Individuelle Verpflichtungen im Kampf gegen den Klimawandel
Von Benedikt Namdar (Graz)
Der Klimawandel ist zweifellos das dringendste umweltbezogene Problem der heutigen Zeit, und die Aussichten werden nicht gerade rosiger. Vor allem zukünftig, jedoch auch gegenwärtig lebende Personen bekommen die Auswirkungen unüberlegten, profitgetriebenen Verhaltens zu spüren. Nicht leichter wird der Umgang mit dem Thema dadurch gemacht, dass Politik und Industrie den Anschein machen, an einer konstruktiven Lösung nicht interessiert zu sein. Diese Kombination aus immensen Schäden, fehlenden Maßnahmen “von oben” und dem Wunsch, dass sich etwas verändert, lässt eine Frage immer prominenter werden: Haben Individuen moralische Verpflichtungen, ihre Emissionen einzuschränken, um den Klimawandel zu bekämpfen? Und wenn ja, wie gewichtig sind diese Verpflichtungen?
Einer populären Meinung (sowohl in der Philosophie als auch in der Öffentlichkeit) zur Folge kann die erste Frage mit einem klaren „Ja!“ beantwortet werden [1]. Individuelle Emissionen verursachen Schäden und Schäden sollten klarerweise vermieden werden. Doch so einleuchtend wie das klingen mag, so schnell kommen auch Zweifel auf. Unter den gigantischen Mengen an Treibhausgasemissionen scheinen individuelle Emissionen völlig unterzugehen. Was ist schon eine einmalige Autofahrt gegen den Ausstoß, den der lokale Autohersteller stündlich oder täglich verursacht? Eine solch marginale Menge kann doch keinen signifikanten Schaden verursachen – oder?
Sich dieser Zweifel bewusst, haben verschiedene Autoren Anstrengungen unternommen, um zu zeigen, dass genau dies eben doch der Fall ist [2]. Mit Hilfe von empirischen Daten über die Emissionen von gesamten Ländern, das Ausmaß der Klimawandel-Schäden und ein paar wenigen weiteren Zahlen ergeben sich Berechnungen, die zwar verschiedene Ergebnisse haben, durchwegs jedoch eines zeigen: individuelle Emissionen wie zum Beispiel von einer Autofahrt verursachen Schäden.
Wie genau dieser Schaden sich manifestiert, ist unklar. Darüber hinaus ist auch die Datenbasis alles andere als eindeutig. Als kleine (vielleicht etwas kuriose) Orientierungshilfe kann man vielleicht einen ruinierten Nachmittag als Folge der Emissionen einer Autofahrt nehmen, wie es von Hiller (2011) vorgeschlagen wird. Wir können also festhalten, wenn mit diesen Berechnungen nicht einiges grundlegend falsch ist [3], verursachen individuelle Emissionen zumindest Schäden in kleinem Ausmaß.
Jedoch ist die Antwort auf diese Frage noch keine Antwort auf die vielleicht interessantere Frage, ob aus diesen kleinen Schäden bereits moralische Verpflichtungen folgen. Dieser Frage wollen wir uns nun widmen.
Zuallererst möchte man dazu vielleicht geklärt haben, was denn eine moralische Verpflichtung nun genau ist. Ein Kriterium für eine moralische Verpflichtung scheint zu sein, dass ein Zuwiderhandeln gegen diese moralisch falsch ist. Zum Beispiel ist ein Zuwiderhandeln gegen die moralische Verpflichtung „Du sollst nicht morden“ ganz klar moralisch falsches Handeln. Ebenso ist ein weniger tragisches Zuwiderhandeln gegen die moralische Verpflichtung „Du sollst keinen Schokoriegel aus dem Supermarkt stehlen“ ebenfalls falsches Handeln.
Aus den beiden gegebenen Beispielen können wir weiter erkennen: es stellt sich nicht nur die Frage, ob etwas eine moralische Verpflichtung ist oder nicht, sondern darüber hinaus auch die Frage, wie stark eine als solche identifizierte moralische Verpflichtung denn nun eigentlich ist. Es ist moralisch verwerflicher, unschuldige Menschen ums Leben zu bringen, als aus dem Supermarkt zu stehlen. Darüber hinaus kann die moralische Verpflichtung, nicht zu stehlen, um einiges leichter überwogen werden durch beispielsweise unverschuldetes Hungerleiden als die moralische Verpflichtung, nicht zu morden.
Man möchte nun wahrscheinlich bereits die 100-Punkte-Frage stellen: Was heißt das alles für unseren Fall der individuellen Emissionen? Aber nicht so schnell! Zuerst wollen wir wahrscheinlich noch wissen, was das Aufkommen und die Stärke einer moralischen Verpflichtung in Verbindung mit dem Klimawandel überhaupt auszeichnet. Was ist es, dass manche Taten in diesem Zusammenhang moralisch besser oder schlechter als andere macht?
Ein offensichtlicher Kandidat für ein solches Kriterium hier scheint Schaden zu sein, der ja wie oben gezeigt durch individuelle Handlungen entsteht. Im Weiteren scheint es sinnvoll zu sagen, dass ein höheres Ausmaß an Schaden eine stärkere Pflicht erzeugt, die diesen Schaden verursachende Handlung zu unterlassen. Wenden wir diese abstrakten Überlegungen nun auf das konkrete Beispiel individueller Emissionen an.
Wie erwähnt, nehmen wir an, dass individuelle Emissionen Schaden verursachen. Also ergibt sich eine moralische Verpflichtung, diese zu unterlassen. Wie ebenso bereits erwähnt, nehmen wir auch an, dass diese individuellen Emissionen nur geringen Schaden verursachen. Aufgrund dessen kann also gesagt werden, dass die moralische Verpflichtung, individuelle Emissionen zu unterlassen, eine schwache moralische Verpflichtung ist.
Bisher haben wir uns isoliert mit individuellen Emissionen und deren moralischer Bewertung beschäftigt. Womit wir uns jedoch noch nicht beschäftigt haben, ist, welche Rolle individuelle Emissionen im „bigger picture“ spielen sollten: dem Kampf gegen den Klimawandel im Allgemeinen.
Um zu verdeutlichen, warum diese Frage wichtig ist, müssen wir uns einer Besonderheit des Phänomens Klimawandel bewusst werden: Zeit. Der Klimawandel ist kein zeitloses Phänomen. Er schreitet in beängstigender Geschwindigkeit voran und je länger wir nur zusehen, desto prekärer wird die Lage für uns und andere. Wollen wir den Klimawandel signifikant abschwächen und die berüchtigte Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1.5°C einhalten, müssen wir bis 2030 drastische Maßnahmen ergriffen haben [4]. Deshalb müssen wir uns genau überlegen, wie der Klimawandel so effizient wie möglich bekämpft werden kann.
Die genaue Beantwortung dieser Frage ist zugegebenermaßen extrem schwierig, jedoch lässt sich eines bestimmt sagen: wir gewinnen den Kampf gegen das wärmer werdende Klima nicht durch den Verzicht auf individuelle Emissionen. Um das zu erreichen, müssen Veränderungen auf einer anderen Ebene als der individuellen geschehen. Höchstwahrscheinlich sind es Regierungen und die Industrie, die ihr Verhalten stark verändern müssen, um gesetzten Klimazielen auch nur annähernd nahe zu kommen. Soweit die schlechten Nachrichten.
Die guten Nachrichten sind jedoch, dass ein Individuum auf verschiedene Weisen zu einem Wechsel auf dem geforderten Level beitragen kann. Zum Beispiel könnte man ganz einfach umweltfreundliche Politiker*innen wählen. Wenn die erforderlichen zeitlichen, kognitiven und weitere Ressourcen gegeben sind, kann man jedoch auch einen Schritt weiter gehen, und in einer umweltfreundlichen Partei aktiv werden. Darüber hinaus, um ein nicht direkt mit der Politik verbundenes Beispiel zu nennen, kann eine Person, wiederum bei gegebenen Ressourcen, auch eine Ausbildung absolvieren, die ihr ermöglicht, in der Industrie für umweltfreundliche Veränderungen zu sorgen.
Es zeigt sich also, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, zu signifikanten Veränderungen durch Handeln auf diesem Level beizutragen. Manche benötigen mehr Einsatz an Ressourcen, manche weniger. Manche sind für viele Menschen vielleicht sogar unmöglich umzusetzen. Schließlich gibt es nicht in allen Teilen der Welt die Möglichkeit, eine hochwertige wissenschaftliche Ausbildung zu ergreifen, um später an umweltfreundlichen Technologien zu arbeiten. Jedoch zeigt die Tragweite an Möglichkeiten ebenso, dass für jede*n etwas dabei ist, und dass wir alle die Möglichkeit haben, unseren Teil zu leisten. Somit ist eine starke Verpflichtung gegeben, diese wahrzunehmen, da dadurch ein hohes Ausmaß an Schaden verhindert werden kann. Im Gegensatz dazu ist die Verpflichtung auf individueller Ebene zwar gegeben, aber schwach. Schließlich kann hierdurch kein signifikanter Wandel erwirkt werden.
Bibliographie
Broome, J. (2019). Against Denialism, The Monist, 102(1), 110-129.
Hiller, A. (2011). Morally Significant Effects of Ordinary Individual Actions, Ethics, Policy and Environment, 14(1), 19-21.
IPCC (2018). Summary for Policymakers. In: Masson-Delmotte, V., P. Zhai, H.-O. Pörtner, D. Roberts, J. Skea, P.R. Shukla, A. Pirani, W. Moufouma-Okia, C. Péan, R. Pidcock, S. Connors, J.B.R. Matthews, Y. Chen, X. Zhou, M.I. Gomis, E. Lonnoy, T. Maycock, M. Tignor, and T. Waterfield (eds.), Global Warming of 1.5°C. An IPCC Special Report on the impacts of global warming of 1.5°C above pre-industrial levels and related global greenhouse gas emission pathways, in the context of strengthening the global response to the threat of climate change, sustainable development, and efforts to eradicate poverty. Geneva, World Meteorological Organization, 32-56.
Kingston, E. & Sinnott-Armstrong, W. (2018). What’s Wrong with Joyguzzling?, Ethical Theory and Moral Practice, 21(1), 169-86.
Nolt, J. (2011). How Harmful Are the Average American’s Greenhouse Gas Emissions?, Ethics, Policy & Environment, 14 (1), 3–10.
[1] z.B. Broome (2019), Nolt (2011), Hiller (2011)
[2] Broome (2019), Nolt (2011), Hiller (2011)
[3] Siehe Kingston und Sinnott-Armstrong (2018) für Einwände.
[4] IPCC (2018)