Versuch einer Verständigung – anstelle einer Replik zur Replik Dieter Schöneckers
Von Peggy H. Breitenstein (Jena)
Eigentlich ist der Einsatz für die Wissenschaft und ihre Freiheit zu wichtig und gewichtig, um kleine Streitgespräche zu führen. Aber da sich Dieter Schönecker die Mühe gemacht hat, eine Replik zu meinem Beitrag zu schreiben, nehme ich seine Einwände als Anlass, die Diskussion fortzusetzen und mich an einigen Stellen verständlicher auszudrücken oder auch selbstkritisch zu präzisieren.
Zunächst: Es tut mir leid, wenn Mitglieder des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit persönlich beleidigt oder verletzt wurden. Ich selbst habe mich redlich bemüht, dies nicht zu tun, nicht ad-personam zu argumentieren und auch keinen Menschen zu verleumden (und nur Menschen können verleumdet werden). Sofern mir das gelungen ist – worüber andere Leser:innen urteilen müssten – ist der gleich zu Beginn geäußerte Vorwurf verleumderischer Rede in meinen Augen unfair.
Worauf ich allerdings aufmerksam machen wollte – das sollte der vielleicht unglückliche, weil Missverständnisse provozierende Titel signalisieren: dass ein militantes Vokabular, ganz gleich, von wem es benutzt wird, massiv zur Vertiefung von Gräben beiträgt, sicherlich viele Menschen, nicht zuletzt Studierende abschreckt und somit gerade nicht diskursförderlich oder auch verständigungsorientiert ist. Mit „Überempfindlichkeit […], wie man sie leider auch andernorts als Symptom der woken Hypermoral beobachten kann“ hat das nichts zu tun. Dieser Hinweis kann vielmehr durch Einsichten zum Zusammenhang von Sprache und Gewalt gestützt werden, wozu es auch zahlreiche jüngere philosophische Arbeiten gibt [1]. Mir geht es zudem um den so begründeten Hinweis auf eine immanente, performative Widersprüchlichkeit, die darin besteht, dass das selbst gewählte Vokabular und die Tonlage die Sache verhindern, um die es laut Manifest auch den Mitgliedern des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit und hoffentlich vielen anderen Beteiligten geht: die Realisierung einer „Debattenkultur […], in der alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Studierenden ihre Erkenntnisinteressen frei von Sorgen vor moralischer Diskreditierung, sozialer Ausgrenzung oder beruflicher Benachteiligung verfolgen und ihre Argumente in Debatten einbringen können“. Unsachlich meint in diesem Sinne: Dieser Sache sind Ton und Vokabular nicht nur nicht zuträglich; sie verhindern sie aktiv und massiv.
Mein Ausgangspunkt besteht allerdings im Hinweis auf meine bisherigen persönlichen Begegnungen mit ‚scharf geführten Diskursen‘ um die Wissenschaftsfreiheit und mit Diagnosen, dass diese in Gefahr ist – aber das habe ich ja auch von Anfang an unmissverständlich klargemacht. Dass es diese im universitären Kontext, also im ‚wissenschaftlichen‘ und sogar philosophischen Fachdiskurs bereits im Herbst 2019 gab, fand ich allerdings im Rückblick selbst recht erstaunlich. (Und ich erinnerte mich in diesem Zusammenhang auch daran, dass in unmittelbarer zeitlicher Nähe, im September 2019, Donald Trump mit Schimpftiraden über linke soziale Medien herzog und dann auch mit einem Proposal für Unruhe sorgte, das den Arbeitstitel „Protecting Americans from Online Censorship“ trug, mit dem er die Möglichkeit erstreiten wollte, gegen die Unterdrückung (seiner) konservativen Meinungen vorzugehen. Diesen Hinweis habe ich freilich wohlweislich weggelassen, um nicht den Verdacht zu erregen, hier irgendeine Parallele zu unterstellen.)
Ich wollte von diesem Beispiel ausgehend – und um Beispiele oder „Fälle“ dreht sich die ganze bisherige Debatte – auch nicht verallgemeinern, sondern bleibe in meinen Beschreibungen auf der Ebene individueller Erfahrungen. Und genau deshalb behaupte ich in meinem Beitrag auch weder, noch leugne ich eine Tatsache namens „Wissenschaftsfreiheit ist in Gefahr“, sondern stelle meine Erfahrung und Meinung einer anderen Meinung entgegen – oder genauer einer Position, die diese Meinung als Tatsache ansieht und auch so darstellt. So jedenfalls habe ich den Anspruch bisher immer verstanden, gerade auch wenn bei akademischen Vorträgen oder in Wissenschaftsblogs etc. behauptet wird, die Freiheit der Wissenschaft sei vor allem durch „linke Logophobie“ gefährdet.
Genau auf diese Unterscheidung zwischen Tatsachen und Meinungen bzw. deren Verwischung, die ich (ebenfalls) als unsachlich ansehe, wollte ich hinweisen. Leider habe ich versäumt, sie explizit zu erläutern, was sicherlich zu kritisieren ist und gütigst mit der nötigen Knappheit des Textes entschuldigt werden mag. Ich beziehe mich hier u.a. auf Hannah Arendt, die wiederum an Platon sowie Leibniz anschließt. Im Gegensatz zu Tatsachen (seien es solche der Vernunft oder auch der Empirie und Geschichte) sind Meinungen an je spezifische Überzeugungen, Haltungen, Einstellungen gebunden und existieren nur im Plural. Sie lassen sich beeinflussen, ändern, über sie lässt sich streiten. Nicht hingegen lässt sich über einzelne Meinungen sagen, sie seien ‚einzig wahr‘.
Mein Verweis auf GG Art. 5.3 dient allein dazu, auf eine Ambivalenz aufmerksam zu machen: Der Fingerzeig auf ein Grundrecht ist nicht nur ein vollkommen legitimer Hinweis auf einen unverhandelbaren Anspruch (Schutzrecht), sondern kann auch als Diskurshemmnis dienen. Wo ‚Rechtstatsachen‘ enden und die Auslegung beginnt, gilt es im Einzelfall zu entscheiden (und das soweit möglich gemeinsam und öffentlich) – aber das ist in der Tat ein Gemeinplatz. Bei Fragen der Wissenschaftsfreiheit bleibt dies wahrscheinlich besonders umstritten – das liegt in der Natur der Sache, der Institutionen, der Vielfalt der Beteiligten etc.
Zugleich beziehe ich mich mit der Unterscheidung von Meinung und Tatsache aber auch auf die in meinen Augen höchst wichtige Differenz zwischen Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit, die häufig unter den Tisch fällt. Auf sie hat u.a. Klaus Ferdinand Gärditz in einem sehr aufschlussreichen Artikel zu den „äußeren und inneren Grenzen der Wissenschaftsfreiheit“ aufmerksam gemacht. Er bestimmt sie dort wie folgt: „Meinungsfreiheit ist in besonderem Maße auch eine Freiheit zur Irrationalität, ein Grundrecht des Emotionalen, des Unreflektierten, des radikalen Relativismus. Die Wissenschaftsfreiheit weist demgegenüber eine besondere Bindung an Standards fachlicher Rationalität auf, die der inhärenten Relativität beliebiger Meinungen, die sich nicht nach Richtigkeitskriterien beurteilen lassen, das Objektivierungsbemühen eines auf überprüfbare Erkenntnis von Wirklichkeit gerichteten, methodisch disziplinierten Konstruktionsprozesses entgegenstellt“ [2].
Vor genau diesem Hintergrund versteht sich auch mein Hinweis auf die fehlende Verifizierung: Wenn im wissenschaftlichen Diskurs (z.B. auf Fachtagungen, in Fachzeitschriften) allgemein behauptet wird, dass die Wissenschaftsfreiheit an deutschsprachigen Universitäten gefährdet sei, dann erwarte ich dafür Belege, die über einzelne, teilweise auch umstrittene Fälle hinausgehen und die in Art und Zahl als repräsentativ angesehen werden können. Für solche Belege gibt es verschiedene Möglichkeiten: Gerichtlich entschiedene Präzedenzfälle oder auch repräsentative Erhebungen bzw. Umfragen an Universitäten, die Erfahrungen mit verschiedenen Faktoren der Einschränkung (z.B. auch Ökonomisierung, Drittmittelzwang, Digitalisierung, Triggern etc.) oder gar des Eingriffs dokumentieren. Auch diese Unterscheidung zwischen Einschränkung – etwa aufgrund von Abwägungen gegen andere Grundrechtsgüter – und Eingriff ist übrigens relevant.
Damit möchte ich die bisherige Dokumentation bekannter Fälle auf der Seite des Netzwerks nicht entwerten, auch wenn es bisher eben nur die sind, über die auch in anderen Medien – überregionalen Zeitungen u.a. – wiederholt berichtet und zuweilen gestritten wurde. Ich finde die Dokumentation sehr wertvoll und aufschlussreich: So kann jede:r nachlesen und selbst urteilen, was gemeint ist, aber auch wie objektiv oder tendenziös die Fälle dargestellt werden.
Abschließend möchte ich noch einmal zu Schöneckers Hinweis auf den Vorwurf einer kriegerischen Sprache und zugleich auf letzten Absatz seiner Replik eingehen, in dem er seine Motive und Ansprüche dankenswerter Weise noch einmal ganz offen auf den Tisch legt.
Und hier wird doch einiges überraschend deutlich: Bisher bin ich davon ausgegangen, dass der Einsatz für die Freiheit der Wissenschaft gerade nicht auf eigener, ‚bloßer‘ Betroffenheit, auf Unterstellungen und Vermutungen zu gründen beansprucht, sondern auf Tatsachen und dem Interesse an einem Ideal, das für alle (aufgeklärten) Menschen wichtig ist.
Angesichts des letzten Abschnitts muss ich dieses Verständnis, das auch meiner Lesart des Artikels Dieter Schöneckers Artikel auf praefaktisch zu Grunde lag, aus mehreren Gründen korrigieren:
- Es gibt einen kontingenten „rhetorischen Hintergrund“, der den Artikel motiviert und trägt: Er entstand als Reaktion auf eine Geste, die als Kriegserklärung verstanden werden musste.
- Seine Plädoyers für Wissenschaftsfreiheit sowie Repliken auf kritische Artikel sind – ob im Einzelfall angemessen oder nicht – immer zugleich Verteidigungen gegen „Anfeindungen gegen das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“, sind Reaktion auf eine unterstellte „Kriegslust“, die von den Feinden „der Aufklärung“ ausgehe, weshalb „die Kriegsterminologie nicht unsachlich, sondern angebracht“ sei.
- Es geht ihm nicht (oder weniger?) um Wissenschafts-, sondern um Meinungsfreiheit und deren „Feinde“.
- Er vermutet bzw. prognostiziert, „dass wir uns auf dem Weg dahin befinden, wo die USA bereits sind: in einem Kulturkampf, wenn nicht Kulturkrieg“.
Zuletzt wird die Auseinandersetzung um die Wissenschaftsfreiheit in einen größeren Kontext eingeordnet, in den sie sicherlich gehört, aber mit dem sie doch auch nicht undifferenziert gleichgesetzt werden muss: in den „Streit um die Cancel Culture und die Identitätspolitik“, die zweifellos von großer politischer Tragweite sind.
Dem abschließenden Hinweis Dieter Schöneckers schließlich kann ich in der Tat nur zustimmen und hoffe sogar sehr, dass er eine breitere Debatte motivieren kann: Der Streit um die Wissenschaftsfreiheit, in dem es in meinen Augen viele Positionen, also auch Gegner geben darf bzw. sollte, hat einen „politischen Charakter“ bzw. ist politisch. Aber ich sage – im Anschluss an Chantal Mouffe –‚Gegner‘, nicht ‚Feinde‘, um auch hier auf einen feinen Unterschied hinzuweisen, der die Debattenkultur betrifft. Dennoch gilt – da sind wir vollkommen d’accord: Bei diesem politischen Streit geht es „um Macht und Einfluss“ und doch idealiter zugleich um gute Gründe und Argumente. In diesem Sinne ist er auch: Fortzusetzen …
[1] Siehe u.a.: Hannes Kuch/ Steffen Herrmann (Hg.): Philosophien sprachlicher Gewalt. 21 Grundpositionen von Platon bis Butler. Weilerswist: Velbrück 2010; Steffen Herrmann, Hannes Kuch, Sybille Krämer (Hg.): Verletzende Worte. Zur Grammatik sprachlicher Missachtung. Bielefeld: Transcript 2007.
[2] Klaus Ferdinand Gärditz: Die äußeren und inneren Grenzen der Wissenschaftsfreiheit. Zur politischen Struktur von Forschung und Lehre. WissR 51, S. 5-44, hier: 19.
Peggy H. Breitenstein lehrt und forscht am Institut für Philosophie der FSU Jena v.a. zu Fragen philosophischer Gesellschaftskritik und versucht sich immer wieder an Vermittlungen zwischen zivilgesellschaftlichen Initiativen und akademischer Philosophie.