Tagungen abschaffen?

von Gottfried Schweiger (Salzburg)


Drüben auf Slippery Slopes verrät uns Thomas Hoffmann, dass philosophische Tagungen eigentlich unnütz, ja sogar bloß teure Zeitverschwendung sind und am besten gleich ganz abgeschafft werden sollten bzw. wenn die Finanziers dieser Dinge genauer hinsehen würden, diese das Geld ganz von alleine abdrehen würden. Es ist ja schon einige Male (im Netz, im Büro, am Gang, nach, vor und während einer Tagung)  über Tagungen gemotzt worden und vermutlich hat sich jede Teilnehmerin akademisch-philosophischer Events schon ähnliche Gedanken gemacht: Wozu das Ganze? Was mach ich hier? Soll das wirklich alles sein? Immer die gleichen (alten, weißen männlichen) Vortragenden! Du da vorne, bitte hör auf! Wir komm ich hier raus? – das ist also keine neue Klage. Und ich stimme in einigen Einsichten mit Hoffmann durchaus überein (und viele schlimme Dinge erwähnt er gar nicht!). Manche Tagungen sind fad, unproduktiv, ja geradezu furchtbar. Und das Verhalten mancher Kolleg_innen (auf Tagungen und darüber hinaus) ist auch zum (fremd)schämen. Dennoch! Ein paar Bemerkungen – ich will es nicht hochtrabend Differenzierungen nennen – will ich zum Sinn und Unsinn philosophischer Tagungen anbringen.

Erstens – nonanet – sind nicht alle Tagungen furchtbar. Es gibt auch ganz spannende, sowohl unter den kleinen als auch großen Events. Das sagt aber natürlich noch wenig aus, da ja, zweitens, gar nicht so klar ist, was die Qualitätskriterien hier sein sollten. Ein paar Alternativen kommen in den Sinn, was eine Tagung gut bzw. schlecht macht. Auf einer guten Tagung werden neue philosophische Erkenntnisse (Argumente, Thesen, Konzepte usw.) präsentiert und diskutiert. Eine gute Tagung bietet die Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen und alte zu pflegen. Eine gute Tagung hat ein ausgewogenes Feld an Vortragenden (etablierte und jüngere, (fast) gleich viele Männer wie Frauen, unterschiedliche Perspektiven usw.). Die Vorträge auf eine guten Tagung sind (überwiegend) gut gemacht (anregend, gut vorbereitet, verständlich usw.). Eine gute Tagung ist gut organisiert. Die Atmosphäre und Stimmung auf einer guten Tagung ist kollegial und unterstützend – auf einer guten Tagung fühlt man sich wohl. Eine gute Tagung ist nicht nur für wenige Spezialist_innen interessant. Eine gute Tagung bietet genug Zeit für Diskussion. Eine gute Tagung stellt nicht einige wenige big names in den Mittelpunkt. Eine gute Tagung ist nicht teuer. Eine gute Tagung lässt kontroversielle Meinungen zu.

Wenn man diese Kriterien anlegen möchte, taucht, drittens, gleich die Schwierigkeit auf, dass es über ihren Inhalt sinnvolle Meinungsverschiedenheiten unter Philosoph_innen gibt. Besonders problematisch ist wohl, was (neue) philosophische Erkenntnisse sind (was ist ein gutes Argument?), was einen guten Vortrag ausmacht oder was eine gute Stimmung ausmacht. Solchen Dissens kennt wohl auch jeder, der schon einmal auf einer Tagung war. Ich fand den Vortrag gut, die geschätzte Kollegin neben mir, fand ihn furchtbar. Klar ist jedoch auch, für mich zumindest, dass wir es nicht mit bloß subjektiven Kriterien zu tun haben, sondern es hier schon mehr oder weniger intersubjektive (objektive?) Qualitätsmerkmale gibt, die man argumentativ ausweisen kann.

Selbst wenn viele Tagungen nicht so toll sind, dann ist es, viertens, oft so, dass sie nicht in allen Belangen versagen. Manche Tagung hat wirklich eher mauer Vorträge, dafür hat man das Glück und kam in einer Pause mit einer einer noch unbekannten Kollegin ins Gespräch und profitiert davon ungemein. Durch solche glückliche Zufälle ist mir zumindest schon die eine oder andere gute Idee für einen Aufsatz, ein Argument, einen Vortrag gekommen, die ich sonst wohl nicht geboren hätte. Tagungen bieten die Möglichkeit unheimlich schlaue und kompetente Kolleg_innen zu treffen und man kann im persönlichen Gespräch viel voneinander lernen.

Fünftens scheint mir klar, dass die fehlende Güte vieler Tagungen eher als Auftrag interpretiert werden sollte, Tagungen besser zu machen als sie sein zu lassen. Idealerweise können Tagungen nämlich durchaus eine wichtige, sinnvolle und produktive Rolle im akademisch-philosophischen Betrieb spielen. Eben, wenn es sich um gute Tagungen handelt. Weil, was wäre denn die Alternative zu Tagungen? Dass wir alle alleine in unseren Büros sitzen und gerade einmal mit den paar Kolleg_innen reden, denen wir im akademischen Alltag begegnen? Das wäre, bis auf die glücklichen Kolleg_innen, die an großen Instituten arbeiten, wohl ziemlich einsam und der Qualität der Forschung und Lehre auch nicht unbedingt zuträglich. Auch die Ersetzungen von Tagungen durch webbasierte Videokonferenzen scheint mir da nicht so prickelnd, obwohl diese als Ergänzung zu herkömmlichen Tagungsformaten durchaus sinnvoll und reizvoll sein können.

Abschließend scheint mir wichtig, dass es, sechstens, einen guten Mix an unterschiedlichen Formaten von Tagungen gibt und diese auch genutzt werden. Kleinere Workshops mit einigen wenigen Vorträgen zu einem kleinteiligeren Thema haben andere Vor- und Nachteile als große generalistische Konferenzen. Letztere halte ich vor allem deshalb für sinnvoll, um auch einmal aus dem kleinen thematischen Kreis, in dem wir uns oft bewegen, wieder herauszugehen und sich der Breite philosophischer Forschung bewusst zu werden und an dieser teilzuhaben. Ich bin, ehrlich gesagt, auch kein großer Fan von Tagungen, deren Programm gänzlich ohne offenen Call for Papers zusammengestellt wurde. Das nimmt einem einerseits die Möglichkeit herauszufinden, wer noch aller zu einem Thema arbeitet  und birgt, andererseits, die Tendenz in sich, immer die gleichen (und etablierten) Meinungen zu einem Thema zu hören. Ich halte es auch für problematisch, dass scheinbar relativ wenig Wert darauf gelegt wird, Vorträge spannend zu erzählen (bitte hört auf vom Blatt vorzulesen!), aber da gehen die Meinungen wohl auseinander.

Das Schiff ist leck, aber noch nicht gesunken. Oder so ähnlich. Und selbst wenn es gesunken wäre, dann gilt es doch nur, ein neues und besseres zu zimmern. Und es ist auch klar, dass die Qualität von Tagungen nicht unabhängig von vielen anderen Faktoren ist, die die akademisch-philosophische Landschaft mitunter prägen (und zwar, um ein paar miese Sachen zu nennen, unter anderem: Hierarchien, Seilschaften, Konformismus, Prekarität). Aber auch, um sich darüber auszutauschen, können Tagungen genutzt werden. Tagungen können toll sein. Und wir sollten uns nicht davon abhalten lassen, sie so zu machen.


Gottfried Schweiger arbeit am Zentrum für Ethik und Armutsforschung an der Universität Salzburg. Dort forscht er hauptsächlich im Bereich der politischen Philosophie und Sozialphilosophie.