„Please don’t be in love with someone else” – Unglücklich verliebt mit Taylor Swift
von Gottfried Schweiger (Salzburg)
Im Februar fand das Swiftposium 2024, eine große akademische Konferenz zu Taylor Swift, in Melbourne statt. Auch die Philosophie war dabei. Im Vordergrund der philosophischen Vorträge standen zwei Themen: einerseits Swift als Celebrity und Vorbild, andererseits ihr Feminismus. Auch der in ihren Liedern besungene Umgang mit gesellschaftlichen Idealen, Normen und Praktiken, Ungleichheiten, Verletzlichkeit, Enttäuschung und Liebe wurde thematisiert. Swift hat Facetten der Liebe in vielen ihrer Liedern aufgegriffen und darin auch ihr eigne Biographie verarbeitet. Gefühle und Phasen der unglücklichen Liebe spielen dabei häufig eine Rolle. Daher hier nun die Frage: was können wir mit Swift über das unglückliche Verliebtsein lernen?
Zunächst: Warum kann es lohnend sein, sich mit Swifts Liedern auch philosophisch zu beschäftigen? Erstens ist es nicht ungewöhnlich, dass man in der Philosophie Beispiele aus Kulturprodukten wie Romanen oder Filmen heranzieht, um ein Argument zu illustrieren oder es als Ausgangspunkt der Reflexion zu nehmen. Zweitens können Lieder eine Verbindung zu einem selbst herstellen, die tiefer ist als die eines philosophischen Textes. Das ist durchaus relevant für die Reflexion, weil dadurch ein anderer Resonanzraum für Argumente eröffnet wird. Zumindest ist das bei manchen Menschen der Fall. Drittens ist es ein didaktisches Mittel. Pop ist für viele (jüngere) Menschen ein wichtiger Bestandteil ihres Alltags, sie können damit etwas anfangen.
Sich unglücklich zu verlieben, das kann jedem und zu jedem Zeitpunkt passieren; was macht diesen Zustand aus und wie sollte man damit umgehen? Swift hat viele Lieder dazu veröffentlicht, oft mit biografischem Bezug, zwei davon greife ich heraus: Enchanted und Gorgeous. Entlang ihrer Texte lassen sich einige relevante Fragen erörtern, an die dann philosophische Überlegungen anschließen können (eine Analyse der Musik oder der Videos, die ebenso lohnend wäre, sollen hier ausgespart werden, dennoch ist es für ein besseres Verständnis sicher sinnvoll, sich die Lieder anzuhören). Dabei ist wohl zu beachten, dass Swifts Lieder als weitverbreitete und rezipierte Kulturprodukte wirkmächtig sind; was sie transportieren und auslösen, bedarf auch deshalb der kritischen Reflexion und Distanzierung.
Sich unglücklich verlieben
Wie kommt es dazu, dass man unglücklich verliebt ist? Es ist kein selbstgewählter Akt, dass man sich verliebt. Es passiert einem. Und die Person, in die man sich verliebt, ist dafür verantwortlich; nicht in einem moralischen, sondern in einem kausalen Sinne. Wie es in Enchanted heißt: die geliebte Person hat einen verzaubert, man hat sich mit ihr wunderbar unterhalten oder, so heißt es in Gorgeous, sie ist einfach so cool oder wunderschön, dass man nicht anders konnte, als sich zu verlieben. Hier stellt sich schon die Frage, nach der Qualität dieser Gründe und ob es überhaupt Gründe gibt, sich in jemanden zu verlieben. Es ist in beiden Fällen bei Swift jedenfalls, so kann man sagen, Verlieben auf den ersten Blick. Die Verliebtheit entsteht spontan.
There I was again tonight
Forcing laughter, faking smiles
Same old tired, lonely place
Walls of insincerity, shifting eyes and vacancy
Vanished when I saw your face
All I can say is, it was enchanting to meet you
Your eyes whispered, „Have we met?“
‚Cross the room your silhouette
Starts to make its way to me
The playful conversation starts
Counter all your quick remarks
Like passing notes in secrecy
Das entspricht vielen gängigen Theorien des Verliebens, die betonen, dass es nicht gesteuert und selbst gewählt ist. Sich zu verlieben ist kein freiwilliger Akt, nur was man daraus macht. Das unterscheidet auch den Prozess und Zustand des Verliebens von der Beziehungsform der Liebe, die weit mehr ist als ein bloßes Gefühl. Zumindest wird das in einigen philosophischen Theorien der Liebe so gesehen. Die unglückliche Verliebtheit enthält zusätzlich das Moment der Überwältigung, weil viele es für besser halten, wenn sie sich nicht in diese Person verliebt hätten, weil dieser Zustand ihnen Leid bereitet. Aber man konnte nicht anders. So ein Verständnis der Überwältigung kann aber auch kritisiert werden: wir sind unseren Gefühlen nicht vollständig ausgeliefert, sondern können diese lenken, zumindest können wir das versuchen und in manchen Fällen sollten wir das auch aus Gründen der Klugheit oder Moral tun.
You’re so gorgeous
I can’t say anything to your face (to your face)
‚Cause look at your face (look at your face)
And I’m so furious
At you for making me feel this way (this way)
But what can I say?
You’re gorgeous
Unglückliches Verliebtsein ist dadurch gekennzeichnet, dass die Gefühle unerwidert bleiben. Man bekommt von der geliebten Person nicht, was man sich erhofft. Vielleicht weil sie kein Interesse an einem hat, weil sie jemand anderen liebt, weil sie nur freundschaftliche Gefühle hegt, weil sie einen gar nicht wahrnimmt oder auch weil man selbst oder die unglücklich geliebte Person in einer exklusiven Beziehungen ist, die man aus welchen Gründen auch immer nicht öffnen will. Die Gleichzeitigkeit von Verliebtheit und fehlender Resonanz macht das Unglück aus. Das ist ein chaotischer Zustand: Euphorie, erotische Anziehung, Wut, Enttäuschung, Trauer, Sehnsucht.
Dabei bezieht sich die Verliebtheit sowohl auf den anderen als auch auf einen selbst: dass man nicht nur in die andere Person verliebt ist, sondern auch in das Verliebtsein selbst und was es mit einem macht. Dass Verlieben und Verliebtsein als Überwältigung verstanden werden, deutet einen ethischen Konflikt an, schließlich gelten Selbstbestimmung und die Abwesenheit von Zwang als wertvoll und Zeichen eines guten Lebens. Daraus könnte man folgern, dass es besser wäre, diesen Zustand der Verliebtheit, den man nicht selbst wählen oder verändern kann, rasch hinter sich zu lassen; idealerweise in Richtung einer gelungenen romantischen Liebesbeziehung. Gleichzeitig ist Verliebtsein ein euphorischer Zustand. Wahrscheinlich macht es auch Wert und Güte des Verliebens aus, dass es eben kein freiwilliger oder gar wohlüberlegter Akt ist, weil das gute Leben eben nicht verlustfrei auf ein autonomes und rationales Leben reduzierbar ist. Niklas Luhmann hat von der amour passion geschrieben und dem Leiden an der leidenschaftlichen Liebe. Das unglückliche Verliebtsein erscheint aus dieser Perspektive nicht nur als schlecht und leidvoll, sondern enthält weiterhin einige positive Elemente der Verliebtheit. Man leidet an der Verliebtheit, die einen gleichzeitig berauscht und ist auch deshalb nicht bereit, sie (allzu schnell) aufzugeben und zu überwinden.
You should take it as a compliment
That I’m talking to everyone here but you (but you, but you)
And you should think about the consequence
Of you touching my hand in the darkened room (dark room, dark room)
If you’ve got a girlfriend, I’m jealous of her
But if you’re single that’s honestly worse
‚Cause you’re so gorgeous it actually hurts
Mit der unglücklichen Verliebtheit umgehen
Wer unglücklich verliebt ist, hat mehrere Möglichkeiten damit umzugehen. In Gorgeous stehen Leid und Ärger im Vordergrund. Es bleibt auch hier eine Dialektik aus Freiheit und Zwang; auf der einen Seite die Freiheit, sich anders zu verhalten oder sogar die eigenen Gefühle zu ändern, auf der anderen Seite der Zwang durch die Verliebtheit, die einem keine Wahl lässt, als diesen Ärger zu empfinden – und wie es in Gorgeous angedeutet wird, so auch zu handeln, also sich über die geliebte Person lustig zu machen, um sich von ihr und damit von den eigenen Gefühlen zu distanzieren. In Gorgeous ist die Sache nochmals dadurch komplizierter, dass die verliebte Person in einer Beziehung ist, sich wohl auch aus diesem Grund nicht verlieben wollte. Das wird einen Teil ihres Ärgers erklären, den sie der geliebten Person entgegenbringt, der sich aber auch auf sich selbst bezieht; darauf, dass man sich verliebt hat und nun daran leidet, auch wenn dafür eben gerade niemand moralisch verantwortlich ist. Bei Ulrika Carlsson wird das als tragischer Groll beschrieben – kritisch dazu Anca Gheaus, die diesen Groll für ungerechtfertigt hält und die unglückliche Verliebtheit vor allem als Erfahrung der Selbstviktimisierung versteht.
You should take it as a compliment
That I got drunk and made fun of the way you talk
You should think about the consequence
Of your magnetic field being a little too strong
And I got a boyfriend, he’s older than us
He’s in the club doing, I don’t know what
You’re so cool, it makes me hate you so much
In Enchanted geht es vor allem um die Hoffnung, dass die unglückliche Verliebtheit sich doch noch zum Guten wenden wird. Gleichzeitig das Bedauern, nicht bereits die Gelegenheit ergriffen zu haben, mehr aus der Situation gemacht zu haben. Ein Bedauern, das mitunter begründet erscheint, auch wenn es sich oft erst durch den Rückblick konstituiert, man also in der Situation, die man ungenutzt ließ, nicht wissen konnte, dass es sich um eine Chance handelt, die man verpasst. Vielleicht weil einem die eigenen Gefühle erst im Nachhinein bewusst wurden, man noch gar nicht verliebt war, sondern erst nachdem man die Situation schon verlassen hat.
The lingering question kept me up
2 AM, who do you love?
I wonder ‚til I’m wide awake
And now I’m pacing back and forth
Wishing you were at my door
I’d open up and you would say, „Hey“
Tragisch ist es, wenn man, ob berechtigt oder nicht, glaubt, damit die einzige Gelegenheit verpasst zu haben, den anderen für sich zu gewinnen oder dies zumindest zu versuchen. Das ist etwa der Fall, wenn man nicht weiß, ob man die geliebte Person wiedersehen wird; aber auch wenn es nochmals Kontakt gibt, vielleicht sogar häufigen – bei Freund:innnen oder Kolleg:innen – kann es sein, dass kein vergleichbarer Moment, wie jener, der retrospektiv als Chance wahrgenommen wird, wiederkommt. Das Verliebtsein bezieht sich auf die geliebte Person, ist aber verbunden mit dem Ereignis und dem Ort seiner Konstitution und seiner Erfahrung. Das Grübeln im Modus des Was-hätte-sein-können und des Was-hätte-ich-tun-können wird in Enchanted zu einem bestimmenden Moment der unglücklichen Verliebtheit; ein Moment, das durchaus toxisches Potential der Selbstviktimisierung hat. Vielleicht wäre alles ganz anders, hätte man einen Versuch gewagt und wäre nicht einfach heimgegangen.
This is me praying that
This was the very first page
Not where the story line ends
My thoughts will echo your name, until I see you again
These are the words I held back, as I was leaving too soon
I was enchanted to meet you
Please don’t be in love with someone else
Please don’t have somebody waiting on you
Please don’t be in love with someone else
Please don’t have somebody waiting on you
Das Gute der unglücklichen Verliebtheit
Es ist aber auch möglich, nicht nur die negativen Seiten der unglücklichen Liebe zu sehen, sondern, wie Sara Protasi schreibt: “Unrequited love can be as genuine and valuable as reciprocated love.” Verliebt zu sein, auch ohne die erwünschte Resonanz, ist Zeugnis, dass man die Fähigkeit zur Liebe in sich hat; eine positive Eigenschaft, die man an sich selbst und anderen schätzen sollte. Auch wenn es schwer fällt, kann man sich durch die Trauer, Enttäuschung und Wut hindurch daran orientieren, dass es insgesamt besser ist, zum Verlieben fähig zu sein, als dies nicht zu können. Leider wird unglückliches Verliebtsein von anderen oder einem selbst manchmal als Schwäche oder Makel oder Vergeudung ausgelegt, als wäre nur erwiderte Liebe wertvoll. Unglückliches Verliebtsein gilt oft von vornherein und ausnahmslos als bemitleidenswert – vielleicht braucht es deshalb so viele Lieder und andere Formen der kulturellen Verarbeitung, die den unglücklich verliebten Menschen zur Seite stehen.
Alexandra Gustafson spricht davon, dass (romantische) Liebe, auch die unerwiderte, im Kantschen Sinne erhaben ist – “Romantic or otherwise, returned or not, love is sublime and worthy of embrace because it reveals in you, the lover, a unique and noble capacity.” Ein solcher Perspektivenwechsel stellt es auch radikal in Frage, sich für diese Verliebtheit zu schämen, sie zu verstecken oder zu verdrängen; obwohl es gute Gründe geben kann, sie für sich zu behalten, schließlich löst ein Liebesgeständnis ja auch im anderen etwas aus und bringt ihn oder sie in eine Position, darauf irgendwie zu reagieren (zB. wenn man eine Arbeitsbeziehung dadurch komplizierter machen oder eine Beziehung oder Freundschaft gefährden würde). Die unglückliche Liebe zu verschweigen und möglichst rasch zu überwinden, ist auch der häufigste “Tipp” in der einschlägigen Ratgeberliteratur. Unglücklich verliebte Menschen haben, auch wegen gängiger sozialer Normen, viel zu verlieren und wenig zu gewinnen.
Solange man die unglückliche Verliebtheit für sich behält, bleibt sie im Modus der Ungewissheit und des Möglichen. Man kann zwar gute Gründe haben, anzunehmen, dass die geliebte Person nicht auch in einen verliebt ist, aber man hält sich in den Phasen der Hoffnung die Möglichkeit offen, dass es vielleicht anders ist. Das kann, wie in Enchanted, ein Grübeln auf Basis der fehlenden Möglichkeit einer Klärung sein. Oder, wenn man Kontakt hat, die Handlungen und Äußerungen der geliebten Person werden immer wieder hoffnungsvoll darauf geprüft, ob sie nicht doch Signale der romantischen Zuneigung enthalten.
This night is sparkling, don’t you let it go
I’m wonderstruck, blushing all the way home
I’ll spend forever wondering if you knew
That this night is flawless, don’t you let it go
I’m wonderstruck, dancing around all alone
I’ll spend forever wondering if you knew
I was enchanted to meet you
Wie es mit der unglücklichen Verliebtheit weitergeht, bleibt in beiden Liedern unbesungen; der Ausgang offen. Es ist durchaus möglich, dass es ein Happy End gibt und die unglücklich geliebte Person einen doch zurück liebt und man einen Weg findet, eine Liebesbeziehung einzugehen. Oder man bleibt mit den zwiespältigen Gefühls- und Gedankenwelten der unglücklichen Verliebtheit alleine zurück. Der Zustand des unglücklichen Verliebtsein wird aber nicht der Schlusspunkt sein. Nicht nur, weil sich die allermeisten Menschen innerhalb weniger Wochen oder Monate entlieben. Es gibt Hoffnung, dass man sich in eine andere Person verliebt, die einen zurück liebt. Oder dass man alleine glücklich wird. Wie eine andere weibliche Ikone des Pop, Miley Cyrus, in ihrem Lied Flowers singt, kann es, zumindest für eine gewisse Zeit, durchaus genügen und gut sein, vor allem einmal nur sich selbst zu lieben. Gerade dann, wenn man von einer geliebten Person nicht jene Resonanz bekommt, die man sich erhofft. Vermutlich ist solche gesunde Selbstliebe auch eine Voraussetzung für gelungene Liebe in jeder Beziehung.
I can buy myself flowers
Write my name in the sand
Talk to myself for hours
Say things you don’t understand
I can take myself dancing
And I can hold my own hand
Yeah, I can love me better than you can
Gottfried Schweiger arbeitet am Zentrum für Ethik und Armutsforschung an der Universität Salzburg. Gemeinsam mit Michael Kühler organisiert er auf der Tagung für Praktische Philosophie 2024 in Passau ein Panel zur Philosophie der Liebe und Sexualität.