19 Jul

Produktionsverhältnisse, Produktivkräfte, Proletariat: Präfaktisch denken mit Marx

von Eva Bockenheimer (Köln)


„Fakten, Fakten, Fakten“ – mit diesem Werbespruch buhlte ein großes deutsches Nachrichtenmagazin in den 1990er Jahren um die Leserschaft. Dieser Werbespruch war so erfolgreich, dass er zu einer Art geflügeltem Wort wurde und sogar Eingang in die Satire fand. Sogenannte „Fakten“ stehen immer noch hoch im Kurs und werden kritisch gegen postfaktische Meinungsmache ins Feld geführt. Auch Karl Marx hat die Fakten seiner Zeit intensiv studiert und selbst statistische Daten gesammelt, z.B. über die Weltwirtschaftskrise von 1857. Eine marxistische Analyse der Gegenwart muss also selbstverständlich informiert sein über die bestehenden Fakten und diese gegebenenfalls auch gegen das Postfaktische ins Feld führen. Aber Marx wusste auch, dass alle Wissenschaft überflüssig wäre, „wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen“ (MEW 25, 825). Fakten allein, nicht zuletzt, weil sie meist widersprüchlich sind, lassen uns also noch nichts begreifen – dazu müssen wir den inneren Zusammenhang dieser Fakten erfassen. Haben wir den Zusammenhang begriffen, erscheinen nicht nur die Fakten oft in einem ganz anderen Licht, sondern auch die postfaktischen Gefühlslagen, deren Ursache wir dann vielleicht besser verstehen können. Das rechtfertigt zwar nicht die oft reaktionären Forderungen, die auf Grundlage postfaktischer Affekte gestellt werden. Aber es kann in manchen Fällen – sofern das Postfaktische nicht ohnehin bloß der Machtdemonstration dient – vielleicht ein Gespräch eröffnen über die wahren Ursachen für den postfaktischen Unmut und die bestehende Wut dorthin lenken, wo sie eigentlich hingehört.

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