Ist Donald Trump ein Lügner? Fake News, Lügen und Bullshit
von David Lanius (Karlsruhe) & Romy Jaster (Berlin)
Wenn das Thema auf Fake News kommt, dauert es nicht lange bis der Name des US-Präsidenten fällt. Donald Trump ist eine unerschöpfliche Quelle von Fake News. Wie kein Zweiter nutzt er die neuen Medien, um Falschheiten und Irreführungen in die Welt zu setzen. Denken wir nur an seine Tweets über steigende Mordraten, vergewaltigende Mexikaner, Chinas Erfindung des Klimawandels, die Besucherzahlen seiner Amtseinweihung oder massenhaften Wahlbetrug zugunsten seiner Rivalin Hillary Clinton. Trumps Behauptungen in den sozialen Medien umfassen inzwischen Tausende nachweisbarer Falschaussagen. Derart lax ist sein Umgang mit der Wahrheit, dass Journalisten in Washington verzweifeln. Einer äußerte sich dazu mit den inzwischen geflügelten Worten: „Das ist es, was es so schwierig macht, über Trump zu berichten: Was meint er, wenn er Worte sagt?”
Angesichts dieser Situation dürften sich viele Leserinnen und Leser der ZEIT am 4. September 2018 beim Blick in den Feuilleton die Augen gerieben haben. Denn dort erklärte Thomas Assheuer unter der Überschrift „Warum Trump kein Lügner ist”:
„Trump hat nichts Lügenhaftes. Sein Körper und seine Sprache bilden eine natürliche Einheit; Intonation und Gestik wirken echt unverkrampft, nichts klingt bigott oder gekünstelt. Trump redet obszön, aber nicht verlogen. Seine Worte sprechen ihm aus dem Herzen.“
Trump wirkt auf viele Menschen aufrichtig. Gelegentlich wird daher die Frage in den Raum gestellt, ob es nicht sein kann, dass er den Unsinn, den er von sich gibt, womöglich selbst glaubt. Kann es sein, dass Trump derart irrational, narzisstisch und schlecht informiert ist, dass ihm gar nicht auffällt, dass seine Sicht der Dinge nicht immer mit der Wirklichkeit in Einklang steht? Assheuer stellt eine andere These auf:
„Trump benutzt die Sprache als situatives Investment auf dem politischen Markt. Findet er Zustimmung, dann ist seine Aktion rentabel und wirft Gewinn ab: mehr Ruhm, mehr Macht, bessere Quoten. (…) Wenn dagegen der öffentliche Druck so groß wird, dass er (…) einen Rückzieher machen muss, dann wurde seine Gewinnerwartung kurzfristig enttäuscht. Deshalb hat Trump, jedenfalls aus seiner Sicht, bislang nie gelogen; er hat sich bei seinen semantischen Transaktionen lediglich verkalkuliert.“
Assheuer zufolge sieht Trump Behauptungen als Investments, um seine politischen Ziele zu befördern. Aber ist Trump deshalb kein Lügner? Oder ist er nur aus seiner eigenen Sicht kein Lügner? Was heißt es überhaupt zu lügen? Und wenn wir ihn von der Lüge freisprechen, ist Trumps Verhalten dann unverwerflich?
Was Lügen genau sind, ist in der Philosophie umstritten. Das mag überraschen, schließlich fallen uns schnell klare Fälle ein, in denen Personen lügen. Wenn Anatol etwas Falsches sagt, um Beate zu täuschen, dann hat er gelogen. Und so verstehen viele Menschen Lügen schlichtweg als falsche Aussagen, mit denen eine andere Person getäuscht werden soll.
Bei näherem Hinsehen werden die Dinge jedoch komplizierter. Was ist, wenn Anatol zwar Beate täuschen will, aber selbst einem Irrtum unterliegt? Nehmen wir an, er glaubt, Bukarest sei die Hauptstadt von Polen, behauptet aber, um Beate hinters Licht zu führen, Bukarest sei die Hauptstadt von Rumänien. In diesem Fall hätte Anatol – ohne es selbst zu wissen – etwas Wahres gesagt. Hat er gelogen? Hier gehen die Intuitionen auseinander. Wenn ja, können Lügen auch wahr sein. Entscheidend wäre dann, dass jemand etwas behauptet, das er selbst für falsch hält – unabhängig davon, ob es wahr oder falsch ist.
Was aber in jedem Fall zur Lüge gehört, ist die Absicht, das Gegenüber zu täuschen. Jemand, der eine Fehlinformation verbreitet, die er selbst für wahr hält, ist kein Lügner, sondern einfach ein Mensch, der sich geirrt hat. Eine notwendige Bedingung fürs Lügen ist es, andere hinters Licht führen zu wollen. Der Lügner will erreichen, dass Andere zu falschen Überzeugungen kommen. Dafür greift er auf Behauptungen zurück, die er für falsch hält.
Auf Trump trifft das in vielen Fällen klarerweise zu. Wenn er beispielsweise behauptet, nichts über die Zahlungen an die Pornodarstellerin Stormy Daniels durch seinen Anwalt Michael Cohen gewusst zu haben, dann ist das einerseits falsch. Man muss andererseits aber auch davon ausgehen, dass Trump mit seiner Behauptung eine Täuschungsabsicht verfolgte. Ziel der falschen Aussage war es, das FBI und die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen. In diesem Fall haben wir es mit einer glatten Lüge zu tun.
Doch nicht immer, wenn Trump Fake News in die Welt setzt, ist eine Täuschungsabsicht im Spiel. Häufig macht er so offenkundig falsche Behauptungen, dass die Annahme, er wolle irgendjemanden wirklich damit täuschen, geradezu absurd erscheint. Denken wir an die Diskussion über die Zuschauerzahl bei seiner Amtseinweihung oder die Behauptung, die Sonne habe die ganze Zeit hindurch geschienen. Die Fotos der Zuschauermenge waren bekannt und leicht mit den Fotos der Amtseinführungen seiner Vorgänger zu vergleichen. Die regnerische Feierlichkeit war weltweit übertragen worden. Dass Trump in diesen Fällen davon ausgegangen sein könnte, er könne die Öffentlichkeit durch seine falschen Behauptungen hinters Licht führen, ist wenig plausibel.
Wenn Trump in diesen Fällen nicht lügt, was tut er dann? In zwei Worten: Trump bullshittet. Eine philosophisch solide Definition von Bullshit verdanken wir Harry Frankfurt (Frankfurt 2005). Absichtliche Täuschungen, so Frankfurt, erfordern eine Orientierung an der Wahrheit; schließlich will man ja bewusst etwas behaupten, das von der Wahrheit abweicht. Bullshit hingegen erfordert nichts dergleichen. Der Bullshitter interessiert sich nicht dafür, ob er die Realität korrekt wiedergibt oder nicht. Er stellt Behauptungen auf, um seine Ziele zu erreichen, egal, ob diese Behauptungen wahr oder falsch sind.
Menschen bullshitten aus den unterschiedlichsten Gründen. Um Andere zu beeindrucken, um eine Festgesellschaft zu unterhalten, um eine Gesprächspause zu vermeiden. Aber auch auf der politischen Bühne ist Bullshit ein gängiges Phänomen – insbesondere in der Ära Trump. In Frankfurts Augen ist Donald Trump ein Paradebeispiel für einen Bullshitter. Trumps Behauptung, er habe das beste Gedächtnis der Welt bezeichnet Frankfurt als geradezu “possenhaft unverstellten Bullshit” (Frankfurt 2016).
Im Bereich von Fake News ist Bullshit viel gängiger, als man zunächst annehmen würde. Die Rechnung ist einfach: Provokative, reißerische und emotional aufgeladene Meldungen bringen mehr Aufmerksamkeit. Mehr Aufmerksamkeit bringt mehr Klicks. Mehr Klicks bringen mehr Werbeeinnahmen. Also bringen viele provokative, reißerische und emotional aufgeladene Meldungen viele Einnahmen. Ob sie wahr oder falsch sind, spielt in dieser Kalkulation keine Rolle.
Nach diesem Geschäftsmodell ist im Vorlauf des letzten US-Wahlkampfes in Mazedonien und anderen osteuropäischen Ländern eine regelrechte Fake-News-Industrie entstanden. Die Erzeugnisse dieser Industrie sind in aller Regel Bullshit. Aus Interviews mit Fake-News-Produzenten aus Mazedonien und Georgien beispielsweise wissen wir, dass ihr primäres Ziel nicht war, Menschen zu täuschen. Ganz im Gegenteil: Die Wahrheit oder Falschheit ihrer Meldungen war ihnen vollkommen egal. Ihnen ging es einzig und allein darum, einen größtmöglichen Gewinn einzufahren. Dimitri, ein besonders erfolgreicher Produzent von Fake News, äußerte sich dazu recht freimütig (Smith & Banic 2016): „Du siehst, was die Leute mögen und gibst es ihnen. Du siehst, dass sie Wasser mögen, und gibst ihnen Wasser; mögen sie Wein, gibst du ihnen Wein. Es ist wirklich sehr einfach.”
Warum bullshittet Trump? Nun, eine Erklärung liefert Assheuer. Trump stellt Behauptungen auf, von denen er sich einen politischen Gewinn verspricht. Was für Trump zählt, ist ausschließlich der politische Marktwert – nicht der Wahrheitswert – des Gesagten.
Ein weiterer Punkt scheint aber ebenso zentral. Sich nicht an der Wahrheit zu orientieren, ist das ultimative Signal von Unangreifbarkeit. Menschen wie Trump zeigen, dass sie sagen können, was sie wollen, ohne durch irgendwen oder irgendetwas eingeschränkt zu sein – nicht einmal durch die Realität selbst. Wenn Jason Stanley Recht hat, haben wir es in solchen Fällen mit Paradebeispielen von Propaganda zu tun. Denn Stanley zufolge ist Propaganda im Kern überhaupt kein Täuschungsversuch, sondern bereits der Versuch zu herrschen (Stanley 2016).
Ist Trump nun also ein Lügner oder nicht? Nun, manchmal lügt Trump sicherlich. Aber nicht immer. Viele Fake News, die er in die Welt setzt, sind keine Täuschungsversuche, sondern purer Bullshit.
Besser wird die Sache dadurch nicht. Insbesondere, wenn Bullshit zum Prinzip erhoben wird, sollten die Alarmglocken läuten. Wird Bullshit zur Norm, gerät der Maßstab der Wahrheit selbst in Verruf. Auf genau dieses Ziel arbeiten Rechtspopulisten weltweit zunehmend unverhohlen hin. Sie betrachten Worte als Waffen im Kampf um die Macht. Wichtig ist allein die politische Botschaft und Mobilisierung der Anhänger. Doch wenn Fake News, Lügen und Bullshit systematisch das Vertrauen in Politik, Medien und Wissenschaft untergraben, droht uns am Ende möglicherweise doch noch das allseits heraufbeschworene “post-faktische” Zeitalter. Wir sollten alles daran setzen zu verhindern, dass es soweit kommt.
Referenzen
Harry G. Frankfurt: On Bullshit. Princeton University Press, Princeton, New Jersey 2005 [1986].
Harry G. Frankfurt: “Donald Trump is BS says expert in BS”, Time 2016. URL: http://time.com/4321036/donald-trump-bs/ (letzter Zugriff: 30.10.2018)
Alexander Smith & Vladimir Banic: “Fake News: How a Partying Macedonian Teen Earns Thousands Publishing Lies”, NBC News 2016. URL: https://www.nbcnews.com/news/world/fake-news-how-partying-macedonian-teen-earns-thousands-publishing-lies-n692451 (Letzter Zugriff: 30.10.2018)
Jason Stanley: How Propaganda Works. Princeton University Press, Princeton, New Jersey 2016.
Autoreninfo
David Lanius ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am DebateLab des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). Er forscht zu Populismus, Fake News und den Möglichkeiten und Grenzen von konstruktivem Diskurs.
Romy Jaster ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Theoretische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie forscht zu Fähigkeiten und Willensfreiheit sowie zu Fake News und Postfaktizität.
Gemeinsam betreiben sie den Think Tank „Forum für Streitkultur“ und bemühen sich um eine Verbesserung des öffentlichen und politischen Diskurses. Im Frühjahr 2019 erscheint bei Reclam ihr gemeinsames Buch „Die Wahrheit schafft sich ab – Wie Fake News Politik machen“.