Von Fledermäusen, Schweinen und Hunden
Von Leonie Bossert (Tübingen)
Ist das Covid-19-verursachende Virus nun von Fledermäusen direkt, von Fledermäusen mit Zwischenwirten wie Schuppentieren oder doch – wie jüngst Christian Drosten in die Debatte eingebracht hat – von Marderhunden auf den Menschen übergegangen? Wie wahrscheinlich ist der Ausbruch von Epidemien in „unseren Schweineställen“, in denen Viren zwangläufig gut gedeihen, wie auch vom Virologen Peter Rottier betont wurde? Und was besagt die Krise über das Mensch-Tier-Verhältnis, wenn die (nachvollziehbare) Angst vor Ansteckung dazu führt, dass zahlreiche Hunde in Tierheimen stranden oder aber Menschen für die Zeit der Ausgangssperre zur persönlichen Zerstreuung gerne ein Tier aus dem Tierheim aufnehmen möchten, welches danach dann aber bitte wieder vom Heim „zurückgenommen“ wird?
Die Erwähnung tierethischer Überlegungen im Rahmen der aktuellen Covid-19 Pandemie mag für viele fernliegend anmuten. Bezüge und Überschneidungen gibt es jedoch einige. Die aktuelle Krise stellt ohne Frage eine große Herausforderung für das menschliche Miteinander in den betroffenen Gesellschaften dar und wirft zahlreiche Fragestellungen für die zwischenmenschliche Ethik auf. Zugleich wirft sie jedoch ebenfalls ein Licht auf Herausforderungen in unserem Umgang mit Individuen anderer Arten, auf ein in vielerlei Hinsicht problematisches Mensch-Tier-Verhältnis und auf Fragestellungen für eine Interspezies-Ethik.
Wie Birgit Beck in ihrem Beitrag auf diesem Blog aufgezeigt hat, werden diese Aspekte in der Covid-19-Debatte bislang in sehr geringem Maß adressiert. Laut Beck stellt der tierliche Ursprung der aktuellen Pandemie und die Umstände, wie es zum Übergang von Tier auf Mensch gekommen ist, einen ‚Elefanten‘ dar, der zwar im Porzellan-Zimmer steht, aber dennoch weiterhin ignoriert wird. Der Name dieses Elefanten ist Zoonose.
Zoonosen können Epidemien und Pandemien wie die aktuelle auslösen und auch sie sind – wie andere globale Probleme – in vielen Fällen anthropogen verursacht. Dass die gegenwärtig vorherrschenden gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnisse mit dazu beitragen, dass vermehrt Epidemien sowie Pandemien globalen Ausmaßes entstehen, sollte bereits aus anthropozentrischer Perspektive zum (Um)Denken anregen. Aus tierethischer Perspektive ist der menschliche Umgang mit Tieren in den meisten Bereichen als mindestens fragwürdig bis hin zu moralisch falsch zu werten. Wie innerhalb verschiedener – auch in der Tierethik prominenter – Ethiktheorien (Utilitarismus, Deontologie, Tugendethik) ein Umgang mit Tieren, der unter anderem die Entstehung globaler Pandemien zur Folge hat, kritisiert wird, zeigt Birgit Beck ebenfalls überzeugend auf. Daher sei an dieser Stelle der Fokus darauf gelegt, welche konkreten Bereiche des Mensch-Tier-Verhältnisses durch die Pandemie tangiert werden.
Wie die einführenden Fragen bereits aufzeigen, ergeben sich tierethische Fragen in Bezug auf wildlebende Tiere und auf domestizierte Tiere. In Hinblick auf domestizierte Tiere sind sowohl farmed animals zu adressieren (der üblicherweise bemühte Begriff ‚Nutztiere‘ wird nicht verwendet, da er – neben der ohnehin sehr problematischen Zuschreibung einer Wesenseigenschaft an die Tiere, die ihrem Sein nicht gerecht wird – sehr undifferenziert ist; auch Zoo- und Zirkustiere werden genutzt), als auch companion animals (auch hier findet sich keine treffende deutsche Übersetzung, die den Begriff ‚Haustier‘ ersetzt).
Für diejenigen, die sich nun wundern, was es für eine tierethische Bewertung für einen Unterschied macht, ob es sich um ein wildlebendes oder domestiziertes Tier handelt, sei hier eingeschoben, dass sich diesbezüglich in der Tierethik verschiedene Positionen finden. Etliche Tierethiker*innen argumentieren, dass dies für den moralisch gebotenen Umgang mit Tieren keinen Unterschied machen darf („Tier ist Tier!“), da lediglich die – so wird oftmals argumentiert – Empfindungsfähigkeit ausschlaggebend dafür sein darf, welche Art von Umgang mit einem Individuum gerechtfertigt ist oder nicht (z.B. Francione 2014). Andere wiederum argumentieren, dass ein unterschiedlicher Umgang mit verschiedenen Tieren durchaus zulässig oder sogar geboten sein kann, je nach bestehender Beziehung und Kontext („Tier ist nicht gleich Tier, sondern aus der zu ihm bestehenden Beziehung ergibt sich der richtige Umgang mit ihm“; z.B. Diamond 2004). Eine gewissermaßen Hybridposition zwischen diesen beiden wird von z.B. Clare Palmer (2010) vertreten, die dafür argumentiert, dass negative Pflichten allen (empfindungsfähigen) Tieren gegenüber gleich bestehen, positive Pflichten hingegen von Beziehungen und Kontexten abhängen („Tier ist Tier! Aber wir stehen in unterschiedlichen Beziehungen zu diesen Tieren und die Tiere leben in unterschiedlichen Kontexten“). Gemäß den beiden letztgenannten Positionen macht es also durchaus einen Unterschied, ob es sich um ein wildlebendes oder domestiziertes Tier handelt. Nach Palmers überzeugendem Tierethik-Ansatz bestehen gegenüber domestizierten Tieren auf Grund ihrer Vulnerabilität und Abhängigkeit vom Menschen andere positive Pflichten als gegenüber wildlebenden Tieren. Negative Pflichten, also Nicht-Schädigungspflichten, bestehen ihnen gegenüber jedoch in gleicher Weise.
Dies leitet dann auch über zum problematischen menschlichen Umgang mit diesen Tieren, da in den Fällen, die auch für die Covid-19 Pandemie relevant sind, ein schädigender Umgang ausgemacht werden kann. (Überlegungen zu Hilfspflichten können dann in einem nachfolgenden Schritt angestellt werden.)
In Bezug auf wildlebende Tiere ergibt sich die Schädigung aus der Zerstörung und starken Reduzierung ihres Habitats sowie daraus, dass sie intensiv gefangen, gehandelt und gegessen werden. Auch wenn der Ursprung des Virus‘ nach wie vor ungeklärt ist, ist es wahrscheinlich, dass es auf dem wet market in Wuhan aufgekommen ist und sich von dort von Mensch zu Mensch weiterverbreitete. Auf diesem Markt wurden die, nach dem Washingtoner Artenschutzabkommen streng geschützten, Pangoline (Schuppentiere) gehandelt, die als Zwischenwirt für das Virus debattiert werden. (Auch bei der 2002 auftretenden SARS-Pandemie waren wohl die ersten infizierten Menschen Wildtierhändler, die mit Zibetkatzen handelten.) Dass die ‚Wildtier-Bereiche‘ der wet markets, auf denen eingefangene wildlebende Tiere gestapelt in kleinen Käfigen oder als – kaum auf schmerzfreie Weise möglich – zusammengebundene Bündel zum Verkauf angeboten werden, aus tierethischer Perspektive sehr problematisch sind, ist evident.
Die Schuppentiere stellen, wenn überhaupt, lediglich Zwischenwirte dar. Als ursprünglicher Wirt des Virus‘ dienen Fledermäuse. Fledermäuse stellen wahre Viren-Brutstätten dar – auch die Infektionskrankheiten Hendra (1994), Nipah (1998), Sars (2002), Mers (2012) und Ebola (2014) wurden von Fledermaus-Viren verursacht. Wie aber auch Linfa Wang von der Duke-NUS Medical School in Singapur betont, sind nicht die Tiere das Problem, sondern der menschliche Kontakt zu ihnen, der immer häufiger auftritt, je weiter sich menschliche Siedlungen in den Lebensraum der Fledermäuse ausdehnen und je weiter das natürliche Habitat der Tiere zerstört wird.
Jüngst wird nun auch der Marderhund als potentieller Zwischenwirt debattiert. Dies wirf ein Licht auf ein weiteres problematisches Element der Mensch-Tier-Beziehung, auf die Pelzproduktion. Die Zucht mit Marderhunden auf Grund ihres Fells ist in China ein großer Wirtschaftszweig und laut Christian Drosten (vgl. oben) ist es sehr wahrscheinlich, dass Viren dort „hochkochen“, wo Tiere gezüchtet werden.
So eben nicht nur in asiatischen Fledermaus-Arten, chinesischen wet markets oder wildlife-markets im Globalen Süden, sondern auch in europäischen Ställen der Tierindustrie. Neben Fledermäusen gelten auch Schweine als „Schmelztiegel“ für Viren und Zoonosen, die im Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Tierhaltung entstanden sind, sind hinlänglich bekannt (man denke an die sogenannte Vogelgrippe (H1N1) und Schweinegrippe (H5N1)). Der Virologe Peter Rottier (vgl. oben) betont, dass „je mehr Tiere auf einer kleinen Fläche gehalten werden, desto leichter können Viren zirkulieren und desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie früher oder später auf den Menschen überspringen. In dieser Hinsicht stellt die Massentierhaltung ein Risiko für die öffentliche Gesundheit dar.“ Und auch Jonathan Safran Foer und Aaron Gross machen in einem eindrücklichen Beitrag darauf aufmerksam, dass ein großer Teil neuartiger Influenzaviren, die vom US-amerikanischen Centres for Disease Control and Prevention als besonders besorgniserregend deklariert werden, in Geflügelproduktionsbetrieben gefunden werden. Empirische Nachweise dieser Art gibt es zahlreich und sie sollten ausreichen, um eine Debatte über eine sinnvollere Zukunft der Landwirtschaft anzustoßen. Tierethische Argumente fordern eine solche ebenfalls seit Jahrzehnten.
Im Zusammenhang mit dem Entstehen von Zoonosen spielt der menschliche Umgang mit wildlebenden Tiere und farmed animals also eine gewichtige Rolle. Von den Auswirkungen der Pandemie betroffen sind jedoch auch companion animals, wenn die einstigen Familienmitglieder aus Angst vor Infektionen oder auf Grund von Überforderung in Zeiten der Ausgangssperre ins Tierheim abgegeben werden. Oder eben, wenn sie in solchen Zeiten als eine Art ‚Beschäftigungstherapie‘ oder kurzfristiges neues Hobby dienen sollen. Diese Art des Umgangs mit den Tieren setzt sie gewissermaßen mit anderen käuflichen (Unterhaltungs-)Produkten gleich und offenbart dadurch ebenfalls ein problematisches Mensch-Tier-Verhältnis. Das ließe sich (mindestens ansatzweise) beheben, wenn Tiere nicht mehr als Besitz gelten dürften, wie es der Philosoph Gary Francione (2008) beständig fordert.
Diese Ausführungen zeigen, dass es jetzt, während der Pandemie, aber auch fortwährend danach durchaus an der Tagesordnung stehen sollte, den menschlichen Umgang mit Tieren zu überdenken und zu ändern. Sowohl aus menschlichem Eigeninteresse, um – neben all den anderen negativen Auswirkungen der Tierindustrie – die Wahrscheinlichkeit für weitere Epidemien und Pandemien zu reduzieren, als auch um die häufig tierleidverursachenden Konsequenzen des gegenwärtigen Mensch-Tier-Verhältnisses einzuhegen und eine andere Interspezies-Ethik zu etablieren.
Literatur:
Diamond, Cora (2004): Eating Meat and Eating People. In: Cass R. Sunstein/Martha C. Nussbaum (Hg.): Animal rights. Current debates and new directions. Oxford, New York: Oxford University Press, S. 93-107.
Francione, Gary L. (2014): Empfindungsfähigkeit, ernst genommen. In: Friederike Schmitz (Hg.): Tierethik. Grundlagentexte, Berlin: Suhrkamp, S. 153-175.
Francione, Gary L. (2008): Animals as Persons. New York: Columbia University Press.
Palmer, Clare (2010): Animal Ethics in Context. New York: Columbia University Press.
Leonie Bossert ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) der Universität Tübingen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Umwelt- und Naturethik, Tierethik/ Human-Animal Studies, Ethik Nachhaltiger Entwicklung, Mensch-Technik-Umwelt-Beziehungen und Wissenschaftsethik.