Kants (selbst-)kritischer Universalismus

Von Conrad Mattli (Basel)

Aus gegebenem Anlass wird derzeit wieder gefragt: Was ist an Kant eigentlich noch aktuell, was nicht? Ohne Zweifel ist Kant unhaltbar geworden, wo wir den universalistischen Anspruch durch rassistische und kulturchauvinistische – kurz: partikularistische Inhalte widerlegt wissen. Sollte Kants Philosophie dadurch nicht insgesamt unhaltbar geworden sein? Nun, diese Philosophie besagt im Wesentlichen, dass die Frage, ob etwas der Fall ist, unendlich verschieden von der Frage ist, ob etwas der Fall sein soll. Und wer trotz Hegel nicht verlernt hat, derart zwischen Sein und Sollen (Nichtsein) zu unterscheiden, und den erwähnten Tatbestand einmal unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, sieht sich gezwungen, mit Kant zu urteilen, dass der rassistische und kulturchauvinistische Partikularismus schon zu Kants Zeiten nicht, ja niemals hätte sein sollen, dass er aber offenbar heute noch, wie zu Kants Zeiten, ein Faktum ist. Am Ende könnte sich die Aktualität der kantischen Denkart also, statt durch vermeintlich überzeitliche Inhalte dadurch erweisen, dass es nicht nur möglich, sondern notwendig ist, Kant mit Kant zu kritisieren; dass die Methode der Kritik also das letzte Wort gegenüber dem eigenen Ausdrucksgehalt behalten darf – ja sogar muss, damit der universale Anspruch kein leeres Versprechen bleibt.