04 Jun

Krise der Meinungsfreiheit?

Prof. Dr. Ulrike Ackermann im Gespräch mit Dr. Sarah Rebecca Strömel

Wie steht es um die gesellschaftliche Wahrnehmung der Meinungs- und Redefreiheit in unserer Demokratie? Was ist vom Phänomen „Cancel Culture“ zu erwarten? Und was können, sollen und müssen wir als Bürgerinnen und Bürger tun, um die Freiheit in der Demokratie zu bewahren? Diese und weitere Fragen stellt Dr. Sarah Rebecca Strömel im Interview mit Prof. Dr. Ulrike Ackermann, die 2009 das John Stuart Mill Institut für Freiheitsforschung gegründet hat und sich seit vielen Jahren mit politiktheoretischer und empirischer Forschung zur Freiheit beschäftigt. Das Gespräch findet im Rahmen der Interviewreihe „Säulen der Demokratie“ statt, die vom Lehrstuhl für Politische Philosophie, Theorie und Ideengeschichte der Uni Regensburg in Kooperation mit dem Philosophieblog „praefaktisch“ produziert und ausgestrahlt wird. Folgende Themen kommen zur Sprache:

00:00 Intro und Begrüßung
01:03 Freiheit als Lebensthema
03:04 Freiheitsindex des Mill-Instituts
05:01 Müssen wir uns Sorgen um die Freiheit machen und wenn ja, um welche Freiheit?
07:31 Cancel Culture als Chance oder als Gefahr?
12:11 John Stuart Mill und die Freiheit
16:35 Ist die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr?
20:06 Ausblick: Was tun?

28 Nov

Zwei Begriffe der Wissenschaftsfreiheit? Eine Replik auf Karsten Schubert

Von Dieter Schönecker (Siegen)


Der Berliner Philosoph Karsten Schubert kritisiert in seinem Aufsatz über „Zwei Begriffe der Wissenschaftsfreiheit“ den (angeblichen) Begriff, den das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit (NW) verwende. Dieser sei unpolitisch, man bedürfe aber eines kritisch-politischen Begriffs. Schubert irrt. Weder operiert das NW mit einem unpolitischen Begriff von Wissenschaftsfreiheit noch lässt sich mit der von ihm propagierten kritischen Theorie die akademische Cancel Culture (CC) begründen.

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28 Feb

Über die Wegerfindung der Cancel Culture

Von Dieter Schönecker (Siegen)


Seitdem der Streit über die sogenannte Cancel Culture (CC) angefangen hat, wird immer wieder behauptet, dass es sie im Grunde gar nicht gebe; Sebastian Huhnholz [1], Steffan Lessenich [2] und Jan-Werner Müller [3] sind bekannte Vertreter dieser These. Der Stanforder Literaturwissenschaftler Adrian Daub hat nun sogar ein dickes Buch (Cancel Culture Transfer. Wie eine moralische Panik die Welt erfasst, Suhrkamp 2022) geschrieben mit dem Ziel, eben diese CC-Leugnung umfassend zu verteidigen: So etwas wie eine CC als breites, ernstzunehmendes Problem gebe es nicht oder nur „angeblich“ (eine von Daub dutzende Male gebrauchte Vokabel) und sei jedenfalls nicht belegt. Vielmehr beruhe die Debatte um CC nur, so Daub, auf „Anekdoten“ (davon ist ständig die Rede) und „Einzelfällen“ (10, 191, 281) und sei daher auch nur Ausdruck einer „moralischen Panik“ (so schon im Buchtitel), der als hysterisches Gefühl der Bedrohung in der Realität nichts entspreche; um die Realität der CC zu bezweifeln, verwendet er auch Ausdrücke wie „Mär vom zensurwütigen linken Amerika“ (18), „Fabel“ (20), „Posse“ (20), „Bagatelle“ (22), „Provinzposse“ (47), „Lappalie“ (29), „jahrzehntealte Zwischenfälle“ (29), „holzschnittartige Erzählung“ (29), „ritualisierte Wiederholung“ (37), „reißerische Neubeschreibung klassischer akademischer Auseinandersetzungen“ (47), „eklatante Banalität“ (50, 315), „Legende“ (168, 201, 203), „urban legend“ (201), „Mythos“ (201), „Folklore“ (201), „Privatmythologie“ (315), „relativ kontextfreie Beispiele“ (321). Zudem sei die CC-Debatte auch nicht neu, sondern nur eine neuerliche Variante (u. a.) der Kritik an der Political Correctness, die in Europa aus antiamerikanischen Motiven heraus importiert worden sei, um dem vermeintlichen Exporteur die Schuld zu geben.

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06 Sep

Die Sittenwächter von PhilPublica oder über den Mangel an Einbildungskraft

Von Dieter Schönecker (Siegen)


Seit etwa dreieinhalb Jahren gibt es PhilPublica, ein Portal, das man nicht missen möchte. Es sammelt an einem übersichtlichen Platz Beiträge von Philosophinnen und Philosophen, die in verschiedenen Medien Stellung beziehen zu philosophischen und (im weiteren Sinne) politischen Themen. Eine von der DGPhil und der GAP eingesetzte Arbeitsgruppe (AG) sucht die Beiträge aus. Es ist eine Serviceleistung, die es einfacher macht, auf dem Laufenden darüber zu bleiben, was die Kolleginnen und Kollegen in der breiteren Öffentlichkeit erörtern und diskutieren. So weit, so sehr gut.

Vor kurzem habe ich PhilPublica vorgeschlagen, einen Beitrag mit dem Philosophen Michael Esfeld und dem Juristen Titus Gebel zu verlinken, der bei indubio publiziert wurde, dem podcast von Achgut.com. Das wurde abgelehnt. Hier ist die Begründung (ich zitiere mit Erlaubnis der AG):

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05 Apr

Ideologisch sind immer die Anderen: Zu Uwe Steinhoffs Polemik gegen Koch und Mühlebach

von Daniel Lucas


Auf diesem Blog hatten sich Heiner Koch und Deborah Mühlebach um eine Versachlichung der Debatte um die Äußerung von Kathleen Stock bemüht. Uwe Steinhoff hat darauf mit einer Replik geantwortet. Warum die Philosophie häufiger der Demut bedarf und die Grenzen ihrer Selbst wahrnehmen sollte.

Wo die scharfe Auseinandersetzung endet und die plumpe Beleidigung beginnt, mag im Auge der Betrachter*innen liegen (ja, mit einem komischen Sonderzeichen mitten im Wort). Dass die Polemik ein Teil der philosophischen Tradition ist, scheint mir zuzutreffen. Ob Steinhoffs Intervention in der Causa Kathleen Stock sich in diese Tradition einordnen kann, ist jedoch fraglich. Denn es stellt sich die Frage, inwiefern Beiträge als relevanter Teil einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung auftreten, die etwa solche Absätze beinhalten:

„Wenn der GAP an offener Diskussion gelegen ist, sollte sie Begrifflichkeiten vermeiden, welche sich eher für das einstige Sowjetregime mit seiner ausgeprägten Neigung eignen, Dissidenten als Geistesgestörte in die Psychiatrie zu sperren. Umgekehrt freilich ist die Popularität solcher Begrifflichkeiten im „woken“ linksautoritären Milieu nur die Fortsetzung der eigenen Tradition.“

Es hilft wenig zur Versachlichung der Debatte, wenn man seine Gegner*innen in die Nachfolge stalinistischer Vernichtungspolitik setzt.

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28 Jan

Erwiderung auf die Stellungnahme von Heiner Koch und Deborah Mühlebach zur Stellungnahme der GAP zu Kathleen Stock

Hinweis der Redaktion: Wir möchten an dieser Stelle nochmals betonen, dass wir dazu einladen, Repliken auf Blogbeiträge zu schreiben und uns zu schicken. Wir teilen durchaus nicht alle auf diesem Blog veröffentlichten Meinungen, Argumente und Thesen, veröffentlichen Texte jedoch nur dann nicht, wenn sie klar gegen wissenschaftliche Regeln der Philosophie verstoßen oder jenseits dessen liegen, was uns als eine vertretbare Auffassung erscheint. Auch diese policy kann natürlich kritisiert werden.


von Uwe Steinhoff (Hongkong)


Heiner Koch und Deborah Mühlebach kritisieren auf praefaktisch die Stellungnahme der Gesellschaft für analytische Philosophie (GAP) zum Fall Kathleen Stock. Mir gefällt die Stellungnahme auch nicht – aber aus ganz anderen Gründen. Einige davon lege ich zunächst dar, bevor ich mich den Einlassungen Kochs und Mühlebachs zuwende.

So erklärt die GAP: „Analytische Philosophie hat sich den Idealen der Klarheit, der Genauigkeit und der offenen, kritischen Debatte verschrieben.” In der Tat. Aber zur Klarheit gehört, dass man hinreichend klar definierte Begriffe benutzt. Die GAP verkündet jedoch: “Transphobie ist wie Homophobie, Rassismus, Islamophobie und Antisemitismus eine Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die zu Recht moralisch geächtet ist.“ Ob das so ist, hängt aber eben davon ab, wie die Begriffe definiert werden. Den Vorwurf zum Beispiel, dass der Begriff „Rassismus“ völlig inflationär gebraucht werde, gibt es schon seit langem, und er wurde auch von analytischen Philosophen diskutiert. Derweil diese von interessierten Kreisen betriebene Inflation dazu dienen soll, ihnen missliebige aber akzeptable Praktiken oder Vorstellungen dadurch zu diskreditieren, dass man sie mit dem aufgeladenen Wort „Rassismus“ bezeichnet, ist philosophisch freilich der umgekehrte Schluss zu ziehen: Wenn diese akzeptablen Praktiken rassistisch sind, dann gibt es in diesem Sinne von Rassismus völlig akzeptablen Rassismus.

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18 Jan

Stellungnahme zur Stellungnahme der GAP «Für eine freie und kritische Auseinandersetzung in den Wissenschaften»

von Heiner Koch und Deborah Mühlebach


Die Stellungnahme der GAP zum Fall Kathleen Stock suggeriert, dass eine wissenschaftlich neutrale Auseinandersetzung mit politisch relevanten Fragen möglich ist. Weil wir anders als die GAP davon ausgehen, dass Wissenschaftsfreiheit nicht losgelöst von bestehenden Machtverhältnissen in- und außerhalb der Universität gedacht werden kann, halten wir dies für falsch.

Die GAP plädiert in ihrer Stellungnahme zum Fall Stock für eine freie und kritische Auseinandersetzung in den Wissenschaften – oder kurz Wissenschaftsfreiheit. Das klingt zunächst nach einer Forderung, der kaum widersprochen werden kann. Bei genauerer Betrachtung ist es angesichts der Komplexität des ganzen Falls Stock jedoch erstaunlich, welches konkrete Problem die GAP als das zentrale hervorhebt.

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16 Jun

Wissenschaftsfreiheit in der Demokratie oder Wozu ist das Gut der Wissenschaftsfreiheit gut?

Von Elif Özmen (Gießen)


Es ist kein Zufall, dass die Freiheit der Wissenschaft, Forschung und Lehre unter ein und denselben Art. 5 GG fallen mit der Freiheit der Meinung, Information, Presse und Kunst. Der Verbund dieser Kommunikationsgrundrechte dient dem Schutz einer kritischen Öffentlichkeit, die als unverzichtbar gilt für den Bestand und das Prosperieren der Demokratie. Zwar ist Wissenschaftsfreiheit kein universelles Menschen- oder Bürgerrecht. Aber ihre förderlichen Wirkungen entfaltet sie nicht nur innerhalb wissenschaftlicher Institutionen und Tätigkeitsfelder, sondern auch im Verhältnis zur Gesamtgesellschaft.

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12 Jun

Versuch einer Verständigung – anstelle einer Replik zur Replik Dieter Schöneckers

Von Peggy H. Breitenstein (Jena)


Eigentlich ist der Einsatz für die Wissenschaft und ihre Freiheit zu wichtig und gewichtig, um kleine Streitgespräche zu führen. Aber da sich Dieter Schönecker die Mühe gemacht hat, eine Replik zu meinem Beitrag zu schreiben, nehme ich seine Einwände als Anlass, die Diskussion fortzusetzen und mich an einigen Stellen verständlicher auszudrücken oder auch selbstkritisch zu präzisieren.

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03 Jun

Konkretes zur Frage, warum ein Netzwerk Wissenschaftsfreiheit gebraucht wird

Von Maria-Sibylla Lotter (Bochum)


Auf Praefaktisch.de sind zwei kritische Artikel zum Netzwerk Wissenschaftsfreiheit erschienen, die zeigen, dass Philosophen und Philosophinnen auch dann rein spekulativ arbeiten können, wenn sie es nicht mit Metaphysik, sondern Wissenschaftspolitik zu tun haben. Gibt es Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit? Bevor wir uns erneut in ideologische Scheingefechte begeben, möchte ich diese Frage ganz unspekulativ mit der Darstellung eines unserer aktuellen Fälle beantworten. Betroffen davon ist ausgerechnet der wohl unter deutschen Philosophen konsequenteste Verfechter der Wissenschaftsfreiheit Georg Meggle, der sich schon in den Achtzigern für eine freie Diskussion von Peter Singers Thesen eingesetzt und damals die Gesellschaft für Analytische Philosophie gegründet hatte, um die freie Diskussion auch heikler Themen zu ermöglichen.

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