14 Mai

Kant über Consent

Von Larissa Wallner (Berlin)

Auch Kants Äußerungen über Sex in der Metaphysik der Sitten gehören zu den Theoriestücken, die uns heute unzeitgemäß erscheinen. „Geschlechtsgemeinschaft“ heißt es dort, sei „der wechselseitige Gebrauch, den ein Mensch von eines Anderen Geschlechtsorganen und Vermögen macht.“ Kant verurteilt alle queeren Praktiken als unnatürliche „Läsion der Menschheit in unserer eigenen Person.“ Allein der eheliche Sex verletzt aufgrund einer komplizierten Konstruktion niemandem in seinem Subjektstatus. Aktuell könnte der Gedanke sein, dass wenn „Mann und Weib einander ihren Geschlechtseigenschaften nach wechselseitig genießen wollen“ sie einen Vertrag schließen, d. h. sich einigen müssen. Doch obwohl es Kant darum geht, sicherzustellen, dass niemand sich nur als Mittel gebraucht, ist der Vertragsschlusses nur deshalb notwendig, weil Kant einen Begriff von Sexualität voraussetzt, der gegenüber der historischen und heutigen Bedeutungsvielfalt von Sexualität sowie unserem Selbstverständnis als Kulturwesen, biologistisch und beschränkt erscheint: „[I]m Akt macht sich ein Mensch zur Sache“, weil er sich „dem Anderen hingibt“. Kants Lösung für ein Problem, das unter Voraussetzung eines agentiellen und reziproken Verständnisses von Sexualität erst gar nicht entstünde, erscheint zweitens aus heutiger Sicht abwegig und gegenüber Kants eigener Position widersprüchlich. Sie liegt in einer fingierten Neutralisierung, die dadurch zustande kommen soll, dass wenn zwei natürliche Personen in einer juristischen Person aufgehen, dem Ehepaar, beide den Partner und sich selbst als Mittel behandeln, sodass sie sich damit insgesamt je auch als Zweck begreifen. Es ist aber einerseits nicht einsichtig, warum der Verstoß gegen die Pflicht, sich nicht als Mittel zu gebrauchen dadurch aufgehoben werden kann, dass beide Eheleute sich verdinglichen. Andererseits scheint die Überlegung, dass es auf das Schicksal des Einzelnen nicht ankommt, wenn er Teil einer größeren Einheit ist, dem Würdeprinzip der Menschheitsformel zu widersprechen, die den Menschen „in jeder Person“ meint, auf die Kant zuvor die Ablehnung aller anderen sexuellen Praktiken außer des ehelichen Verkehrs eben als erwähnte „Läsion der Menschheit in unserer eigenen Person“ stützt. Die von Kant gedachte, reziproke Zweck-Mittel-Einheit würde nämlich selbst dann gelten, wenn der eine den anderen ab und zu oder immer nur als Mittel gebrauchen würde. Dementgegen ist die Ehe heute kein Rechtsverhältnis, in dem sich die Eheleute wechselseitig gleich einer Sache besitzen. Drittens ist auch der Consent-Begriff der Gegenwart anspruchsvoller als derjenige, der sich aus Kants Überlegungen ergibt: Im Unterschied zum Eheversprechen wird Consent nicht ein für alle Mal und pauschal gegeben, sondern ist prozessual und kann jederzeit zurückgenommen werden. Schließlich ist Consent kein Vertrag unter der fingierten Bedingung der faktischen Gleichheit beider Partner, sondern eine kontextsensible, kommunikative Pflicht im „Gespräch der Geschlechter“ wie Manon Garcia in ihrem gleichnamigen Buch nahelegt.