27 Apr

Ist es möglich, gemeinsam zu fühlen? Wie kollektive Emotionen in zwischenleiblicher Resonanz entstehen

Von Gerhard Thonhauser (Darmstadt)


Es scheint selbstverständlich, dass man nur seine eigenen Emotionen fühlen kann. Denn Emotionen sind an den Körper und an das Bewusstsein gebunden: Emotionen beruhen auf Prozessen, die in meinem Körper ablaufen, und sind Erfahrungen, die in meinem Bewusstsein erlebt werden. Daher können mir die Emotionen anderer niemals unmittelbar gegeben sein, denn ich habe keinen Zugang zu deren Bewusstsein und auch deren Körper kann ich nicht von innen erleben. Unmittelbar gegeben sind mir nur die Außenansichten der Körper der anderen, sodass ich anhand meiner Beobachtung ihrer Körper zu ergründen versuchen muss, was diese wohl Denken und Fühlen mögen. Doch in letzter Konsequenz werden mir die Anderen immer ein Rätsel bleiben, da ich mir nie sicher sein kann, ob diese wirklich Denken und Fühlen, was ich anhand meiner Deutung ihres Verhaltens von ihnen annehme. Entsprechend kann es auch kein echtes Miteinanderfühlen geben. Wir mögen uns zwar manchmal mit anderen so verbunden fühlen, dass wir annehmen, dasselbe zu fühlen; doch dies kann niemals wirklich der Fall sein, weil jede von uns letztlich immer nur ihre eigenen Emotionen fühlen kann. So etwas wie kollektive Emotionen gibt es nur in einem metaphorischen Sinn: Es mag zwar üblich sein, davon zu sprechen, dass wir uns freuen, aber das kann bei näherer Betrachtung nicht bedeuten, dass die Freude tatsächlich unsere Freude ist, sondern nur, dass unsere individuellen Emotionen der Freude irgendwie aufeinander bezogen sind.

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