06 Sep

Neutralität oder Autorität? Warum wir Schöneckers Beitrag veröffentlichen

Von Norbert Paulo (Graz & München)


Heute haben wir auf praefaktisch einen Beitrag von Dieter Schönecker veröffentlicht. Vermutlich werden die Meinungen zu diesem Beitrag weit auseinandergehen. Die Frage, ob wir ihn veröffentlichen sollen, hat uns einiges Kopfzerbrechen bereitet. Warum wir uns für die Veröffentlichung entschieden haben, will ich hier kurz erklären.

In dem Beitrag kritisiert Dieter Schönecker PhilPublica dafür, dass sein Vorschlag, ein auf Achgut veröffentlichtes Podcast-Gespräch auf der Plattform zu verbreiten, abgelehnt wurde. Schließlich ist einer der zwei Gesprächsgäste der in Lausanne lehrende Wissenschaftsphilosoph Michael Esfeld, was, so Schönecker, für PhilPublica Grund genug sein sollte, das Gespräch einer größeren Leser*innenschaft zugänglich zu machen. Genau das sei schließlich die Serviceleistung, die PhilPublica erbringen soll. Auf der Plattform sollen Beiträge akademischer Philosoph*innen, die in anderen online zugänglichen Medien veröffentlicht wurden, gespiegelt werden. Davon, dass diese Beiträge bei PhilPublica an einem Ort gesammelt verfügbar sind, versprechen sich die beiden großen philosophischen Fachgesellschaften DGPhil (Deutsche Gesellschaft für Philosophie) und GAP (Gesellschaft für analytische Philosophie), die PhilPublica betreiben, eine bessere Sichtbarkeit von Philosoph*innen und philosophischer Zugänge zu gesellschaftspolitisch relevanten Fragen. (Auch Beiträge von praefaktisch werden bei PhilPublica gespiegelt.)

Schönecker vermutet, dass die Ablehnung seines Vorschlags darauf beruht, dass die in dem Gespräch und auch sonst auf Achgut vertretenen Meinungen von den Meinungen der Redaktion von PhilPublica erheblich abweichen, dass also formale Ablehnungsgründe vorgeschoben werden, wenn es eigentlich um inhaltliche Gründe, nämlich um die politische Ausrichtung, geht. Achgut kann man wohlwollend als liberal/libertär-konservativ oder weniger wohlwollend als rechts-populistisch beschreiben. Und das trifft auch auf wesentliche Teile des Podcast-Gesprächs zu.

In Schöneckers Beitrag findet sich die ausführliche Begründung der PhilPublica-Redaktion für die Ablehnung seines Vorschlags. Die in der Begründung genannte Kritik an dem Podcast-Gespräch teile ich. Große Teile des Gespräch fand ich regelrecht unerträglich. Was zu diesem Gefühl beigetragen haben mag, ist, dass der Moderator im Wesentlichen Suggestivfragen aneinanderreiht, auf die einer der zwei Gesprächsgäste – der Unternehmer und Autor Titus Gebel – mit unfassbarer Selbstüberhöhung eingeht. Mit gegenseitigen gedanklichen Räuberleitern versteigen sie sich zu ziemlich verstörenden Thesen, die mit antiegalitär und elitistisch noch freundlich beschrieben sind. Dem Philosophen Esfeld, dem zweiten Gesprächsgast, kann man diese Vorwürfe so nicht machen. Seine Einlassungen sind meist deutlich reflektierter und kritischer. Aber auch er ist um plakative Statements nicht verlegen. Beispielsweise ist seine Kritik am Umgang mit der Corona-Pandemie, die er im Kontext dieses Gesprächs wiederholt, nicht neu. Die genutzten Begrifflichkeiten und Feindbilder sind mitunter nichts für schwache Nerven.

Dass er seine vom gesellschaftlichen Mainstream erheblich abweichenden Meinungen nicht weiter begründet, mag schlicht daran liegen, dass ihm das im Kontext dieses Gesprächs nicht nötig erschien. Schließlich musste er seine Gesprächspartner nicht überzeugen – alle gehören offenbar zum Kreise derer, die die Wahrheit klar sehen –, und er durfte wohl davon ausgehen, dass das auch für die meisten Hörer*innen gilt. Ich und die PhilPublica-Redaktion waren gewiss nicht die Hörer*innenschaft, die Esfeld erwarten musste. Man kann nie alles erklären und muss von einem bestimmten Publikum ausgehen. Das gilt für Gespräche auf Achgut wie für Publikationen in anderen Medien. Über kein einigermaßen komplexes oder umstrittenes Thema kann man so sprechen, dass man Gleichgesinnte gleichermaßen zufriedenstellt wie Andersdenkende.

Was das Gespräch für mich besonders unerträglich machte, war etwas anderes. Es ist ein Paradebeispiel für einen performativen Selbstwiderspruch. Zu Beginn des Gesprächs reden alle davon, wie wichtig Meinungsfreiheit sei. Mehr noch, der arme John Stuart Mill wird als Autorität missbraucht, um zu betonen, dass man auch die abwegigsten Meinungen nicht nur zulassen müsse, sondern dass es für die Meinungsbildung geradezu essentiell sei, sich auch mit diesen auseinanderzusetzen. Es sei also der Wahrheitsfindung zuträglich, für andere Meinungen – auch für abwegig erscheinende – offen zu sein. Aber was geschieht dann in dem Gespräch? Das Argument für den epistemischen Wert abweichender Meinungen wird genutzt, um dem Mainstream vorzuhalten, dass er die Meinungen der drei Gesprächspartner nicht ernst genug nimmt. Allerdings erwecken letztere nicht den Eindruck, als würde das Argument auch für sie gelten, als hätten also andere Meinungen einen epistemischen Wert für sie. Ganz im Gegenteil. Der Grundton des Gesprächs ist die absolute Überzeugung, recht zu haben. Zweifel an den eigenen Positionen, Offenheit für andere Meinungen und ähnliche epistemische Tugenden zeigen die Gesprächspartner nicht. Sie fordern diese von anderen ein, praktizieren in dem Gespräch aber das Gegenteil. Die große Mehrheit der Andersdenkenden wird regelrecht abgekanzelt, teilweise sogar verhöhnt. Ich gehöre zur Mehrheit der Andersdenkenden. Beim Zuhören habe ich viele Eindrücke gewonnen. Dass meine Meinung wertvoll oder relevant wäre, wie es doch zuerst hieß, gehört aber sicher nicht dazu.

Man könnte es also dabei bewenden lassen. Das Podcast-Gespräch selbst ist die Mühen der Auseinandersetzung darüber vielleicht nicht wert. Dennoch denke ich, dass es gute Gründe gibt, sich mit dem Problem, das Schöneckers Beitrag aufwirft, genauer zu befassen: Was wäre, wenn PhilPublica das Gespräch auch dann nicht gespiegelt hätte, wenn darin die gleichen libertären bis rechts-populistischen Meinungen auf erträglichere Art und Weise präsentiert worden wären? Wäre es in Ordnung, wenn die Redaktion die Spiegelung von Beiträgen ablehnt, weil in ihnen Meinungen vertreten werden, die dem Mainstream stark widersprechen oder die die Redaktion nicht teilt? Oder wenn sie grundsätzlich die Spiegelung von Beiträgen ablehnt, die in Medien veröffentlicht wurden, die einem bestimmten politischen Spektrum zugeordnet werden können, etwa dem rechts-populistischen?

Schönecker meint, dass das nicht in Ordnung wäre, weil alle Medien – mehr oder weniger deutlich – einem bestimmten politischen Spektrum zugeordnet werden können (als paradigmatisches Beispiel verweist er auf die taz). Es sei nicht die Aufgabe von PhilPublica, zu entscheiden, was davon vertretbar ist und was nicht. Auf der Plattform solle alles gesammelt werden, was akademische Philosoph*innen für ein breiteres Publikum publizieren. Die Einschätzung was davon gut und überzeugend ist und was nicht, sei jeder und jedem selbst überlassen. Kurz: Ähnlich wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk solle PhilPublica neutral sein.

Nun ist PhilPublica tatsächlich etwas Besonders. Anders als bei praefaktisch handelt sich nicht um ein kleines Privatprojekt. Ganz im Gegenteil, es handelt sich um eine durchaus ambitionierte Gründung der beiden großen philosophischen Fachgesellschaften DGPhil und GAP. Das bringt eine gewisse Autorität mit sich. Was auf PhilPublica gespiegelt wird, ist offenbar Philosophie. Was abgelehnt wird, nicht. In gewisser Weise sprechen die Fachgesellschaften mittels PhilPublica für die philosophische Community in Deutschland. Sie müssen sich genau überlegen, wie sie mit solchen Problemen umgehen wollen – und das tun sie natürlich auch längst. Die Kernfrage scheint mir diese zu sein: Sind die Fachgesellschaften mit Projekten wie PhilPublica wirklich, wie Schönecker meint, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk der Neutralität verpflichtet? Oder sind sie vielleicht eher mit gewählten politischen Repräsentant*innen vergleichbar, die grundsätzlich ein freies Mandat ausüben, also eigene Standpunkte beziehen dürfen und sollen, die durchaus von denen der Repräsentierten abweichen können?

Derartige Fragen stellen sich natürlich nicht nur für PhilPublica und die beiden Fachgesellschaften. Universitäten und andere Forschungsinstitutionen haben mit ganz ähnlichen Problemen zu tun. Man denke nur an Lehrveranstaltungen zu umstrittenen Themen oder von umstrittenen Dozent*innen, oder auch an Einladungen von Redner*innen oder Diskutant*innen, die einigen als politisch nicht opportun erscheinen. Meine Hoffnung ist, dass der Beitrag von Schönecker hilft, die Diskussion um diese Fragen zu befördern. Und wenn das dazu führt, dass dadurch ein paar mehr Leute einen schwer erträglichen Beitrag anhören? Da kann ich nur beruhigen: Das Unwohlsein hat bei mir schnell wieder nachgelassen.


Norbert Paulo ist Privatdozent für Philosophie an der Universität Graz und Co-Leiter eines Forschungsprojekts zur Ethik selbstfahrender Autos an der Universität der Bundeswehr in München. Er ist Mitgründer von praefaktisch.

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