21 Mai

Ein Streiter für die analytische Philosophie – Georg Meggle wird 80 Jahre alt

Christoph Lumer (Siena) und Ulla Wessels (Saarbrücken)


Als Georg Meggle 1984 seine Habilitationsschrift zur Handlungstheoretischen Semantik fertigstellt, ahnt er vermutlich nicht einmal selbst, wohin ihn seine philosophische Reise noch führen würde: von sehr komplexen und technisch-formalen Arbeiten zur Kommunikationstheorie über einen innerphilosophischen Fachwechsel zur Angewandten Ethik und Politischen Philosophie bis hin zu philosophisch basiertem politischen Engagement. Insbesondere entwickelt sich Georg Meggle zu einem konzessionslosen und vehementen Streiter für freie Diskussion in Philosophie und Gesellschaft. Hinzu kommt philosophiepolitischer Einsatz: Er wird mit der Gründung und anfänglichen Führung der Gesellschaft für Analytische Philosophie zu einem der wichtigsten Organisatoren der Philosophie in Deutschland. Aber der Reihe nach.



Eine handlungstheoretische Kommunikationstheorie

»Günther und ich sind mit dem Auto unterwegs in die Toskana. Ich sitze am Steuer. Es ist spät in der Nacht. […] Günther: ›Soll ich mal fahren?‹ […] Was hat Günther mit seiner ›Soll ich mal fahren?‹-Bemerkung gemeint? Das war mir nicht so recht klar. ›Mann, fährst Du vielleicht beschissen!‹; ›Bist ziemlich müde, was?‹; ›So, jetzt bist Du aber lange genug gefahren; lass mich mal wieder ran!‹; oder ›Willst, dass wir mal wechseln – oder fährst Du lieber selber weiter?‹. Irgendwie sowas. Aber was genau?« So beschreibt Meggle das Ausgangsproblem für seine Kommunikationstheorie: die Rekon­struktion der Bedeutung von Kommunikation zwischen den Zeilen, von Implikaturen. Diese Rekon­struktion ist schwierig – Implikaturen sind die hohe Schule der Kommunikation; wegen ihres Voraussetzungsreichtums stehen sie am oberen Ende der Komplexität von Kommunikationen. Aber eine gute Kommunikationstheorie muss sie erklären können.

Meggle ist bis dahin in seinen sprachphilosophischen Arbeiten einer Wittgensteinschen Be­deutungstheorie gefolgt: Die Bedeutung einer sprachlichen Äußerung ist die Regel ihres Gebrauchs. Aber Implikaturen sind z.T. sehr kreativ und ihre Bedeutungen damit extrem individuell. Eine The­orie, die auf Gebrauchsregeln für einzelne Ausdrücke und deren Komposition setzt, also auf immer gleiche Verwendungen, kann die Bedeutung von Implikaturen, wenn überhaupt, nur sehr schwer er­klären. Ein anderes Paradigma für die Erklärung muss her. Dieses findet Meggle dann, und dies ist der Anfang der neuen Theorie, in Herbert Paul Grices frischer intentionalistischer Bedeutungstheorie (Meaning (1957), Utterer’s Meaning, Sentence-Meaning and Word-Meaning (1969), Logic and Con­versation (1975)): Die Bedeutung des Geäußerten besteht in – bestimmten Teilen – der Absicht des Sprechers. Meggle entwickelt, auf diesen Grundthesen und David Lewis’ spieltheoretischer Konven­tionstheorie aufbauend, die erste vollständige Durchführung des Griceschen Grundprogramms – sa­gen Franz von Kutschera und Jonathan Bennett.

Meggles intentionalistische Kommunikationstheorie besteht aus zwei fertigen Teilen, zu de­nen sich ein dritter, unausgeführter gesellen sollte: Im ersten Teil, der allgemeinen intentionalisti­schen Kommunkationstheorie, geht es um Kommunikation allgemein, auch nichtsprachliche, z.B.: Ignatius steht vor dem Haus seines Freundes, pfeift laut, um diesem zu verstehen zu geben, dass er draußen wartet. Eine der Grundfragen ist: Wann liegt ein echter Kommunikationsversuch vor, d.h. wann ist ein Handeln nicht nur ein Jemanden-etwas-glauben-machen-Wollen, sondern ein echtes Zu-verstehen-geben-Wollen? Meggles Antwort ist das Reflexivitätsprinzip: Eine Handlung ist nur dann ein echter Kommunikationsversuch, wenn sie als solcher verstanden werden soll. Meggle arbeitet diese Grundideen zu einer formalen Theorie aus, die mit den Grundbegriffen des Glaubens, Wollens und Tuns und den Prinzipien der Epistemischen Logik seines Freundes und Kollegen Wolfgang Lenzen (Glauben, Wissen und Wahrscheinlichkeit (1980)) die Grundbegriffe der Kommu­nikation formal definiert und dann ebenso formal beweist, dass sie das Reflexivitätsprinzip erfüllen. Mit der ausgearbeiteten Theorie (Grundbegriffe der Kommunikation (1981)) wird Meggle 1979 in Regensburg bei von Kutschera promoviert.

Der zweite Teil der Theorie ist die Theorie der konventionellen, also sprachlichen Kommu­nikation: Wie bekommen sprachliche Äußerungen ihre semantische Bedeutung? Diese Theorie ent­wickelt Meggle auf der Basis und mit dem Instrumentarium zum einen seiner allgemeinen Kommu­nikationstheorie, zum anderen der spieltheoretischen Theorie der Konventionen von David Lewis (Convention (1969)). Letztgenannte Theorie zeigt, wie Koordinierungsprobleme – z.B. auf welcher Straßenseite fährt man? – durch auffällige und »allgemein bekannte« vorherige Lösungen behoben werden können: Alle wissen, dass alle wissen, dass alle wissen …, dass die und die Lösung funktio­niert hat. Meggle überträgt diesen Ansatz auf die semantische Kommunikation und arbeitet sie zu einer formalen Theorie aus. Mit der vollendeten Schrift Handlungstheoretische Semantik wird er 1984 an der Universität Osnabrück bei Wolfgang Lenzen habilitiert; publizieren wird er sie erst 2010.

Der dritte Teil hätte dann der Abschluss der Kommunikationstheorie sein sollen, der auch die Theorie der Implikaturen enthält. Dieser Teil ist indes Aufgabe geblieben. Eine Vermutung: Möglicher­weise reichen dazu die bisherigen Beschreibungen mit Hilfe der qualitativen Begriffe des Glaubens, Tuns und Wollens nicht aus, weil nur eine komplexere Handlungs- und empirische Entscheidungs­theorie die subtilen Überlegungen und Entscheidungen, die Implikaturen vorausgehen, erfassen: mit Haupt- und Nebenzielen, übersehenen oder berücksichtigten und bewerteten Folgen, Gesamtbewer­tungen – und all dies bei diversen gegeneinander abgewogenen Alternativen. Diese komplexere Handlungstheorie müsste aber quantitative Begriffe des Wünschens und des Glaubens mit pro­babilistischen Inhalten verwenden. Hinzu kommt, dass eine Handlung vielleicht auch noch auf di­verse Weise rekonstruiert und interpretiert werden kann, so dass als nächstes bestimmt werden muss, welche Interpretation denn wie wahrscheinlich ist. Vielleicht ist die einzige (gesicherte) Implikatur von Günthers Frage dann nur das Angebot: »Ich biete dir an, dass ich mal fahre.« Alle anderen an­geführten Interpretationen zu Günthers weiteren Absichten dahinter sind möglich, ohne weitere In­formationen ragt aber keine von ihnen mit besonders hoher Wahrscheinlichkeit heraus. Eine weitere even­tuelle Implikatur des Gesagten wäre deshalb zu vieldeutig, um noch als gezielte Kommunikation zu gelten, und wäre deshalb nicht vorhanden.

Der akademische Lebenslauf

Georg Meggle wird am 21. Mai 1944 in Kempten im Allgäu geboren. Nach zweijähriger Bundes­wehrzeit studiert er ab 1967 an der LMU München bei Wolfgang Stegmüller – mit einem Auslands­jahr in Oxford bei Peter Strawson und vor allem Richard Hare (von dem er mehrere Bücher über­setzte). Nach dem Magister 1971 arbeitet er in einem DFG-Projekt von Eike von Savigny. 1975 wird er Wissenschaftlicher Mitarbeiter und später Assistent bei Franz von Kutschera an der Universität Regensburg. Dort begegnet er dem Logiker Wolfgang Lenzen, der sein wichtigster philosophischer Gesprächspartner und sein Freund wird. Nach der schon erwähnten Promotion 1979 folgen DFG-Projekte bei von Kutschera und Friedrich Kambartel in Konstanz, 1984 dann die Habilitation in Osnabrück über handlungstheoretische Semantik. Nach deren Vollendung wird Meggle 1985 C3-Professor für Logik und Methodologie der Wissenschaften, insbesondere Humanwissenschaften in Münster. 1989 folgt er dem Ruf auf die C4-Professur für Systematik und Ethik an die Universität des Saarlandes. 1994 wechselt er auf die C4-Professur für Anthropologie und Kognitionswissenschaften an die Universität Leipzig. Dort wird er 2009 emeritiert und zieht in seine Heimatstadt Kempten. Auch danach bleibt er philosophisch aktiv, u.a. mit regelmäßigen Gastdozenturen an Universitäten in Kairo sowie eine Zeit lang auch an der Universität Salzburg.

Die »Singer-Affäre« – der Kampf um Redefreiheit

Nach dem Abschluss der “Handlungstheoretischen Semantik” wendet sich Meggle auch ethischen Themen zu und diskutiert in seinen Seminaren schon früh u.a. Peter Singers Praktische Ethik (in deutscher Übersetzung 1984). In den Jahren 1989 bis 1991 entwickelt sich dann in den deutsch­sprachigen Ländern die »Singer-Affäre« um dessen Thesen zu aktiver Sterbehilfe und gezielter Tö­tung von Neugeborenen mit infauster Prognose und vorherigen qualvollen Lebensaussichten. Beides sind nach der eigentlichen Bedeutung des Wortes Formen der Euthanasie. Aber auch die Nazis hatten ihr Programm zur Vernichtung Behinderter verharmlosend »Euthanasie« genannt. Zu einem großen Teil wegen der Vermischung dieser beiden »Euthanasien«, zu einem kleineren Teil auch wegen Sor­gen um Singers tatsächliche Thesen kommt es zu einem Sturm der Entrüstung und zu aggressiven Kampagnen, die verbale und auch körperliche Attacken auf Singer selbst und alle, die ihn unterstütz­en, einschließen. Wo Singer noch auftritt, wird er niedergebrüllt, doch die meisten öffentlichen Dis­kussionen mit ihm werden abgesagt; Lehrveranstaltungen zu seinen Schriften werden bekämpft und die Lehrenden gleich mit.

In diesem Umfeld lädt Meggle, als Streiter für die Redefreiheit, 1989 Singer nach Saarbrü­cken ein und setzt mit viel Mut dort dessen Vortrag gegen militante Störer durch. Journalistische Aggressionen mit Nazi-Beschimpfungen gegen Meggle und hochschulpolitische Nötigung gehören zu den Folgen. Im Herbst 1991 wird das große Symposium der österreichischen Wittgenstein-Gesellschaft abgesagt, nachdem ihr Präsident die vorher eingeladenen Peter Singer, Richard Hare und Georg Meggle zu personae non gratae erklären wollte, was aber wiederum auf den Widerstand anderer Mitglieder stößt. Georg Meggle hält mit Mut diesen Anfeindungen, Nazi-Vorwürfen bis hin zu Berufsverbotsforde­rungen für ihn stand. Er lässt sich dadurch auch nicht davon abhalten, sich weiterhin für das Rede­recht für Vertreter unerwünschter Ansichten einzusetzen.

Gründung und Leitung der Gesellschaft für Analytische Philosophie

Meggles Verständnis von Philosophie bringt Grundideen der analytischen Philosophie, nämlich u.a. klar und deutlich zu sein, mit der Forderung nach Relevanz, auch (aber nicht nur) praktischer Rele­vanz zusammen. Und er geht dabei davon aus, dass analytische Philosophie einiges zu öffentlich diskutierten Fragen zu sagen hat, z.B. durch Begriffsklärungen, und deshalb aus dem Elfenbeinturm heraustreten sollte.

Aus diesem Impetus heraus setzt sich Meggle in Saarbrücken für die Gründung eines Instituts für Praktische Ethik ein, in dem eben auch und verstärkt zu aktuell relevanten Fragen der Angewandten Ethik geforscht werden soll. Dieses Projekt scheitert nach einem guten Anlauf an zu großem Wi­derstand.

Zugleich treibt ihn die Idee um, den Ansatz und die Ideale der analytischen Philosophie, u.a. Klarheit durch sprachliche, logische und andere formale Analyse zu schaffen, auch durch entspre­chende Organisationsformen zu fördern. Die analytische Philosophie ist 1990 in der Bundesrepublik noch nicht sehr verbreitet und beginnt erst, sich auszudehnen; es gibt knapp 20 Professoren mit ana­lytisch-philosophischer Orientierung. Durch die »Singer-Affäre« bekommt die Idee zur Gründung einer Gesellschaft für analytische Philosophie neue Nahrung. Ausschlaggebend ist dann aber ein außerphilosophisches Ereignis, die deutsche Wiedervereinigung: Meggle sieht die Notwendigkeit, für Kolleginnen und Kollegen einzutreten, die in der DDR unter widrigen Bedingungen eine an Logik und Analyse orientierte Philosophie vertreten hatten. Unter diplomatischen, finanziellen, logistischen und rechtlichen Widrigkeiten organisiert er 1990 in Ostberlin die Tagung Analytische Philosophie in der DDR. Obwohl zwischenzeitlich Bedenkenträger das Wort führen, hebt er auf ihr, »ziemlich hemdsärmelig«, wie er sagt, zusammen mit 33 weiteren Teilnehmerinnen und Teilnehmern am 26. Mai 1990 die Gesellschaft für Analytische Philosophie (GAP) aus der Taufe. Er wird ihr Gründungs­präsident und organisiert als solcher 1991 in Saarbrücken den ersten und, nach seiner dortigen Wie­derwahl als Präsident, 1994 in Leipzig den zweiten großen internationalen Kongress der GAP. Meggle entwickelt nicht nur die Organisation dieser Gesellschaft, er bemüht sich auch erfolgreich, ihren Einfluss bei den Fachgutachter-Wahlen der DFG geltend zu machen. Mit über 1200 Mitglie­dern ist die GAP inzwischen die zweitgrößte deutsche philosophische Fachgesellschaft – neben den alle drei Jahre stattfindenden großen Kongressen mit einer Fülle von Aktivitäten.

Georg Meggles große Verdienste um die GAP werden jeweils auf Beschluss der Vollver­sammlungen 2006 mit der Ehrenmitgliedschaft und 2018 mit der Ehrenpräsidentschaft der GAP ge­ehrt.

Politische Philosophie und Ethik: Krieg und Terror

Die schon in Saarbrücken begonnene Verlagerung seines inhaltlichen philosophischen Schwerpunk­tes hin zur Praktischen Philosophie setzt Meggle in Leipzig fort, im Bereich der Ethik, aber zuneh­mend auch im Bereich der Politischen Philosophie. Sein Verständnis von guter Philosophie, die Klar­heit und Deutlichkeit mit Relevanz verbindet und, wenn es angebracht ist, auch mit praktischer Re­levanz, indem sie ihr analytisches und theoretisches Potential in aktuelle gesellschaftliche Diskussi­onen einbringt, wurde schon erwähnt. Die historischen Ereignisse geben ihm hinreichenden Anlass dazu: 1999 interveniert die NATO mit Unterstützung der Bundeswehr im Kosovo-Krieg, humanitär begründet, zugunsten der Kosovaren gegen die serbische Seite und wirft u.a. Bomben auf strategisch wichtige Ziele in Belgrad. 2001 marschieren amerikanische Truppen nach den terroristischen An­griffen auf das World-Trade Center und das Pentagon in Afghanistan ein, und eine Jagd auf insbe­sondere islamistische »Terroristen« beginnt. 2003 marschiert eine »Koalition der Willigen« unter Führung der USA nach vorheriger Verbreitung falscher Nachrichten über dortige Massenvernich­tungswaffen in den Irak ein. Insbesondere die Kosovo-Intervention erhitzt die bundesrepublikani­schen Gemüter, am besten ablesbar an den Debatten innerhalb der Partei der Grünen, die von einer eher pazifistischen Orientierung mehrheitlich zur Unterstützung der Intervention umschwenkt.

Am Leipziger Philosophie-Institut wird in seinem Ethik-Kolloquium, auch unter Beteiligung einer Gruppe von Dozenten und Studenten aus Belgrad, über die Nato-Intervention heftig diskutiert. Meggle selbst ist verunsichert und zerrissen und hat selbst zwei Jahre später noch Zweifel. Über die Themen der Kriegsethik und später des Terrors organisiert er deshalb am Zentrum für Interdisziplinäre Forschung in Bielefeld 2002 eine Arbeitsgemeinschaft »Humanitäre Interventionen«, später eine weitere zu »Terror und Gegenterror«; an der Universität Leipzig organisiert er zwei prominent be­setzte, sich jeweils über ein Jahr erstreckende internationale Ringvorlesungen: 2002/03 »Terror und der Krieg gegen ihn« und 2005/06, schon zu einem neuen Thema, »Deutschland-Israel-Palästina«.

Georg Meggle entwickelt zur Intervention im Kosovo eine auf die traditionelle Theorie des gerechten Krieges gestützte Position. Er befürwortet humanitäre Interventionen prinzipiell, sogar ohne UN-Mandat, wenn sie sich aus einer Pflicht zur Nothilfe ergeben und Kollateralschäden vermeiden (»Ist dieser Krieg gut? Ein ethischer Kommentar« (2000), »Nato-Moral & Kosovo-Krieg. Ein ethischer Kommentar ex post« (2004)). Zugleich lehnt er aber die konkrete Intervention im Kosovo ab, insbesondere wegen der Bomben auf Belgrad, durch die 500 Menschen umgekommen sind. Leider erwähnt er nicht die weit höhere Anzahl von tatsächlichen Opfern (über 10.000 Tote) unter den Kosovoalbanern durch von Serben begangene ethnische Säube­rungen und von weiteren wahrscheinlichen Opfern, die durch die Nato-Intervention verhindert werden sollten.

In seinen Analysen zum Terrorismus setzt Meggle das andere von ihm massiv benutzte phi­losophische Instrument ein, die Begriffsanalyse, die zu präzisen Definitionen der explizierten Be­griffe führt, in diesem Fall zu Definitionen von ›Terror‹ und ›Terrorismus‹. Die begriffliche Schärfe war erforderlich geworden, um der uferlosen Ausdehnung dieser Begriffe entgegenzuwirken, die den Effekt haben konnte und z.T. hatte, missliebige Kritiker zu verleumden und mundtot zu machen. Meggle unterscheidet der Sache nach hauptsächlich zwei Terrorbegriffe: 1. Schwacher Terror ist gezielte Gewalt gegen entscheidende Funktionsträger eines politischen Systems, die darauf abzielt, dieses System in seinem Handeln zu bremsen. 2. Starker Terror ist wahllose Gewalt gegen wahllose Personen, insbesondere gegen die Zivilbevölkerung, die darauf abzielt, ein Regime durch die Ver­breitung von Angst und Panik in der Bevölkerung zu destabilisieren. Claus Schenk Graf von Stauf­fenberg ist nach dieser Definition ein schwacher Terrorist, die Attentäter vom 11. September 2001 sind starke Terroristen. Meggle hält (zusammen mit den meisten Politischen Philosophen) schwachen Terrorismus bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen wie Genozid oder tyrannisches System für legitim, starken Terrorismus hingegen nicht. Diese Position bringt ihm – die gerade vorgenommene Differenzierung sofort ignorierend und den Grund für sie bestätigend – den Vorwurf ein, er befür­worte den Terrorismus (insbesondere den palästinensischen).

Politik und Politische Philosophie: Antisemitismus, »Neuer ›Krefelder Appell‹« und der Traum von einem friedlichen und freien Eurabien

Meggle reist viel. Über drei Jahrzehnten baut er besonders enge Beziehungen in die arabische Welt auf. Vermittelt über seine zweite Frau, die Künstlerin Marianne Manda, die lange Jahre im Jemen periodisch bei archäologischen Ausgrabungen als Zeichnerin tätig ist und Arabisch spricht, kommt er ab 1993 immer wieder in den Jemen. Nach seiner Emeritierung und dem Beginn des Bürgerkrieges im Jemen ziehen sich die beiden im Winter regelmäßig in ihr Kairoer Domizil zurück. Sie pflegen dort Freundschaften, und auch Meggle beginnt, Arabisch zu lernen. Er unterrichtet an der Al Azhar-Universität, der Universität Kairo und der American University in Cairo (AUC). Mit den Krisen in der Region, dem Verhältnis zum Westen und dem Konflikt zwischen Israel und Palästina beschäftigt er sich intensiv. Die israelische Siedlungspolitik und die außen- wie innenpolitische Rolle Netanjahus sieht er, vorsichtig gesagt, kritisch. Dies ist der Hintergrund für Meggles jüngeres politisches und politisch-philosophisches Engagement zu diesen Themen.

In einem Kabinettsbeschluss vom 20. September 2017 hatte die Bundesregierung speziell die Antise­mitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) favorisiert und den Ministerien als Arbeitsgrundlage empfohlen. Sie ist seitdem auch Arbeitsgrundlage des Antisemitis­musbeauftragten des Bundes. Der Bundestag hat im Januar 2018 diesen Schritt durch einen entspre­chenden Beschluss unterstützt. Nach einem Anschlag auf die Synagoge in Halle / Saale im Oktober unterstützt auch die Deutsche Hochschulrektoren-Konferenz (HRK) in ihrem Beschluss »Kein Platz für Antisemitismus« vom 19. November 2019 diese Definition und fährt fort: »Die Mitgliedshochschulen der Hochschulrektorenkonferenz begrüßen diese Antisemitismusdefinition ausdrücklich und möchten sie an allen Hochschulstandorten etabliert sehen. In ihren Institutionen findet sie Anwendung und wird den Mitgliedern vermittelt.« Dieser Vorgang ist extrem ungewöhnlich. Die Verpflichtung aller universitären Institutionen auf diese Definition, die wissenschaftlich sehr umstritten ist und zu der es eine Reihe Alternativen gibt, geht sehr in Richtung Beschneidung der Wissenschaftsfreiheit. Die IHRA-Definition selbst lautet: »Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.« Diese Definition ist ext­rem vage, und vor allem, so Meggle, erlaubt sie dadurch und durch den Einschluss der gegen den Staat Israel gerichteten ›Worte und Taten‹ jede Kritik an Maßnahmen Israels, insbesondere palästi­nenserfeindliche, als ›antisemitisch‹ zu brandmarken und damit schon semantisch und moralisch ab­zuwürgen. 

Definitionslehre gehört zu den Grundkapiteln des Logikunterrichts, also Meggles Kerngebiet, und er befasst sich mit dem Nahost-Konflikt. Deshalb hat er selbst eine alternative Definition von Antisemitismus vorgeschlagen und im Detail sorgfältig ausgearbeitet, zu deren Kern die einfache Gleichung »Antisemitismus = Judendiskriminierung« gehört. Vor allem aber hat er Einspruch gegen die IHRA-Definition und besonders gegen den sie verbindlich machenden Beschluss der HRK erho­ben und versucht, den damaligen GAP-Vorstand zu einer kritischen Stellungnahme gegen diesen Beschluss zu bewegen. Eine gewisse Zuständigkeit der GAP gibt es in dieser Sache sicher: Die GAP ist diejenige wissenschaftliche Gesellschaft in Deutschland mit den meisten Mitgliedern, die sich mit Definitorik befassen; Definitorik gehört zum Kompetenzbereich der Philosophie. Zudem sind die akademischen Philosophen, die sich wissenschaftlich mit Israel oder Palästina befassen wollen, bei Umsetzung des Beschlusses in ihrer wissenschaftlichen Freiheit bedroht. Meggle ist deshalb »maßlos enttäuscht«, dass der adressierte GAP-Vorstand seine Petition zum HRK-Beschluss nicht unterstützt, dass die GAP schweigt: Dies läuft einem seiner Grundanliegen bei der Gründung der GAP zuwider, nämlich dem einer engagierten Philosophie.

Meggle wird indes selbst Opfer einer angeblichen Antisemitismusbekämpfung und der damit einhergehenden »Cancel Culture«. Er bietet einige Jahre lang an der Universität Salz­burg regelmäßig im Sommersemester ein Seminar »Philosophische Interventionen« an, das im Som­mersemester 2021 der Frage nachgehen sollte, ob der BDS (die gegen Israels Palästinapolitik gerich­tete Boykott-Bewegung »Boycott, Divestment, Sanctions«) antisemitisch sei. Verschiedene Antise­mitismusdefinitionen sollten auf ihre diesbezüglichen Implikationen untersucht werden. Aufgrund von Protesten des JöH Board (Jüdische österreichische HochschülerInnen) wird das Seminar von der Hochschulleitung ohne Prüfung der erhobenen Vorwürfe abgesagt, später dann auch für das kom­mende Jahr, und die Zusammenarbeit wird insgesamt beendet.

Meggles Engagement in Sachen Palästina ist jedenfalls in ernsthafter Sorge begründet und erwächst aus echter Anteilnahme mit dem Ziel der Völkerverständigung. Rätselhaft bleibt hingegen ein Zwischenfall mit einem, vorsichtig gesagt, extravaganten Engagement Meggles. Im November 2021 unterzeichnet Meggle – mit dem Zusatz »Ehrenpräsident der GAP« – als einer der ersten den »Neuen ›Krefelder Appell‹«. Dieser Appell propagiert u.a. die Verschwörungstheorie des »Great Reset«. Als der damalige GAP-Vorstand im September 2022 von Meggles Unterschrift erfährt, ist er entsetzt. Er lädt Meggle, der auf dem kurz bevorstehenden GAP-Kongress 2022 beim Podium »Wissenschaftsfreiheit und Moral« auftre­ten sollte, wieder aus – wogegen einige Mitglieder der GAP in einem offenen Brief an den Vorstand protestieren. Meggle selbst ist tief getroffen von der Ausladung und erwägt eine Weile lang sogar, aus der GAP auszutreten. Es ist schön, dass er es nicht tut! Schließlich ist er es, ohne den es die GAP gar nicht gäbe und ohne den sie sich nicht so rasch von einem kleinen Club mit 34 Gründungsmitgliedern zur zweitgrößten und einflussreichsten philosophischen Gesellschaft im deutschsprachigen Raum entwickelt hätte. Später zieht Meggle übrigens die Unterschrift unter den Appell zurück.

Meggle ist ein Freund der Völkerverständigung, ganz besonders im Bereich derjenigen Kul­turen, denen sein politisches Engagement gilt. Der verschwörungstheoretisch aufgeladenen Eurabia-Dystopie eines von einem radikalen, antidemokratischen und antiliberalen Islam dominierten Europa stellt er seinen Eurabia-Traum entgegen: einem geschwisterlichen, friedlichen, sich gegenseitig wert­schätzenden und befruchtenden Austausch zwischen den drei abrahamitischen Kulturen. Auch wenn es im Moment wieder ganz schlecht aussieht für die Realisierung dieses Traums, Meggle wird dieses Ziel weiter wachhalten.

Ein kritischer Geist und engagierter Mensch

Alle, die Georg Meggle näher kennen, wissen, er ist integer, engagiert, aufrichtig, hilfsbereit und humorvoll. Er ist ein kritischer Geist, der sagt, was er denkt. Dabei tritt er auch für das Recht anderer ein, umstrittene Meinungen und Analysen zu vertreten, ein Recht, das er selbst unter großem persön­lichem Einsatz und hohen persönlichen Kosten verteidigt.

Am 21. Mai 2024 wird Georg Meggle 80 Jahre alt. Wir gratulieren ihm und wünschen ihm weiter frohes Schaffen, Standhaftigkeit, den Kopf für klare Analyse sowie Rückhalt und Unterstützung durch seine Umgebung!


Christoph Lumer ist Professor für Moralphilosophie an der Universität Siena. Seine Forschungsthemen sind die normative Ethik (u.a. Entwicklung eines prioritaristischen Kriteriums der moralischen Wünschbarkeit), angewandte Ethik (Klimaethik) und Metaethik (Kriterien der Moralbegründung), die prudentielle Philosophie (individuelle Wünschbarkeit, praktische Rationalität), Handlungstheorie, aber auch die Argumentationstheorie (erkenntnistheoretische Argumentationstheorie) und philosophische Methodologie.

Ulla Wessels ist Professorin für Praktische Philosophie an der Universität des Saarlandes. Sie arbeitet zu verschiedenen Themen der Praktischen Philosophie, hauptsächlich zur normativen Ethik: zu wunschbasierte Theorien des Wohlergehens, Konsequentialismus, Moralbegründung, Supererogation und zu einzelnen Themen der Angewandten Ethik.

Beide sind GAP-Mitglieder der ersten Stunde.


Diese Laudatio erscheint parallel auf der Website der Gesellschaft für Analytische Philosophie.

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