Gestern, Heute, Morgen. Tagungen in der Philosophie

von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Dieser Text verfolgt drei Anliegen. Erstens geht es mir darum, warum wir – als wissenschaftliche Gemeinschaft – überhaupt Tagungen machen, was ihre Funktionen sind und, heikel, was eine Tagung zu einer guten Tagung macht, wobei ich besonders über soziale Aspekte sprechen werde. Zweitens versteht sich dieser Text als Service. Service für alle, die Tagungen organisieren (müssen oder möchten). Es gibt wenig Austausch darüber, wie man das macht und ich will einige konkrete Schwierigkeiten ansprechen. Drittens schließlich beziehe ich mich vor allem auf meine Erfahrungen als Ko-Organisator der Tagung für Praktische Philosophie, die heuer nach zehn Ausgaben zum letzten Mal in Salzburg stattgefunden hat. Das erlaubt mir die eine oder andere rückschauende Reflexion ohne Verklärung und das Benennen von Dingen, die uns misslungen sind. Scheitern gehört dazu und ich habe keineswegs immer daraus gelernt; vielleicht tun das andere.

Warum macht man eine Tagung?

Es gibt viele Gründe eine Tagung zu machen. Für die Menschen, die das tun, gehört es unter anderem zu ihrem Beruf als Wissenschaftler:innen. Für die wissenschaftliche Gemeinschaft erfüllen Tagungen zumindest zwei Funktionen, die auch viele Tagungsmacher:innen im Sinn haben, wenn sie darüber nachdenken, warum und wie sie eine Tagung machen.

Wissenschaft

Erstens geht es um wissenschaftlichen Austausch und damit auch um Wissensfortschritt. Man kann zwar getrost sagen, der Fortschritt ist oft nicht sehr groß, aber wenn es gar keine Tagungen gäbe, wäre er wahrscheinlich noch geringer. Die Philosophie ist eine diskursive und kommunikative Wissenschaft, auch wenn sie zumeist alleine in der Schreibstube gemacht wird. Irgendwann muss man sich mit anderen Argumenten befassen und das geht entweder schriftlich – meistens nicht direkt, sondern vermittelt über Zeitschriften oder Bücher – oder eben in der mündlichen Kommunikation, u.a. auf Tagungen. Auf Tagungen hört man Neues und bekommt, zumindest manchmal, hilfreiches Feedback zu den eigenen Gedanken. Tagungen sind Innovationsräume – manchmal entwickeln Teilnehmer:innen durch den Austausch mit anderen Teilnehmer:innen gute Ideen, neue Denkansätze, Argumente, Theorien, die dann selbst wieder zu Vorträgen, Aufsätzen, Büchern oder Projektanträgen werden. Das kann nicht nur beim Hören und Diskutieren eines Vortrags passieren, sondern auch in den Pausen, beim Abendessen oder wenn man nach einem gemeinsamen Lokalbesuch spät ins Hotel zurückkehrt.

Netzwerk

Zweitens haben Tagungen eine soziale Funktion. Sozial ist sicher auch der Austausch, der für den wissenschaftlichen Fortschritt nötig ist, aber bei diesem Punkt geht es mir um das, was man Vernetzung nennen kann. Vernetzung, also der Austausch mit anderen auf einer Tagung, schafft Möglichkeitsräume, zum Beispiel für gemeinsame Projekte, Publikationen oder neue Tagungen. Vernetzung ist auch für die Karriere nicht zu unterschätzen; wer kennt wen, wer weiß was. Die soziale Dimension von Tagungen birgt sicher nicht nur Möglichkeiten, sondern ist auch kritisch zu sehen. Schließlich ist eine Tagung immer ein abschließender Raum und wer nicht dort ist, ist eben nicht dabei und kann sich nicht vernetzen. Daher können Tagungen auch sehr gut dazu genutzt werden, bestehende Netzwerke zu vertiefen und gegen außen abzuschließen; mitunter auch gegenüber anderen Teilnehmer:innen. Wenn man eine Tagung macht, sollte man sich also auch der Verantwortung bewusst sein, dass man solche Inklusion-Exklusion-Möglichkeiten schafft; auch für sich selbst. Schließlich haben Tagungsmacher:innen eine privilegierte Position, die es ihnen erlaubt, besonders gut die soziale Funktion für sich zu nutzen. Ich weiß nicht, ob oder wie das ginge, aber eigentlich sollten diese Möglichkeiten, die Tagungen bieten, gerecht verteilt werden und vielleicht sollte auch die Möglichkeit, Tagungen zu machen, gerechter verteilt werden. Neben der Vernetzung haben Tagungen auch eine ganz banal-menschliche soziale Dimension: man lernt neue Leute kennen oder trifft andere wieder, Bekanntschaften, Freundschaften, Liebschaften, Partnerschaften und alle Gegenteile davon können entstehen.

Wie macht man eine gute Tagung?

Was eine Tagung gut macht, ist sicherlich umstritten. Ich vermute, es hat etwas mit den zwei genannten Funktionen zu tun, also mit Wissensfortschritt und mit Netzwerken. Eine Tagung, so eine erste Annäherung, wäre dann gut, wenn diese beiden Dinge dort gut gelingen. Das ist herausfordernd. Qualitätskontrolle, etwa durch die Einladungspolitik oder Begutachtung der Einreichungen, gehört ebenso dazu wie Überlegungen zum Format, um Austausch und Diskussion, um Netzwerken möglich zu machen. Nicht immer muss es das 08/15 Schema von Vortrag und anschließenden Fragen sein. Gerade bei der Qualitätskontrolle, eine Sache, die viele für essentiell für eine gute Tagung halten, wird die Eigenheit der Philosophie, dass es viel Unklarheit (und ein bisschen Streit) darüber gibt, was eigentlich gute Philosophie ist, bedeutsam. Die meisten Tagungen selektieren hier bereits durch die Eingrenzung des Themas, der eingeladenen Personen oder des methodologischen Zugangs; wo analytische Philosophie draufsteht, wird kein Derrida drinnen sein. Ähnlich wie bei Zeitschriften wurde der Heilige Gral hier noch nicht gefunden: double blind peer review? Wenn man es macht, ist es jedenfalls aufwändig und erfordert meistens die Einbindung vieler Leute. Je kürzer die Abstracts desto schwieriger die Bewertung. Die Selektion auf Basis anderer Kriterien – Status, bisherige Publikationen usw. – kann, muss aber keineswegs Qualität sicherstellen und führt in andere Schwierigkeiten. Auch hier gibt es also nicht einen Weg, sondern mehrere, die zum Ziel einer qualitativ guten Tagung führen können.

Ich glaube nun, dass eine gute Tagung auch eine Tagung ist, auf der diese beiden Funktion des Wissens und des Netzwerkens nicht nur gut gelingen, sondern auf eine gute Art und Weise gelingen. Es geht also um den Rahmen und das Wie.

Organisation

Das fängt bei der Organisation an. Ist diese gut oder herrscht Chaos (nicht der netten Art)? Wie ist die Kommunikation mit den Teilnehmer:innen, wie werden Informationen aufbereitet und verbreitet? Weiß man, wo man wann sein sollte? Ich bin der Überzeugung, man kann nicht zu viel und zu oft informieren. Unter Wissenschaftler:innen scheint es relativ weit verbreitet zu sein, banale organisatorische E-Mails nicht vollständig zu lesen oder deren Inhalt rasch wieder zu vergessen. Das liegt sicherlich daran, dass die Köpfe mit Wissenschaft, Lehre und Verwaltung voll sind. Es macht für die Organisation natürlich einen erheblichen Unterschied aus, wie groß eine Tagung ist, wie die Einladungspolitik erfolgt, wo sie stattfindet und wie viele Ressourcen vorhanden sind. Wir[1] haben immer nur zwei Kolleg:innen für die Plenarvorträge eingeladen, für die wir also soweit zuständig waren, dass wir uns um deren Reise und Unterkunft Gedanken machen mussten. Ich kenne es auch anders und wenn man zehn oder mehr Gäste im Vorfeld und vor Ort intensiv betreuen muss, ist das ein größerer Aufwand als 150 Leute, die selbstorganisiert anreisen, sich ein Hotel buchen und bei denen man nicht darüber nachdenken muss, ob und wann sie ein Mittag- oder Abendessen bekommen.

Eine gute Tagung wird die Basics der Organisation gut hinbekommen. Natürlich kann da viel schiefgehen, auch ohne das man etwas dafür kann: es wird kein veganes Essen geliefert, obwohl es bestellt wurde oder weil man darauf vergessen hat, die Webseite stürzt ab, die E-Mails funktionieren nicht, ein Zug fällt aus, der Beamer geht kaputt… Gelassenheit wird dann eine Tugend und sollte von allen geübt werden. Die allermeisten Kolleg:innen, die ich in den letzten Jahren getroffen habe, waren nette und relativ unkomplizierte Menschen, aber ja, es kann auch anders kommen. Schließlich sind Tagungen auch nur Spiegel unserer Gesellschaft, der akademischen Kultur und insbesondere unserer Disziplin. Hierarchien, Anspruchsdenken, Eitelkeiten usw. alles das gibt es manchmal und muss navigiert werden. Wie man das als Tagungsmacher:innen tun will und tun kann, hängt sicher auch von der eigenen Position und dem eigenen Status ab. Schließlich, siehe oben zur Netzwerkfunktion, will man es sich mit niemandem (der wichtig ist oder den man für wichtig hält) verscherzen.

Inklusion und Exklusion

Je nachdem wie eine Tagung aufgesetzt ist, ist sie geschlossener oder offener. Es gibt sicherlich gute Gründe, wenn man eine kleine Tagung macht auf der nur Leute vortragen dürfen, die eingeladen werden. Aus Sicht der Disziplin und den Werten der Inklusion und Gerechtigkeit verpflichtet, braucht es aber Tagungen, die zugänglich sind, auf denen sich nicht immer die gleichen Leute und alten Netzwerke treffen. Das halte ich aus mehreren Gründen für sinnvoll, unter anderem auch für den Wissensfortschritt und die Schaffung von Innovationsräumen. Es gibt Ungleichheiten des Zugangs zu Tagungen. Wer hat die Zeit, die Ressourcen, die Möglichkeiten auf eine Tagung zu fahren? Wer darf dort vortragen und erhält damit die Chance auf Aufmerksamkeit und Rückmeldung zum eigenen gedanklichen Tun? Mit der Einladungspolitik ist auch eine inhaltliche Dimension verbunden; wie Herausgeber:innen und Gutachter:innen für Zeitschriften sind Tagungsmacher:innen gate keeper. Sie bestimmen darüber, welche Themen vorgetragen und diskutiert werden. Damit können sie auch dazu beitragen, dass manche Themen marginalisiert werden oder bleiben. Über all diese Fragen von Inklusion und Exklusion sollten sich Tagungsmacher:innen Gedanken machen. Drei Eindrücke möchte ich dazu schildern:

Vereinbarkeit

Vor einigen Jahren haben wir intensiv diskutiert, ob wir auf der Tagung Kinderbetreuung anbieten wollen. Wir haben das bei den Teilnehmer:innen abgefragt und keiner hat sich mit Bedarf gemeldet. Wir hätten das auch finanziell nur schwer stemmen können, aber zumindest war es kurz in unserem Aufmerksamkeitshorizont. Wir haben nie Kinderbetreuung angeboten und das obwohl wir in zehn Jahren weit über 1000 Gäste in Salzburg hatten. Das heißt natürlich nicht, dass es keine Betreuungsverpflichtungen gegeben hätte oder dass keine Mütter und Väter bei uns gewesen wären. Sie haben es sich nur anders organisiert. Und all jene, die wegen Betreuungspflichten nicht nach Salzburg gefahren sind, blieben leider unsichtbar – ich vermute zwar, eine Kinderbetreuung hätte nicht allzu viel daran geändert, da die Probleme auf struktureller Ebene wo anders liegen. Gut wäre ein solches Angebot trotzdem.

Sichtbarkeit

Ich halte es für richtig, dass es die Aufgabe von Tagungsmacher:innen ist, Fragen der Repräsentanz und Sichtbarkeit von Gruppen zu stellen und sich dafür einzusetzen. Dazu gehört unter anderem das Geschlechterverhältnis. Eine Tagung, bei der ganz überwiegend oder gar ausschließlich Männer eingeladen werden, sollte man nicht machen. Bei einer Tagung, die auf einen Call for Papers setzt, ist das schwieriger zu steuern. Wir hatten teilweise ein ganz gutes, teilweise ein schlechtes Geschlechterverhältnis auf der Tagung. Das gab uns manchmal zu denken, aber es ist uns keine Lösung eingefallen. Bei einer Tagung, die die Vorträge sehr kompetitiv vergibt, scheint mir eine größere Steuerung, eventuell eine Quote, keine schlechte Idee. Wenn ich für zwanzig Plätze hundert Einreichungen bekomme, sollten am Ende nicht fünfzehn oder mehr Männer reden. Aber auch innerhalb der Tagung kann und sollte man sich etwas überlegen. Zum Beispiel könnte man bei allen Moderationen darauf hinweisen, dass Männer und Frauen abwechselnd eine Frage stellen. Heuer hatten wir in Salzburg nach dem Plenarvortrag eines Mannes sieben oder acht Fragen, alle von Männern. Moderiert hat übrigens auch ein Mann. Das war dann schon etwas peinlich.

Hierarchien

Drittens war es uns wichtig, dass unsere Tagung ein, wenn man es so nennen will, egalitäres Ethos hat. Das ist nicht immer möglich oder erwünscht, manchmal sind Hierarchien gern gesehen. Aus welchen Gründen auch immer hatten wir eine sehr schwankende Anzahl an Professor:innen auf unserer Tagung, aber es waren nie viele. Meine persönliche Vermutung ist, dass das daran liegt, dass wir sie nicht bewusst eingeladen, sondern immer alles über einen Call for Papers gemacht haben. Wer einen höheren Status in der Disziplin hat, hat meistens genügend Möglichkeiten, vorzutragen und auf Tagungen zu reisen, zu denen er oder sie eingeladen wird. Dazu kommt, dass wir bald einen Ruf als Tagung für „junge“ Kolleg:innen hatten. Mich hat das nicht – bzw. nur selten, wenn es mit einem etwas despektierlichen Unterton geäußert wurde – gestört, aber es hatte natürlich Auswirkungen darauf, wer kommt und wie die Tagung von Außen wahrgenommen wird und das wiederum hat Einfluss darauf, wie man eine Tagung organisieren und nach Innen gestalten kann. Tagungsmacher:innen, die auf „große“ Namen setzen und viele davon dabei haben (möchten), wofür es gute Gründe geben kann, werden mit anderen Herausforderungen konfrontiert sein als wir. Sie müssen vielleicht ihren Gästen mehr „bieten“, Status und Hierarchien größere Beachtung schenken, den Rahmen formeller gestalten.

Atmosphäre

Es gibt noch einige andere Dinge, die eine Tagung bzw. schlecht machen können. Dazu gehört auch der Umgang mit unangebrachtem Verhalten, zum Beispiel sexuelle Belästigung. Naiv, blind oder ignorant wie ich war, wurde mir das Thema erst und ziemlich plötzlich 2016 bewusst als der Fall Thomas Pogge aufkam. Tagungen, auf denen alle möglichen sozialen Interaktionen und Kommunikationen stattfinden, die sich mitunter in den Abend verlängern, wo dann Lockerheit und Alkohol durchaus eine Rolle spielen können, auf denen aber auch Hierarchien, Geschlechterverhältnisse, Macht, Status und Prestige das soziale Gefüge durchziehen, sind Orte an denen übergriffiges Verhaltensexistische Kommentare, ungewollte Annäherungsversuche, Belästigungen oder ein Ausnützen von Macht passieren können. Das mit dem Hinweis darauf, dass doch alle Teilnehmer:innen erwachsen wären und auch noch intellektuell-akademisch, zu leugnen oder klein zu reden, scheint mir reichlich naiv und unangebracht. Auch hier habe ich wenig konkrete praktische Tipps für Tagungsmacher:innen, aber man sollte das Thema nicht einfach ignorieren, sondern eventuell in „Hausregeln“ für die Tagung offen ansprechen oder eine Stelle einrichten, an die man sich wenden kann (hier eine ausführliche Liste an Verhaltenstipps für Männer auf Tagungen, sie scheinen mir für alle Teilnehmer:innen sinnvoll). Dass ich auf den Tagungen in Salzburg nichts dergleichen gesehen oder gehört habe, heißt jedenfalls nicht, dass solches nicht leider doch passiert ist oder passieren hätte können und ist hoffentlich nicht meiner fehlenden Aufmerksamkeit zuzuschreiben. Vielleicht war die Hürde sich an die Tagungsorganisation zu wenden aber einfach zu hoch; leider noch immer werden unangenehme Erlebnisse, Grenzüberschreitungen und Übergriffe allzu oft als harmlos abgetan und relativiert.

Ganz allgemein würde ich sagen: Es ist für mich immer ein Zeichen einer guten Tagung, wenn sich möglichst alle Teilnehmer:innen wohl fühlen, wenn freundlich miteinander umgegangen wird. Ohne Altherrenwitze, ohne dass manche nicht zu Wort kommen können, ohne dass sich einige wenige in den Mittelpunkt spielen, ohne untergriffig oder von oben herab zu diskutieren, weil es mehr ums eigene Ego als um die Argumente des Gegenübers geht. Wie gut mir selbst das gelungen ist, sollen andere beurteilen, aber sicher nicht immer.

Bevor man mir angesichts dieser Überlegungen Tugendwächtertum, Überregulierung oder Verbot jeglichen „Spaßes“ auf Tagungen vorwirft: der Wunsch nach einer guten Atmosphäre heißt natürlich nicht, dass man nicht humorvoll miteinander kommunizieren oder nicht klug und bestimmt in der Sache argumentieren darf; Widerspruch und Meinungsverschiedenheiten gehören notwendig zur Philosophie und auf eine Tagung. Auch ein Verbot von Alkohol beim Konferenzessen halte ich für überschießend. Es müssen und werden sich nicht alle sympathisch finden oder mögen. Eine Tagung ist und bleibt immer zu einem Teil Arbeitsplatz und ein professionelles Setting; es gehört dazu, nicht allzu informell miteinander umzugehen. Man kann auch geteilter Meinung sein, welche Meinungen man auf einer philosophischen Tagung für zulässig hält. Aber, wie alle wissen, der Ton macht zu einem guten Teil die Musik. Und den können die Tagungsmacher:innen ein Stück weit vorgeben bzw. sich zumindest darüber Gedanken machen, was ihnen dahingehend wichtig ist und das auch an die Teilnehmer:innen kommunizieren.

Wie geht es weiter mit Tagungen?

Man könnte auch fragen: braucht es angesichts von Zoom und co noch Tagungen, auf denen sich Wissenschaftler:innen physisch treffen – ja: soll das angesichts des Klimawandels überhaupt noch gemacht werden? Ich bin zwiegespalten. Vieles lässt sich tatsächlich online machen. Online hat einige Vorteile, was die Inklusion und den leichteren Zugang zu Tagungen angeht. Es gibt zum Beispiel nahezu keine finanziellen Hürden, es lässt sich leichter mit Betreuungspflichten vereinbaren. Meine größte Sorge, falls alles auf online umgestellt werden würde, betrifft die Verarmung sozialer Kontakte, des persönlichen und des informellen Austauschs. Ja, es gibt auch im virtuellen Raum die Möglichkeit, Pausen so zu organisieren, dass währenddessen nicht einfach alle Mikro und Kamera ausschalten und was ganz anderes machen.

Trotzdem, vielleicht bin ich da aber auch nur altmodisch oder unerfahren, scheint mir, dass der persönliche Kontakt eine eigene Dynamik und ein eigenes Möglichkeitsfeld bietet, die auch für die Philosophie als Wissenschaft gut ist. Deshalb haben wir es auch immer so gehalten, dass wir die Tagung in Salzburg als eine reine Präsenztagung machen. Unter anderem, und da sind wir wieder bei der Frage der Ungleichheit, bieten Tagungen für viele die Möglichkeit, Kontakte und Netzwerke aufzubauen, die sie deshalb brauchen, weil sie weniger dieser Ressourcen an ihren eigenen Instituten oder Universitäten vorfinden. Ich kann aus der Erfahrung des Arbeitens an einer kleinen Einrichtung sagen, dass man schnell intellektuell „vereinsamen“ kann, wenn es keine oder nur wenig Möglichkeiten gibt, auf Tagungen Kontakte zu knüpfen und sich auszutauschen, auch einmal in einer Pause länger über ein Thema zu reden. Das geht online schwieriger.

Tagungen abzuschaffen, das habe ich an dieser Stelle schon vor ein paar Jahren geschrieben, wäre falsch und ein großer Verlust. Wir – und damit meine ich die wissenschaftliche Gemeinschaft – sollten aber versuchen, gute Tagungen zu machen. Das schließt ein, manches online zu machen und sich der eigenen und der institutionellen Verantwortung angesichts des Klimawandels bewusst zu sein und insbesondere Flugreisen zu reduzieren. Was die Formate anbelangt, da sollten wir hin und wieder mehr experimentieren, Neues ausprobieren und Scheitern in Kauf nehmen.

Zum Schluss noch eine Bitte und Ermunterung: Zustimmung, Ergänzung, Meinung, Dissens zu allem hier Geschriebenen ist sehr herzlich willkommen. Direkt an mich per E-Mail (gottfried.schweiger@plus.ac.at), gern aber auch in Form einer kürzeren oder längeren Replik, Ergänzung, Weiterführung für den Blog. Es würde mich interessieren, wie andere es sehen.


Gottfried Schweiger arbeitet an der Universität Salzburg.


[1] Ich schreibe hier als „wir“, dann und wenn es um allgemeine Eindrücke und Fakten über die Tagung für Praktische Philosophie geht, weil die Tagung ein gemeinschaftliches Projekt war. Alle weiterführenden Gedanken, persönliche Meinungen und Ideen sind meine und nicht die der anderen in die Tagung involvierten Kolleg:innen.