung Liebenau & Hochschule Bonn-Rhein-Sieg)


Am 14. Juli 2023 ist International Non-Binary People’s Day. Als einer meiner persönlichen Lieblingstage im Jahr ist das eine gute Gelegenheit, ein paar Gedanken zu einem Thema von nach wie vor hartnäckiger Aktualität loszuwerden. Fast scheint es, als würde sich hierüber die Gesellschaft immer offensichtlicher polarisieren. Es geht um die geschlechtergerechte Sprache.

Von den einen gefeiert, von anderen verabscheut spalten sich an geschlechtergerechter Sprache (bzw. insb. an den Sonderzeichen) die Geister der öffentlichen Debatte. Dazwischen tummeln sich all jene (sowohl außerhalb wie interessanterweise auch innerhalb feministischer Kreise), die behaupten, wir hätten doch ganz andere Probleme und sollten demzufolge relevante gesellschaftliche (und eben auch feministische bzw. die LGBTQIA+-Community betreffende) Herausforderungen endlich nicht mehr über die Diskussion um geschlechtergerechte Sprache ausblenden. Dabei ist es doch so: Sprache ist unser aller Medium, sie bestimmt Alltag und Arbeit, macht (un)sichtbar, ex- und inkludiert. Sprache ist das, was die einzelne Person mit vergleichsweise geringem Aufwand in ihrem individuellen Handeln verändern kann. Über die Sprache sind wir damit auf lange Sicht auch in der Lage, gesellschaftliche Strukturen zu beeinflussen. Sprache ist schließlich ein wesentliches Machtinstrument unserer nach wie vor (Achtung! Triggerwarnung für die dominante Norm des generischen Maskulinums) patriarchalen Gesellschaftsordnung. Also: Wir haben es bzw. sie – schreibend, zeigend, sprechend – in Hand und Mund und Herz und Hirn und überhaupt in unserem ganzen So-Sein. Sprache ist wichtig. Also lasst uns über Sprache sprechen!

Bevor ich jedoch mit meinen Überlegungen anhebe, sei vorausgeschickt, dass ich nicht neutral bin. Ich lebe trans* nichtbinär und bin von Sprache jeden Tag und im Schnitt mindestens einmal pro Tag in sehr unangenehmer (da übergriffiger, anmaßender, verbal gewalttätiger) Weise betroffen. Sie fragen sich jetzt vermutlich, was der Zweck dieser Offenbarung ist. Ich teile Ihnen das in sozusagen vorauseilendem Gehorsam mit. Denn nach wie vor herrscht gerade in den Wissenschaften und in der akademischen Praxis diese unangenehme Haltung vor, dass echte Erkenntnis von neutralen oder unbefangenen Personen produziert zu sein hat, um als eben solche gelten zu dürfen. Aus derselben Perspektive wird etwa BIPoC von der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Rassismus abgeraten, da sie ja als sog. Betroffene keinen vorurteilsfreien Blick auf die Angelegenheit hätten. Und für zu jung befundene Menschen werden gegen ihren Willen aus Debatten, in denen es um sie und ihre eigene Zukunft geht, ausgeschlossen unter dem adultistischen Vorwand einer Absprache der für eine Partizipation an diesen Debatten nötigen Kompetenzen und Fähigkeiten.

Nun, auch ich bin also nicht neutral. Ich gehöre zu jenen Betroffenen – von Sprache Betroffenen. Aber komisch – sind wir das nicht alle? Hatte ich nicht gerade gesagt, dass Sprache jeden Menschen angeht? Heißt das jetzt, dass ich trotz meiner Nichtneutralität über dieses Thema sprechen darf? Hätte ich mich hier vielleicht gar nicht in dieser Weise exponieren müssen? Denn um ehrlich zu sein, geht es doch niemanden etwas an, wie ich mich selbst sehe. Ach, was solls – ich fang einfach mal an und überlasse Ihnen das Urteil über die Überzeugungskraft meiner Argumente. Ich hoffe auf die philosophische Lauterkeit in dieser trauten Runde, dass in den folgenden Zeilen die guten Gründe zählen, die ich Ihnen darlegen kann und nicht meine Person. Denn abseits jeglicher Behauptungen geht es bei dem Thema geschlechtergerechter Sprache in der Tat nicht um Fragen der Identität. Aber das nur am Rande. Nun endlich zum eigentlichen Anliegen dieses Textes:

Meine Gedanken entwickle ich in drei Schritten: Zuerst sage ich etwas dazu, was ich unter geschlechtergerechter Sprache verstehe. Danach erläutere ich den Zusammenhang zwischen Sprache und Moral bzw. Ethik, bevor ich im dritten Abschnitt zwei ganz einfache ethische Argumente für geschlechtergerechte Sprache vortrage.

Geschlechtergerechte Sprache – Wovon reden wir hier überhaupt?

Zunächst möchte ich Ihnen eine Kurzdefinition für geschlechtergerechte Sprache vorstellen: Mit geschlechtergerechte Sprache ist landläufig jede sprachliche Ausdrucksweise gemeint (mündlich wie schriftlich), die nicht das generische Maskulinum nutzt. Wenn wir uns das Ganze etwas genauer anschauen, lassen sich zwei Formen geschlechtergerechter Sprache unterscheiden:

  1. Sprache, die mehr als nur maskuline Formen ausdrückt sowie
  2. Sprache, die Geschlecht unsichtbar macht.

Nehmen wir diese beiden Typen geschlechtergerechter Sprache näher in den Blick, lassen sich weitere Differenzierungen ausmachen: Unter 1. finden sich zum einen 1.1 sprachliche Ausdrucksweisen, die zwei Geschlechter nennen – wir kennen hier etwa die ausgeschriebene Paarform (z.B. Pflegerinnen und Pfleger), den Schrägstrich (Pfleger/innen) sowie das Binnen-I (PflegerInnen). Darüber hinaus lassen sich in diesen ersten Typ geschlechtergerechter Sprache noch 1.2 sprachliche Ausdrucksweisen einordnen, die sich bemühen, mehr als zwei Geschlechter abzubilden – hier wird gegenwärtig mit dreierlei Sonderzeichen gearbeitet, nämlich mit dem Gendersternchen (Pfleger*innen oder Pfleg*), dem Doppelpunkt (Pfleger:innen) sowie dem Unterstrich oder Gender-Gap (Pfleger_innen).

Unter 2. treffen wir 2.1 auf das Entgendern, wie etwa das »x« statt der geschlechtsspezifischen Endung (Pflegx; siehe Lann Hornscheidts Arbeiten) sowie das Entgendern nach Phettberg (Pflegy; Thomas Kronschläger hat hierzu wertvolle Beiträge geleistet). Außerdem sind zu diesem zweiten Typ geschlechtergerechter Sprache 2.2 geschlechtsneutrale Umschreibungen wie etwa Pflegefachkraft, Teilnehmende, medizinisches Personal, Arztperson und weitere Formen zu zählen. Da es derzeit noch nicht weit verbreitet ist, möchte ich näher auf das Entgendern nach Phettberg eingehen. Dabei stehen alle Personenbezeichnungen im Genus Neutrum. Die Singularbildung erfolgt mit dem Wortstamm plus »y«, die Pluralbildung plus »ys«. Sollte der Artikel mit der männlichen Form verwechselt werden können, wird ein »(n.)« zur Kennzeichnung des sächlichen Artikels dahinter angegeben. Schauen wir uns das Ganze an einem Beispiel an: Gerade führt in einer Praxis das Arzty mit einem(n.) Kollegy ein Gespräch über die digitale Patientyakte. Die beiden Expertys gelangen zu dem Schluss, dass es noch einige bislang unbeantwortete Fragen hinsichtlich der Datensicherheit der Klientys gibt. Ich komme weiter unten auf das Entgendern nach Phettberg zurück.

Jetzt zu der Frage, wann wir geschlechtergerechte Sprache nutzen bzw. für wen wir sie nutzen. Hier unterscheide ich im Grunde zwei Kontexte: Geschlechtergerechte Sprache gebrauchen wir zum einen dann, wenn wir über Menschen sprechen bzw. wenn wir Menschen ansprechen, von denen wir nicht sicher wissen, wie sie angesprochen werden möchten. Wenn wir es ganz genau nehmen, ist das eigentlich fast immer der Fall. Denn selbst von jenen, die wir bereits lange kennen, wissen wir nicht unbedingt, wie wir sie adressieren sollen. Für gewöhnlich laufen wir ja auch nicht mit einem Schild auf der Stirn umher, das die von uns präferierte Anrede angibt. Und um dem Ganzen die Krone in Sachen Differenzierung aufzusetzen, hilft uns auch das Wissen über Vornamen und etwaige Pronomen nicht weiter, wenn es gilt herauszufinden, wie eine Person angesprochen zu werden wünscht. In all diesen Momenten ist es schlicht höflich, Menschen etwa mit Liebe Kollegys, Einen schönen guten Abend sehr geehrte Professor*innen, Liebe*r Janina Loh oder mit Guten Tag Janina Loh anzusprechen.

Zum anderen gebrauchen wir geschlechtergerechte Sprache, wenn wir über Menschen sprechen bzw. wenn wir Menschen ansprechen, von denen wir bereits wissen, dass sie sich abseits der Zweigeschlechtlichkeit verorten – sich also etwa als nichtbinär, queer, allgemein trans* etc. verstehen. Auch in solchen Situationen zeigen wir mit dem Gebrauch geschlechtergerechter Sprache, dass wir sensibel sind und uns an einem respektvollen und wertschätzenden Umgang gelegen ist.

Was hat Sprache mit Moral und Ethik zu tun?

Mit den Stichworten Respekt und Wertschätzung schlage ich nun die Brücke zum zweiten Teil meiner Überlegungen. Zunächst sei in aller gebotenen Knappheit mein Verständnis von Moral und Ethik zusammengefasst: Moral ist das, was Menschen im Alltag tun, wenn sie z.B. Werte vertreten, ihrer moralischen Haltung oder Gesinnung gemäß leben oder sich an moralische Regeln halten, die sie etwa von ihren Eltern oder in der Schule gelernt haben. Moralisch zu urteilen heißt auszudrücken, dass etwas gut oder schlecht ist und es entsprechend zu begründen oder doch zumindest begründen zu können. Die Moral ist Forschungsgegenstand der Ethik. Die Ethik ist die Disziplin, die bzw. das Fach, das sich systematisch mit Moral beschäftig. Ethik wird u.a. von Lehrkräften in der Schule unterrichtet oder von Universitätsdozentys gelehrt und auch jetzt gerade von mir im Schreiben dieses Textes über die ethischen Argumente für geschlechtergerechte Sprache betrieben. Moral betrifft alle Menschen, Ethik hingegen nur einige. Moral ist die Praxis, sie ist das, was wir im Alltag tun. Ethik ist die Theorie, sie ist die systematische Auseinandersetzung mit der Moral. So weit, so gut. Wem meine Ausführungen an dieser Stelle zu knapp ausfallen, sei auf das sehr viel ausführlichere Kapitel zum Zusammenhang von Moral und Sprache in Anatol Stefanowitschs Streitschrift Eine Frage der Moral (2018) verwiesen.

Nun noch ein paar Gedanken zum Thema Sprache, bevor ich beides – Moral/Ethik und Sprache – (explizit) miteinander verbinde: Sprache ist menschengemacht. Sie ist kein Naturgesetz – weder fiel sie eines schönen Tages vom Himmel, noch wuchs sie aus dem Boden oder kam hinter irgendeinem Busch hervor. Begriffe, als Bausteine der Sprache, sind nicht neutral. Sie werden nicht irgendwo in der Welt gefunden, sondern von Menschen erfunden. Begriffe und damit Sprache entstehen immer vor dem konkreten Hintergrund politischer, sozialer, moralischer, ökonomischer, religiöser etc. Umstände. Das ist auch dann der Fall, wenn wir uns dieser Umstände nicht bewusst sind. Das bedeutet, dass diese unterschiedlichen Strukturen in unsere Sprache eingehen und sie von ihrer vermeintlichen objektiven Reinheit befreien. Donna Haraway würde sagen, dass Sprache niemals unschuldig ist. Einige Begriffe wie etwa Rasse, Zigeuner, Neger (die ich nur unter schwerer Überwindung hier einmalig anführe) und sogar hautfarbene Pflaster veranschaulichen in unschöner Offensichtlichkeit, dass sie menschengemacht und nicht neutral sind – zahlreiche weitere grässliche Beispiele listet Stefanowitsch auf (2018: 38-40).

Bevor ich mich damit auseinandersetze, was Moral/Ethik und Sprache miteinander zu tun haben, möchte ich auf die Nichtneutralität des Wortes Frau als Form der Anrede einer Person eingehen. Überlegen Sie sich einmal, wie wir dieses Wort in der Anrede einer Person übersetzen, wie wir es erklären würden, sollte uns jemand danach fragen, was wir damit meinen, wenn wir einen Menschen etwa mit Frau Loh ansprechen. (Nebenbei können wir dieses Sprachspiel natürlich auch mit dem Wort Herr als Anrede einer Person spielen. Wir würden zu vergleichbaren Ergebnissen gelangen.) Ich bin auf vier mögliche Interpretationen bzw. Übersetzungsmöglichkeiten gekommen, die ich alle aus ähnlichen Gründen für problematisch halte: Das Wort Frau in der Anrede einer Person meint entweder (1) einen bestimmten Chromosomensatz, was wir ja aber gar nicht wissen können. Stellen wir uns vor, wir würden einen Menschen mit »Hallo Sie haben einen XX-Chromosomensatz Loh!« ansprechen. Absurd, oder? Fun Fact: Heinz-Jürgen Voß weist in seinem lesenswerten Büchlein Geschlecht. Wider die Natürlichkeit darauf hin, dass »es derzeit für etwa 1000 Gene als möglich angesehen [wird], dass sie an der Geschlechtsentwicklung Anteil haben könnten« (2018: 163). Mit der Anrede einer Person mit Frau können wir auch (2) auf das Vorhandensein spezifischer primärer Geschlechtsmerkmale rekurrieren, was allerdings sehr intim und in vielen, vermutlich sogar in den meisten Kontexten vollkommen unangebracht wäre. Stellen wir uns vor, jemand wird mit den Worten »Hallo Sie haben eine Vulva Loh!« begrüßt. Nein, Danke. Auch könnten wir mit der Anrede einer Person mit Frau (3) auf bestimmte als typisch geltende äußerliche Merkmale wie etwa lange Haare oder das Tragen von Kleidern und Makeup verweisen wollen, was allerdings häufig nicht zutrifft und zudem alles andere als eine eindeutige Methode abgibt, zwischen den Geschlechtern zu unterscheiden. Wenn Sie nach Bildern von mir suchen, werden Sie schnell feststellen, dass die Anrede mit »Hallo Sie haben lange Haare Loh!« vollkommen an mir vorbeizielt. Nebenbei: Leider erfreut sich gerade dieses Stereotyp nach wie vor prächtiger Gesundheit, wie ich vor zwei Tagen an einer Supermarktkasse wieder einmal feststellen durfte, als ich hörte, wie jemand seine Begleitperson fingerweisend auf mich fragte Mama, warum hat die Frau da so kurze Haare? Hat die Krebs oder will die ein Mann sein oder was? (So viel zu der oben erwähnten verbalen Gewalt, der ich mich im Schnitt einmal am Tag ausgesetzt sehe.) Und schließlich könnten wir das Wort Frau in der Anrede einer Person noch (4) mit bestimmten Verhaltensweisen bzw. Merkmalen übersetzen, die wir üblicherweise an die Rolle Frau knüpfen. Auch damit gehen ohne Zweifel vollkommen unangemessene Zuschreibungen bzw. diskriminierende Stereotypisierungen einher. Stellen wir uns vor, jemand würde mit »Hallo Ich erwarte von Ihnen ein passives, zurückgenommenes Verhalten, das Austragen von Kindern und die Begeisterung fürs Kochen Loh!« angesprochen werden. Da Rollenstereotype Sicherheit und Orientierung ermöglichen, haben wir mit dieser Übersetzung vermutlich einen Grund dafür offengelegt, warum die Begriffe Frau und Herr als Anrede von Personen in der Mehrheitsgesellschaft nach wie vor so einen Anklang finden.

Kommen wir aber nun endlich dazu, inwiefern Moral/Ethik und Sprache zusammenhängen: Pointiert und unter Rekurs auf die vorherigen Zeilen ist es mir nun möglich, darauf zu verweisen, dass in dem Wort geschlechtergerecht die Ethik in der Gerechtigkeit explizit auftaucht. Gerechtigkeit ist ein ethisches Konzept. Gerechtigkeit mit Blick auf Sprache meint kurz zusammengefasst: Unsere Sprache ist für alle Menschen da. Wenn Sie sprechen, betreiben Sie Moral. Das bedeutet selbstverständlich nicht, dass wir nicht auch mal Fehler machen dürfen. Sensibel zu sprechen, heißt, sich der Nichtneutralität von Begriffen bewusst zu sein. Im Zweifel folgt daraus in konkreten Kontexten zunächst einmal, dass es sich lohnt bzw. angebracht ist nachzufragen. Eine wirklich (geschlechter-)gerechte Sprache würde sich also auch um Begriffe wie etwa Frau als Form der Anrede kümmern und nicht lediglich um die Endungen von geschlechtlich gekennzeichneten Personenbezeichnungen. Eine wirklich (geschlechter-)gerechte Sprache ist tatsächlich und nicht nur dem Anspruch nach gerecht. Denn dem Anspruch nach ist das bereits das generische Maskulinum: Es behauptet, alle Geschlechter zu inkludieren. Dieser Anspruch ist auch gemeint, wenn mir Menschen zu jeder sich vermeintlich bietenden Gelegenheit vollkommen unaufgefordert mitteilen, ich würde der Sprachlogik widersprechen, wenn ich geschlechtergerechte Sprache gebrauche, gar mich selbst mit Gendersternchen benenne oder mich entgendere. Dass das generische Maskulinum allerdings seinem behaupteten Anspruch tatsächlich nicht gerecht wird, belegen zahlreiche Studien spätestens seit den 1970er Jahren.

Obwohl das alles also eigentlich längst klar sein sollte, möchte ich an dieser Stelle einen kleinen Exkurs darüber einschieben, warum das generische Maskulinum in der Tat nicht gerecht ist. Einfach nur, um den berühmten Deckel drauf zu machen sozusagen. Nach meinem Dafürhalten lassen sich mindestens die vier folgenden Gründe gegen das generische Maskulinum anführen:

  1. Menschen fühlen sich nicht mit gemeint. Nichtmännliche Menschen wollen in der Sprache sichtbar sein, da mit dieser Sprache auch über sie gesprochen wird bzw. sie mit dieser Sprache angesprochen werden. Allerdings ist der Verweis auf persönliche Gefühle nicht das beste Argument, können Menschen doch alles Mögliche fühlen – etwa auch, dass weiße Menschen die wichtigsten Menschen sind oder Schwarze Menschen bedrohlich wirken und anderes diskriminierendes Zeug. Besser ist das zweite Argument:
  2. In der Nutzung des generischen Maskulinums denken wir tatsächlich eher an männliche Menschen. Das zeigt etwa Kronschläger in zahlreichen Science Slams an folgendem Beispiel: Gehen Sie auf die Straße und fragen eine Reihe beliebiger Menschen nach ihren drei Lieblingsschauspielern und dann nach ihren drei Lieblingsschauspieler*innen. Sie werden feststellen, dass sich die Antworten der gefragten Personen signifikant voneinander unterscheiden.
  3. Das generische Maskulinum führt zu Missverständnissen. Ein Beispiel, das Gabriele Diewald und Anja Steinhauer in dem Dudenbüchlein Gendern – ganz einfach nennen, geht so: »In den Kitas fehlen Erzieher.« (2019: 17) Denn da mit den Erziehern hier sowohl allgemein für die Erziehung qualifizierte Personen als auch Männer gemeint sein können, »verstößt [das ›generische Maskulinum‹] damit gegen ein grundlegendes Kommunikationsprinzip: nämlich gewünschte Klarheit und Vermeidung von Mehrdeutigkeit.« (2019: 17)
  4. Das generische Maskulinum ist kontraintuitiv. Dafür können wir etwa das folgende Beispiel einmal gedanklich durchspielen: Auf einer Konferenz, die von 1000 Menschen besucht wird, von denen 999 Frauen sind und lediglich eine Person ein Mann, wäre es der Sprachlogik des generischen Maskulinums folgend vollkommen angemessen, eben das generische Maskulinum zu benutzen, also von Konferenzteilnehmern zu sprechen. Anders verhielte es sich nur dann, wenn alle 1000 Menschen auf der Konferenz Frauen wären.

Ethische Argumente für geschlechtergerechte Sprache

Abschließend möchte ich nun zwei ganz einfache ethische Argumente für geschlechtergerechte Sprache vortragen: Das erste Argument geht wie folgt: Geschlechtergerechte Sprache ist nicht nur dem Anspruch nach sondern tatsächlich eine Sprache für alle Menschen. Denn geschlechtergerechte Sprache inkludiert tatsächlich alle Menschen. (Im Schlussteil dieses Textes gehe ich auf diesen Punkt allerdings noch einmal etwas differenzierter ein.) Geschlechtergerechte Sprache diskriminiert nicht. Geschlechtergerechte Sprache enthält keine impliziten Hierarchien innerhalb des Menschlichen. Hierarchien sind nicht neutral. Sie zeigen gerade, dass zwischen den Menschen Unterschiede bestehen und ihnen damit im- oder explizit ein spezifischer moralischer Status zuzuweisen ist. Das generische Maskulinum und auch die Rede vom sog. Dritten Geschlecht enthält solche impliziten Hierarchien.

Das zweite ethische Argument für geschlechtergerechte Sprache lautet wie folgt: Geschlechtergerechte Sprache macht Geschlecht als moralische Kategorie unsichtbar. In einem tatsächlichen, wirklichen oder genuinen Sinn kann Sprache als menschengemachtes Phänomen nicht neutral sein. Aber es ist durchaus möglich, einer gewissen Neutralität an manchen Stellen zumindest ein Stück weit nahezukommen, wenn wir jene Begriffe, die offensichtlich nicht neutral sind, aus unserem Vokabular streichen, geschlechtlich konnotierte Begriffe, Redeweisen und Endungen entgendern (2.1) oder zumindest die Vielfalt der Geschlechter möglichst gleichberechtigt in den Begriffen sprachlich sichtbar machen (1.2). Das ist ein sensibler Umgang mit Sprache. Durch das Entgendern (2.1), die geschlechtsneutrale Umschreibung (2.2) oder zumindest die gleichberechtigte Sichtbarmachung aller Geschlechter (1.2) nehmen wir den fraglichen Begriffen die Implikation, dass Geschlecht eine moralisch signifikante Kategorie ist. Wir nehmen im Gebrauch geschlechtergerechter Sprache über das Geschlecht keine moralische Statuszuweisung mehr vor. Geschlecht hat in der geschlechtergerechten Sprache moralisch denselben Stellenwert wie etwa die Haut-, Haar- oder Augenfarbe eines Menschen – nämlich gar keinen! Auch die Haut-, Haar- oder Augenfarbe ist zwar in manchen Kontexten moralisch von Bedeutung, etwa dann, wenn jemand die Meinung vertritt, dass Menschen mit weißer Haut, blauen Augen und blonden Haaren ein höherer moralischer Status zukommt als anderen Menschen. Aber für gewöhnlich wollen wir den moralischen Status einer Person nicht an solche Kriterien knüpfen und halten das auch aus guten Gründen für moralisch problematisch, weil es schlicht und ergreifend diskriminierend ist. Abgesehen davon kann Geschlecht selbstverständlich auch nach wie vor für einzelne Individuen einen enormen persönlichen Stellenwert haben. Jenen, die besorgt sind, geschlechtergerechte Sprache nehme ihnen ihre Weiblichkeit oder Männlichkeit weg oder verbiete sie (wie auch immer das möglich sein soll – ist mir absolut schleierhaft), sei erneut versichert: Es geht hier nicht um Ihre persönliche Identität. Sie dürfen sich gerne sehen und bezeichnen lassen, wie sie wollen.

Schluss

Ich schließe diesen Text mit der Beantwortung einiger naheliegender Fragen ab: Gibt es bessere und schlechtere Formen geschlechtergerechter Sprache? Ja, die beste Form ist das Entgendern (2.1) oder aber gleich die geschlechtsneutrale Umschreibung (2.2)! Denn geschlechtergerechte Sprache, die nur zwei Geschlechter nennt (1.1), grenzt Menschen abseits der Zweigeschlechtlichkeit aus. Geschlechtergerechte Sprache, die mehr als zwei Geschlechter nennen möchte (durch Sonderzeichen etwa; 1.2), ist besser, aber auch hier wird sprachlich (nämlich im Wort selbst) meistens mit zwei Geschlechtern gearbeitet. Außerdem sind Sonderzeichen schwer zu sprechen (Pfleger*innen und Pfleg*).

Kann ich geschlechtergerechte Sprache in unterschiedlichen Kontexten unterschiedlich nutzen und gibt es gute Gründe dafür, in spezifischen Kontexten vielleicht sogar beim generischen Maskulinum zu bleiben? Nun ja, abgesehen von Entgegenkommen und Pragmatik gibt es keine guten Gründe, um unsensibel und ungerecht zu sprechen. Wir sollten uns auch fragen, wem wir hier eigentlich entgegenkommen, wenn wir auf das generische Maskulinum verfallen, nämlich doch wohl jenen, die geschlechtergerechte Sprache aus gleich welchen Gründen für anstrengend halten. Was ist aber mit jenen, die täglich unter der Ungerechtigkeit des generischen Maskulinums und Misgendern zu leiden haben?! Damit steht nach meinem Dafürhalten nun auch die Pragmatik als Argument für die kontextbezogene Nutzung des generischen Maskulinums auf einigermaßen unsicherem Posten. Die Wahl der Sprache ist eine moralische Entscheidung. So viel ist hoffentlich deutlich geworden. Ebenso ist die Wahl einer bestimmten Form geschlechtergerechter Sprache eine moralische Entscheidung. Sprechen mag damit auf einmal zu einem extrem stressigen Akt werden. Aber glauben Sie mir, Gewöhnung ist hier das Zauberwort. Geschlechtergerechte Sprache erlaubt es uns, das Wunderbare menschlicher Diversität, Vielfalt und Einzigartigkeit anzuerkennen, wertzuschätzen und zu feiern. Höflich nachzufragen ist nie verkehrt. Dadurch wird niemand herabgesetzt, sondern im Gegenteil zeigt sich im Nachfragen ein genuines Interesse am Gegenüber. Lasst uns also endlich mit dem generischen Maskulinum als einem wichtigen Machtinstrument des Patriarchats Schluss machen!