Was ist philosophische Bildung? – Annäherung an eine Reflexionskategorie
von Carsten Roeger (Köln)
Nicht Halbbildung ist das Problem unserer Epoche, sondern die Abwesenheit jeder normativen Idee von Bildung, an der sich so etwas wie Halbbildung noch ablesen ließe. (Liessmann, 2006, S. 9)
In der schulischen Praxis ist von Bildungsprozessen meist nur noch als Kompetenzerwerb die Rede. Die Kompetenzorientierung, welche den Kompetenzerwerb — also den Erwerb von Voraussetzungen für ein spezifisches Können (Weinert, 2001, S. 62) — als primären Zweck von Unterricht ausweist, ist allerdings aus einer bildungstheoretischen Perspektive ein wenig aussichtsreicher Kandidat dafür, die Idee der Bildung zu ersetzen, können sie doch nach Bieri (2010, S. 205f.) als kategorial verschieden betrachtet werden: „Eine Ausbildung durchlaufen wir mit dem Ziel, etwas zu können. Wenn wir uns dagegen bilden, arbeiten wir daran, etwas zu werden – wir streben danach, auf eine bestimmte Art und Weise in der Welt zu sein.“ Bieri bezieht sich hier auf das Bildungsdenken Humboldts. Auch bei Humboldt (2010, S. 188) findet sich die kategoriale Unterscheidung von Bildung und Ausbildung als Differenz von „allgemeiner Bildung“ und „specieller Bildung“. Mit „specieller Bildung“ bezeichnet Humboldt nützliche Fertigkeiten, was dem Kompetenzverständnis der Kultusministerkonferenz (2001, S. 1) entspricht. Eine Reduktion von Bildung auf Ausbildung, respektive Kompetenzerwerb, verfehlt also den Zweck humanistischer Bildungprozesse, auch wenn Bildung offensichtlich Kompetenzen nicht ausschließt, denn um beurteilen zu können, auf welche Art und Weise man in der Welt ist, muss man auch etwas können: beurteilen.