Zur Departmentstruktur

von Christine Tiefensee (Frankfurt)


Will man Thomas Kuhn Glauben schenken, folgt auf die Krise des alten wissenschaftlichen Paradigmas wissenschaftliche Revolution. Der Vergleich zwischen Kuhns Revolutionen und der derzeit stark diskutierten Transition von der traditionellen Lehrstuhlstruktur hin zu einer Departmentstruktur hinkt zugegebenermaßen an mehreren Stellen. ‚Krise‘ und ‚Revolution‘ sind schließlich sehr starke Begriffe, wobei sich Philosoph*innen—bis auf wenige Ausnahmen—gemeinhin nicht gerade durch revolutionären Tatendrang und ausgeprägten Aktivismus hervortun. Dennoch lädt dieses Bild dazu ein, zwei drängende Fragen zu beantworten: Erstens, befindet sich das traditionelle Lehrstuhlsystem, in dem weisungsgebundene Mitarbeiterstellen Lehrstühlen zugeordnet sind, in einer ‚Krise‘, d.h. sieht es sich mit gravierenden Problemen konfrontiert, die nicht länger ignoriert werden können und dürfen? Zweitens, könnte eine beispielsweise aus den USA und Großbritannien bekannte Departmentstruktur, in der es keinen weisungsgebundenen Mittelbau gibt, sondern Philosophen*innen als weisungsunabhängige Professoren oder Lecturers forschen und lehren, diese Probleme überwinden, und wie könnte eine ‚Revolution‘ angegangen werden?

Die Beantwortung der ersten Frage ist einfach. Die prekäre Beschäftigungssituation an deutschen Universitäten ist sicherlich das schwerwiegendste Problem, das nicht länger zur Seite geschoben werden darf. Die damit verbundene Zukunftsangst und Unsicherheit, die eine längerfristige Lebensplanung erheblich erschweren und auch sehr gute Philosoph*innen dazu bewegen, entweder eine universitäre Karriere aufzugeben oder ins Ausland abzuwandern, sind für viele meiner und nachfolgender Generationen tagtägliche Begleiter. Drittmittel-finanzierte Promotionen sowie die grundsätzlich sehr begrüßenswerte Öffnung deutscher Institute für internationale Bewerber*innen verschärft dieses Problem innerhalb des bestehenden Systems weiter. Die Abhängigkeitsverhältnisse und Weisungsbefugnisse, die innerhalb der Lehrstuhlstruktur entstehen und von manchen gar als Feudalstrukturen beschrieben werden, sind der zweite gravierende Missstand, den viele Philosoph*innen nicht länger hinnehmen wollen. Diese Abhängigkeit geht nicht nur zu Lasten der Weisungsgebundenen. Vielmehr sind die Herausbildung institutsinterner Silos, die philosophischen Austausch nicht nur auf Augenhöhe, sondern auch über Lehrstuhlgrenzen hinweg erschweren, sowie intransparente Verfahren zu Stellenbesetzungen weitere problematische Folgen dieser Struktur.

Zu meinem Erstaunen zweifeln manche das Bestehen dieser Probleme an. So wird öfters argumentiert, dass eine Promotion von vielen durchaus als Bereicherung des eigenen Lebenswegs angesehen würde, ohne damit die eigene berufliche Zukunft an Universitäten binden zu wollen. Dies beschreibt zweifelslos die individuelle und natürlich vollkommen legitime Entscheidung einiger Doktoranden; nur tut dies nichts zur Sache, was die berufliche Planung all jener betrifft, die voller Sorge dem Enddatum ihrer befristeten Verträge entgegensehen. Auch wird noch immer das Argument vorgetragen, dass die Dissertation nicht als eigenständige wissenschaftliche Arbeit ernstgenommen werden könne und der sogenannte wissenschaftliche ‚Nachwuchs‘ bis zum Abschluss der Habilitation im Schutzraum des Lehrstuhls aufgefangen werden müsse. Der Hinweis, dass Teile beziehungsweise auch ganze Dissertationen – inklusive Dissertationen deutscher Philosophen! – in erstklassigen internationalen Zeitschriften sowie renommierten internationalen Verlagen veröffentlicht werden, genügt, um die Absurdität dieser Behauptung zu entlarven. Der weitere Blick auch und gerade ins englisch-sprachige Ausland, in dem junge Philosoph*innen genau diejenigen Aufgaben in Forschung und Lehre ausgezeichnet ausfüllen, die in Deutschland gemeinhin Professor*innen vorbehalten sind, unterstreicht den mangelnden Respekt dieser Einstellung gegenüber jungen Philosoph*innen umso mehr.

Andere stimmen durchaus zu, dass diese beiden Probleme des Lehrstuhlsystems bestehen, weisen aber auch auf seine Vorteile hin. Zum einen sei nicht notwendigerweise der Fall, dass ein Lehrstuhl ‚feudal‘ geführt werde; vielmehr profitierten auch viele junge Philosoph*innen von dem Netzwerk, der Betreuungssituation und dem Austausch, die ein Lehrstuhl biete. Das stimmt vollkommen. Allerdings löst das weder das Problem der unsicheren Beschäftigungsverhältnisse, noch bietet es eine Handhabe in denjenigen Fällen, in denen Institute nach wie vor von einer problematischen Kultur bestimmt sind. Auf eine institutionelle Lösung zu setzen, anstatt lediglich auf die Persönlichkeitsstrukturen der Lehrstuhlinhaber*innen zu vertrauen, scheint daher die weitaus robustere Strategie zu sein, um gegen Abhängigkeiten vorzugehen. Zum anderen wird des Öfteren bemerkt, dass Mitarbeiterstellen Lehrstuhlinhaber*innen ermöglichten, vollkommen selbstbestimmt ein Forschungsteam aufzubauen sowie wichtige Unterstützung in der Lehre und bei der Organisation von lehrstuhl- und institutsinternen Veranstaltungen zu erhalten. Hier stellt sich jedoch nicht nur die Frage, ob solche Assistenzarbeiten nicht auch anders organisiert werden könnten beziehungsweise in einem anderen System überhaupt notwendig wären. Vielmehr ist auch zu hinterfragen, welches Gewicht diesen Punkten zugesprochen werden sollte. Genauer gefragt: Rechtfertigen solche Überlegungen wirklich, ein System aufrechtzuerhalten, das die prekäre Beschäftigungssituation junger Philosoph*innen propagiert? Die Antwort lautet Nein.

Es ist daher für mich unstrittig, dass die traditionelle universitäre Stellenstruktur aufgrund dieser Probleme überholt ist—wir brauchen eine ‚Revolution‘. Dies führt zur zweiten Frage, nämlich: Durch welches neue System ließen sich diese Probleme überwinden? Ein solches System müsste den folgenden Mindestanforderungen genügen:

  1. Dauerstellen müssen die Regel, nicht die Ausnahme sein.
  2. Beförderungen auf ein- und derselben Stelle sollten ermöglicht werden.
  3. Eigenständigkeit in Forschung und Lehre ist sicherzustellen.

Durch welche Stellenstruktur diese Ziele erreicht werden können, ist zunächst eine offene Frage. Das vor kurzem von der GAP und DGPhil erarbeitete Positionspapier zur nachhaltigen Nachwuchsförderung stellt zwei mögliche Antworten vor: Zum einen könnte durch die Entfristung von Mitarbeiterstellen sowie deren Entkoppelung von spezifischen Lehrstühlen das britische Lecturer-Modell simuliert werden. Aufgrund der Besonderheiten des deutschen universitären Systems bleibt dieses Modell jedoch nur das: eine Simulation, welche die Vorteile des britischen Systems nur in Teilen nachbilden kann. Zum anderen wäre ein Tenure-track Modell möglich, das wie bereits von der Jungen Akademie beschrieben durch die Umwandlung haushaltsfinanzierter Mitarbeiterstellen vermehrt Juniorprofessuren mit Verstetigungsoption schafft. Beide Modelle zielen klar darauf ab, die bisherige Lehrstuhl- durch eine Departmentstruktur zu ersetzen, in der Philosoph*innen in flachen Hierarchien und vor dem Hintergrund transparenter Auswahlverfahren mit klarer Zukunftsperspektive zusammen forschen und lehren.

Sicherere Arbeitsverhältnisse, weniger Abhängigkeiten, größere Transparenz bei der Besetzung von Stellen, besseres Arbeitsklima, vermehrter philosophischer Austausch—klingt zu gut, um wahr zu sein? Ist die Departmentstruktur denn wirklich eine ‚eierlegene Wollmilchsau‘, wie vor kurzem während einer Diskussion zur Einführung von Departmentstrukturen eher skeptisch bemerkt wurde? Natürlich können auch Departments sehr unangenehme Orte sein—schließlich arbeiten auch sie oft in einem suboptimalen Umfeld und bestehen aus Personen, die (wie wir alle wissen) nicht notwendigerweise reibungslos zusammenarbeiten. Dennoch bin ich optimistisch: Je mehr Fliegen wir mit der Department-Klappe schlagen können, desto besser.

Wie steht es um mögliche Probleme, die mit der Einführung von Departmentstrukturen einhergehen könnten? Präziser gefragt, wie steht es um die Generationengerechtigkeit und die Reduktion haushaltsfinanzierter Promotionsstellen, die gerade für junge Philosoph*innen so relevant sind? Da Stellenumwandlungen schrittweise und über einen längeren Zeitraum erfolgen und durch Fluktuation auch im Departmentsystem Stellen immer wieder frei werden würden, sehe ich in Bezug auf Generationengerechtigkeit wenig Probleme. Auch eine Transition von haushaltsfinanzierten zu Drittmittel- oder Stipendien-finanzierten Promotionen bewerte ich grundsätzlich als positiv: Denn ist es bei näherem Hinsehen nicht paradox, die wenigen Stellen, die den universitären Arbeitsmarkt ausmachen und auf die sich promovierte Philosoph*innen bewerben könnten, mit Personen zu besetzen, die diese Qualifikationsstufe noch nicht erreicht haben? Ein erneuter Blick vor allem ins englisch-sprachige Ausland ist auch in dieser Hinsicht ein wahrer Augenöffner.

Wohingegen manchen die hier vertretenen Positionen zu weit gehen, gehen sie anderen sicherlich nicht weit genug. So wurde ich vor kurzem gefragt, ob die vorgestellten Department-Modelle nicht viel zu zahm in ihren Forderungen seien, da sie schließlich starken Fokus auf Kostenneutralität sowie Umsetzbarkeit innerhalb des bestehenden gesetzlichen Rahmens legten. Diese Modelle, so könnte man diesen Einwand verstehen, stellten höchstens moderate Reformvorschläge dar; was gebraucht würde, sei jedoch eine richtige Revolution, die eine klar bessere finanzielle Ausstattung der Universitäten fordert, Gesetze und die rechtliche Bestimmung von Stellenprofilen umwälzt und die Verwendung von Bundesgeldern für die universitäre Grundfinanzierung grundlegend überdenkt. Vielleicht stimmt dieser Einwand. Gleichzeitig ist jedoch klar, dass eine solche ‚Revolution‘ in Anbetracht der politischen Umstände ein gewaltiges Unterfangen wäre, das—wenn überhaupt—nur fächerübergreifend Chancen auf Erfolg haben könnte. Von dieser Einschätzung müssen wir uns nicht abschrecken lassen. Genauso wenig sollten uns diese weitreichenderen Forderungen allerdings davon abhalten, Dinge in die eigene Hand zu nehmen und bereits jetzt im Rahmen unserer Möglichkeiten diejenigen Ziele zu erreichen, die wir uns selbst setzen.

Hierbei sind die jungen Philosoph*innen, die ihre eigene Zukunft an philosophischen Instituten sehen, auf das ‚revolutionäre‘ Handeln der jetzigen Lehrstuhlinhaber*innen angewiesen. Dies wird an großen Instituten zweifelslos leichter sein als an kleineren Fakultäten. Dennoch mein Appell an uns alle: Packen wir es an.


Christine Tiefensee ist Juniorprofessorin für Philosophie an der Frankfurt School of Finance & Management und ist hauptsächlich im Studiengang ‚Management, Philosophy & Economics‘ eingebunden. Sie studierte Philosophie und Politikwissenschaft an den Universitäten Mannheim, Mainz und Nottingham und schloss 2006 ihr Magisterstudium an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz ab. Danach wechselte sie an die University of Cambridge, wo sie zunächst einen M.Phil Abschluss in Philosophie erwarb und 2011 mit der metaethischen Arbeit ‚Expressivism, Minimalism and Moral Doctrines‘ promovierte. Nach einem kurzen Ausflug in die Politikforschung kehrte sie 2012 in die akademische Welt zurück und nahm eine Akademische Ratsstelle in Politischer Theorie an der Universität Bamberg an. 2014 erfolgte dann der Wechsel an die Frankfurt School. Tiefensees Forschungsschwerpunkt liegt auf metaethischen Fragen rund um Normativität, die sie mit aktuellen Debatten in der Sprachphilosophie verbindet. Sie interessiert sich des Weiteren für Ethik, Rationalität, Politische Philosophie und die Philosophie der Sozialwissenschaften.

Tiefensee ist aktuell Vizepräsidentin der Gesellschaft für analytische Philosophie (GAP).