John Rawls zum Hundertsten – und warum er auch in weiteren hundert Jahren noch wichtig sein wird
Von Mathias Risse (Cambridge, Massachusetts)
John Rawls (1921-2002) ist einer der wichtigsten politischen Denker der letzten Jahrhunderte, und wohl einer der wichtigsten überhaupt in der westlichen Tradition. Erstens hat Rawls eine umfassende und plausible Sichtweise darauf angeboten, wie wir in den eng verknüpften Gesellschaften, die die industrielle Revolution möglich gemacht hat, zusammenleben können und sollen. Zweitens hat er einen Weg aufgezeigt, wie man politische Philosophie betreiben kann, sowohl im Hinblick auf den Stil der Argumente als auch auf die behandelten Themen. In beiderlei Hinsicht ist er auch wichtig, weil er eine Menge oft recht vernünftiger Kritiken auf sich gezogen hat, die zu Ansätzen geführt haben, die besser sind als sein eigener. Aber auch das ist natürlich ein Maß für die Wichtigkeit eines Denkers: dass er andere talentierte Köpfe anzieht, die innerhalb des vorgeschlagenen Paradigmas arbeiten, oder eben darüber hinaus gehen. Die Veröffentlichung von Rawls‘ Theorie der Gerechtigkeit 1971 hat eine Agenda generiert, indem sie diskussionswürdige Antworten auf gravierende Fragen bot: Welche Güter sollten in Theorien der Gerechtigkeit berücksichtigt werden; welche Bedürfnisse und Anliegen sollten diese Güter befriedigen; welche Rolle sollen Leistung, Freiheit oder Verantwortung spielen; und welche Prinzipien vereinen plausible Antworten auf diese Fragen?
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