23 Mai

Krise als metaphorisches Phänomen: Von „Virus“ über „Welle“ bis zu „Lockdown“

Von Marlon Possard (Wien)

In den vergangenen Jahren konnte beobachtet werden, dass die Thematik rund um das pandemische Geschehen (COVID-19) den medialen Diskurs in vielerlei Hinsicht bestimmte. Hierfür bediente man sich speziellen Metaphern, die auch für eine philosophische Analyse von Interesse sind. Denn die facettenreichen Verknüpfungen zwischen Krise einerseits und Metaphorik andererseits sind gegenwärtig immer noch fließend. Das zeigen auch die US-amerikanischen Philosophen G. Lakoff und M. Johnson im Rahmen ihrer Metapher-Theorie auf.

COVID-19 und die Metaphorik

Die Metapher selbst und die philosophische Beschäftigung damit, im Besonderen in sprachphilosophischer Hinsicht, kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Mein Interesse verlagerte sich in den letzten Monaten, nicht zuletzt aufgrund unterschiedlicher medialer Berichte und der darin vorkommenden semantischen Aspekte, sukzessive auf die Untersuchung der Verwendung und der Relevanz von Metaphern zu Zeiten der Coronapandemie. Es zeigt sich, dass diversen Medien bestimmte Metaphern entnommen werden können, die sich auf die COVID-Pandemie beziehen und teils völlig neue Wort- und Satzkonstruktionen beinhalten. Beispiele hierfür sind etwa „Das Virus breitet sich sukzessive aus“, „Das Virus kann eingefangen werden“ oder „Das Virus als Fremdkörper dringt in den Menschen ein“. All diese metaphorischen Verwendungen veranschaulichen, dass Metaphern Teil unseres täglichen Sprachgebrauchs geworden sind und gerade in herausfordernden Zeiten eine neue Blütezeit erleben. Metaphern prägen gleichsam auf automatisierende Art und Weise die Sprache des Alltags und damit auch die Realität. Und: Sie stehen in engem Zusammenhang mit menschlichen Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt. Gleichzeitig beeinflussen Metaphern das menschliche Denken völlig unbewusst, was insbesondere für eine philosophische Betrachtung von Bedeutung ist. Aber warum Philosophie?

Philosophisches Nachdenken zwischen Entstehung und Auflösung

Es ist eine Aufgabe der Philosophie, metaphorische Kontextualisierungen einer kritischen Reflexion zu unterziehen. Der philosophische Teilbereich der theoretischen Philosophie kann hier Hilfestellung sein, da der Sektor des uneigentlichen Sprechens vorwiegend auch Sprache im metaphorischen Sinne umfasst. In der praktischen Anwendung zeigt sich dies auch im Bereich der Literaturwissenschaften, beispielsweise in der Betrachtung von poetischen oder literarischen Werken. Einige Philosoph*innen haben sich bereits dem Phänomen der Metapher gewidmet. Aristoteles (384-322 v. Chr.), Friedrich Nietzsche (1844-1900) und Max Black (1909-1988) sind nur einige Beispiele für solche Denker*innen. Innerhalb des philosophischen Diskurses haben sowohl Susan Sontag und ihre Ausführungen zur „Krankheit als Metapher“ als auch George Lakoff und Mark Johnson zum Diskussionsgegenstand beigetragen.

Gerade Philosoph*innen sollte es ein Anliegen sein, die Entstehung und die Auflösung, d. h. das Verschwinden, solcher Metaphern zu analysieren. Für eine solche Untersuchung können unterschiedliche philosophische Theorien herangezogen werden.

Ein Exempel: Die Metapher-Theorie bei G. Lakoff und M. Johnson

Die US-amerikanischen Philosophen George Lakoff und Mark Johnson argumentieren hinsichtlich der Entstehung von Metaphern, dass Metaphern nicht primär linguistische, sondern kognitive Phänomene sind. Das heißt, Metaphern sind nicht Konzepte, die verstanden werden oder nicht, sondern erkenntnistheoretische Phänomene. Sie dienen demnach dazu, Dinge zu verstehen, darüber zu sprechen sowie mit anderen darüber zu diskutieren. In diesem Zusammenhang verwenden sie den Begriff des sog. conceptual mapping, also die Übertragung einer Quelle in eine andere Sphäre.[1] Ein zentrales Charakteristikum der Theorie von Lakoff und Johnson ist, dass diese nicht auf den Aspekt der Sprache als solche angewiesen ist. Die Entstehung von Metaphern kann gemäß Lakoff und Johnson zudem einerseits durch Bilder[2] und Gesten[3] und andererseits durch Musik[4] geschehen. Die Metapher wird diesem Verständnis nach aus der Kognitionsfähigkeit der Menschen geboren. Ob diese Kognitionsfähigkeit schlussendlich der Natur oder der menschlichen Sprache entspringt, lassen Lakoff und Johnson in ihrer Theorie jedoch offen.

Lakoff und Johnson definieren darüber hinaus eine wichtige Unterscheidung, nämlich zwischen lebenden, konzeptuellen und toten Metaphern. Traditionell werden konzeptuelle Metaphern den toten Metaphern zugeordnet.[5] Metaphern, welche aufgrund von anderen Ideen bzw. Metaphern verstanden werden, werden zu den lebenden Metaphern gezählt. Eine Metapher kann auch sterben, sie wird also zu einer toten Metapher. Dies geschieht dann, wenn sie ihre Eigenschaft als Metapher verliert. Dieser Ansatz stammt aus sprachtheoretischen Überlegungen, der Begriff ist seinem poetischen und rhetorischen Ursprung entglitten, liegt nun im Grabe und ist nur mehr unpoetische Sprache.[6]

Synekdoche, Metonymie und Metapher

In der wissenschaftlichen Literatur fehlt häufig eine klare Differenzierung zwischen Synekdoche, Metonymie und Metapher. Auch hier können Lakoff und Johnson Hilfestellung sein. Die Metapher unterscheidet sich von der Synekdoche und der Metonymie dahingehend, dass es sich bei dieser vorrangig um eine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen dem Gesagten und dem Gemeinten handelt. Bei einer Metapher wird also ein entsprechender Sachverhalt in Form der Darstellung in einem anderen Sachverhalt ausgedrückt, bei der Metonymie hingegen wird versucht, einen Sachverhalt am Kriterium der Beziehung zu einem anderen Sachverhalt zu konzipieren.[7] Beispiele für Metonymien wären, wenn davon gesprochen wird, dass die „Deutsche Bundesregierung in Berlin“ oder die „Kommission der EU in Brüssel“ entschieden haben.

Conclusio

Festgehalten werden kann, dass eine detaillierte Differenzierung hinsichtlich der Lebendigkeit und der Aufgelöstheit (also dem Totsein) einer Metapher oftmals schwierig ist. Ein Blick auf das Metaphernverständnis unterschiedlicher Denker*innen kann helfen, das Phänomen der Metapher grundsätzlich besser zu verstehen. Alltägliche Metapher-Verwendungsmuster können meist als undifferenziert eingestuft werden, gerade in unsicheren Zeiten. Umso wichtiger ist es, sich philosophisch-reflexiv mit diesen Problematiken auseinanderzusetzen. Dieses „Etwas“, das sich hinter solchen Sprachverwendungen verbirgt, sollte von Philosoph*innen immer hinterfragt werden. Diesen Anspruch hatte zumindest die vorliegende kompakte Betrachtung der „Metapher“.  


[1] vgl. Lakoff, G.; Johnson, M. (2003), S. 265 ff.

[2] vgl. Kienpointner, M. (2007), S. 220 ff.

[3] vgl. Cienki, A.; Müller, C. (2010), S. 485 ff.

[4] vgl. Zbikowski, L. (2010), S. 504 ff.

[5] vgl. Lakoff, G.; Johnson, M. (1980), S. 42 ff.

[6] vgl. Lakoff, G. (1987), S. 1

[7] vgl. Lakoff, G.; Johnson, M. (1999), p. 50


Literatur:

Cienki, A.; Müller, C. (2010): Metaphor, gesture, and thought. In: Gibbs, R. (ed.) (2010): The Cambridge Handbook of Metaphor and Thought. Cambridge: Cambridge University Press

Kienpointner, M. (2007): Visuelle Metaphern. Antike Vorlagen, zeitgenössische Adaptierungen. In: Korenjak, M.; Tilg, St. (Hg.): Pontes IV. Die Antike in der Alltagskultur der Gegenwart. Innsbruck/Wien/Bozen: Studienverlag

Lakoff, G.; Johnson, M. (1999): Philosophy in the Flesh. The Embodied Mind Its Challenge to Western Thought. New York: Basic Books Verlag

Lakoff, G.; Johnson, M. (2003): Metaphors We Live By. Chicago: Chicago University Press

Lakoff, G.; Johnson, M. (1980). Metaphors We Live By. Chicago/London: Chicago University Press.

Lakoff, G. (1987): The Death of Dead Metaphor. Metaphor and Symbolic Activity, 2(2) 

Zbikowski, L. (2010): Metaphor and music. In: Gibbs, R. (ed.) (2010): The Cambridge Handbook of Metaphor and Thought. Cambridge: Cambridge University Press


Dr. Marlon Possard lehrt und forscht als Assistant Professor/Lecturer and Researcher (PostDoc) am Department für Verwaltung, Wirtschaft, Sicherheit und Politik und am Research Institute for Administrative Sciences (RIAS) der FH Campus Wien – University of Applied Sciences. Aktuell habilitiert er sich im Bereich der Rechtsphilosophie.

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