Soll nach Corona alles so sein wie davor?
Von Norbert Paulo (Graz & Salzburg)
Wie Gottfried Schweiger im ersten Beitrag zu unserem Corona-Themenblock schon angedeutet hat, bietet die COVID-19-Pandemie auf vielen Ebenen Anlass zu philosophischen Reflexionen. Ich möchte mich hier auf einen Gerechtigkeits-Aspekte der Pandemie konzentrieren (andere werden bald in weiteren Beiträgen beleuchtet): Viele Geschäfte, ja ganze Branchen stehen unmittelbar vor dem Konkurs, weil von heute auf morgen und ohne eigenes Verschulden ihre Geschäftsgrundlage weggebrochen ist. Das gilt für Hotellerie und Gastronomie, für den Kulturbetrieb und etliche andere Dienstleisterinnen und Händlerinnen.
Die Politik verspricht erhebliche finanzielle Hilfen um extreme Härten zu vermeiden, subventioniert Kurzarbeit usw. Alles, um den status quo ante unserer Marktwirtschaft zu erhalten, obwohl sich gerade in aller Deutlichkeit zeigt, wie krisenanfällig viele Unternehmen, selbst die größten unter ihnen offenbar sind. Keine Summe scheint zu hoch, kein Maßnahmenpaket zu aufwändig und teuer zu sein, es muss nach Ende der Pandemie alles so sein wie vorher. Keine soll ihren Job verloren haben, kein Geschäft Pleite gegangen sein. Schließlich kann niemand etwas dafür, die Pandemie ist ein Schicksalsschlag. Nach Corona soll alles so sein wie davor.
Deswegen sah etwa das österreichische Epidemiegesetz auch einen Ersatz von entgangenem Gewinn für kleine und mittelgroße Unternehmen vor. Weil das offensichtlich zu teuer ist, wenn fast die gesamte Wirtschaft betroffen ist, wurde diese Regelung nun in einer gesetzgeberischen Hau-Ruck-Aktion am Sonntag abgeschafft. Stattdessen sorgt ein beachtlichem Tempo designtes Maßnahmenpaket für ziemlich komplizierte und im Detail noch unklare Regelungen, die natürlich auch zu einer Reihe von kleineren und größeren Ungerechtigkeiten führen werden. Warum das eine Unternehmen Hilfe bekommen soll und das andere nicht, ist schlicht (noch) nicht gut ausgearbeitet, was auch nicht verwunderlich ist, schließlich sind das ja auch wahnsinnig schwierige Fragen.
Dass der Staat nicht alle wirtschaftlichen Härten auffangen kann, sollte klar sein. Nach Corona kann also nicht alles wieder so sein wie davor, auch wenn die deutsche Bundesregierung in Person von Peter Altmaier meint, „kein gesundes Unternehmen sollte wegen Corona in die Insolvenz gehen, kein Arbeitsplatz sollte verlorengehen.“
Sosehr ich diesen Impuls verstehe, es sollten doch auch alternative Ansätze diskutiert werden, wie Härten vermieden werden können. Eine naheliegende Alternative wäre das bedingungslose Grundeinkommen, also jeder Bürgerin monatlich einen gewissen Betrag auszuzahlen, ohne dass diese Zahlung an irgendeine Bedingung geknüpft wäre. Es spricht vieles für ein solches Grundeinkommen: Es wäre eine ganz einfache, klare Regelung staatlicher Zuwendungen. Es müsste nicht der eine Arbeiter Geld bekommen, weil er zufällig in einer Branche arbeitet, die staatlich gestützt wird, während die andere Angestellte leer ausgeht. Auch vermeidet das Grundeinkommen die Stigmatisierung von Sozialleistungen, weil jede sie bekommt, von der Geburt bis zum Tod. Es würde viel Zeit und Geld einsparen, weil es sehr viel leichter zu verwalten wäre als die gegenwärtigen, hochgradig differenzierten Sozialsysteme.
Einer der Hauptgründe für das Grundeinkommen ist dieser: Bei ausreichender Höhe würde es die Menschen in die Position versetzen, zu entscheiden, ob sie überhaupt und, wenn ja, was sie arbeiten wollen. Nicht wenigen dürfte dieser Tage schmerzlich bewusst werden, dass das, was sie normalerweise fast jeden Tag von früh bis spät beschäftigt, eigentlich unwichtig ist und keinen offensichtlichen sozialen Wert hat. (Mir geht es teilweise auch so.) Wir haben eine ganze Reihe sogenannter „Bullshit-Jobs“. Vielleicht wäre es gar kein Problem, wenn zumindest einige dieser Jobs die gegenwärtige Krise nicht überstehen. Welche das sind, sollte aber niemand „von außen“ entscheiden, keine Politikerin – und natürlich auch keine Philosophin. Wenn aber die Leute selbst nach Corona feststellen, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben wollen, könnte das einen sozialen Fortschritt bedeuten.
Gegen das bedingungslose Grundeinkommen wird oft eingewandt, es wäre zu teuer. Ob das so ist, hängt vom konkreten Modell ab und ist unter Ökonominnen umstritten. Ich habe da keinerlei Expertise, aber angesichts der Mittel, die nun aber für die Garantie der Wiederherstellung des status quo ante mobilisiert werden (ganz ähnlich zur politischen Reaktion auf die Finanzkrise 2008/2009), scheint mir dieser Einwand gegen das Grundeinkommen immer weniger relevant zu sein.
Ob man sich nun mit dem bedingungslosen Grundeinkommen anfreunden kann oder nicht, es soll hier nur als ein Beispiel dafür dienen, wie wir kreativer mit den Gerechtigkeitsfragen umgehen können, die die die COVID-19-Pandemie mit sich bringt. Ich würde mir wünschen, dass sie uns mutiger macht, soziale Experimente anzugehen und weniger Angst vor Veränderungen zu haben.
Nach Veröffentlichung dieses Beitrags wurde ich darauf hingewiesen, dass es eine Petition gibt, die in etwa das fordert, was ich hier anregen wollte.
Norbert Paulo ist Post-Doc am Institut für Philosophie der Karl-Franzens-Universität Graz und am Fachbereich für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften der Universität Salzburg. Außerdem ist er Fellow des “jungen ZiF” am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF, Universität Bielefeld).