Was ist eigentlich Tierphilosophie?

Von Tobias Starzak (Bochum)                     


In der öffentlichen Wahrnehmung wie auch innerhalb der Philosophie selbst sind zwei Themen der Tierphilosophie besonders prominent: die Auseinandersetzung mit Tieren aus ethischer und aus anthropologischer Perspektive. Es gibt jedoch noch einen weiteren Ansatz, den einer empirisch orientierten Philosophie des Geistes.

Etwas polemisch möchte ich argumentieren, dass innerhalb dieses Ansatzes am meisten über Tiere philosophiert wird: Er produziert die größten Herausforderungen und innovativsten Entwürfe und liefert so einen spannenden zeitgenössischen Beitrag zu den Kognitionswissenschaften. Aber eins nach dem anderen.

Tierethik

In der Tierethik geht es neben Fragen zu Klimaverträglichkeit, die in der neueren Diskussion zunehmend Bedeutung gewinnen, vor allem darum, wie wir uns Tieren gegenüber verhalten sollten. Haben Tiere Interessen? Haben sie Rechte? Welche Pflichten entstehen daraus für uns? Müssen wir Tiere moralisch berücksichtigen? Philosophen beantworten diese Fragen in der Regel so, dass sie zunächst Kriterien vorschlagen, die für die jeweilige Frage relevant sind, und dann überprüfen, ob es Tiere gibt, die diese Kriterien erfüllen. Zum Beispiel könnte man sagen, dass für die Frage, ob Tiere Interessen haben, die wir in unserem Umgang mit Ihnen berücksichtigen müssen, es relevant ist, ob sie Schmerzen empfinden können, oder eine Form von Selbstbewusstsein haben; ob sie über ein episodisches Gedächtnis verfügen oder für die Zukunft planen können. Sind diese Kriterien einmal geklärt, kann man genauer untersuchen, ob es Tiere gibt, die die jeweiligen Kriterien erfüllen.

Anthropologie

Die anthropologische Perspektive stellt die Frage in den Vordergrund, was wir von Tieren über uns selbst als Menschen lernen können. Häufig wird die Frage so verstanden: Gibt es eine Fähigkeit, die zentral für unser Selbstverständnis als Mensch ist und uns von allen nicht-menschlichen Tieren in bedeutungsvoller Weise abgrenzt? Wie können wir erklären, um ein Beispiel David Papineaus zu benutzen, warum der Mensch und nur der Mensch in der Lage ist, zum Mond zu fliegen?[1]

Prominente traditionelle Kandidaten waren Geist oder Denken. Heute untersucht man spezifische Fähigkeiten. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Ist der Mensch vielleicht einzigartig in seiner Fähigkeit, Werkzeuge herzustellen und zu benutzen? Könnte daher ein Verständnis des Zusammenhangs von Ursache und Wirkung eine anthropologische Grenze markieren? Oder ist es vielleicht seine Fähigkeit, zu verstehen, dass andere ein mentales Innenleben haben, Überzeugungen, Gedanken, Wünsche, Emotionen usw., und dass diese mentalen Zustände eine wichtige Rolle für das Verhalten von Subjekten spielen (diese Fähigkeit wird in der Diskussion als eine Theorie des Geistes haben bezeichnet)?

Romantiker und Spielverderber

So unterschiedlich die Motivationen auch sind, sich mit Tieren entweder aus anthropologischer oder aus ethischer Perspektive auseinanderzusetzen, gibt es eine auffallende Parallele: Beide betrachten Tiere durch eine anthropozentrische Brille. Es geht immer darum, ob Tiere über bestimmte Fähigkeiten verfügen, wobei die infrage stehende Fähigkeit immer so definiert ist, dass der Mensch als Paradebeispiel dient.

Aus einer anthropologischen Sicht ist das nachvollziehbar: Wir sind explizit daran interessiert, wie ähnlich (oder verschieden) Tiere dem Menschen sind. Aus ethischer Sicht kann man diesen Ansatz vielleicht auch vertreten, aber es scheint mir zumindest weniger offensichtlich: Warum sollten ausgerechnet (und ausschließlich) Fähigkeiten, die der Mensch hat, moralisch relevant sein? Wer weiß.

So oder so engt diese anthropozentrische Perspektive stark ein, was wir in der Auseinandersetzung mit Tieren lernen können. Die Fragen, die sich daraus ergeben, sind immer Fragen der Form: Haben Tiere der Spezies [x] die Fähigkeit [y]: Verstehen Schimpansen Kausalität? Haben Krähen ein episodisches Gedächtnis? Solche Fragen kann man eigentlich nur mit ja oder nein beantworten (und mit „ein bisschen“, wenn man glaubt, dass man über die in Frage stehende Fähigkeit graduell unterschiedlich verfügen kann).

So teilen sich auch Philosophen in zwei Lager ein, die gerne mit den Labeln Romantiker und Spielverderber versehen werden. Als Romantiker werden diejenigen bezeichnet, die argumentieren, dass die empirischen Evidenzen bezüglich einer bestimmten Fähigkeit (zum Beispiel bezüglich eines Verständnisses von Kausalität) belegen, dass auch manche Tiere über diese Fähigkeit verfügen. Spielverderber auf der anderen Seite argumentieren, dass wir nicht so viel Mensch in das Verhalten von Tieren hineinprojizieren sollten. Ihrer Meinung nach ist das Verhalten von Tieren immer besser durch andere, vermeintlich weniger komplexe Fähigkeiten, wie zum Beispiel assoziatives Lernen, erklärt. Diese Sicht – entweder der Mensch unterscheidet sich fundamental von allen nicht-menschlichen Tieren, oder er tut es nicht – ist aus meiner Sicht aus mindestens zwei Gründen problematisch.

Kriterien für kognitive Fähigkeiten

Wenn wir das Verhalten von Tieren, in der Wildnis oder im Labor, genauer betrachten, stehen wir häufig vor dem folgenden Problem: Wir beobachten zum Beispiel, dass ein Schimpanse ein Problem löst, dass er (so glauben wir) nicht lösen könnte, wenn er nicht ein gewisses Verständnis von Kausalität hätte. Wenn der gleiche Schimpanse danach jedoch mit anderen Problemen konfrontiert wird, die er – gegeben er versteht wirklich etwas von Kausalität – auch lösen können müsste, scheitert er grandios. Dasselbe beobachten wir für andere Fähigkeiten, wie zum Beispiel das Haben einer Theorie des Geistes. Wie können wir das erklären? Weder die Spielverderber- noch die Romantikerposition scheint angesichts dieser Ausgangslage gerechtfertigt.

In den Debatten führt das dazu, dass an den Kriterien für die jeweilige Fähigkeit gearbeitet wird. Spielverderber und Romantiker scheinen dabei zu anderen Schlüssen kommen, was für das Haben einer Fähigkeit essentiell ist. Im Ergebnis kommt es dann zu Scheindebatten, denn wenn Spielverderber und Romantiker nicht von der gleichen Fähigkeit sprechen, dann ist gar nicht klar, ob es hinsichtlich der Fähigkeit von Tieren überhaupt noch eine Meinungsverschiedenheit gibt. Der bestehende Dissens bezieht sich dann darauf, wie wir eine bestimmte Fähigkeit am besten auffassen sollten. Worin jedoch häufig Einigkeit besteht ist die Annahme, dass der Mensch als Paradebeispiel für die jeweilige Fähigkeit dient.

Tierphilosophie ohne Tiere

Das zweite „Problem“ dieses anthropozentrischen Ansatzes ist, dass wir so eventuell etwas über den Menschen, aber wahrscheinlich nicht sehr viel über Tiere herausfinden. Anders gesagt kann man bezüglich des Labels Tierphilosophiedie Frage stellen: Was genau wird hier über Tiere philosophiert?Ethische Theorien werden meist unabhängig von Tieren aufgestellt, und dann lediglich auf Tiere angewandt. Dieser letzte Schritt, die Frage, ob und welche Tiere die Kriterien für eine relevante Fähigkeit erfüllen, scheint am Ende jedoch eine ziemlich empirische Frage. So gesehen klinkt sich die Philosophie gerade an dem Punkt aus, an dem Tiere ins Spiel kommen.

Dasselbe gilt für die Anthropologie: Was wird hier über Tiere philosophiert? Der Mensch gilt als das paradigmatische Beispiel für das Haben der Fähigkeiten, die hier relevant sind. Was diese Fähigkeiten relevant macht, ist die Rolle, die sie für das Selbstverständnis des Menschen spielen. Ob es nicht-menschliche Tiere gibt, die die Kriterien für diese Fähigkeiten ebenfalls erfüllen, ist auch hier eine empirische Angelegenheit, die nicht mehr in den Bereich der Philosophie zu fallen scheint.

Den Geist der Tiere verstehen

Wie aber geht Tierphilosophie mit Tieren? Die Aufgabe einer genuinen Tierphilosophie sehe ich vor allem darin, den Geist nicht-menschlicher Tiere zu erfassen, und zwar nicht in erster Linie in Relation zum Menschen, sondern so, wie er ist: in seiner Vielseitigkeit (denn Tier ist ja nicht gleich Tier) und Andersartigkeit. Denn wenn wir Tiere nur auf menschliche Fähigkeiten überprüfen, entgeht uns wahrscheinlich, welche Fähigkeiten sie in welcher Form und Ausprägung haben. Aber wie geht das in der Praxis?

Dazu sollten wir offen sein für die Möglichkeit, dass unser psychologisches Vokabular, das für den Menschen entwickelt wurde, für die Beschreibung von Tieren schlicht ungeeignet ist; Dass die beste Beschreibung der mentalen Fähigkeiten von Tieren nicht darin besteht, diese als mehr oder weniger ausgeprägte Versionen menschlicher Fähigkeiten zu verstehen.

Wenn wir uns von der Vorstellung lösen, dass der Mensch der Goldstandard für alles Mentale ist, gibt uns die Auseinandersetzung mit Tieren die Möglichkeit, unsere Begriffe über kognitive Fähigkeiten als Hypothesen zu betrachten, die sich erst empirisch bewähren müssen. Tiere sind dann philosophisch nicht nur von Interesse bezüglich der Frage, welche kognitiven Fähigkeiten sie haben, sondern auch und vor allem bezüglich der Frage, worin diese Fähigkeiten im Grunde bestehen.

Empirisch gut informiert einen neuen begrifflichen Rahmen für mentale Fähigkeiten zu entwickeln, die uns nicht aus erster Hand bekannt sind, ist sicher keine leichte Aufgabe, wie schon Davidson bemerkte.[2] Aber es ist eine lohnende Herausforderung, der die Tierphilosophie sich stellen sollte.


Tobias Starzak ist Postdoc am Lehrstuhl für Philosophie des Bewusstseins und der Kognition an der Ruhr-Universität Bochum. Seine Forschungsinteressen liegen vor allem im Bereich der Philosophie des Geistes und der Philosophie der Kognitionswissenschaften.   


[1] Papineau, D. (2007a). The Evolution of Knowledge. In D. Papineau (Ed.), The Roots of Reason (pp. 39– 82). Oxford: Oxford University Press, S. 57.

[2] Davidson, D. (1999). The emergence of thought. Erkenntnis, 51, 7–17, S. 11.