Waste Animals
Von Johann S. Ach (Münster)
In Deutschland wurden 2021 rund 2,5 Millionen Tiere im Zusammenhang der tierexperimentellen Forschung gezüchtet und getötet, die nicht in Versuchsvorhaben eingesetzt wurden. Ihre Nutzung als Futtermittel stellt, wie im Folgenden dargelegt wird, nicht nur aus rechtlicher, sondern auch aus ethischer Perspektive keinen Grund dar, der ihre Erzeugung und Tötung rechtfertigen könnte.
Dabei geht es beispielsweise um Tiere, die im Zuge der sog. Erhaltungszucht gezüchtet und gehalten werden, oder um Tiere, die bestimmte Anforderungen des Forschungsdesigns (Alter, Geschlecht etc.) nicht erfüllen. Zu den „überzähligen“ Tieren zählen insbesondere auch Tiere, die im Rahmen von gentechnischen Spezialzuchten entstehen, und die aufgrund ihres Genotyps weder für Tierexperimente geeignet sind noch für die weitere Zucht eingesetzt werden können. Den Mendelschen Regeln entsprechend werden bei der Zucht transgener Tiere zahlreiche Tiere geboren, die nicht den benötigten Genotyp aufweisen. Das gilt erst recht bei der Herstellung von mehrfach transgenen Tiermodellen. Die Anzahl „überzähliger“ Tiere lässt sich durch intelligente Zuchtschemata, technische Optionen wie die CRISPR/Cas9-Technologie oder institutionalisierte Austauschprogramme zwar reduzieren. Solche Maßnahmen können aber nicht verhindern, dass in sehr großer Zahl „überzählige“ Tiere entstehen.
Diese seit Jahren gängige Praxis ist in jüngster Zeit Gegenstand einer kontroversen Diskussion geworden. Im Juni 2021 wurden von Tierschutzorganisationen gegen hessische Tierversuchseinrichtungen Strafanzeigen wegen des Verdachts der rechtswidrigen Tiertötung eingereicht. Hintergrund ist, dass das deutsche Tierschutzgesetz die Tötung von Wirbeltieren nur in solchen Fällen erlaubt, in denen ein „vernünftiger Grund“ vorliegt. Nach §1 TierSchG besteht der Zweck des Tierschutzgesetzes darin, „aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen.“ Und weiter: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ §17 bestimmt, dass mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden soll, wer „ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet.“ Wirtschaftliche Erwägungen oder das Ziel, Kosten, Arbeit und Zeit einzusparen, reichen nach herrschender Auffassung aber nicht für einen „vernünftigen Grund“ aus.
Von Seiten der wissenschaftlichen Einrichtungen wird zwar geltend gemacht, dass der wissenschaftliche Betrieb bereits nach kurzer Zeit zum Erliegen käme und eine Fortsetzung der Praxis der tierexperimentellen Forschung unmöglich wäre, wenn die Haltungskapazitäten der Einrichtungen vollständig oder auch nur zu einem Teil für die Unterbringung von „überzähligen“ Tieren bis zu deren natürlichem Tod genutzt werden müssten. Es stehe also nicht weniger als die Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit auf dem Spiel. Ob die regelhafte Tötung „überzähliger“ Tiere durch einen „vernünftigen Grund“ gerechtfertigt ist, ist aber gleichwohl fraglich. Denn selbst wenn man die Behauptung eines Zusammenbruchs der wissenschaftlichen Forschung für plausibel hält, der in dem Fall drohen soll, dass „überzählige“ Tiere nicht getötet werden dürfen, kann von einem „vernünftigen Grund“ für deren Tötung jedenfalls solange keine Rede sein, als die Haltungskapazitäten der Einrichtungen nicht ausgelastet sind. Die Tötung der Tiere ist in diesem Fall offenbar allein dem Grund geschuldet, Kosten, Arbeit und Zeit einzusparen. Zudem wäre zu prüfen, in welchem Umfang die Einrichtungen dazu verpflichtet wären, zusätzliche Haltungskapazitäten aufzubauen, um möglichst vielen Tieren ein auskömmliches und tierschutzgerechtes Leben zu ermöglichen. Wo hier die Grenzen des Zumutbaren liegen würden, ist jedenfalls nicht ausgemacht.
Den Leiter:innen der Tierhaltungen und auch vielen Forscher:innen ist das Problem seit Jahren bekannt. Unter anderem deshalb hat man die sog. Kaskaden- oder Zweitnutzungsregelung entwickelt. Sofern deren Tötung nicht ohnehin gesetzlich vorgeschrieben ist, werden die „überzähligen“ Tiere dieser Regelung entsprechend entweder innerhalb der eigenen Organisation für andere Vorhaben oder zu Zwecken der Aus-, Fort- und Weiterbildung verwendet. Sofern dies nicht möglich ist, werden sie an Dritte (Zoo, Handel, Privatpersonen) abgegeben oder getötet und als Futtertiere weitergegeben. Erst dann, wenn auch dies – wie allerdings ganz überwiegend der Fall – nicht möglich ist, werden die Tiere getötet und beseitigt. Mancherorts ist diese Regelung sogar mit den zuständigen Behörden, in NRW etwa dem LANUV, abgestimmt worden.
In rechtlicher Hinsicht allerdings trägt die Kaskaden-Regelung wenig aus. Die Hoffnung der Forschungseinrichtungen, das Problem des fehlenden „vernünftigen Grundes“ für die Tötung „überzähliger“ Tiere mit Verweis auf deren „Zweitnutzen“ als Futtertiere beheben zu können, hat sich als unberechtigt herausgestellt. Das liegt daran, dass in rechtlicher Hinsicht der primäre Zweck, der zur Entstehung und schließlich zur Tötung führt, ausschlaggebend ist. Liegt für die Tötung der Tiere, die im Zusammenhang tierexperimenteller Forschung gezüchtet wurden, ein „vernünftiger Grund“ nicht vor, dann lässt sich die Tötung daher auch durch den Verweis auf einen sekundären Zweck, die Nutzung der Tiere als Futtermittel, nicht rechtfertigen. Die Tötung bleibt rechtswidrig. Und zwar unabhängig davon, ob man die Zweit- oder Weiternutzung als Futtermittel für grundsätzlich sinnvoll hält oder nicht.
Bei den Leiter:innen der Tierhaltungen und auch bei den betroffenen Forscher:innen stößt diese rechtliche Tatsache auf weitgehendes Unverständnis. Warum, fragen sie, soll es nicht statthaft sein, Tiere, die im Zusammenhang der Forschung als waste animals anfallen, zu verfüttern? – und auf diese Weise möglicherweise sogar einen Beitrag dazu zu leisten, dass weniger Futtertiere eigens gezüchtet und getötet werden müssen? Die Tiere werden, so das Argument, auf diese Weise immerhin einem sinnvollen Zweck zugeführt. Schließt die aktuelle Rechtslage also Rechtfertigungsmöglichkeiten für die Tötung „überzähliger“ Tiere aus, die nicht nur der gesunde Menschenverstand, sondern auch die Ethik für durchaus vernünftig halten?
Aus ethischer Perspektive stellt sich das Problem in Form der Frage, ob man aus einer moralisch fragwürdigen oder moralisch sogar falschen Handlung gleichwohl einen Nutzen ziehen darf. Die Diskussion über die Tötung „überzähliger“ Tiere weist insofern Ähnlichkeiten mit anderen bioethischen Streitfällen auf. Beispiele dafür sind der Umgang mit Forschungsergebnissen, die unter Missachtung forschungsethischer Standards produziert worden sind, oder die Übertragung von Geweben, das von abgetriebenen Feten stammt. In Fällen wie diesen stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen es erlaubt ist, von moralisch problematischem Handeln zu profitieren – wobei die problematische Handlung im vorliegenden Fall offenbar darin bestünde, dass im Zusammenhang tierexperimenteller Forschung unweigerlich Tiere produziert werden, die vorhersehbar als waste animals zur Vernichtung bestimmt sind.
Damit stellen sich zwei Fragen: Handelt es sich, erstens, bei der bewusst in Kauf genommenen Herstellung „überzähliger“ Tiere um eine moralisch problematische Handlung? Und gibt es, zweitens, eine Art Junktim zwischen der Nutzung von Tieren aus wissenschaftlichen Tierzuchten einerseits und der Erzeugung „überzähliger“ Tiere andererseits? Die erste Frage lässt sich meines Erachtens mit einem klaren „ja“ beantworten: Wer ein empfindungsfähiges Lebewesen in dem Bewusstsein erzeugt, dessen existentielle Interessen zu durchkreuzen, in dem er es seines Lebens beraubt, handelt prima facie moralisch verwerflich. Man könnte einwenden, dass dieses Argument zu viel beweist: Schließlich werden auch zahlreiche Nutztiere letztendlich mit dem Ziel erzeugt, geschlachtet und konsumiert zu werden. Aber selbst wer die Praxis der Tötung und Nutzung von Tieren für den menschlichen Konsum – anders als der Autor – nicht für moralisch verwerflich hält, wird immerhin zugeben müssen, dass der Grund, der die Erzeugung zur Tötung rechtfertigen soll, im Falle der Erzeugung von „überzähligen“ Tieren im Zusammenhang tierexperimenteller Forschung fehlt. Diese Tiere werden – um es drastisch zu formulieren – von vorneherein nicht als mögliche Schnitzel, sondern als Müll erzeugt. Selbst wenn man also der Auffassung ist, dass das menschliche Interesse an Fleischkonsum die Praxis der Nutztierhaltung rechtfertigt, fehlt ein entsprechender rechtfertigender Grund im vorliegenden Fall.
Gegen letztere Behauptung könnte man einwenden, dass es sich bei der Erzeugung „überzähliger“ Tiere zwar um ein Übel handelt. Aber um ein bloß in Kauf genommenes, nicht beabsichtigtes Übel. Man könnte also versuchen, die Erzeugung und Tötung „überzähliger“ Tiere unter Rekurs auf die „Lehre der Doppelwirkung“ zu rechtfertigen. Dieser Lehre folgend ist die Zulassung oder Verursachung einer schlechten Wirkung dann erlaubt, wenn die handelnde Person die gute Wirkung der Handlung beabsichtigt, die schlechte Wirkung dagegen nur vorhersieht oder in Kauf nimmt. Die Handlung selbst muss, abgesehen vom vorhergesehenen Übel, moralisch gut oder zumindest zulässig sein. Darüber hinaus darf die schlechte Wirkung kein Mittel sein, um die gute Wirkung hervorzubringen. Und schließlich muss das vorhergesehene Übel durch einen entsprechend schwerwiegenden Grund aufgewogen werden. Die Erzeugung und Tötung „überzähliger“ Tiere erfüllt offensichtlich die genannten Bedingungen: Die Entstehung „überzähliger“ Tiere wird von den Tierhalter:innen nur in Kauf genommen. Wenn es möglich wäre, genetische Zuchten herzustellen ohne dabei waste animals zu produzieren, würden die Akteure dies fraglos begrüßen. Die Erzeugung von „Überschusstieren“ ist ebenso fraglos kein Mittel, um Tiere für die experimentelle Forschung herstellen zu können. Und schließlich ist die tierexperimentelle Forschung – jedenfalls im Urteil der Akteur:innen – ein schwerwiegender Grund, der das in Kauf genommene Übel aufwiegt.
Fraglich ist allerdings, ob man die „Lehre von der Doppelwirkung“ tatsächlich akzeptieren sollte. Ist es wirklich plausibel, die Zulässigkeit einer Handlung, wie es die „Lehre von der Doppelwirkung“ vorschlägt, von den Absichten der handelnden Person abhängig zu machen? Und zwar gerade auch in solchen Fällen, in denen der Eintritt der unbeabsichtigten Nebenfolgen ebenso gewiss oder wahrscheinlich ist wie der Eintritt der beabsichtigen Hauptfolgen? Tatsächlich akzeptieren wir einen Verweis auf die gute Absicht, mit der eine Handlung, die schlechte Folgen hat, ausgeführt worden ist, zwar in der Regel als Entschuldigung. Wir akzeptieren sie aber so gut wie nie als Rechtfertigung, die den Handelnden mit Blick auf die schlechten Folgen seiner Handlung moralisch entlastet. Hinzu kommt, dass wir häufig nicht (wenn überhaupt jemals) sicher sein können, mit welcher Absicht jemand eine Handlung ausgeführt hat. (Tatsächlich kann sich häufig noch nicht einmal die handelnde Person selbst hinreichend sicher über ihre Absichten sein.)
Auch die zweite Frage, die Frage nach einem möglichen Junktim zwischen der Nutzung von Tieren aus wissenschaftlichen Tierzuchten als Futtertieren einerseits und der Erzeugung „überzähliger“ Tiere andererseits, muss mit „ja“ beantwortet werden. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe: Zum einen setzt die Möglichkeit der Nutzung von „überzähligen“ Tieren nicht nur keinen Anreiz, die Erzeugung von „Überschusstieren“ zu begrenzen. Tatsächlich könnte sie vielmehr sogar einen Fehlanreiz zu einer gewissen Sorglosigkeit leisten. Wer weiß, dass „überzählige“ Tiere nicht einfach nur vernichtet, sondern als Futtermittel für andere Tiere genutzt werden, wird es mit den oben angedeuteten organisatorischen, technischen und institutionellen Möglichkeiten zur Verhinderung von „Überschusstieren“ möglicherweise nicht mehr allzu genau nehmen. Für dieses Szenario könnte auch ein zweiter Grund sprechen: Hält man die Nutzung von „überzähligen“ Tieren aus der tierexperimentellen Forschung für zulässig, dann liegt es zumindest nahe, die Erzeugung und Tötung dieser Tiere mit Verweis auf deren Nutzung zu legitimieren. Es könnte also der Eindruck entstehen, als ließe sich die Erzeugung zur Tötung moralisch rechtfertigen. Beide, das Fehlanreiz- wie das Legitimations-Argument, ließen sich allenfalls dadurch entkräften, dass man die beiden Entscheidungen, „überzählige“ Tiere zu erzeugen und sie als Futtermittel zu nutzen, personell und institutionell vollständig voneinander abtrennt. Wie eine solche Trennung realisiert werden könnte ist freilich nicht zu sehen.
Auch aus ethischer Perspektive stellt die Nutzung von „überzähligen“ Tieren aus der tierexperimentellen Forschung als Futtermittel also keinen Grund dar, der die Erzeugung und Tötung von „überzähligen“ Tieren rechtfertigen könnte. Um das einzusehen muss man noch nicht einmal die tierexperimentelle Forschung als solche für moralisch problematisch oder sogar verwerflich halten.
Johann S. Ach, Dr. phil., ist apl. Professor am Philosophischen Seminar und wissenschaftlicher Leiter des Centrums für Bioethik der WWU Münster. Seit ihrer Einsetzung 2013 gehört er der Koordinierungskommission Tierexperimentelle Forschung der WWU an.