Zur Relevanz der akademischen Tierethik bei der Frage nach dem Umgang mit nicht-menschlichen Tieren im öffentlichen Diskurs
von Alina Omerbasic (Potsdam)
Die Frage nach dem „richtigen“ Umgang und der Verantwortung des Menschen mit und gegenüber der außermenschlichen Natur und somit auch mit und gegenüber nicht-menschlichen Tieren ist in den letzten Jahrzehnten zunehmend in den Fokus öffentlicher Debatten gerückt. Diese aus moralphilosophischer Perspektive begrüßenswerte Entwicklung gibt Anlass, über die Rolle der akademischen Tierethik in diesem Prozess nachzudenken.
In vielen der teils hitzig geführten öffentlichen Debatten beispielsweise über die Frage nach der Legitimierbarkeit der Massentierhaltung oder des Verzehrs tierischer Produkte im Allgemeinen lässt sich ein bereiteres Bewusstsein für die Notwendigkeit eines Umdenkens hinsichtlich des individuellen Lebenswandels erkennen. Anders als in vielen der öffentlich geführten Debatten geht es in akademischen Tierethik bei der Frage nach der Legitimierbarkeit der Nutzung nicht-menschlicher Tiere zu menschlichen Zwecken heute weniger um gesundheitliche oder umweltethische Bedenken, sondern um die Frage nach dem moralischen Status nicht-menschlicher Tiere selbst. Ein Blick auf die Philosophiegeschichte offenbart jedoch, dass dies nicht immer der Fall war. Auch in der Philosophie hat es einige Jahrhunderte gedauert, bis es zu dieser Fokusverschiebung und letztlich zu der Anerkennung des Status von nicht-menschlichen Tieren als moralisch schützenswerte Wesen kam. So finden sich zwar schon bei dem antiken griechischen Philosophen Pythagoras von Samos Argumente für den moralischen Vegetarismus, doch basierten diese, ähnlich wie später bei Thomas von Aquin und Immanuel Kant, eher auf den negativen Konsequenzen für den Menschen selbst und nicht auf der Erkenntnis, dass nicht-menschliche Tiere an sich schützenswert sind.
Erst im 19. Jahrhundert setzten Argumente, die eine bestimmte Behandlung von Tieren verbieten oder gebieten sollten, nicht mehr rein beim Menschen an. Jeremy Bentham, dem Begründer des modernen Utilitarismus, zufolge entscheidet allein die Fähigkeit, Leid und Freude zu empfinden, über den moralischen Status eines Wesens. Folglich verurteilte er beispielsweise Tierquälerei nicht deshalb, weil sie zu einer „Verrohung des Menschen“ führt oder anderweitig schlechte Konsequenzen für den Menschen hat, sondern weil sie für das gequälte Tier selbst schlecht ist. Auch im 20. Jahrhundert hatte diese Sichtweise weitgehend Bestand, doch wurden nun auch andere Fähigkeiten und Eigenschaften wie Selbstbewusstsein oder Rationalität diskutiert, die Aufschluss über den moralischen Status von Wesen geben sollten und wodurch nicht-menschliche Tiere, je nach diskutierter Fähigkeit, im Laufe der Zeit immer wieder in den Bereich der moralischen Gemeinschaft ein- und dann wieder ausgeschlossen wurden.
Sowohl in der breiten Öffentlichkeit als auch im Rahmen der akademischen Tierethik ist also einerseits zu beobachten, dass die Kritik am gegenwärtigen Umgang und das Interesse am richtigen Umgang mit nicht-menschlichen Tieren stieg. Andererseits werden sie noch heute überwiegend wie Rohstoffe behandelt und nicht als Wesen, die um ihrer selbst willen schützenswert sind. Diese Diskrepanz zeigt sich nicht nur im Alltag. Selbst Arthur Schopenhauer, der 1841 Mitbegründer des Frankfurter Tierschutzvereins war und seine Mitleidsethik auch auf nicht-menschliche Tiere ausdehnte, war kein Verfechter vegetarischer Ernährung, was er bekanntermaßen dadurch begründete, dass „der nach dem Norden gedrängte“ Mensch des Fleisches bedarf.[1] Ob gerade Frankfurt „dem Norden“ zugehörig ist oder nicht, soll an dieser Stelle nicht vertieft werden. Wenn sich aber offenbar schon Philosophinnen und Philosophen nicht von ihren eigenen Überlegungen veranlasst sehen, ihren Lebenswandel zu überdenken, dann scheint die Frage berechtigt, welche Rolle der Philosophie beziehungsweise der akademischen Tierethik in der öffentlichen Debatte über den richtigen Umgang des menschlichen mit nicht-menschlichen Tieren zugeschrieben werden kann. Im Idealfall kann gerade die moderne akademische Tierethik sowohl dabei helfen, Diskrepanzen und Inkonsistenzen im Rahmen der öffentlichen Debatten aufzudecken, als auch Antworten auf grundlegende Fragen, wie die nach dem moralischen Status von Tieren, zu finden. Zwar besteht auch im öffentlichen Diskurs weitgehend Einigkeit darüber, dass das Wohl nicht-menschlicher Tiere „irgendwie“ moralisch relevant ist und sich die Größe der moralischen Gemeinschaft nicht ausschließlich an Speziesgrenzen festmachen lässt. Doch bleibt unklar, inwieweit der Mensch dazu verpflichtet ist, sich um das Wohl nicht-menschlicher Tiere zu sorgen und entsprechend beispielsweise darauf zu verzichten, sie zu eigenen Zwecken zu nutzen oder gar zu töten.
Zu Fragen wie diesen wird die akademische Tierethikdebatte seit den frühen 70er Jahren von zwei „Lagern“ oder Schulen geprägt, den sogenannten Tierschützern und den Tierrechtlern. Während Tierrechtler, wie der amerikanische Philosoph Tom Regan, ihre Forderungen häufig auf deontologischen Überlegungen stützen und die moralische Richtigkeit oder Falschheit einer Handlung folglich nicht von ihren Konsequenzen abhängig machen, vertreten Tierschützer, wie der australische Philosoph Peter Singer, in der Regel interessenbasierte Ansätze, nach denen Handlungen danach bewertet werden, ob und inwiefern sie die Interessen aller der von ihr betroffenen Individuen verletzten oder befördern.
Dass sich Tierethiker beispielsweise bei Frage nach der ethischen Legitimierbarkeit des Verzehrs oder der Tötung von nicht-menschlichen Tieren uneinig sind, und was man hieraus auch für den bereiteren öffentlichen Diskurs lernen kann, lässt sich gut anhand der Argumente tierschützerischer und tierrechtlerischer Positionen aufzeigen. So fasst beispielsweise Tom Regan die meisten nicht-menschlichen Tiere (insbesondere Säugetiere und Vögel) aufgrund ihrer Bewusstseinsfähigkeit als sogenannte „Subjekte eines Lebens“ auf, denen ein zu respektierender, gleichermaßen hoher inhärenter Wert zukommt.[2] Regan argumentiert für eine abolitionistische Tierrechtstheorie, in Rahmen derer nicht-menschliche Tiere aufgrund des von ihm vertretenen „Respektprinzips“ und den universellen moralischen Rechten, die ihnen zukommen, in keiner Weise zu zivilisatorischen Zwecken genutzt werden dürfen. Aus Regans Sicht kann letztlich – außer in Notwehr – weder die Tötung noch der Verzehr nicht-menschlicher Tiere gerechtfertigt werden, da ihnen unter anderem das moralische Recht auf Leben sowie das Recht auf körperliche Unversehrtheit zukommt.
Zu einem anderen Schluss kommen hier in der Regel Tierschützer, bei denen der Schutz der Interessen empfindungsfähiger Lebewesen im Vordergrund steht. Hier ergeben sich Tierschutzpflichten aus der Tatsache, dass nicht-menschliche Tiere gewisse Interessen haben, die Berücksichtigung finden müssen. Die Kernfrage, die es an dieser Stelle im Hinblick auf die Frage nach der Legitimierbarkeit der Tötung oder des Verzehrs von nicht-menschlichen Tieren, zu beantworten gilt, lautet, ob und welche Interessen dieser Tiere genau beispielsweise im Rahmen der Massentierhaltung oder durch ihre Tötung verletzt werden. Während sich die meisten Autorinnen und Autoren im ersten Fall einig sind, dass hier das Interesse empfindungsfähiger Wesen an Leidensfreiheit in negativer Weise tangiert wird, besteht im zweiten Fall Uneinigkeit darüber, ob nicht-menschliche Tiere – mit wenigen Ausnahmen – überhaupt ein genuines Interesse an ihrem eigenen Überleben haben können. Während also ein Verbot der Leidenszufügung empfindungsfähiger Wesen auch im Rahmen einer interessenbasierten Tierschutzposition begründet werden kann, erweist sich die Begründung eines Tötungsverbots als schwierig.
Sowohl Tierrechtler als auch Tierschützer argumentieren im Rahmen der akademischen Tierethik also dafür, nicht-menschliche Tiere in die moralische Gemeinschaft aufzunehmen. Doch während Tierschützer, wie Peter Singer, in dessen interessenbasierter, utilitaristischer Argumentation die Leidensminderung im Mittelpunkt steht, beispielsweise kein kategorisches Verbot von Tierversuchen oder ausnahmslosen Vegetarismus einfordern können, erweisen sich Tierrechtspositionen, wie die von Tom Regan, als radikaler: Unabhängig vom subjektiven Empfinden betroffener Tiere wird hier jegliche zivilisatorische Nutzung von Tieren von vornherein abgelehnt, da sie eine Rechtsverletzung darstellt. Welcher der beiden Ansätze letztlich plausibler erscheint, hängt unter anderem davon ab, ob es gelingt, konzeptionelle Probleme und Fragen, die sich im Rahmen dieser Ansätze ergeben, zu lösen beziehungsweise zu beantworten. So müssten sich Verfechter interessenbasierter Ansätze unter anderem darüber einig werden, welche Eigenschaften es sind, die ein Wesen haben muss, damit ihm ein genuines Interesse am eigenen Überleben zugesprochen werden kann. Und Verfechter abolitionistischer Ansätze müssten erklären, weshalb nicht auch nicht-ausbeuterische Beziehungen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Tieren denkbar sein sollen, in denen die moralischen Rechte von Tieren anerkannt und respektiert werden können.
Trotz der konzeptionellen Unterschiede zwischen den darin vertretenen
Positionen kann die akademische Tierethik also dazu beitragen, einen
geordneten, rationalen Diskurs zu der Frage nach dem richtigen Umgang mit
nicht-menschlichen Tieren zu führen, in dem, ebenso wie in einer
pluralistischen Gesellschaft, verschiedene Positionen und Ansichten vertreten
werden können, aber Einzelfragen sorgsamer unterschieden werden als es in
breiteren öffentlichen Diskussionen häufig der Fall ist. So wie beispielsweise die
Frage nach der Legitimierbarkeit der Tötung eines nicht-menschlichen Tieres
nicht mit einer Antwort auf die Frage nach der Legitimierbarkeit von
Leidenszufügung beantwortet ist, folgt aus der Tatsache, dass Wildtiere andere
Tiere jagen und verzehren nicht, dass der Mensch ebenfalls dazu legitimiert ist
und es kein moralphilosophisches Problem darstellt, wenn er dasselbe macht. Aufgabe
der Philosophin beziehungsweise des Philosophen kann es an dieser Stelle sein, plausibel
zu machen, weshalb Ernährung auch in einer demokratisch freiheitlichen
Gesellschaft keine reine Frage privater oder individueller Lebensgestaltung mehr
sein kann. Abgesehen von umweltethischen Bedenken, hat der Mensch –anders als ein
Löwe – in der Regel nicht nur einen Begriff von Moral, sondern auch die Wahl
und die Fähigkeit, sein Handeln rational zu hinterfragen, Empathie zu empfinden
und seine Interessen und Triebe zugunsten anderer wohlwollend zurückzustellen. Seine
eigene Lebensführung und den damit einhergehenden Umgang mit nicht-menschlichen
Tieren zu überdenken, hat, anders als häufig im öffentlichen Diskurs angenommen,
nichts mit moralisierender Gefühlsduselei zu tun, sondern ist das Ergebnis der
Reflektion auf gerade die Fähigkeiten, auf die Menschen (neben dem Menschsein
selbst) stets hingewiesen haben, um sich von der außermenschlichen Natur abzugrenzen
oder gar hervorzuheben, anstatt zu fragen, ob und welche Verpflichtungen sich
gerade durch diese Fähigkeiten gegenüber der außermenschlichen Natur ergeben
könnten.
Alina Omerbasic ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für
Angewandte Ethik am Institut für Philosophie der Universität Potsdam. Ihre
Forschungsinteressen liegen im Bereich der normativen Ethik und Metaethik (Non-Identity Problem), der Angewandten Ethik (Medizinethik, Bioethik, Digitalisierung und Ethik) und der Politischen Philosophie.
[1] Siehe Schopenhauer, Arthur (1851/1977): Parerga und Paralipomena II. Herausgegeben von Angelika Hübscher: Arthur Schopenhauer. Gesammelte Werke in Zehn Bänden. Zürich 1977, 414
[2] Siehe Regan, Tom (2004):The Case for Animal Rights.